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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Aus Arndts vermächinis

Augen halten, was Arndt in seinen köstlich frischen und lebensvollen Briefen
aus Schweden im Jahre 1804 geschrieben hat, die er selbst noch 1847 in den
Monatsbl. der Allg. Ztg. veröffentlicht hat: "Ich bin mir unserer weichen und
bröcklichen Deutschheit in diesem Norden schon oft mit Schamröte bewußt
geworden und habe mir fest vorgenommen, dieser meiner Deutschheit von diesen
Eisernen nichts bieten zu lassen und auch mit Eisen und Stahl ins Zeug zu
gehen. Denn ich fühle es von Tag zu Tag mehr, es ist nichts Kümmer¬
licheres in der Welt als dieses elendige deutsche Ding, was wir Gutmütigkeit,
auch wohl Milde und Menschlichkeit nennen, was im Grunde aber weder Ja
noch Nein zu sein wagt und eitel Schwächlichkeit ist. . . . Was wollen wir
unsere zerrissene deutsche Erbärmlichkeit, unser sogenanntes humanes Alles und
Nichts, wodurch unser Vaterland ebenso nichtig und den Fremden verächtlich
geworden ist, noch länger als eine höhere Menschlichkeit loben! Hier geht alles
mit fester Geschlossenheit und Entschiedenheit auf die Sache und den Mann
los. und das macht doch den Kerl und das Volk." Wir haben Arndt nichts
zu verzeihen. Im Verzeihen liegt wie im Mitleid nichts Erhebendes; beides
drückt nieder. Verstehen allein erhebt, im gesellschaftlichen wie im politischen
und historischen Leben.

Auch die Anmerkungen sind mehr als dürftig; nicht einmal sind die Daten,
in denen Arndt oft geirrt hat, durchgängig geprüft und richtig gestellt; die
Vorausgaben sind darin weniger willkürlich, aber auch nicht einwandfrei. Im
übrigen: historische, zum Teil allbekannte oder -zugängliche. Tatsachen, nichts
'veiter. Will man dem heutigen Leser wirklich zu Hilfe kommen, so erscheint
es mir mehr geboten, auf die Zuverlässigkeit Arndts. seinen politischen Scharf¬
blick und auf die oft verblüffende Übereinstimmung seiner historischen Beurtei¬
lungen mit den heutigen Forschungsergebnissen hinzudeuten. Auch gilt es wohl,
an vielen Stellen Arndts Bericht mehr aus seinen sonstigen Lebenswerken und
-zengnissen zu ergänzen. Das gibt dem Leser die Anregung, die er in den
Anmerkungen doch auch sucht, Der ganz anorganische Exkurs Arndts über den
Bauernstand verfehlt heute, zumal in solcher Ausgabe, völlig seinen Zweck;
Ulan hätte ihn streichen sollen. Dies alles soll den Wert der Ausgabe nicht
abstreiten; es sollten nur unmaßgebliche Gedanken über das heutige Bücher-
wachen nicht verheimlicht werden. Mögen sie einer Ausgabe der "Wanderungen"
Zum besten dienen.

Auch in Velhagen und Klasings Volksbüchern der Geschichte ist E. M. Arndt
jetzt durch eine hübsche, schlichte Darstellung aus der Feder von Robert Geerds
vertreten. Sie entspricht in ihrer knapp erzählenden, doch warmherzigen Form
ganz ihrem Zweck; der Ausdruck aber ist nicht immer glücklich. Am besten
gelungen scheint mir die Darstellung der Zeit der Demagogenverfolgung. Sehr
hübsch, wie bei allen diesen Volksbüchern, ist der Bilderschmuck; eine wahre Freude ist
der Anblick des prächtigen, biederen Vaters von Arndt: nicht ein freigelassener Bauer
scheint er. sondern ein Mann feinster, geschmackvollster Lebensführung der Goethezeit.
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Aus Arndts vermächinis

Augen halten, was Arndt in seinen köstlich frischen und lebensvollen Briefen
aus Schweden im Jahre 1804 geschrieben hat, die er selbst noch 1847 in den
Monatsbl. der Allg. Ztg. veröffentlicht hat: „Ich bin mir unserer weichen und
bröcklichen Deutschheit in diesem Norden schon oft mit Schamröte bewußt
geworden und habe mir fest vorgenommen, dieser meiner Deutschheit von diesen
Eisernen nichts bieten zu lassen und auch mit Eisen und Stahl ins Zeug zu
gehen. Denn ich fühle es von Tag zu Tag mehr, es ist nichts Kümmer¬
licheres in der Welt als dieses elendige deutsche Ding, was wir Gutmütigkeit,
auch wohl Milde und Menschlichkeit nennen, was im Grunde aber weder Ja
noch Nein zu sein wagt und eitel Schwächlichkeit ist. . . . Was wollen wir
unsere zerrissene deutsche Erbärmlichkeit, unser sogenanntes humanes Alles und
Nichts, wodurch unser Vaterland ebenso nichtig und den Fremden verächtlich
geworden ist, noch länger als eine höhere Menschlichkeit loben! Hier geht alles
mit fester Geschlossenheit und Entschiedenheit auf die Sache und den Mann
los. und das macht doch den Kerl und das Volk." Wir haben Arndt nichts
zu verzeihen. Im Verzeihen liegt wie im Mitleid nichts Erhebendes; beides
drückt nieder. Verstehen allein erhebt, im gesellschaftlichen wie im politischen
und historischen Leben.

Auch die Anmerkungen sind mehr als dürftig; nicht einmal sind die Daten,
in denen Arndt oft geirrt hat, durchgängig geprüft und richtig gestellt; die
Vorausgaben sind darin weniger willkürlich, aber auch nicht einwandfrei. Im
übrigen: historische, zum Teil allbekannte oder -zugängliche. Tatsachen, nichts
'veiter. Will man dem heutigen Leser wirklich zu Hilfe kommen, so erscheint
es mir mehr geboten, auf die Zuverlässigkeit Arndts. seinen politischen Scharf¬
blick und auf die oft verblüffende Übereinstimmung seiner historischen Beurtei¬
lungen mit den heutigen Forschungsergebnissen hinzudeuten. Auch gilt es wohl,
an vielen Stellen Arndts Bericht mehr aus seinen sonstigen Lebenswerken und
-zengnissen zu ergänzen. Das gibt dem Leser die Anregung, die er in den
Anmerkungen doch auch sucht, Der ganz anorganische Exkurs Arndts über den
Bauernstand verfehlt heute, zumal in solcher Ausgabe, völlig seinen Zweck;
Ulan hätte ihn streichen sollen. Dies alles soll den Wert der Ausgabe nicht
abstreiten; es sollten nur unmaßgebliche Gedanken über das heutige Bücher-
wachen nicht verheimlicht werden. Mögen sie einer Ausgabe der „Wanderungen"
Zum besten dienen.

Auch in Velhagen und Klasings Volksbüchern der Geschichte ist E. M. Arndt
jetzt durch eine hübsche, schlichte Darstellung aus der Feder von Robert Geerds
vertreten. Sie entspricht in ihrer knapp erzählenden, doch warmherzigen Form
ganz ihrem Zweck; der Ausdruck aber ist nicht immer glücklich. Am besten
gelungen scheint mir die Darstellung der Zeit der Demagogenverfolgung. Sehr
hübsch, wie bei allen diesen Volksbüchern, ist der Bilderschmuck; eine wahre Freude ist
der Anblick des prächtigen, biederen Vaters von Arndt: nicht ein freigelassener Bauer
scheint er. sondern ein Mann feinster, geschmackvollster Lebensführung der Goethezeit.
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[0423] Aus Arndts vermächinis Augen halten, was Arndt in seinen köstlich frischen und lebensvollen Briefen aus Schweden im Jahre 1804 geschrieben hat, die er selbst noch 1847 in den Monatsbl. der Allg. Ztg. veröffentlicht hat: „Ich bin mir unserer weichen und bröcklichen Deutschheit in diesem Norden schon oft mit Schamröte bewußt geworden und habe mir fest vorgenommen, dieser meiner Deutschheit von diesen Eisernen nichts bieten zu lassen und auch mit Eisen und Stahl ins Zeug zu gehen. Denn ich fühle es von Tag zu Tag mehr, es ist nichts Kümmer¬ licheres in der Welt als dieses elendige deutsche Ding, was wir Gutmütigkeit, auch wohl Milde und Menschlichkeit nennen, was im Grunde aber weder Ja noch Nein zu sein wagt und eitel Schwächlichkeit ist. . . . Was wollen wir unsere zerrissene deutsche Erbärmlichkeit, unser sogenanntes humanes Alles und Nichts, wodurch unser Vaterland ebenso nichtig und den Fremden verächtlich geworden ist, noch länger als eine höhere Menschlichkeit loben! Hier geht alles mit fester Geschlossenheit und Entschiedenheit auf die Sache und den Mann los. und das macht doch den Kerl und das Volk." Wir haben Arndt nichts zu verzeihen. Im Verzeihen liegt wie im Mitleid nichts Erhebendes; beides drückt nieder. Verstehen allein erhebt, im gesellschaftlichen wie im politischen und historischen Leben. Auch die Anmerkungen sind mehr als dürftig; nicht einmal sind die Daten, in denen Arndt oft geirrt hat, durchgängig geprüft und richtig gestellt; die Vorausgaben sind darin weniger willkürlich, aber auch nicht einwandfrei. Im übrigen: historische, zum Teil allbekannte oder -zugängliche. Tatsachen, nichts 'veiter. Will man dem heutigen Leser wirklich zu Hilfe kommen, so erscheint es mir mehr geboten, auf die Zuverlässigkeit Arndts. seinen politischen Scharf¬ blick und auf die oft verblüffende Übereinstimmung seiner historischen Beurtei¬ lungen mit den heutigen Forschungsergebnissen hinzudeuten. Auch gilt es wohl, an vielen Stellen Arndts Bericht mehr aus seinen sonstigen Lebenswerken und -zengnissen zu ergänzen. Das gibt dem Leser die Anregung, die er in den Anmerkungen doch auch sucht, Der ganz anorganische Exkurs Arndts über den Bauernstand verfehlt heute, zumal in solcher Ausgabe, völlig seinen Zweck; Ulan hätte ihn streichen sollen. Dies alles soll den Wert der Ausgabe nicht abstreiten; es sollten nur unmaßgebliche Gedanken über das heutige Bücher- wachen nicht verheimlicht werden. Mögen sie einer Ausgabe der „Wanderungen" Zum besten dienen. Auch in Velhagen und Klasings Volksbüchern der Geschichte ist E. M. Arndt jetzt durch eine hübsche, schlichte Darstellung aus der Feder von Robert Geerds vertreten. Sie entspricht in ihrer knapp erzählenden, doch warmherzigen Form ganz ihrem Zweck; der Ausdruck aber ist nicht immer glücklich. Am besten gelungen scheint mir die Darstellung der Zeit der Demagogenverfolgung. Sehr hübsch, wie bei allen diesen Volksbüchern, ist der Bilderschmuck; eine wahre Freude ist der Anblick des prächtigen, biederen Vaters von Arndt: nicht ein freigelassener Bauer scheint er. sondern ein Mann feinster, geschmackvollster Lebensführung der Goethezeit. ' 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/423>, abgerufen am 30.12.2024.