Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.Beiträge zu einer Psychologie der Arbeiter irgendwelche Abhilfe zu schaffen. Aus dem nächsten Abschnitt: "die positiven Die sonderbare Frage: "Was denken Sie, wenn Sie auf dem Waldboden *) Wie er z. B. für die Enquete des Vereins für Sozialpolitik ausdrücklich bevor¬
zugt wird. Beiträge zu einer Psychologie der Arbeiter irgendwelche Abhilfe zu schaffen. Aus dem nächsten Abschnitt: „die positiven Die sonderbare Frage: „Was denken Sie, wenn Sie auf dem Waldboden *) Wie er z. B. für die Enquete des Vereins für Sozialpolitik ausdrücklich bevor¬
zugt wird. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325963"/> <fw type="header" place="top"> Beiträge zu einer Psychologie der Arbeiter</fw><lb/> <p xml:id="ID_2037" prev="#ID_2036"> irgendwelche Abhilfe zu schaffen. Aus dem nächsten Abschnitt: „die positiven<lb/> Wünsche der Arbeiter in bezug auf die Umgestaltung ihrer ökonomischen Lage"<lb/> wollen wir nur zwei charakteristische Anworten wiedergeben, von denen die erste<lb/> den starken Einfluß von Karl Marx auf die denkenden Arbeiter, die zweite den<lb/> Typus des resignierten Arbeiters illustriert: „Habe den sehnligsten Wunsch, daß<lb/> die arbeitenden Massen aus ihrer Letargie aufgeweckt werden möchten, um zu<lb/> begreifen, welchen Zweck ihr Dasein hat. Solange sie noch mit ihrer Ware<lb/> „Arbeitskraft" zu Markte gehen können, kommt den meisten der Gedanke nicht,<lb/> daß es, so bald man dem Kapital nichts mehr nützt, bald anders wird. Aus<lb/> diesem Grunde verachte ich alle Institute, in denen sie dem Arbeiter Genüg¬<lb/> samkeit und Entsagung predigen, wogegen gerade dem Arbeiter das Recht zu¬<lb/> stehen müßte, in vollem Maße an dem Segen der Kultur teilzunehmen. Da<lb/> ich nun mehr berechtigte Hoffnungen als wie erfüllbare Wünsche habe, so bin<lb/> ich fest davon überzeugt, daß es mit Hilfe des klassenbewußten Proletariats<lb/> über kurz oder lang doch gelingen wird, die Lage der ums tägliche Brot<lb/> ringenden Menschheit mehr und mehr zu bessern." — „Für mich persönlich hoffe<lb/> ich nichts, was erwähnens Wert wäre, es hat eine Zeit gegeben wo ich meinte<lb/> die Welt läge mir offen, da ich die Welt noch nicht kannte und meinte so ein<lb/> Sehnen nach Glück müsse das Glück auch bringen. Still ists geworden im<lb/> Herzen, und manches Mal da zuckt es noch dieses rebellische Herz und will sich<lb/> gar nicht damit abfinden das es kein Anteil an Glück Soll haben, Villeicht<lb/> stell ich die Ansprüche an das was man Glück nennt zu hoch. Wenn ich die<lb/> Menschen um mich betrachte, alle haben fast so wie ich, sich nach Glück ge¬<lb/> sehnt und meinen es zu haben und sind zufrieden, oh ich möchte trotzdem<lb/> nicht mit ihnen Täuschen. Lieber Wissen daß das Glück ich nicht habe, als<lb/> unwissend durchs Leben gehn." — Von den übrigen Antworten wäre be¬<lb/> sonders die Stellung zur Alkoholfrage, zur politischen und Gewerkschafts¬<lb/> bewegung, zum Gottesglauben einer eingehenden Untersuchung würdig; stellen¬<lb/> weise müßte das vorliegende Material freilich noch durch mündliche Besprechungen<lb/> nachgeprüft werden, denn es sind selbstverständlich oft gute Vorsätze statt Tat¬<lb/> sachen berichtet worden, wie die Nachsätze von Arbeiterfrauen unter den<lb/> Äußerungen der Arbeiter beweisen, und anderseits würde man im mündlichen<lb/> Verkehr") vielleicht gerade bei den besten Köpfen weit mehr erfahren („über<lb/> diese Frage bewahre ich immer lieber Diskretion" schreibt z. B., ein Textil¬<lb/> arbeiter auf die Frage nach dem Glauben an Gott).</p><lb/> <p xml:id="ID_2038"> Die sonderbare Frage: „Was denken Sie, wenn Sie auf dem Waldboden<lb/> liegen?" (Eine Statistik über die Nichtbeantwortungen fehlt hier!) ist zum Teil<lb/> gar nicht verstanden worden, oder hat Anlaß zu gefühlvollen Ergüssen der heim¬<lb/> lichen Dichter unter den Arbeitern gegeben, die im Fragebogenformat sich seltsam<lb/> genug ausnehmen.</p><lb/> <note xml:id="FID_87" place="foot"> *) Wie er z. B. für die Enquete des Vereins für Sozialpolitik ausdrücklich bevor¬<lb/> zugt wird.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0443]
Beiträge zu einer Psychologie der Arbeiter
irgendwelche Abhilfe zu schaffen. Aus dem nächsten Abschnitt: „die positiven
Wünsche der Arbeiter in bezug auf die Umgestaltung ihrer ökonomischen Lage"
wollen wir nur zwei charakteristische Anworten wiedergeben, von denen die erste
den starken Einfluß von Karl Marx auf die denkenden Arbeiter, die zweite den
Typus des resignierten Arbeiters illustriert: „Habe den sehnligsten Wunsch, daß
die arbeitenden Massen aus ihrer Letargie aufgeweckt werden möchten, um zu
begreifen, welchen Zweck ihr Dasein hat. Solange sie noch mit ihrer Ware
„Arbeitskraft" zu Markte gehen können, kommt den meisten der Gedanke nicht,
daß es, so bald man dem Kapital nichts mehr nützt, bald anders wird. Aus
diesem Grunde verachte ich alle Institute, in denen sie dem Arbeiter Genüg¬
samkeit und Entsagung predigen, wogegen gerade dem Arbeiter das Recht zu¬
stehen müßte, in vollem Maße an dem Segen der Kultur teilzunehmen. Da
ich nun mehr berechtigte Hoffnungen als wie erfüllbare Wünsche habe, so bin
ich fest davon überzeugt, daß es mit Hilfe des klassenbewußten Proletariats
über kurz oder lang doch gelingen wird, die Lage der ums tägliche Brot
ringenden Menschheit mehr und mehr zu bessern." — „Für mich persönlich hoffe
ich nichts, was erwähnens Wert wäre, es hat eine Zeit gegeben wo ich meinte
die Welt läge mir offen, da ich die Welt noch nicht kannte und meinte so ein
Sehnen nach Glück müsse das Glück auch bringen. Still ists geworden im
Herzen, und manches Mal da zuckt es noch dieses rebellische Herz und will sich
gar nicht damit abfinden das es kein Anteil an Glück Soll haben, Villeicht
stell ich die Ansprüche an das was man Glück nennt zu hoch. Wenn ich die
Menschen um mich betrachte, alle haben fast so wie ich, sich nach Glück ge¬
sehnt und meinen es zu haben und sind zufrieden, oh ich möchte trotzdem
nicht mit ihnen Täuschen. Lieber Wissen daß das Glück ich nicht habe, als
unwissend durchs Leben gehn." — Von den übrigen Antworten wäre be¬
sonders die Stellung zur Alkoholfrage, zur politischen und Gewerkschafts¬
bewegung, zum Gottesglauben einer eingehenden Untersuchung würdig; stellen¬
weise müßte das vorliegende Material freilich noch durch mündliche Besprechungen
nachgeprüft werden, denn es sind selbstverständlich oft gute Vorsätze statt Tat¬
sachen berichtet worden, wie die Nachsätze von Arbeiterfrauen unter den
Äußerungen der Arbeiter beweisen, und anderseits würde man im mündlichen
Verkehr") vielleicht gerade bei den besten Köpfen weit mehr erfahren („über
diese Frage bewahre ich immer lieber Diskretion" schreibt z. B., ein Textil¬
arbeiter auf die Frage nach dem Glauben an Gott).
Die sonderbare Frage: „Was denken Sie, wenn Sie auf dem Waldboden
liegen?" (Eine Statistik über die Nichtbeantwortungen fehlt hier!) ist zum Teil
gar nicht verstanden worden, oder hat Anlaß zu gefühlvollen Ergüssen der heim¬
lichen Dichter unter den Arbeitern gegeben, die im Fragebogenformat sich seltsam
genug ausnehmen.
*) Wie er z. B. für die Enquete des Vereins für Sozialpolitik ausdrücklich bevor¬
zugt wird.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |