Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.Linfuhrscheinc und Deckungsfrage entbehrlicher inländischer Gemeinqualität gegen benötigte ausländische Sonder¬ Wir hatten die Genugtuung, kurz darauf das Einfuhrscheingesetz in Kraft Um es gleich vorweg zu sagen: der Erfolg war glänzend. Getreidehandel Leider nur ermächtigte das Gesetz den Bundesrat, die Scheine auch bei Der Zweck des Gesetzes war durch diesen Schönheitsfehler durchbrochen, Statt dessen fügte man bei der ersten, Ende 1902 beschlossenen, am Die eingetretene Wirkung davon wagte man damals einerseits nicht zu Die Scheine erhielten durch die neue Bestimmung Bargeldcharakter, die ") Rusticus: "Die Einfuhrscheine", Grenzboten 1911 Heft 46 Seite 357.
Linfuhrscheinc und Deckungsfrage entbehrlicher inländischer Gemeinqualität gegen benötigte ausländische Sonder¬ Wir hatten die Genugtuung, kurz darauf das Einfuhrscheingesetz in Kraft Um es gleich vorweg zu sagen: der Erfolg war glänzend. Getreidehandel Leider nur ermächtigte das Gesetz den Bundesrat, die Scheine auch bei Der Zweck des Gesetzes war durch diesen Schönheitsfehler durchbrochen, Statt dessen fügte man bei der ersten, Ende 1902 beschlossenen, am Die eingetretene Wirkung davon wagte man damals einerseits nicht zu Die Scheine erhielten durch die neue Bestimmung Bargeldcharakter, die ") Rusticus: „Die Einfuhrscheine", Grenzboten 1911 Heft 46 Seite 357.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325929"/> <fw type="header" place="top"> Linfuhrscheinc und Deckungsfrage</fw><lb/> <p xml:id="ID_1666" prev="#ID_1665"> entbehrlicher inländischer Gemeinqualität gegen benötigte ausländische Sonder¬<lb/> qualität sollte offene Aus- und Eingangstore finden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1667"> Wir hatten die Genugtuung, kurz darauf das Einfuhrscheingesetz in Kraft<lb/> treten zu sehen. Wurde früher zuerst eingeführt und dann bei Ausfuhr der<lb/> nämlichen Partie (Jdentitätsnachweis) der Zoll zurückvergütet, so erfolgt jetzt<lb/> zuerst die Ausfuhr, wobei ein Ausfuhrschein, der aber Einfuhrschein heißt,<lb/> erteilt wird, ein Jnhaberpapier, das bei Einfuhr der nämlichen Warengattung<lb/> statt Barzolles in Zahlung genommen wird. Also früher Parteiidentität, jetzt<lb/> Gattungsidentität.</p><lb/> <p xml:id="ID_1668"> Um es gleich vorweg zu sagen: der Erfolg war glänzend. Getreidehandel<lb/> und Reederei, besonders in Königsberg, Danzig und Stettin fanden reichere<lb/> Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten, die Landwirtschaft, besonders die östliche,<lb/> flotteren Absatz und steigende Preise.</p><lb/> <p xml:id="ID_1669"> Leider nur ermächtigte das Gesetz den Bundesrat, die Scheine auch bei<lb/> Einfuhr „anderer Waren" (Kaffee, Erdöl) an Zahlungsstatt zuzulassen. Ein Agrar-,<lb/> Schriftsteller*) nennt diese Bestimmung „belanglos, entbehrlich und wegen der<lb/> scheinbaren (?) Durchbrechung des Prinzips einen Schönheitsfehler".</p><lb/> <p xml:id="ID_1670"> Der Zweck des Gesetzes war durch diesen Schönheitsfehler durchbrochen,<lb/> der Keim zur Umwandlung von Austauschwanderung in Auswanderung war<lb/> gelegt. Erst Ende 1911 wurde, ohne irgendeinen Schaden anzurichten, irgend¬<lb/> eine Umwälzung hervorzurufen, der Schönheitsfehler beseitigt. Man hätte das<lb/> schon bei erster sich bietender Gelegenheit tun sollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1671"> Statt dessen fügte man bei der ersten, Ende 1902 beschlossenen, am<lb/> 1. März 1906 in Kraft getretenen Änderung des Gesetzes noch einen organischen<lb/> Fehler hinzu, indem die Scheine nicht nur bei Einfuhr „der nämlichen Waren¬<lb/> gattung" (die ausgeführt wurde), sondern bei Einfuhr „einer" (also jeder)<lb/> „der" im Gesetz „benannten Warengattungen" annahmefähig erklärt wurden. —<lb/> Auch die Gattungsidentität war mithin aufgehoben!</p><lb/> <p xml:id="ID_1672"> Die eingetretene Wirkung davon wagte man damals einerseits nicht zu<lb/> hoffen, und ahnte anderseits nicht, sie fürchten zu müssen. Niemand erwartete<lb/> damals auch nur für eine einzige Warengattung eine so einseitige Entwicklung,<lb/> ein so rapides, überwiegendes Wachstum der Ausfuhr, wie sie der „organische<lb/> Fehler" späterhin beim Roggen — vorübergehend auch beim Hafer — zeitigte.<lb/> „Ein für die Produzenten glücklicher Zufall hat die Bestimmung gerade früh<lb/> genug entstehen lassen; bereits zwei Jahre später wäre sie bei veränderten<lb/> Getreideproduttiousverhältnissen wohl nicht mehr durchzusetzen gewesen." Auch<lb/> Graf Mirbach soll schon 1888 betont haben, daß man jenes System nie ein¬<lb/> führen dürfe, wenn z. B. Deutschland an Roggen mehr produziere als man brauche.</p><lb/> <p xml:id="ID_1673" next="#ID_1674"> Die Scheine erhielten durch die neue Bestimmung Bargeldcharakter, die<lb/> Kontrolle über Ein- und Ausfuhr der einzelnen Warengattungen entfiel, sie</p><lb/> <note xml:id="FID_77" place="foot"> ") Rusticus: „Die Einfuhrscheine", Grenzboten 1911 Heft 46 Seite 357.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0409]
Linfuhrscheinc und Deckungsfrage
entbehrlicher inländischer Gemeinqualität gegen benötigte ausländische Sonder¬
qualität sollte offene Aus- und Eingangstore finden.
Wir hatten die Genugtuung, kurz darauf das Einfuhrscheingesetz in Kraft
treten zu sehen. Wurde früher zuerst eingeführt und dann bei Ausfuhr der
nämlichen Partie (Jdentitätsnachweis) der Zoll zurückvergütet, so erfolgt jetzt
zuerst die Ausfuhr, wobei ein Ausfuhrschein, der aber Einfuhrschein heißt,
erteilt wird, ein Jnhaberpapier, das bei Einfuhr der nämlichen Warengattung
statt Barzolles in Zahlung genommen wird. Also früher Parteiidentität, jetzt
Gattungsidentität.
Um es gleich vorweg zu sagen: der Erfolg war glänzend. Getreidehandel
und Reederei, besonders in Königsberg, Danzig und Stettin fanden reichere
Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten, die Landwirtschaft, besonders die östliche,
flotteren Absatz und steigende Preise.
Leider nur ermächtigte das Gesetz den Bundesrat, die Scheine auch bei
Einfuhr „anderer Waren" (Kaffee, Erdöl) an Zahlungsstatt zuzulassen. Ein Agrar-,
Schriftsteller*) nennt diese Bestimmung „belanglos, entbehrlich und wegen der
scheinbaren (?) Durchbrechung des Prinzips einen Schönheitsfehler".
Der Zweck des Gesetzes war durch diesen Schönheitsfehler durchbrochen,
der Keim zur Umwandlung von Austauschwanderung in Auswanderung war
gelegt. Erst Ende 1911 wurde, ohne irgendeinen Schaden anzurichten, irgend¬
eine Umwälzung hervorzurufen, der Schönheitsfehler beseitigt. Man hätte das
schon bei erster sich bietender Gelegenheit tun sollen.
Statt dessen fügte man bei der ersten, Ende 1902 beschlossenen, am
1. März 1906 in Kraft getretenen Änderung des Gesetzes noch einen organischen
Fehler hinzu, indem die Scheine nicht nur bei Einfuhr „der nämlichen Waren¬
gattung" (die ausgeführt wurde), sondern bei Einfuhr „einer" (also jeder)
„der" im Gesetz „benannten Warengattungen" annahmefähig erklärt wurden. —
Auch die Gattungsidentität war mithin aufgehoben!
Die eingetretene Wirkung davon wagte man damals einerseits nicht zu
hoffen, und ahnte anderseits nicht, sie fürchten zu müssen. Niemand erwartete
damals auch nur für eine einzige Warengattung eine so einseitige Entwicklung,
ein so rapides, überwiegendes Wachstum der Ausfuhr, wie sie der „organische
Fehler" späterhin beim Roggen — vorübergehend auch beim Hafer — zeitigte.
„Ein für die Produzenten glücklicher Zufall hat die Bestimmung gerade früh
genug entstehen lassen; bereits zwei Jahre später wäre sie bei veränderten
Getreideproduttiousverhältnissen wohl nicht mehr durchzusetzen gewesen." Auch
Graf Mirbach soll schon 1888 betont haben, daß man jenes System nie ein¬
führen dürfe, wenn z. B. Deutschland an Roggen mehr produziere als man brauche.
Die Scheine erhielten durch die neue Bestimmung Bargeldcharakter, die
Kontrolle über Ein- und Ausfuhr der einzelnen Warengattungen entfiel, sie
") Rusticus: „Die Einfuhrscheine", Grenzboten 1911 Heft 46 Seite 357.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |