Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Frankreichs Rulturexpansion und ihre Bedeutung für Deutschland

des Friedens schätzen, nicht Rechte und Pflichten, nicht Natur und Kultur
miteinander versöhnen, es sind ihm unfaßbare Gegensätze. Von unserer tief¬
sittlichen Auffassung des Heeresdienstes, von den Ideen Scharnhorsts, Steins,
Gneisenaus, Moltkes und von der Goltz' ahnt er nichts. Hier könnte --
darauf sei nebenher kurz hingewiesen -- der Wehrverein nach Erledigung der
großen Militärvorlage mit seiner Arbeit einsetzen und seine Aufgabe innerlicher
gestalten, indem er die Massen darüber aufklärt, daß die deutsche Auffassung
vom Militärdienst sich mit allem Kulturfortschritt wohl verträgt; denn für
alles soldatische haben die breiten Schichten bei uns instinktiv Sinn und
Verständnis.

Es ist klar, daß die deutschfeindliche Tendenz der französischen Kultur¬
expansion schließlich von großer politischer Bedeutung ist. In unserem demo¬
kratischen Zeitalter werden die Stimmungen der Völker, ihre Antipathien und
Sympathien immer ausschlaggebender für die auswärtige Politik. Das fran¬
zösische Institut in Petersburg kann gar nicht anders wirken, als zur Demo¬
kratisierung Rußlands beitragen, die seit altersher deutschfeindlichen Tendenzen
der slawischen Welt verstärken. Der Herrscher eines sich immer demokratischer
entwickelnden Rußlands wird beim besten Willen nicht mehr imstande
sein, seiner Politik eine deutschfreundliche Richtung zu geben. Die letzten
Monate haben es gezeigt, wie schwer der besonnene und mindestens uns nicht
feindlich gesinnte russische Ministerpräsident gegen die Volksstimmung in seinem
Lande zu kämpfen hatte. Wie wird das werden, wenn die russischen Staats¬
einrichtungen noch demokratischer geworden sind! Der größte Teil der aus¬
ländischen Studenten in Frankreich stammt aus slawischen Ländern. Man kann
sich denken, daß z. B. Vorlesungen über Napoleon, über französische Geschichte
im neunzehnten Jahrhundert, über das europäische Gleichgewicht, über die elsatz-
lothringische Frage, wie sie den Fremden in gewohnter französischer "Objekti¬
vität" geboten werden, nicht geeignet find, freundschaftliche Gefühle für uns zu
erwecken; die alte Vorliebe der slawischen Völker für französische Kultur wird
nur noch zunehmen.

Deutschfeindliche Tendenzen machen sich bei unseren westlichen Nachbarn
selbst auf rein wissenschaftlichem Gebiete bemerkbar. Ich kann es hier nur
flüchtig andeuten. Man kennt den Kampf, den gewisse Kreise gegen die neue
Sorbonne führen, gegen ihre Germanisierung, gegen die deutschen Methoden,
die an der philosophischen Fakultät vorherrschen. Man wirft ihr vor, daß ihre
philologischen Forschungsmethoden unter deutschem Einfluß zur Vernachlässigung
der Form, zu übertriebener Spezialisierung, zu einem Niedergang des fran¬
zösischen Geisteslebens führen. Man wehklagt, daß sie die Franzosen zu einem
Volk von Zrammairien8 mache, daß die alten Vorzüge der französischen Sprache,
Klarheit, Schönheit und Anmut, dahinschwänden, daß schließlich die französische
Kultur nicht mehr ihren alten Reiz und Zauber auf die Fremden ausüben
werde.


Frankreichs Rulturexpansion und ihre Bedeutung für Deutschland

des Friedens schätzen, nicht Rechte und Pflichten, nicht Natur und Kultur
miteinander versöhnen, es sind ihm unfaßbare Gegensätze. Von unserer tief¬
sittlichen Auffassung des Heeresdienstes, von den Ideen Scharnhorsts, Steins,
Gneisenaus, Moltkes und von der Goltz' ahnt er nichts. Hier könnte —
darauf sei nebenher kurz hingewiesen — der Wehrverein nach Erledigung der
großen Militärvorlage mit seiner Arbeit einsetzen und seine Aufgabe innerlicher
gestalten, indem er die Massen darüber aufklärt, daß die deutsche Auffassung
vom Militärdienst sich mit allem Kulturfortschritt wohl verträgt; denn für
alles soldatische haben die breiten Schichten bei uns instinktiv Sinn und
Verständnis.

Es ist klar, daß die deutschfeindliche Tendenz der französischen Kultur¬
expansion schließlich von großer politischer Bedeutung ist. In unserem demo¬
kratischen Zeitalter werden die Stimmungen der Völker, ihre Antipathien und
Sympathien immer ausschlaggebender für die auswärtige Politik. Das fran¬
zösische Institut in Petersburg kann gar nicht anders wirken, als zur Demo¬
kratisierung Rußlands beitragen, die seit altersher deutschfeindlichen Tendenzen
der slawischen Welt verstärken. Der Herrscher eines sich immer demokratischer
entwickelnden Rußlands wird beim besten Willen nicht mehr imstande
sein, seiner Politik eine deutschfreundliche Richtung zu geben. Die letzten
Monate haben es gezeigt, wie schwer der besonnene und mindestens uns nicht
feindlich gesinnte russische Ministerpräsident gegen die Volksstimmung in seinem
Lande zu kämpfen hatte. Wie wird das werden, wenn die russischen Staats¬
einrichtungen noch demokratischer geworden sind! Der größte Teil der aus¬
ländischen Studenten in Frankreich stammt aus slawischen Ländern. Man kann
sich denken, daß z. B. Vorlesungen über Napoleon, über französische Geschichte
im neunzehnten Jahrhundert, über das europäische Gleichgewicht, über die elsatz-
lothringische Frage, wie sie den Fremden in gewohnter französischer „Objekti¬
vität" geboten werden, nicht geeignet find, freundschaftliche Gefühle für uns zu
erwecken; die alte Vorliebe der slawischen Völker für französische Kultur wird
nur noch zunehmen.

Deutschfeindliche Tendenzen machen sich bei unseren westlichen Nachbarn
selbst auf rein wissenschaftlichem Gebiete bemerkbar. Ich kann es hier nur
flüchtig andeuten. Man kennt den Kampf, den gewisse Kreise gegen die neue
Sorbonne führen, gegen ihre Germanisierung, gegen die deutschen Methoden,
die an der philosophischen Fakultät vorherrschen. Man wirft ihr vor, daß ihre
philologischen Forschungsmethoden unter deutschem Einfluß zur Vernachlässigung
der Form, zu übertriebener Spezialisierung, zu einem Niedergang des fran¬
zösischen Geisteslebens führen. Man wehklagt, daß sie die Franzosen zu einem
Volk von Zrammairien8 mache, daß die alten Vorzüge der französischen Sprache,
Klarheit, Schönheit und Anmut, dahinschwänden, daß schließlich die französische
Kultur nicht mehr ihren alten Reiz und Zauber auf die Fremden ausüben
werde.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325994"/>
          <fw type="header" place="top"> Frankreichs Rulturexpansion und ihre Bedeutung für Deutschland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2145" prev="#ID_2144"> des Friedens schätzen, nicht Rechte und Pflichten, nicht Natur und Kultur<lb/>
miteinander versöhnen, es sind ihm unfaßbare Gegensätze. Von unserer tief¬<lb/>
sittlichen Auffassung des Heeresdienstes, von den Ideen Scharnhorsts, Steins,<lb/>
Gneisenaus, Moltkes und von der Goltz' ahnt er nichts. Hier könnte &#x2014;<lb/>
darauf sei nebenher kurz hingewiesen &#x2014; der Wehrverein nach Erledigung der<lb/>
großen Militärvorlage mit seiner Arbeit einsetzen und seine Aufgabe innerlicher<lb/>
gestalten, indem er die Massen darüber aufklärt, daß die deutsche Auffassung<lb/>
vom Militärdienst sich mit allem Kulturfortschritt wohl verträgt; denn für<lb/>
alles soldatische haben die breiten Schichten bei uns instinktiv Sinn und<lb/>
Verständnis.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2146"> Es ist klar, daß die deutschfeindliche Tendenz der französischen Kultur¬<lb/>
expansion schließlich von großer politischer Bedeutung ist. In unserem demo¬<lb/>
kratischen Zeitalter werden die Stimmungen der Völker, ihre Antipathien und<lb/>
Sympathien immer ausschlaggebender für die auswärtige Politik. Das fran¬<lb/>
zösische Institut in Petersburg kann gar nicht anders wirken, als zur Demo¬<lb/>
kratisierung Rußlands beitragen, die seit altersher deutschfeindlichen Tendenzen<lb/>
der slawischen Welt verstärken. Der Herrscher eines sich immer demokratischer<lb/>
entwickelnden Rußlands wird beim besten Willen nicht mehr imstande<lb/>
sein, seiner Politik eine deutschfreundliche Richtung zu geben. Die letzten<lb/>
Monate haben es gezeigt, wie schwer der besonnene und mindestens uns nicht<lb/>
feindlich gesinnte russische Ministerpräsident gegen die Volksstimmung in seinem<lb/>
Lande zu kämpfen hatte. Wie wird das werden, wenn die russischen Staats¬<lb/>
einrichtungen noch demokratischer geworden sind! Der größte Teil der aus¬<lb/>
ländischen Studenten in Frankreich stammt aus slawischen Ländern. Man kann<lb/>
sich denken, daß z. B. Vorlesungen über Napoleon, über französische Geschichte<lb/>
im neunzehnten Jahrhundert, über das europäische Gleichgewicht, über die elsatz-<lb/>
lothringische Frage, wie sie den Fremden in gewohnter französischer &#x201E;Objekti¬<lb/>
vität" geboten werden, nicht geeignet find, freundschaftliche Gefühle für uns zu<lb/>
erwecken; die alte Vorliebe der slawischen Völker für französische Kultur wird<lb/>
nur noch zunehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2147"> Deutschfeindliche Tendenzen machen sich bei unseren westlichen Nachbarn<lb/>
selbst auf rein wissenschaftlichem Gebiete bemerkbar. Ich kann es hier nur<lb/>
flüchtig andeuten. Man kennt den Kampf, den gewisse Kreise gegen die neue<lb/>
Sorbonne führen, gegen ihre Germanisierung, gegen die deutschen Methoden,<lb/>
die an der philosophischen Fakultät vorherrschen. Man wirft ihr vor, daß ihre<lb/>
philologischen Forschungsmethoden unter deutschem Einfluß zur Vernachlässigung<lb/>
der Form, zu übertriebener Spezialisierung, zu einem Niedergang des fran¬<lb/>
zösischen Geisteslebens führen. Man wehklagt, daß sie die Franzosen zu einem<lb/>
Volk von Zrammairien8 mache, daß die alten Vorzüge der französischen Sprache,<lb/>
Klarheit, Schönheit und Anmut, dahinschwänden, daß schließlich die französische<lb/>
Kultur nicht mehr ihren alten Reiz und Zauber auf die Fremden ausüben<lb/>
werde.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0474] Frankreichs Rulturexpansion und ihre Bedeutung für Deutschland des Friedens schätzen, nicht Rechte und Pflichten, nicht Natur und Kultur miteinander versöhnen, es sind ihm unfaßbare Gegensätze. Von unserer tief¬ sittlichen Auffassung des Heeresdienstes, von den Ideen Scharnhorsts, Steins, Gneisenaus, Moltkes und von der Goltz' ahnt er nichts. Hier könnte — darauf sei nebenher kurz hingewiesen — der Wehrverein nach Erledigung der großen Militärvorlage mit seiner Arbeit einsetzen und seine Aufgabe innerlicher gestalten, indem er die Massen darüber aufklärt, daß die deutsche Auffassung vom Militärdienst sich mit allem Kulturfortschritt wohl verträgt; denn für alles soldatische haben die breiten Schichten bei uns instinktiv Sinn und Verständnis. Es ist klar, daß die deutschfeindliche Tendenz der französischen Kultur¬ expansion schließlich von großer politischer Bedeutung ist. In unserem demo¬ kratischen Zeitalter werden die Stimmungen der Völker, ihre Antipathien und Sympathien immer ausschlaggebender für die auswärtige Politik. Das fran¬ zösische Institut in Petersburg kann gar nicht anders wirken, als zur Demo¬ kratisierung Rußlands beitragen, die seit altersher deutschfeindlichen Tendenzen der slawischen Welt verstärken. Der Herrscher eines sich immer demokratischer entwickelnden Rußlands wird beim besten Willen nicht mehr imstande sein, seiner Politik eine deutschfreundliche Richtung zu geben. Die letzten Monate haben es gezeigt, wie schwer der besonnene und mindestens uns nicht feindlich gesinnte russische Ministerpräsident gegen die Volksstimmung in seinem Lande zu kämpfen hatte. Wie wird das werden, wenn die russischen Staats¬ einrichtungen noch demokratischer geworden sind! Der größte Teil der aus¬ ländischen Studenten in Frankreich stammt aus slawischen Ländern. Man kann sich denken, daß z. B. Vorlesungen über Napoleon, über französische Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, über das europäische Gleichgewicht, über die elsatz- lothringische Frage, wie sie den Fremden in gewohnter französischer „Objekti¬ vität" geboten werden, nicht geeignet find, freundschaftliche Gefühle für uns zu erwecken; die alte Vorliebe der slawischen Völker für französische Kultur wird nur noch zunehmen. Deutschfeindliche Tendenzen machen sich bei unseren westlichen Nachbarn selbst auf rein wissenschaftlichem Gebiete bemerkbar. Ich kann es hier nur flüchtig andeuten. Man kennt den Kampf, den gewisse Kreise gegen die neue Sorbonne führen, gegen ihre Germanisierung, gegen die deutschen Methoden, die an der philosophischen Fakultät vorherrschen. Man wirft ihr vor, daß ihre philologischen Forschungsmethoden unter deutschem Einfluß zur Vernachlässigung der Form, zu übertriebener Spezialisierung, zu einem Niedergang des fran¬ zösischen Geisteslebens führen. Man wehklagt, daß sie die Franzosen zu einem Volk von Zrammairien8 mache, daß die alten Vorzüge der französischen Sprache, Klarheit, Schönheit und Anmut, dahinschwänden, daß schließlich die französische Kultur nicht mehr ihren alten Reiz und Zauber auf die Fremden ausüben werde.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/474
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/474>, abgerufen am 22.12.2024.