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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Das letzte sagte er mit einem bedeutsamen Blick auf die beiden fremden
Gäste, der auch verstanden wurde.

Schweigend verlief der Rest der Mahlzeit. Nur der Russe klapperte mit
seinem Besteck und ließ sich die Gerichte vortrefflich munden. . . .

Es war im grünen Salon, wo die beiden jungen Mädchen den Kaffee
herumreichten.

"Was meinst du, ist es wirklich so schlimm bei uns?" fragte Mara.
Edles strich leicht über die schmalen Wangen der Freundin.

"Du unverbesserliche Träumerin! Hast du denn gar nichts gemerkt?"

"Aber hier ist doch alles ruhig auf Borküll? Zum Sterben ruhig I
Manchmal wünsche ich, irgendwas möchte geschehen, damit hier frische Luft
eindringt!"

"Ja -- frische Luft tut not bei euch! Dann würde auch dein Bruder
Paul wieder kommen. Er ist jetzt drei Jahre nicht zu Hause gewesen! Und
doch könnte ihn euer Borküll gerade jetzt gut brauchen. ..."

"Ob du dir nicht ein falsches Bild von ihm machst? Er hat eine zu
weltfremde Art und ist zu sehr Gelehrter, als daß ihn Hof und Wirtschaft
interessierten. Wolff Joachim taugt noch am besten zum Herrn!"

"Wenn Herr sein soviel bedeutet wie herrisch sein! Ich habe eine andere
Auffassung. Wer Herr ist, muß wissen, was er will und muß es durchführen
können. Gib zu, Paul hat sich auf seinem Weg von niemandem beirren
lassen. Er ist der klarste und ruhigste von euch!"

"Siehst du!" fiel Mara lebhaft ein. "Die Ruhe hat mir auch an dem
Maler gefallen. Er läßt sich durch nichts aus dem Konzept bringen. Du
glaubst nicht, wie das wohltut bei all der Zerfahrenheit hier im Hause!"

"Mir gefällt er nicht! Ruhe ist nicht dasselbe wie Heimlichkeit, ich halte
ihn für einen Schleicher!"

Mara fuhr auf: "Ihr seid eben gegen alles voreingenommen, was nicht
Schablone ist!"

So redeten die beiden Mädchen, während die alten Herrschaften über die
Maßnahmen berieten, die die Lage erforderte. "Du kannst auch zuhören!"
rief der alte Wenkendorff und winkte seine Tochter neben sich. Da ging Mara
ins Speisezimmer zurück.

"Ich dachte mir, daß Sie die Bilder interessieren!" sagte sie zu Madelung,
der die alten Familiengemälde studierte. "Das sind zwei echte Bouchers und
drüben Großvater und Großmutter sind von dem Berliner Maler Krüger."

"Schöne Bilder! Und was für herrliche alte Möbel!" Madelung staunte.
"Da steckt ja ein Vermögen drin!"

"Wirklich? Sind die alten Dinger so wertvoll? Ähnliche haben wir
noch massenhaft im oberen Stock. Und die ganz wurmstichigen Sachen hat
Tante Emerenzia im Sommer ausgemustert und auf den Bodsn bringen lassen
-- Bilder und Truhen und so Zeug! Sie hat die reine Ordnungswut. . ."


Sturm

Das letzte sagte er mit einem bedeutsamen Blick auf die beiden fremden
Gäste, der auch verstanden wurde.

Schweigend verlief der Rest der Mahlzeit. Nur der Russe klapperte mit
seinem Besteck und ließ sich die Gerichte vortrefflich munden. . . .

Es war im grünen Salon, wo die beiden jungen Mädchen den Kaffee
herumreichten.

„Was meinst du, ist es wirklich so schlimm bei uns?" fragte Mara.
Edles strich leicht über die schmalen Wangen der Freundin.

„Du unverbesserliche Träumerin! Hast du denn gar nichts gemerkt?"

„Aber hier ist doch alles ruhig auf Borküll? Zum Sterben ruhig I
Manchmal wünsche ich, irgendwas möchte geschehen, damit hier frische Luft
eindringt!"

„Ja — frische Luft tut not bei euch! Dann würde auch dein Bruder
Paul wieder kommen. Er ist jetzt drei Jahre nicht zu Hause gewesen! Und
doch könnte ihn euer Borküll gerade jetzt gut brauchen. ..."

„Ob du dir nicht ein falsches Bild von ihm machst? Er hat eine zu
weltfremde Art und ist zu sehr Gelehrter, als daß ihn Hof und Wirtschaft
interessierten. Wolff Joachim taugt noch am besten zum Herrn!"

„Wenn Herr sein soviel bedeutet wie herrisch sein! Ich habe eine andere
Auffassung. Wer Herr ist, muß wissen, was er will und muß es durchführen
können. Gib zu, Paul hat sich auf seinem Weg von niemandem beirren
lassen. Er ist der klarste und ruhigste von euch!"

„Siehst du!" fiel Mara lebhaft ein. „Die Ruhe hat mir auch an dem
Maler gefallen. Er läßt sich durch nichts aus dem Konzept bringen. Du
glaubst nicht, wie das wohltut bei all der Zerfahrenheit hier im Hause!"

„Mir gefällt er nicht! Ruhe ist nicht dasselbe wie Heimlichkeit, ich halte
ihn für einen Schleicher!"

Mara fuhr auf: „Ihr seid eben gegen alles voreingenommen, was nicht
Schablone ist!"

So redeten die beiden Mädchen, während die alten Herrschaften über die
Maßnahmen berieten, die die Lage erforderte. „Du kannst auch zuhören!"
rief der alte Wenkendorff und winkte seine Tochter neben sich. Da ging Mara
ins Speisezimmer zurück.

„Ich dachte mir, daß Sie die Bilder interessieren!" sagte sie zu Madelung,
der die alten Familiengemälde studierte. „Das sind zwei echte Bouchers und
drüben Großvater und Großmutter sind von dem Berliner Maler Krüger."

„Schöne Bilder! Und was für herrliche alte Möbel!" Madelung staunte.
„Da steckt ja ein Vermögen drin!"

„Wirklich? Sind die alten Dinger so wertvoll? Ähnliche haben wir
noch massenhaft im oberen Stock. Und die ganz wurmstichigen Sachen hat
Tante Emerenzia im Sommer ausgemustert und auf den Bodsn bringen lassen
— Bilder und Truhen und so Zeug! Sie hat die reine Ordnungswut. . ."


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[0436] Sturm Das letzte sagte er mit einem bedeutsamen Blick auf die beiden fremden Gäste, der auch verstanden wurde. Schweigend verlief der Rest der Mahlzeit. Nur der Russe klapperte mit seinem Besteck und ließ sich die Gerichte vortrefflich munden. . . . Es war im grünen Salon, wo die beiden jungen Mädchen den Kaffee herumreichten. „Was meinst du, ist es wirklich so schlimm bei uns?" fragte Mara. Edles strich leicht über die schmalen Wangen der Freundin. „Du unverbesserliche Träumerin! Hast du denn gar nichts gemerkt?" „Aber hier ist doch alles ruhig auf Borküll? Zum Sterben ruhig I Manchmal wünsche ich, irgendwas möchte geschehen, damit hier frische Luft eindringt!" „Ja — frische Luft tut not bei euch! Dann würde auch dein Bruder Paul wieder kommen. Er ist jetzt drei Jahre nicht zu Hause gewesen! Und doch könnte ihn euer Borküll gerade jetzt gut brauchen. ..." „Ob du dir nicht ein falsches Bild von ihm machst? Er hat eine zu weltfremde Art und ist zu sehr Gelehrter, als daß ihn Hof und Wirtschaft interessierten. Wolff Joachim taugt noch am besten zum Herrn!" „Wenn Herr sein soviel bedeutet wie herrisch sein! Ich habe eine andere Auffassung. Wer Herr ist, muß wissen, was er will und muß es durchführen können. Gib zu, Paul hat sich auf seinem Weg von niemandem beirren lassen. Er ist der klarste und ruhigste von euch!" „Siehst du!" fiel Mara lebhaft ein. „Die Ruhe hat mir auch an dem Maler gefallen. Er läßt sich durch nichts aus dem Konzept bringen. Du glaubst nicht, wie das wohltut bei all der Zerfahrenheit hier im Hause!" „Mir gefällt er nicht! Ruhe ist nicht dasselbe wie Heimlichkeit, ich halte ihn für einen Schleicher!" Mara fuhr auf: „Ihr seid eben gegen alles voreingenommen, was nicht Schablone ist!" So redeten die beiden Mädchen, während die alten Herrschaften über die Maßnahmen berieten, die die Lage erforderte. „Du kannst auch zuhören!" rief der alte Wenkendorff und winkte seine Tochter neben sich. Da ging Mara ins Speisezimmer zurück. „Ich dachte mir, daß Sie die Bilder interessieren!" sagte sie zu Madelung, der die alten Familiengemälde studierte. „Das sind zwei echte Bouchers und drüben Großvater und Großmutter sind von dem Berliner Maler Krüger." „Schöne Bilder! Und was für herrliche alte Möbel!" Madelung staunte. „Da steckt ja ein Vermögen drin!" „Wirklich? Sind die alten Dinger so wertvoll? Ähnliche haben wir noch massenhaft im oberen Stock. Und die ganz wurmstichigen Sachen hat Tante Emerenzia im Sommer ausgemustert und auf den Bodsn bringen lassen — Bilder und Truhen und so Zeug! Sie hat die reine Ordnungswut. . ."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/436>, abgerufen am 28.07.2024.