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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Linn Ludwig contra Richard Wagner

der neuen Antiwagnerbewegung. Und jedes Wort, das man diesem Werk
widmet, richtet sich gegen alle, die seit zwei Jahren ihre Stimme gegen Bayreuth
erheben, trifft jene "Entzauberten", die sich aus der Fülle allzuheißer Wagner¬
liebe bitteren Haß gegen des Künstlers Leben und sein Werk getrunken haben.
Und deren Schar ist viel größer, als wir alle noch vor einem Jahre wähnen
konnten, als der Streit um Parsifal begann. Geht es so weiter, so hallt Deutschland
in kurzer Zeit nicht nur von den Kampfrufen aus den Tagen von Hanslick,
Klara Schumann und Friedrich Nietzsche wider: es kann dieses Mal viel
schlimmer werden. Die heute von Wagner abfallen, sind, wie ich angedeutet
habe, doch nur dieselben, die ihn ehemals in hysterischer Trance verehrten.
Ihr Haß kann dieses Mal zur schrankenlosen Massenpsychose werden, wie ihre
Liebe von gestern eine Massenpsychose gewesen ist.

Merkwürdig! Vor zwei Jahren war noch alles, was sich heute so un¬
sinnig gebärdet, in tiefem Frieden. Das Antiwagnertum von früher war tot,
spukte nur noch, vertreten durch einige Kritikerfosstlen aus der Hanslickzeit, im
nicht nur politisch konservativen Osten. Im übrigen sahen und sehen wir
jenen Vorgang, der doch immer erst die dauernde Lebensfähigkeit eines Kunst¬
werkes erweist: an Wagner setzte sich immer von neuem die junge Musiker¬
generation an. Und unter dem Einfluß seines schaffenden Nachwuchses, unter
Leitung der Dirigentengeneration, deren geistiger Vater er gewesen (auch hier
sei dankbar Felix Mollis gedacht), wurde sein Werk allmählich der Tageser¬
örterung entzogen. Der ekstatischen Verhimmelung sowohl, die noch jedem
Werk geschadet hat, als auch der erbitterten Feindschaft. Allmählich wandelte
es sich mit dem Unvergänglich-Neuen, das es uns geschenkt, trotz aller Trübungen,
die ihm die Disharmonie seines Schöpfers nicht nur, sondern auch dessen Zeit
ihm eingefügt hatten, zum sicheren, unantastbaren Besitz deutschen Geisteslebens.
Vor zwei Jahren noch war es so. Nun ist der Schrei gegen Wagner fast zur
Mode geworden!

Erste Etappe: Wagners alle überzarten Gemüter verletzende Selbstbiographie.
Intermezzo: die Veröffentlichung seines höchst unsympathischen Briefwechsels
mit den: Freiherrn von Hornstein und der letzte Band von Glasenaps Biographie,
der in seiner kritiklosen, zum Teil anmaßenden Verhimmelung Wagners nur
berechtigten Widerspruch herausforderte.*)

Zweite Etappe: der Kampf um das Schicksal des Parsifal mit dem leiden¬
schaftlichen Für und Wider. Und nun die Frucht: das Ludwigsche Buch und
die neue Antiwagnerbewegung, die hinter ihm steht.



Daß der Philolog Glasencip Wagners überscharfe, in gelegentlichem Ärger privatim
an Brahms und Schumann geübte Kritiken zu den seinen macht und unterstreicht, kann man
nur als Anmaßung bezeichnen. Er hätte, wie Batka sehr richtig sagt, Wagner einen besseren
Dienst erwiesen, wenn er hervorgehoben hätte, daß er später bei öffentlichen Gelegenheiten
beiden gerechter geworden ist.
Linn Ludwig contra Richard Wagner

der neuen Antiwagnerbewegung. Und jedes Wort, das man diesem Werk
widmet, richtet sich gegen alle, die seit zwei Jahren ihre Stimme gegen Bayreuth
erheben, trifft jene „Entzauberten", die sich aus der Fülle allzuheißer Wagner¬
liebe bitteren Haß gegen des Künstlers Leben und sein Werk getrunken haben.
Und deren Schar ist viel größer, als wir alle noch vor einem Jahre wähnen
konnten, als der Streit um Parsifal begann. Geht es so weiter, so hallt Deutschland
in kurzer Zeit nicht nur von den Kampfrufen aus den Tagen von Hanslick,
Klara Schumann und Friedrich Nietzsche wider: es kann dieses Mal viel
schlimmer werden. Die heute von Wagner abfallen, sind, wie ich angedeutet
habe, doch nur dieselben, die ihn ehemals in hysterischer Trance verehrten.
Ihr Haß kann dieses Mal zur schrankenlosen Massenpsychose werden, wie ihre
Liebe von gestern eine Massenpsychose gewesen ist.

Merkwürdig! Vor zwei Jahren war noch alles, was sich heute so un¬
sinnig gebärdet, in tiefem Frieden. Das Antiwagnertum von früher war tot,
spukte nur noch, vertreten durch einige Kritikerfosstlen aus der Hanslickzeit, im
nicht nur politisch konservativen Osten. Im übrigen sahen und sehen wir
jenen Vorgang, der doch immer erst die dauernde Lebensfähigkeit eines Kunst¬
werkes erweist: an Wagner setzte sich immer von neuem die junge Musiker¬
generation an. Und unter dem Einfluß seines schaffenden Nachwuchses, unter
Leitung der Dirigentengeneration, deren geistiger Vater er gewesen (auch hier
sei dankbar Felix Mollis gedacht), wurde sein Werk allmählich der Tageser¬
örterung entzogen. Der ekstatischen Verhimmelung sowohl, die noch jedem
Werk geschadet hat, als auch der erbitterten Feindschaft. Allmählich wandelte
es sich mit dem Unvergänglich-Neuen, das es uns geschenkt, trotz aller Trübungen,
die ihm die Disharmonie seines Schöpfers nicht nur, sondern auch dessen Zeit
ihm eingefügt hatten, zum sicheren, unantastbaren Besitz deutschen Geisteslebens.
Vor zwei Jahren noch war es so. Nun ist der Schrei gegen Wagner fast zur
Mode geworden!

Erste Etappe: Wagners alle überzarten Gemüter verletzende Selbstbiographie.
Intermezzo: die Veröffentlichung seines höchst unsympathischen Briefwechsels
mit den: Freiherrn von Hornstein und der letzte Band von Glasenaps Biographie,
der in seiner kritiklosen, zum Teil anmaßenden Verhimmelung Wagners nur
berechtigten Widerspruch herausforderte.*)

Zweite Etappe: der Kampf um das Schicksal des Parsifal mit dem leiden¬
schaftlichen Für und Wider. Und nun die Frucht: das Ludwigsche Buch und
die neue Antiwagnerbewegung, die hinter ihm steht.



Daß der Philolog Glasencip Wagners überscharfe, in gelegentlichem Ärger privatim
an Brahms und Schumann geübte Kritiken zu den seinen macht und unterstreicht, kann man
nur als Anmaßung bezeichnen. Er hätte, wie Batka sehr richtig sagt, Wagner einen besseren
Dienst erwiesen, wenn er hervorgehoben hätte, daß er später bei öffentlichen Gelegenheiten
beiden gerechter geworden ist.
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[0387] Linn Ludwig contra Richard Wagner der neuen Antiwagnerbewegung. Und jedes Wort, das man diesem Werk widmet, richtet sich gegen alle, die seit zwei Jahren ihre Stimme gegen Bayreuth erheben, trifft jene „Entzauberten", die sich aus der Fülle allzuheißer Wagner¬ liebe bitteren Haß gegen des Künstlers Leben und sein Werk getrunken haben. Und deren Schar ist viel größer, als wir alle noch vor einem Jahre wähnen konnten, als der Streit um Parsifal begann. Geht es so weiter, so hallt Deutschland in kurzer Zeit nicht nur von den Kampfrufen aus den Tagen von Hanslick, Klara Schumann und Friedrich Nietzsche wider: es kann dieses Mal viel schlimmer werden. Die heute von Wagner abfallen, sind, wie ich angedeutet habe, doch nur dieselben, die ihn ehemals in hysterischer Trance verehrten. Ihr Haß kann dieses Mal zur schrankenlosen Massenpsychose werden, wie ihre Liebe von gestern eine Massenpsychose gewesen ist. Merkwürdig! Vor zwei Jahren war noch alles, was sich heute so un¬ sinnig gebärdet, in tiefem Frieden. Das Antiwagnertum von früher war tot, spukte nur noch, vertreten durch einige Kritikerfosstlen aus der Hanslickzeit, im nicht nur politisch konservativen Osten. Im übrigen sahen und sehen wir jenen Vorgang, der doch immer erst die dauernde Lebensfähigkeit eines Kunst¬ werkes erweist: an Wagner setzte sich immer von neuem die junge Musiker¬ generation an. Und unter dem Einfluß seines schaffenden Nachwuchses, unter Leitung der Dirigentengeneration, deren geistiger Vater er gewesen (auch hier sei dankbar Felix Mollis gedacht), wurde sein Werk allmählich der Tageser¬ örterung entzogen. Der ekstatischen Verhimmelung sowohl, die noch jedem Werk geschadet hat, als auch der erbitterten Feindschaft. Allmählich wandelte es sich mit dem Unvergänglich-Neuen, das es uns geschenkt, trotz aller Trübungen, die ihm die Disharmonie seines Schöpfers nicht nur, sondern auch dessen Zeit ihm eingefügt hatten, zum sicheren, unantastbaren Besitz deutschen Geisteslebens. Vor zwei Jahren noch war es so. Nun ist der Schrei gegen Wagner fast zur Mode geworden! Erste Etappe: Wagners alle überzarten Gemüter verletzende Selbstbiographie. Intermezzo: die Veröffentlichung seines höchst unsympathischen Briefwechsels mit den: Freiherrn von Hornstein und der letzte Band von Glasenaps Biographie, der in seiner kritiklosen, zum Teil anmaßenden Verhimmelung Wagners nur berechtigten Widerspruch herausforderte.*) Zweite Etappe: der Kampf um das Schicksal des Parsifal mit dem leiden¬ schaftlichen Für und Wider. Und nun die Frucht: das Ludwigsche Buch und die neue Antiwagnerbewegung, die hinter ihm steht. Daß der Philolog Glasencip Wagners überscharfe, in gelegentlichem Ärger privatim an Brahms und Schumann geübte Kritiken zu den seinen macht und unterstreicht, kann man nur als Anmaßung bezeichnen. Er hätte, wie Batka sehr richtig sagt, Wagner einen besseren Dienst erwiesen, wenn er hervorgehoben hätte, daß er später bei öffentlichen Gelegenheiten beiden gerechter geworden ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/387>, abgerufen am 27.07.2024.