Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

niemand geschrieben hat, den nachzuahmen
lächerlich wäre, und der das Gegenteil ist
von wissenschaftlicher Exaktheit. Seine
Universitätsvorträge hat Friedrich Hebbel mit
den Worten charakterisiert: "Ein AoluSschlauch
mit den in alle Richtungen auseinander-
gehenden Winden." Es ist sehr erklärlich,
daß von den hervorragenden Männern des
Zeitalters der Befreiungskriege Clausewitz
der einzige war, der ihn ablehnte, denn die
Militärs sind ja die exaktesten aller Denker,
und von Clausewitz haben wir überdies
kürzlich in den Grenzboten (im 16. Heft) den
Ausspruch gelesen: "Das erste Geschäft einer
jeden Theorie ist das Aufräumen der durch-
einandergeworsenen Begriffe und Vor¬
Carl Jentsch stellungen."

Historisch-literarische Erinnerungen von

Adam Trabcrt.

Verlag der Jos. Koselschen
Buchhandlung. Kempten und München 1912.
VII, 836 S. 8°. M. ö,--, geb. M. 6.-.

Ein Großdeutscher aus der Zeit vor 1866,
ein Kurhesse, der in Österreich sein zweites
Vaterland gefunden hat, ein Katholik, der
vom Fuldaer Kloster nach manchem Abfall
wieder zum Kinderglauben zurückkehrt, hat
seine Memoiren niedergeschrieben. Viel In¬
teressantes erfahren wir aus den hie und da
mit der behaglichen Breite des Alters aus¬
gesponnenen Erinnerungen; besonders für die
inneren Verfassungskämpfe des alten Kur¬
fürstentums Hessen sind Traberts Mitteilungen
viertvoll; hat er selbst doch mitten in den
Stürmen der vierziger Jahre als leitender
Volksmann gestanden, stets, wie Uhland, für
die Selbständigkeit des Landes eintretend, hat
er selbst doch sein mannhaftes Ausharren
mit jahrelanger Festungshaft in Spangenberg
büßen müssen I Aber dieser aufrechte Mann
hat durch den Gang der Geschichte nichts
lernen wollen. Die Einverleibung Kurhesseus
durch Preußen ist ihm zeitlebens als ein
"Rechtsbruch" erschienen; die Aufrichtung des
Deutschen Reiches 1871 ohne Österreichs An¬
teil hat er als einen Verrat an der "groß-,
deutschen" Sache empfunden und hat sich von
dieser veralteten Anschauung nie bekehren lassen.
In Osterreich gründete er sich eine zweite
Heimat, da er mit dem"verpreußten" Deutschen
Reich eines Bismarck seinen Frieden nicht

[Spaltenumbruch]

machen wollte, und hat hier im Dienste der
christlich-sozialen Partei eifrig gewirkt an der
Seite eines Baron Vogelsang, eines Lueger.
Auch in diesen Blättern kämpft er aufs eifrigste
gegen Liberalismus und Judentum, gegen
unbedingte Preßfreiheit (für die er selbst 1848
"irrtümlicherweise" eingetreten ist!) und kon¬
fessionslose Schulen. Doch auch in seinen ein¬
seitigen Betrachtungen, aus denen immer von
neuem der Haß gegen Preußen und Bismarck
hervorbricht, erkennt der Leser das Bild eines
idealgesinnten mutigen Kämpfers und bedauert
nur das eigensinnige Festhalten dieses Mannes
an unerfüllbaren Forderungen,

Dr. Wolfgang Stammler
H. C. Andersen: Das Märchen meines

Lebens.

Herausgegeben von Heinz Amelung.
Deutsche Bibliothek in Berlin. Preis 1 M.

Andersen hat sein Leben in zweifacher Ge¬
stalt erzählt. Die eine Darstellung ist uns
allen bekannt: "Das Märchen vom häßlichen
jungen Entlein" (Den grimme Alling). Kam
er sich doch, als sein Stern aufgegangen war,
vor, wie der Weiße Schwan, den nur Mi߬
gunst und Beschränktheit verkannt hatte oder,
wie er sich selbst ausdrückt, "wie ein Bauern¬
knabe, dem man einen Königsmantel umwirft/'
Diese poetische Gestaltung seines Lebens wird
ergänzt durch eine ausführliche Schilderung
deS Lebensganges in deutscher Sprache, von
der zwei Fassungen vorhanden sind. Die eine
ist 1846 "in Rom, am Meerbusen von Ne¬
apel und mitten in den Pyrenäen zu Papier
gebracht" und für die erste deutsche Gesamt¬
ausgabe seiner Schriften bestimmt. 18so hat
sich Andersen verleiten lassen, die erste Nieder¬
schrift weitschweifig und in jenem gereizten
Tone gegen alle Kritik fortzusetzen, der auch
in der Fassung von 1846 schon hin und wieder
anklingt. -- Andersen war und blieb krankhaft
ehrgeizig; er hat es den Dänen niemals ver¬
ziehen, daß er unter ihnen erst anerkannt
wurde, als Deutschland, Schweden und Frank¬
reich ihm bereits zujubelten. Seine Erbitte¬
rung kannte keine Grenzen; 1843 schrieb er
aus Paris an eine Freundin: "Ich hasse den,
der mich haßt, ich fluche dein, der mir flucht.
Aus Dänemark kommt stets der eisige Hauch,
der mich da draußen erstarren läßt. Sie
speien mich an, sie treten mich in den Kot.

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

niemand geschrieben hat, den nachzuahmen
lächerlich wäre, und der das Gegenteil ist
von wissenschaftlicher Exaktheit. Seine
Universitätsvorträge hat Friedrich Hebbel mit
den Worten charakterisiert: „Ein AoluSschlauch
mit den in alle Richtungen auseinander-
gehenden Winden." Es ist sehr erklärlich,
daß von den hervorragenden Männern des
Zeitalters der Befreiungskriege Clausewitz
der einzige war, der ihn ablehnte, denn die
Militärs sind ja die exaktesten aller Denker,
und von Clausewitz haben wir überdies
kürzlich in den Grenzboten (im 16. Heft) den
Ausspruch gelesen: „Das erste Geschäft einer
jeden Theorie ist das Aufräumen der durch-
einandergeworsenen Begriffe und Vor¬
Carl Jentsch stellungen."

Historisch-literarische Erinnerungen von

Adam Trabcrt.

Verlag der Jos. Koselschen
Buchhandlung. Kempten und München 1912.
VII, 836 S. 8°. M. ö,—, geb. M. 6.-.

Ein Großdeutscher aus der Zeit vor 1866,
ein Kurhesse, der in Österreich sein zweites
Vaterland gefunden hat, ein Katholik, der
vom Fuldaer Kloster nach manchem Abfall
wieder zum Kinderglauben zurückkehrt, hat
seine Memoiren niedergeschrieben. Viel In¬
teressantes erfahren wir aus den hie und da
mit der behaglichen Breite des Alters aus¬
gesponnenen Erinnerungen; besonders für die
inneren Verfassungskämpfe des alten Kur¬
fürstentums Hessen sind Traberts Mitteilungen
viertvoll; hat er selbst doch mitten in den
Stürmen der vierziger Jahre als leitender
Volksmann gestanden, stets, wie Uhland, für
die Selbständigkeit des Landes eintretend, hat
er selbst doch sein mannhaftes Ausharren
mit jahrelanger Festungshaft in Spangenberg
büßen müssen I Aber dieser aufrechte Mann
hat durch den Gang der Geschichte nichts
lernen wollen. Die Einverleibung Kurhesseus
durch Preußen ist ihm zeitlebens als ein
„Rechtsbruch" erschienen; die Aufrichtung des
Deutschen Reiches 1871 ohne Österreichs An¬
teil hat er als einen Verrat an der „groß-,
deutschen" Sache empfunden und hat sich von
dieser veralteten Anschauung nie bekehren lassen.
In Osterreich gründete er sich eine zweite
Heimat, da er mit dem„verpreußten" Deutschen
Reich eines Bismarck seinen Frieden nicht

[Spaltenumbruch]

machen wollte, und hat hier im Dienste der
christlich-sozialen Partei eifrig gewirkt an der
Seite eines Baron Vogelsang, eines Lueger.
Auch in diesen Blättern kämpft er aufs eifrigste
gegen Liberalismus und Judentum, gegen
unbedingte Preßfreiheit (für die er selbst 1848
„irrtümlicherweise" eingetreten ist!) und kon¬
fessionslose Schulen. Doch auch in seinen ein¬
seitigen Betrachtungen, aus denen immer von
neuem der Haß gegen Preußen und Bismarck
hervorbricht, erkennt der Leser das Bild eines
idealgesinnten mutigen Kämpfers und bedauert
nur das eigensinnige Festhalten dieses Mannes
an unerfüllbaren Forderungen,

Dr. Wolfgang Stammler
H. C. Andersen: Das Märchen meines

Lebens.

Herausgegeben von Heinz Amelung.
Deutsche Bibliothek in Berlin. Preis 1 M.

Andersen hat sein Leben in zweifacher Ge¬
stalt erzählt. Die eine Darstellung ist uns
allen bekannt: „Das Märchen vom häßlichen
jungen Entlein" (Den grimme Alling). Kam
er sich doch, als sein Stern aufgegangen war,
vor, wie der Weiße Schwan, den nur Mi߬
gunst und Beschränktheit verkannt hatte oder,
wie er sich selbst ausdrückt, „wie ein Bauern¬
knabe, dem man einen Königsmantel umwirft/'
Diese poetische Gestaltung seines Lebens wird
ergänzt durch eine ausführliche Schilderung
deS Lebensganges in deutscher Sprache, von
der zwei Fassungen vorhanden sind. Die eine
ist 1846 „in Rom, am Meerbusen von Ne¬
apel und mitten in den Pyrenäen zu Papier
gebracht" und für die erste deutsche Gesamt¬
ausgabe seiner Schriften bestimmt. 18so hat
sich Andersen verleiten lassen, die erste Nieder¬
schrift weitschweifig und in jenem gereizten
Tone gegen alle Kritik fortzusetzen, der auch
in der Fassung von 1846 schon hin und wieder
anklingt. — Andersen war und blieb krankhaft
ehrgeizig; er hat es den Dänen niemals ver¬
ziehen, daß er unter ihnen erst anerkannt
wurde, als Deutschland, Schweden und Frank¬
reich ihm bereits zujubelten. Seine Erbitte¬
rung kannte keine Grenzen; 1843 schrieb er
aus Paris an eine Freundin: „Ich hasse den,
der mich haßt, ich fluche dein, der mir flucht.
Aus Dänemark kommt stets der eisige Hauch,
der mich da draußen erstarren läßt. Sie
speien mich an, sie treten mich in den Kot.

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325922"/>
              <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
              <cb type="start"/>
              <p xml:id="ID_1643" prev="#ID_1642"> niemand geschrieben hat, den nachzuahmen<lb/>
lächerlich wäre, und der das Gegenteil ist<lb/>
von wissenschaftlicher Exaktheit. Seine<lb/>
Universitätsvorträge hat Friedrich Hebbel mit<lb/>
den Worten charakterisiert: &#x201E;Ein AoluSschlauch<lb/>
mit den in alle Richtungen auseinander-<lb/>
gehenden Winden." Es ist sehr erklärlich,<lb/>
daß von den hervorragenden Männern des<lb/>
Zeitalters der Befreiungskriege Clausewitz<lb/>
der einzige war, der ihn ablehnte, denn die<lb/>
Militärs sind ja die exaktesten aller Denker,<lb/>
und von Clausewitz haben wir überdies<lb/>
kürzlich in den Grenzboten (im 16. Heft) den<lb/>
Ausspruch gelesen: &#x201E;Das erste Geschäft einer<lb/>
jeden Theorie ist das Aufräumen der durch-<lb/>
einandergeworsenen Begriffe und Vor¬<lb/><note type="byline"> Carl Jentsch </note> stellungen." </p>
            </div>
            <div n="3">
              <head> Historisch-literarische Erinnerungen von</head><lb/>
            </div>
            <div n="3">
              <head> Adam Trabcrt. </head>
              <p xml:id="ID_1644"> Verlag der Jos. Koselschen<lb/>
Buchhandlung. Kempten und München 1912.<lb/>
VII, 836 S. 8°.  M. ö,&#x2014;, geb. M. 6.-.</p>
              <p xml:id="ID_1645" next="#ID_1646"> Ein Großdeutscher aus der Zeit vor 1866,<lb/>
ein Kurhesse, der in Österreich sein zweites<lb/>
Vaterland gefunden hat, ein Katholik, der<lb/>
vom Fuldaer Kloster nach manchem Abfall<lb/>
wieder zum Kinderglauben zurückkehrt, hat<lb/>
seine Memoiren niedergeschrieben. Viel In¬<lb/>
teressantes erfahren wir aus den hie und da<lb/>
mit der behaglichen Breite des Alters aus¬<lb/>
gesponnenen Erinnerungen; besonders für die<lb/>
inneren Verfassungskämpfe des alten Kur¬<lb/>
fürstentums Hessen sind Traberts Mitteilungen<lb/>
viertvoll; hat er selbst doch mitten in den<lb/>
Stürmen der vierziger Jahre als leitender<lb/>
Volksmann gestanden, stets, wie Uhland, für<lb/>
die Selbständigkeit des Landes eintretend, hat<lb/>
er selbst doch sein mannhaftes Ausharren<lb/>
mit jahrelanger Festungshaft in Spangenberg<lb/>
büßen müssen I Aber dieser aufrechte Mann<lb/>
hat durch den Gang der Geschichte nichts<lb/>
lernen wollen. Die Einverleibung Kurhesseus<lb/>
durch Preußen ist ihm zeitlebens als ein<lb/>
&#x201E;Rechtsbruch" erschienen; die Aufrichtung des<lb/>
Deutschen Reiches 1871 ohne Österreichs An¬<lb/>
teil hat er als einen Verrat an der &#x201E;groß-,<lb/>
deutschen" Sache empfunden und hat sich von<lb/>
dieser veralteten Anschauung nie bekehren lassen.<lb/>
In Osterreich gründete er sich eine zweite<lb/>
Heimat, da er mit dem&#x201E;verpreußten" Deutschen<lb/>
Reich eines Bismarck seinen Frieden nicht</p>
              <cb/><lb/>
              <p xml:id="ID_1646" prev="#ID_1645"> machen wollte, und hat hier im Dienste der<lb/>
christlich-sozialen Partei eifrig gewirkt an der<lb/>
Seite eines Baron Vogelsang, eines Lueger.<lb/>
Auch in diesen Blättern kämpft er aufs eifrigste<lb/>
gegen Liberalismus und Judentum, gegen<lb/>
unbedingte Preßfreiheit (für die er selbst 1848<lb/>
&#x201E;irrtümlicherweise" eingetreten ist!) und kon¬<lb/>
fessionslose Schulen. Doch auch in seinen ein¬<lb/>
seitigen Betrachtungen, aus denen immer von<lb/>
neuem der Haß gegen Preußen und Bismarck<lb/>
hervorbricht, erkennt der Leser das Bild eines<lb/>
idealgesinnten mutigen Kämpfers und bedauert<lb/>
nur das eigensinnige Festhalten dieses Mannes<lb/>
an unerfüllbaren Forderungen,</p>
              <note type="byline"> Dr. Wolfgang Stammler</note>
            </div>
            <div n="3">
              <head> H. C. Andersen: Das Märchen meines</head><lb/>
            </div>
            <div n="3">
              <head> Lebens. </head>
              <p xml:id="ID_1647"> Herausgegeben von Heinz Amelung.<lb/>
Deutsche Bibliothek in Berlin.  Preis 1 M.</p>
              <p xml:id="ID_1648" next="#ID_1649"> Andersen hat sein Leben in zweifacher Ge¬<lb/>
stalt erzählt. Die eine Darstellung ist uns<lb/>
allen bekannt: &#x201E;Das Märchen vom häßlichen<lb/>
jungen Entlein" (Den grimme Alling). Kam<lb/>
er sich doch, als sein Stern aufgegangen war,<lb/>
vor, wie der Weiße Schwan, den nur Mi߬<lb/>
gunst und Beschränktheit verkannt hatte oder,<lb/>
wie er sich selbst ausdrückt, &#x201E;wie ein Bauern¬<lb/>
knabe, dem man einen Königsmantel umwirft/'<lb/>
Diese poetische Gestaltung seines Lebens wird<lb/>
ergänzt durch eine ausführliche Schilderung<lb/>
deS Lebensganges in deutscher Sprache, von<lb/>
der zwei Fassungen vorhanden sind. Die eine<lb/>
ist 1846 &#x201E;in Rom, am Meerbusen von Ne¬<lb/>
apel und mitten in den Pyrenäen zu Papier<lb/>
gebracht" und für die erste deutsche Gesamt¬<lb/>
ausgabe seiner Schriften bestimmt. 18so hat<lb/>
sich Andersen verleiten lassen, die erste Nieder¬<lb/>
schrift weitschweifig und in jenem gereizten<lb/>
Tone gegen alle Kritik fortzusetzen, der auch<lb/>
in der Fassung von 1846 schon hin und wieder<lb/>
anklingt. &#x2014; Andersen war und blieb krankhaft<lb/>
ehrgeizig; er hat es den Dänen niemals ver¬<lb/>
ziehen, daß er unter ihnen erst anerkannt<lb/>
wurde, als Deutschland, Schweden und Frank¬<lb/>
reich ihm bereits zujubelten. Seine Erbitte¬<lb/>
rung kannte keine Grenzen; 1843 schrieb er<lb/>
aus Paris an eine Freundin: &#x201E;Ich hasse den,<lb/>
der mich haßt, ich fluche dein, der mir flucht.<lb/>
Aus Dänemark kommt stets der eisige Hauch,<lb/>
der mich da draußen erstarren läßt. Sie<lb/>
speien mich an, sie treten mich in den Kot.</p>
              <cb type="end"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0402] Maßgebliches und Unmaßgebliches niemand geschrieben hat, den nachzuahmen lächerlich wäre, und der das Gegenteil ist von wissenschaftlicher Exaktheit. Seine Universitätsvorträge hat Friedrich Hebbel mit den Worten charakterisiert: „Ein AoluSschlauch mit den in alle Richtungen auseinander- gehenden Winden." Es ist sehr erklärlich, daß von den hervorragenden Männern des Zeitalters der Befreiungskriege Clausewitz der einzige war, der ihn ablehnte, denn die Militärs sind ja die exaktesten aller Denker, und von Clausewitz haben wir überdies kürzlich in den Grenzboten (im 16. Heft) den Ausspruch gelesen: „Das erste Geschäft einer jeden Theorie ist das Aufräumen der durch- einandergeworsenen Begriffe und Vor¬ Carl Jentsch stellungen." Historisch-literarische Erinnerungen von Adam Trabcrt. Verlag der Jos. Koselschen Buchhandlung. Kempten und München 1912. VII, 836 S. 8°. M. ö,—, geb. M. 6.-. Ein Großdeutscher aus der Zeit vor 1866, ein Kurhesse, der in Österreich sein zweites Vaterland gefunden hat, ein Katholik, der vom Fuldaer Kloster nach manchem Abfall wieder zum Kinderglauben zurückkehrt, hat seine Memoiren niedergeschrieben. Viel In¬ teressantes erfahren wir aus den hie und da mit der behaglichen Breite des Alters aus¬ gesponnenen Erinnerungen; besonders für die inneren Verfassungskämpfe des alten Kur¬ fürstentums Hessen sind Traberts Mitteilungen viertvoll; hat er selbst doch mitten in den Stürmen der vierziger Jahre als leitender Volksmann gestanden, stets, wie Uhland, für die Selbständigkeit des Landes eintretend, hat er selbst doch sein mannhaftes Ausharren mit jahrelanger Festungshaft in Spangenberg büßen müssen I Aber dieser aufrechte Mann hat durch den Gang der Geschichte nichts lernen wollen. Die Einverleibung Kurhesseus durch Preußen ist ihm zeitlebens als ein „Rechtsbruch" erschienen; die Aufrichtung des Deutschen Reiches 1871 ohne Österreichs An¬ teil hat er als einen Verrat an der „groß-, deutschen" Sache empfunden und hat sich von dieser veralteten Anschauung nie bekehren lassen. In Osterreich gründete er sich eine zweite Heimat, da er mit dem„verpreußten" Deutschen Reich eines Bismarck seinen Frieden nicht machen wollte, und hat hier im Dienste der christlich-sozialen Partei eifrig gewirkt an der Seite eines Baron Vogelsang, eines Lueger. Auch in diesen Blättern kämpft er aufs eifrigste gegen Liberalismus und Judentum, gegen unbedingte Preßfreiheit (für die er selbst 1848 „irrtümlicherweise" eingetreten ist!) und kon¬ fessionslose Schulen. Doch auch in seinen ein¬ seitigen Betrachtungen, aus denen immer von neuem der Haß gegen Preußen und Bismarck hervorbricht, erkennt der Leser das Bild eines idealgesinnten mutigen Kämpfers und bedauert nur das eigensinnige Festhalten dieses Mannes an unerfüllbaren Forderungen, Dr. Wolfgang Stammler H. C. Andersen: Das Märchen meines Lebens. Herausgegeben von Heinz Amelung. Deutsche Bibliothek in Berlin. Preis 1 M. Andersen hat sein Leben in zweifacher Ge¬ stalt erzählt. Die eine Darstellung ist uns allen bekannt: „Das Märchen vom häßlichen jungen Entlein" (Den grimme Alling). Kam er sich doch, als sein Stern aufgegangen war, vor, wie der Weiße Schwan, den nur Mi߬ gunst und Beschränktheit verkannt hatte oder, wie er sich selbst ausdrückt, „wie ein Bauern¬ knabe, dem man einen Königsmantel umwirft/' Diese poetische Gestaltung seines Lebens wird ergänzt durch eine ausführliche Schilderung deS Lebensganges in deutscher Sprache, von der zwei Fassungen vorhanden sind. Die eine ist 1846 „in Rom, am Meerbusen von Ne¬ apel und mitten in den Pyrenäen zu Papier gebracht" und für die erste deutsche Gesamt¬ ausgabe seiner Schriften bestimmt. 18so hat sich Andersen verleiten lassen, die erste Nieder¬ schrift weitschweifig und in jenem gereizten Tone gegen alle Kritik fortzusetzen, der auch in der Fassung von 1846 schon hin und wieder anklingt. — Andersen war und blieb krankhaft ehrgeizig; er hat es den Dänen niemals ver¬ ziehen, daß er unter ihnen erst anerkannt wurde, als Deutschland, Schweden und Frank¬ reich ihm bereits zujubelten. Seine Erbitte¬ rung kannte keine Grenzen; 1843 schrieb er aus Paris an eine Freundin: „Ich hasse den, der mich haßt, ich fluche dein, der mir flucht. Aus Dänemark kommt stets der eisige Hauch, der mich da draußen erstarren läßt. Sie speien mich an, sie treten mich in den Kot.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/402
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/402>, abgerufen am 30.12.2024.