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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Linn Ludwig contra Richard Wagner

Daß eben diese Bewegung aus dem Boden der Kritik an der Person des
Künstlers erwachsen ist, kennzeichnet sie mehr, als sie selbst zu ahnen scheint.
Es ist am Ende nicht das erste Mal, daß zarte Gemüter sich von einem Heros
wenden, sowie sie sehen, daß der Mann rin beiden Füßen auf der Erde stand
und kindlichen Blütenträumen nicht entsprach. Es ist das Schicksal der Schwäch¬
lichen aller Zeit, daß sie dem Genius immer nur soweit zu folgen vermögen,
wie das eigene beschränkte Sittengesetz es erlaubt. Da, wo der Angebetete
diesen Punkt überschreitet, hat sich schon manche heiße Liebe in blindes Wüten
verwandelt. Eine richtige Wertschätzung hat noch kein Großer, der über diese
Erde ging, bei denen gefunden, die in ihm die Erfüllung eines außen und innen
gesäuberten Backfischideales sahen.

Ist es nicht bezeichnend, daß unter allen ausgesprochenen Wagnergegnern
von heute nicht nur kein einziger Musiker oder Dramatiker, sondern auch mit
Friedrich Huchs Ausnahme überhaupt kein einziger produktiver Künstler ist? Der
Laie schlechthin wird eben doch immer nur ein begrenztes Verständnis für den
Mechanismus eines Künstlerlebens haben, wenn es in seinen Tatsachen enthüllt
vor ihm liegt: die scheinbaren Egoismen, die sprunghafter Äußerungen brutal
scheinenden Temperaments werden ihn nur zu leicht verletzen und ihm Werk und
Mann verärgern. Er bleibt, genau wie der kritisierende Literat, doch immer der
typisch anständige d. h. zum ehrlichen Objektivieren neigende Unbeteiligte. Der
Künstler aber war von jeher der nur auf Schaffen und Wirken bedachte kecke
Gesell, der leicht die Bahnen bürgerlichen Anstandes verläßt, wenn ihm irgend
jemand den Weg dazu verlegt.

Konnte man Wagner literarischer beurteilen, wenn man mit Ludwig von
seinem "amusischen Willen zur Wirkung" spricht? Wann lebte je ein Künstler,
der den Erfolg nicht wollte und nicht auf ihn reflektierte? Auch der Vor¬
wurf, den man nun von fo vielen Seiten gegen Wagner erheben hört, der
Vorwurf, "er habe im Theater gewurzelt", hat nur am Schreibtisch entstehen
können. Wagner meisterte in der Tat das Theater fast immer genial. So
genial, daß man heute zufrieden wäre, die dramatische Produktion unserer
Tage hätte nur einen Bruchteil von seinem Verständnis für die Perspektive
der Bühne. Aber -- das Theater bleibt dem ästhetisierenden Literaten
immer ein anrüchiges Ding, zu dem er zwar fast immer im Busen eine
heimliche Sehnsucht nährt, das er aber fast nie meistern kann, weil dazu mehr
lebendiges Künstlertum, mehr Impuls, Persönlichkeit und Menschenkenntnis
gehört, als zu einem Leben voller kritisch-ästhetisierender Arbeiten.

Ich will keine widerlegenden Argumente anführen gegen Ludwigs eifrig
suchende Zusammenstellung unsympathischer Episoden und kleiner Eigen¬
schaften in diesem beispiellos dissonierenden Leben. Und ich zweifle nicht
daran, daß er den Tatsachenbestand gewissenhaft verwandt hat, der ihm
reicher und unmittelbarer zur Verfügung stand, als mir, den mit Bayreuth
keine alten Beziehungen verbinden. Ich verteidige nicht mit einem


Linn Ludwig contra Richard Wagner

Daß eben diese Bewegung aus dem Boden der Kritik an der Person des
Künstlers erwachsen ist, kennzeichnet sie mehr, als sie selbst zu ahnen scheint.
Es ist am Ende nicht das erste Mal, daß zarte Gemüter sich von einem Heros
wenden, sowie sie sehen, daß der Mann rin beiden Füßen auf der Erde stand
und kindlichen Blütenträumen nicht entsprach. Es ist das Schicksal der Schwäch¬
lichen aller Zeit, daß sie dem Genius immer nur soweit zu folgen vermögen,
wie das eigene beschränkte Sittengesetz es erlaubt. Da, wo der Angebetete
diesen Punkt überschreitet, hat sich schon manche heiße Liebe in blindes Wüten
verwandelt. Eine richtige Wertschätzung hat noch kein Großer, der über diese
Erde ging, bei denen gefunden, die in ihm die Erfüllung eines außen und innen
gesäuberten Backfischideales sahen.

Ist es nicht bezeichnend, daß unter allen ausgesprochenen Wagnergegnern
von heute nicht nur kein einziger Musiker oder Dramatiker, sondern auch mit
Friedrich Huchs Ausnahme überhaupt kein einziger produktiver Künstler ist? Der
Laie schlechthin wird eben doch immer nur ein begrenztes Verständnis für den
Mechanismus eines Künstlerlebens haben, wenn es in seinen Tatsachen enthüllt
vor ihm liegt: die scheinbaren Egoismen, die sprunghafter Äußerungen brutal
scheinenden Temperaments werden ihn nur zu leicht verletzen und ihm Werk und
Mann verärgern. Er bleibt, genau wie der kritisierende Literat, doch immer der
typisch anständige d. h. zum ehrlichen Objektivieren neigende Unbeteiligte. Der
Künstler aber war von jeher der nur auf Schaffen und Wirken bedachte kecke
Gesell, der leicht die Bahnen bürgerlichen Anstandes verläßt, wenn ihm irgend
jemand den Weg dazu verlegt.

Konnte man Wagner literarischer beurteilen, wenn man mit Ludwig von
seinem „amusischen Willen zur Wirkung" spricht? Wann lebte je ein Künstler,
der den Erfolg nicht wollte und nicht auf ihn reflektierte? Auch der Vor¬
wurf, den man nun von fo vielen Seiten gegen Wagner erheben hört, der
Vorwurf, „er habe im Theater gewurzelt", hat nur am Schreibtisch entstehen
können. Wagner meisterte in der Tat das Theater fast immer genial. So
genial, daß man heute zufrieden wäre, die dramatische Produktion unserer
Tage hätte nur einen Bruchteil von seinem Verständnis für die Perspektive
der Bühne. Aber — das Theater bleibt dem ästhetisierenden Literaten
immer ein anrüchiges Ding, zu dem er zwar fast immer im Busen eine
heimliche Sehnsucht nährt, das er aber fast nie meistern kann, weil dazu mehr
lebendiges Künstlertum, mehr Impuls, Persönlichkeit und Menschenkenntnis
gehört, als zu einem Leben voller kritisch-ästhetisierender Arbeiten.

Ich will keine widerlegenden Argumente anführen gegen Ludwigs eifrig
suchende Zusammenstellung unsympathischer Episoden und kleiner Eigen¬
schaften in diesem beispiellos dissonierenden Leben. Und ich zweifle nicht
daran, daß er den Tatsachenbestand gewissenhaft verwandt hat, der ihm
reicher und unmittelbarer zur Verfügung stand, als mir, den mit Bayreuth
keine alten Beziehungen verbinden. Ich verteidige nicht mit einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/388>, abgerufen am 27.07.2024.