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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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naturgemäß auch, an dieser Politik unseres Bundesgenossen, mit dem wir
gegebenenfalls zusammen zu fechten bereit waren, herumzukritteln. An der Tat¬
sache freilich ist kaum etwas zu ändern, daß diese Politik nicht klar hat er¬
kennen lassen, wo eigentlich ihre Ziele lagen, welches die Grenzen seien, hinter
die man unter keinen Umständen zurückgehen würde, und daß infolgedessen, wie
gesagt, der Ausgang unter allen Umständen mit einem Minus für Österreich
abschließt.

Das wirkt aber auf Deutschland zurück. Denn dessen Stellung zur gesamten
orientalischen Frage wird naturgemäß auch eine andere, wenn die Österreichs
sich verändern muß. Es wird eine Hauptaufgabe unserer Politik in der nächsten
Zeit sein, mit den Balkanstaaten, die ja nun ihre friedliche Konsolidierung
anstreben werden, in gute und freundliche Beziehungen zu kommen, was an
sich nicht schwer sein kann, da die realen Interessen aufeinander zuweisen.
Aber die Konstellation ist für uns jetzt gegenüber dem erweiterten starken Bul¬
garien, gegenüber den gleichfalls gewachsenen Serbien und Griechenland eine
andere als vorher. Der Zugang zum Ägäischen Meer, wie ihn Saloniki dar¬
stellt mit seiner Richtung auf Smyrna und die Bagdadbahn, ist auch nicht mehr
in dem bescheidenen Maße zu Österreichs Verfügung, wie die Aehrenthalsche
Politik das vor fünf Jahren proklamierte.

Regt mithin dieser Ausgang an sich an, die Orientierung der deutschen
Weltpolitik erneut zu durchdenken, so kommt auf der anderen Seite dafür
hinzu, daß in der Krisis des letzten Winters die Stellung Englands zu
Deutschland eine völlig andere geworden ist. Es ist ein Wandel vom
Herbst 1911 bis zum Mai 1913, der in höchstem Grade erfreulich ist und von
dem nur zu wünschen ist, daß er von Dauer sein möge. Für die Orientierung
unserer großen Politik ist das insofern von Belang, als ja bisher, da das
Gespenst des englisch-deutschen Krieges immer drohte, Deutschland naturgemäß
auf jedem Wege seiner weltpolitischen Expansion England als den gegebenen
Widersacher und Gegner vorfand. Wird das jetzt anders werden? Wirkt die
freundschaftliche Gemeinschaft beider Staaten in der Lösung der Balkankrisis
so weit, daß nunmehr auch an anderen Stellen der Erde sich jene Rivalität
lösen kann?

Für diese Erwägungen kommt eine kleine Schrift gut zurecht, die unlängst
erschienen ist: Deutsche Weltpolitik und kein Krieg? Von V. (9? Seiten.
Berlin 1913. Puttkammer u. Mühlbrecht.) Man lasse sich durch den Titel
nicht abstoßen, der allerdings so unglücklich wie möglich ist. Der Verfasser
will sagen, daß eine deutsche Expansion in der Gegenwart möglich sei durch
diplomatische Mittel ohne kriegerische Auseinandersetzung. Er hätte nur nicht
das im Titel so ausdrücken sollen, daß das Ausland meinen muß, Deutschland
wolle überhaupt an eine Möglichkeit kriegerischen Auftretens nicht denken. Gerade
in einer Zeit, in der wir aus fehr begründeter Überlegung unsere Landmacht
außerordentlich zu verstärken uns bemühen, hätten Verfasser und Verleger sich
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Deutsche wcltpolitik nach der Vricntkrisis

naturgemäß auch, an dieser Politik unseres Bundesgenossen, mit dem wir
gegebenenfalls zusammen zu fechten bereit waren, herumzukritteln. An der Tat¬
sache freilich ist kaum etwas zu ändern, daß diese Politik nicht klar hat er¬
kennen lassen, wo eigentlich ihre Ziele lagen, welches die Grenzen seien, hinter
die man unter keinen Umständen zurückgehen würde, und daß infolgedessen, wie
gesagt, der Ausgang unter allen Umständen mit einem Minus für Österreich
abschließt.

Das wirkt aber auf Deutschland zurück. Denn dessen Stellung zur gesamten
orientalischen Frage wird naturgemäß auch eine andere, wenn die Österreichs
sich verändern muß. Es wird eine Hauptaufgabe unserer Politik in der nächsten
Zeit sein, mit den Balkanstaaten, die ja nun ihre friedliche Konsolidierung
anstreben werden, in gute und freundliche Beziehungen zu kommen, was an
sich nicht schwer sein kann, da die realen Interessen aufeinander zuweisen.
Aber die Konstellation ist für uns jetzt gegenüber dem erweiterten starken Bul¬
garien, gegenüber den gleichfalls gewachsenen Serbien und Griechenland eine
andere als vorher. Der Zugang zum Ägäischen Meer, wie ihn Saloniki dar¬
stellt mit seiner Richtung auf Smyrna und die Bagdadbahn, ist auch nicht mehr
in dem bescheidenen Maße zu Österreichs Verfügung, wie die Aehrenthalsche
Politik das vor fünf Jahren proklamierte.

Regt mithin dieser Ausgang an sich an, die Orientierung der deutschen
Weltpolitik erneut zu durchdenken, so kommt auf der anderen Seite dafür
hinzu, daß in der Krisis des letzten Winters die Stellung Englands zu
Deutschland eine völlig andere geworden ist. Es ist ein Wandel vom
Herbst 1911 bis zum Mai 1913, der in höchstem Grade erfreulich ist und von
dem nur zu wünschen ist, daß er von Dauer sein möge. Für die Orientierung
unserer großen Politik ist das insofern von Belang, als ja bisher, da das
Gespenst des englisch-deutschen Krieges immer drohte, Deutschland naturgemäß
auf jedem Wege seiner weltpolitischen Expansion England als den gegebenen
Widersacher und Gegner vorfand. Wird das jetzt anders werden? Wirkt die
freundschaftliche Gemeinschaft beider Staaten in der Lösung der Balkankrisis
so weit, daß nunmehr auch an anderen Stellen der Erde sich jene Rivalität
lösen kann?

Für diese Erwägungen kommt eine kleine Schrift gut zurecht, die unlängst
erschienen ist: Deutsche Weltpolitik und kein Krieg? Von V. (9? Seiten.
Berlin 1913. Puttkammer u. Mühlbrecht.) Man lasse sich durch den Titel
nicht abstoßen, der allerdings so unglücklich wie möglich ist. Der Verfasser
will sagen, daß eine deutsche Expansion in der Gegenwart möglich sei durch
diplomatische Mittel ohne kriegerische Auseinandersetzung. Er hätte nur nicht
das im Titel so ausdrücken sollen, daß das Ausland meinen muß, Deutschland
wolle überhaupt an eine Möglichkeit kriegerischen Auftretens nicht denken. Gerade
in einer Zeit, in der wir aus fehr begründeter Überlegung unsere Landmacht
außerordentlich zu verstärken uns bemühen, hätten Verfasser und Verleger sich
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[0455] Deutsche wcltpolitik nach der Vricntkrisis naturgemäß auch, an dieser Politik unseres Bundesgenossen, mit dem wir gegebenenfalls zusammen zu fechten bereit waren, herumzukritteln. An der Tat¬ sache freilich ist kaum etwas zu ändern, daß diese Politik nicht klar hat er¬ kennen lassen, wo eigentlich ihre Ziele lagen, welches die Grenzen seien, hinter die man unter keinen Umständen zurückgehen würde, und daß infolgedessen, wie gesagt, der Ausgang unter allen Umständen mit einem Minus für Österreich abschließt. Das wirkt aber auf Deutschland zurück. Denn dessen Stellung zur gesamten orientalischen Frage wird naturgemäß auch eine andere, wenn die Österreichs sich verändern muß. Es wird eine Hauptaufgabe unserer Politik in der nächsten Zeit sein, mit den Balkanstaaten, die ja nun ihre friedliche Konsolidierung anstreben werden, in gute und freundliche Beziehungen zu kommen, was an sich nicht schwer sein kann, da die realen Interessen aufeinander zuweisen. Aber die Konstellation ist für uns jetzt gegenüber dem erweiterten starken Bul¬ garien, gegenüber den gleichfalls gewachsenen Serbien und Griechenland eine andere als vorher. Der Zugang zum Ägäischen Meer, wie ihn Saloniki dar¬ stellt mit seiner Richtung auf Smyrna und die Bagdadbahn, ist auch nicht mehr in dem bescheidenen Maße zu Österreichs Verfügung, wie die Aehrenthalsche Politik das vor fünf Jahren proklamierte. Regt mithin dieser Ausgang an sich an, die Orientierung der deutschen Weltpolitik erneut zu durchdenken, so kommt auf der anderen Seite dafür hinzu, daß in der Krisis des letzten Winters die Stellung Englands zu Deutschland eine völlig andere geworden ist. Es ist ein Wandel vom Herbst 1911 bis zum Mai 1913, der in höchstem Grade erfreulich ist und von dem nur zu wünschen ist, daß er von Dauer sein möge. Für die Orientierung unserer großen Politik ist das insofern von Belang, als ja bisher, da das Gespenst des englisch-deutschen Krieges immer drohte, Deutschland naturgemäß auf jedem Wege seiner weltpolitischen Expansion England als den gegebenen Widersacher und Gegner vorfand. Wird das jetzt anders werden? Wirkt die freundschaftliche Gemeinschaft beider Staaten in der Lösung der Balkankrisis so weit, daß nunmehr auch an anderen Stellen der Erde sich jene Rivalität lösen kann? Für diese Erwägungen kommt eine kleine Schrift gut zurecht, die unlängst erschienen ist: Deutsche Weltpolitik und kein Krieg? Von V. (9? Seiten. Berlin 1913. Puttkammer u. Mühlbrecht.) Man lasse sich durch den Titel nicht abstoßen, der allerdings so unglücklich wie möglich ist. Der Verfasser will sagen, daß eine deutsche Expansion in der Gegenwart möglich sei durch diplomatische Mittel ohne kriegerische Auseinandersetzung. Er hätte nur nicht das im Titel so ausdrücken sollen, daß das Ausland meinen muß, Deutschland wolle überhaupt an eine Möglichkeit kriegerischen Auftretens nicht denken. Gerade in einer Zeit, in der wir aus fehr begründeter Überlegung unsere Landmacht außerordentlich zu verstärken uns bemühen, hätten Verfasser und Verleger sich » 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/455>, abgerufen am 22.12.2024.