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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Madelung horchte interessiert auf: "soo? Wenn ich das doch mal sehen
könnte. Wir Maler lieben solche alten Scharteken, wenn sie auch sonst keinen
Wert mehr haben!"

"Herzlich gern. Ich will Sie mal rumführen. Kommen Sie nur, wann
es Ihnen paßt."

Ein sägendes Geräusch unterbrach plötzlich ihre Unterhaltung und ließ
Mara zusammenfahren. Aber gleich lachte sie wieder hell auf: "Da liegt der
Russe in der Sofaecke und schnarcht! Ich habe einen richtigen Schrecken bekommen!"

Sie erschauerte noch einmal. "Dabei bin ich gar nicht schreckhaft. Mama
wird oft von mir ausgelacht. Sie kann diese weiten menschenleeren Räume
nicht vertragen. Sie sagt, es wäre ihr oft, als wenn jemand hinter ihr stände."

"Ja, was mag dieses alte Schloß alles gesehen haben! Vielleicht sind es
die Geister der Vergangenheit ..."

"Glauben Sie wirklich an so was?"

"Ich glaube an das Karna!" sagte Madelung feierlich.

Da griff Mara, von einem neuen jähen Schrecken getroffen, nach seinem
Arm. Ihre Augen hingen starr an der Tür. Ein langgezogenes Heulen war
zu vernehmen. Rufe ertönten im Salon, Stühle wurden gerückt. Und lauter
als alles gellten die Schreie der Baronin. Die Tür sprang auf: jämmerlich
winselnd kroch Baru) seiner Herrin zu Füßen.

Von roher Hand war ihm die herrliche Rute dicht an der Wurzel ge¬
kappt. Eine Blutspur zog sich hinter ihm her über das Parkett. Nun lag er,
halbtot vor Qual, und blickte in hilflosen Schmerz zu Mara auf, die neben
ihm kniete und seinen edlen Kopf in ihre Arme nahm.

"Die Kriegserklärung!" sagte Schledehausen bitter. Baronin Clementine
lag ohnmächtig im Sessel, und weder Tante Emerenzias Riechfläschchen noch
Doktor Schlossers Stirnreiben konnten sie erwecken. Der alte Maddis mußte
sie mit des Doktors Unterstützung aus ihr Zimmer tragen.

Dimitrief aber war aus seinem bleiernen Schlaf emporgefahren. Er saß,
die gespreizten dicken Finger auf die Schenkel gelegt, mit offenem Munde da
und blickte verständnislos auf die Gruppe um den zuckenden Hund. "Schto takoje?"
fragte er stumpf, einmal über das andere.

"Am besten ist nämlich, man erschießt ihn gleich. Er wird noch den
ganzen Teppich verderben!

"Schweigen Sie!" fuhr Edles den Grafen Wolly an. "Besorgen Sie mir
lieber frisches Wasser und ein Handtuch!" Sie hatte ihre Geistesgegenwart
durchaus behalten.

Bald kniete sie neben Mara und legte dem entstellten Tier mit geschickten
Händen einen Verband an. Ihr tapferes Zugreifen trug mehr zur Beruhigung
des jungen Mädchens bei als alle Trostworte der anderen.

"Aber jetzt will ich wissen, wer diese Gemeinheit begangen hat!" rief
Mara, wild aufspringend. "Der soll die Peitsche fühlen!"


Grenzboten II 1913 28
Sturm

Madelung horchte interessiert auf: „soo? Wenn ich das doch mal sehen
könnte. Wir Maler lieben solche alten Scharteken, wenn sie auch sonst keinen
Wert mehr haben!"

„Herzlich gern. Ich will Sie mal rumführen. Kommen Sie nur, wann
es Ihnen paßt."

Ein sägendes Geräusch unterbrach plötzlich ihre Unterhaltung und ließ
Mara zusammenfahren. Aber gleich lachte sie wieder hell auf: „Da liegt der
Russe in der Sofaecke und schnarcht! Ich habe einen richtigen Schrecken bekommen!"

Sie erschauerte noch einmal. „Dabei bin ich gar nicht schreckhaft. Mama
wird oft von mir ausgelacht. Sie kann diese weiten menschenleeren Räume
nicht vertragen. Sie sagt, es wäre ihr oft, als wenn jemand hinter ihr stände."

„Ja, was mag dieses alte Schloß alles gesehen haben! Vielleicht sind es
die Geister der Vergangenheit ..."

„Glauben Sie wirklich an so was?"

„Ich glaube an das Karna!" sagte Madelung feierlich.

Da griff Mara, von einem neuen jähen Schrecken getroffen, nach seinem
Arm. Ihre Augen hingen starr an der Tür. Ein langgezogenes Heulen war
zu vernehmen. Rufe ertönten im Salon, Stühle wurden gerückt. Und lauter
als alles gellten die Schreie der Baronin. Die Tür sprang auf: jämmerlich
winselnd kroch Baru) seiner Herrin zu Füßen.

Von roher Hand war ihm die herrliche Rute dicht an der Wurzel ge¬
kappt. Eine Blutspur zog sich hinter ihm her über das Parkett. Nun lag er,
halbtot vor Qual, und blickte in hilflosen Schmerz zu Mara auf, die neben
ihm kniete und seinen edlen Kopf in ihre Arme nahm.

„Die Kriegserklärung!" sagte Schledehausen bitter. Baronin Clementine
lag ohnmächtig im Sessel, und weder Tante Emerenzias Riechfläschchen noch
Doktor Schlossers Stirnreiben konnten sie erwecken. Der alte Maddis mußte
sie mit des Doktors Unterstützung aus ihr Zimmer tragen.

Dimitrief aber war aus seinem bleiernen Schlaf emporgefahren. Er saß,
die gespreizten dicken Finger auf die Schenkel gelegt, mit offenem Munde da
und blickte verständnislos auf die Gruppe um den zuckenden Hund. „Schto takoje?"
fragte er stumpf, einmal über das andere.

„Am besten ist nämlich, man erschießt ihn gleich. Er wird noch den
ganzen Teppich verderben!

„Schweigen Sie!" fuhr Edles den Grafen Wolly an. „Besorgen Sie mir
lieber frisches Wasser und ein Handtuch!" Sie hatte ihre Geistesgegenwart
durchaus behalten.

Bald kniete sie neben Mara und legte dem entstellten Tier mit geschickten
Händen einen Verband an. Ihr tapferes Zugreifen trug mehr zur Beruhigung
des jungen Mädchens bei als alle Trostworte der anderen.

„Aber jetzt will ich wissen, wer diese Gemeinheit begangen hat!" rief
Mara, wild aufspringend. „Der soll die Peitsche fühlen!"


Grenzboten II 1913 28
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[0437] Sturm Madelung horchte interessiert auf: „soo? Wenn ich das doch mal sehen könnte. Wir Maler lieben solche alten Scharteken, wenn sie auch sonst keinen Wert mehr haben!" „Herzlich gern. Ich will Sie mal rumführen. Kommen Sie nur, wann es Ihnen paßt." Ein sägendes Geräusch unterbrach plötzlich ihre Unterhaltung und ließ Mara zusammenfahren. Aber gleich lachte sie wieder hell auf: „Da liegt der Russe in der Sofaecke und schnarcht! Ich habe einen richtigen Schrecken bekommen!" Sie erschauerte noch einmal. „Dabei bin ich gar nicht schreckhaft. Mama wird oft von mir ausgelacht. Sie kann diese weiten menschenleeren Räume nicht vertragen. Sie sagt, es wäre ihr oft, als wenn jemand hinter ihr stände." „Ja, was mag dieses alte Schloß alles gesehen haben! Vielleicht sind es die Geister der Vergangenheit ..." „Glauben Sie wirklich an so was?" „Ich glaube an das Karna!" sagte Madelung feierlich. Da griff Mara, von einem neuen jähen Schrecken getroffen, nach seinem Arm. Ihre Augen hingen starr an der Tür. Ein langgezogenes Heulen war zu vernehmen. Rufe ertönten im Salon, Stühle wurden gerückt. Und lauter als alles gellten die Schreie der Baronin. Die Tür sprang auf: jämmerlich winselnd kroch Baru) seiner Herrin zu Füßen. Von roher Hand war ihm die herrliche Rute dicht an der Wurzel ge¬ kappt. Eine Blutspur zog sich hinter ihm her über das Parkett. Nun lag er, halbtot vor Qual, und blickte in hilflosen Schmerz zu Mara auf, die neben ihm kniete und seinen edlen Kopf in ihre Arme nahm. „Die Kriegserklärung!" sagte Schledehausen bitter. Baronin Clementine lag ohnmächtig im Sessel, und weder Tante Emerenzias Riechfläschchen noch Doktor Schlossers Stirnreiben konnten sie erwecken. Der alte Maddis mußte sie mit des Doktors Unterstützung aus ihr Zimmer tragen. Dimitrief aber war aus seinem bleiernen Schlaf emporgefahren. Er saß, die gespreizten dicken Finger auf die Schenkel gelegt, mit offenem Munde da und blickte verständnislos auf die Gruppe um den zuckenden Hund. „Schto takoje?" fragte er stumpf, einmal über das andere. „Am besten ist nämlich, man erschießt ihn gleich. Er wird noch den ganzen Teppich verderben! „Schweigen Sie!" fuhr Edles den Grafen Wolly an. „Besorgen Sie mir lieber frisches Wasser und ein Handtuch!" Sie hatte ihre Geistesgegenwart durchaus behalten. Bald kniete sie neben Mara und legte dem entstellten Tier mit geschickten Händen einen Verband an. Ihr tapferes Zugreifen trug mehr zur Beruhigung des jungen Mädchens bei als alle Trostworte der anderen. „Aber jetzt will ich wissen, wer diese Gemeinheit begangen hat!" rief Mara, wild aufspringend. „Der soll die Peitsche fühlen!" Grenzboten II 1913 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/437>, abgerufen am 27.07.2024.