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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Frankreichs Rulturexxansion und ihre Bedeutung für Deutschland

Kultur sind dort seit den Kreuzzügen populär; das Andenken an die "Franken",
an Napoleon den Ersten ist noch heute im Orient lebendig. Am heftigsten
ist der Kampf zwischen französischer und deutscher Kultur in Belgien. Auf die
Einladung der Sorbonne hielt im Winter 1910/11 ein belgischer Professor
von der Universität Lüttich in Paris eine Reihe von Vorträgen über den
Gegensatz zwischen Vlamen und Wallonen; sie waren zum Teil recht deutsch¬
feindlich. In Lüttich hat man außer zwei großen Vereinigungen zur Ver¬
breitung der französischen Sprache um 1909 herum eine sogenannte internationale
Liga der französischen Freundschaften gegründet, die es sich zur besonderen
Aufgabe macht, überall in der Welt die französische Kultur gegen Angriffe zu
verteidigen. Sie hat Ortsgruppen in Belgien, Holland. Luxemburg, vielleicht
auch in Elsaß-Lothringen, in der Schweiz, in Italien, Spanien und natürlich
auch in Frankreich. Sie organisiert im Auslande französische Rezitationen und
Theatervorstellungen, auch Studienreisen dorthin. Französische Theatergesellschaften
gehen bis nach Japan. In den letzten Jahren hat sich die Pariser Universität
zu denen der Vereinigten Staaten in Beziehung gesetzt. Amerikanische Pro¬
fessoren kommen jetzt auch nach Frankreich und halten an der Sorbonne und
selbst an den Provinzuniversitäten Vorlesungen über ihr Vaterland. Ich erwähne
unter ihnen den Professor Barret-Wendet, der 1904 von der Harvard-Universität
an die Sorbonne geschickt wurde. Seine Erfahrungen hat er in einem Buche
niedergelegt, das jeder studieren sollte, der sich in ernster Weise mit französischen
Verhältnissen beschäftigt. Anderseits werden französische Professoren nach den
Vereinigten Staaten gesandt. Schon im Jahre 1898 unternahm der bekannte,
aber darum noch nicht bedeutende Literarhistoriker Doumic eine Vortragsreise
durch das Dollarland; in den letzten Jahren auch der hervorragende Verfasser
der wissenschaftlichsten französischen Literaturgeschichte Lanson. Im vorigen Jahre
reiste eine wirklich "illustre" Abordnung nach Kanada; ihr gehörten u. a. an
der ehemalige deutsch-freundliche Minister des Auswärtigen Hanotaux, bekannt
als Geschichtsschreiber des großen Kardinals und der dritten Republik, ferner,
wenn ich nicht sehr irre, der jetzige Ministerpräsident Barthou. Auch Henri
Bergson, den hochbedeutenden eigenartigen Philosophen am LollöM ac Trance,
dem die gelehrte Welt Deutschlands, z. B. Windelband, immer größere Auf¬
merksamkeit schenkt, und den Schriftsteller Firmin Roz hat man über das Wasser
geschickt, und sie sollen nach allem, was man hört, mit der dem Franzosen an¬
geborenen glänzenden Vortragsweise tiefe Eindrücke hinterlassen haben. Man
sieht aus diesen Namen, welchen Wert unsere westlichen Nachbarn darauf legen,
die Amerikaner mit ihrem Geistesleben bekannt zu machen, und die Persönlich¬
keiten zeigen, daß man babi,i auch an die politischen Folgen denkt. Die Kolumbia-
Universität wollte jedes Jahr ein sogenanntes französisches Semester organi¬
sieren; es ist mir nicht bekannt, ob dieser Plan zur Ausführung gekommen ist.

Gerade so wie wir, wenden die Franzosen ihre besondere Aufmerksamkeit
den lateinischen Staaten Südamerikas zu. Diese standen bis jetzt vollständig,
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Frankreichs Rulturexxansion und ihre Bedeutung für Deutschland

Kultur sind dort seit den Kreuzzügen populär; das Andenken an die „Franken",
an Napoleon den Ersten ist noch heute im Orient lebendig. Am heftigsten
ist der Kampf zwischen französischer und deutscher Kultur in Belgien. Auf die
Einladung der Sorbonne hielt im Winter 1910/11 ein belgischer Professor
von der Universität Lüttich in Paris eine Reihe von Vorträgen über den
Gegensatz zwischen Vlamen und Wallonen; sie waren zum Teil recht deutsch¬
feindlich. In Lüttich hat man außer zwei großen Vereinigungen zur Ver¬
breitung der französischen Sprache um 1909 herum eine sogenannte internationale
Liga der französischen Freundschaften gegründet, die es sich zur besonderen
Aufgabe macht, überall in der Welt die französische Kultur gegen Angriffe zu
verteidigen. Sie hat Ortsgruppen in Belgien, Holland. Luxemburg, vielleicht
auch in Elsaß-Lothringen, in der Schweiz, in Italien, Spanien und natürlich
auch in Frankreich. Sie organisiert im Auslande französische Rezitationen und
Theatervorstellungen, auch Studienreisen dorthin. Französische Theatergesellschaften
gehen bis nach Japan. In den letzten Jahren hat sich die Pariser Universität
zu denen der Vereinigten Staaten in Beziehung gesetzt. Amerikanische Pro¬
fessoren kommen jetzt auch nach Frankreich und halten an der Sorbonne und
selbst an den Provinzuniversitäten Vorlesungen über ihr Vaterland. Ich erwähne
unter ihnen den Professor Barret-Wendet, der 1904 von der Harvard-Universität
an die Sorbonne geschickt wurde. Seine Erfahrungen hat er in einem Buche
niedergelegt, das jeder studieren sollte, der sich in ernster Weise mit französischen
Verhältnissen beschäftigt. Anderseits werden französische Professoren nach den
Vereinigten Staaten gesandt. Schon im Jahre 1898 unternahm der bekannte,
aber darum noch nicht bedeutende Literarhistoriker Doumic eine Vortragsreise
durch das Dollarland; in den letzten Jahren auch der hervorragende Verfasser
der wissenschaftlichsten französischen Literaturgeschichte Lanson. Im vorigen Jahre
reiste eine wirklich „illustre" Abordnung nach Kanada; ihr gehörten u. a. an
der ehemalige deutsch-freundliche Minister des Auswärtigen Hanotaux, bekannt
als Geschichtsschreiber des großen Kardinals und der dritten Republik, ferner,
wenn ich nicht sehr irre, der jetzige Ministerpräsident Barthou. Auch Henri
Bergson, den hochbedeutenden eigenartigen Philosophen am LollöM ac Trance,
dem die gelehrte Welt Deutschlands, z. B. Windelband, immer größere Auf¬
merksamkeit schenkt, und den Schriftsteller Firmin Roz hat man über das Wasser
geschickt, und sie sollen nach allem, was man hört, mit der dem Franzosen an¬
geborenen glänzenden Vortragsweise tiefe Eindrücke hinterlassen haben. Man
sieht aus diesen Namen, welchen Wert unsere westlichen Nachbarn darauf legen,
die Amerikaner mit ihrem Geistesleben bekannt zu machen, und die Persönlich¬
keiten zeigen, daß man babi,i auch an die politischen Folgen denkt. Die Kolumbia-
Universität wollte jedes Jahr ein sogenanntes französisches Semester organi¬
sieren; es ist mir nicht bekannt, ob dieser Plan zur Ausführung gekommen ist.

Gerade so wie wir, wenden die Franzosen ihre besondere Aufmerksamkeit
den lateinischen Staaten Südamerikas zu. Diese standen bis jetzt vollständig,
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[0471] Frankreichs Rulturexxansion und ihre Bedeutung für Deutschland Kultur sind dort seit den Kreuzzügen populär; das Andenken an die „Franken", an Napoleon den Ersten ist noch heute im Orient lebendig. Am heftigsten ist der Kampf zwischen französischer und deutscher Kultur in Belgien. Auf die Einladung der Sorbonne hielt im Winter 1910/11 ein belgischer Professor von der Universität Lüttich in Paris eine Reihe von Vorträgen über den Gegensatz zwischen Vlamen und Wallonen; sie waren zum Teil recht deutsch¬ feindlich. In Lüttich hat man außer zwei großen Vereinigungen zur Ver¬ breitung der französischen Sprache um 1909 herum eine sogenannte internationale Liga der französischen Freundschaften gegründet, die es sich zur besonderen Aufgabe macht, überall in der Welt die französische Kultur gegen Angriffe zu verteidigen. Sie hat Ortsgruppen in Belgien, Holland. Luxemburg, vielleicht auch in Elsaß-Lothringen, in der Schweiz, in Italien, Spanien und natürlich auch in Frankreich. Sie organisiert im Auslande französische Rezitationen und Theatervorstellungen, auch Studienreisen dorthin. Französische Theatergesellschaften gehen bis nach Japan. In den letzten Jahren hat sich die Pariser Universität zu denen der Vereinigten Staaten in Beziehung gesetzt. Amerikanische Pro¬ fessoren kommen jetzt auch nach Frankreich und halten an der Sorbonne und selbst an den Provinzuniversitäten Vorlesungen über ihr Vaterland. Ich erwähne unter ihnen den Professor Barret-Wendet, der 1904 von der Harvard-Universität an die Sorbonne geschickt wurde. Seine Erfahrungen hat er in einem Buche niedergelegt, das jeder studieren sollte, der sich in ernster Weise mit französischen Verhältnissen beschäftigt. Anderseits werden französische Professoren nach den Vereinigten Staaten gesandt. Schon im Jahre 1898 unternahm der bekannte, aber darum noch nicht bedeutende Literarhistoriker Doumic eine Vortragsreise durch das Dollarland; in den letzten Jahren auch der hervorragende Verfasser der wissenschaftlichsten französischen Literaturgeschichte Lanson. Im vorigen Jahre reiste eine wirklich „illustre" Abordnung nach Kanada; ihr gehörten u. a. an der ehemalige deutsch-freundliche Minister des Auswärtigen Hanotaux, bekannt als Geschichtsschreiber des großen Kardinals und der dritten Republik, ferner, wenn ich nicht sehr irre, der jetzige Ministerpräsident Barthou. Auch Henri Bergson, den hochbedeutenden eigenartigen Philosophen am LollöM ac Trance, dem die gelehrte Welt Deutschlands, z. B. Windelband, immer größere Auf¬ merksamkeit schenkt, und den Schriftsteller Firmin Roz hat man über das Wasser geschickt, und sie sollen nach allem, was man hört, mit der dem Franzosen an¬ geborenen glänzenden Vortragsweise tiefe Eindrücke hinterlassen haben. Man sieht aus diesen Namen, welchen Wert unsere westlichen Nachbarn darauf legen, die Amerikaner mit ihrem Geistesleben bekannt zu machen, und die Persönlich¬ keiten zeigen, daß man babi,i auch an die politischen Folgen denkt. Die Kolumbia- Universität wollte jedes Jahr ein sogenanntes französisches Semester organi¬ sieren; es ist mir nicht bekannt, ob dieser Plan zur Ausführung gekommen ist. Gerade so wie wir, wenden die Franzosen ihre besondere Aufmerksamkeit den lateinischen Staaten Südamerikas zu. Diese standen bis jetzt vollständig, ' 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/471>, abgerufen am 27.07.2024.