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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Sturm

Diese inhaltsschweren, gedankentiefen Worte sprach der Maler nicht etwa
mit erhobener Stimme. Er stand neben Mara, den rechten Ellenbogen in die
linke Hand gestützt und fuhr von Zeit zu Zeit mit den langen knochigen Fingern
über sein Kinn. Der Ausdruck seines Auges blieb gelassen und leblos -- ein
Fischauge, das gegen die Wand seines gläsernen Behälters starrt.

"Ein seltsamer Mann!" dachte Mara in einem Gemisch von Interesse und
Ablehnung. "Aber ich glaube, er ist ein guter Mensch!"

Als sie so stand und ihn heimlich von der Seite betrachtete, wurde das
Schweigen plötzlich von einem Bellen unterbrochen. Ihr Hund Barry war
vorhin einem Waldhasen nachgesetzt und hatte seine Herrin verloren. Jetzt
hatte er sie gefunden und blieb ein paar Schritte vor den beiden stehen, indem
er wütend nach dem Maler klaffte.

Mara wies ihn zur Ruhe: "Er hat noch keine Staffelei gesehen!"

"Ein herrliches Tier," meinte Madelung und lockte den Hund: "Nun
komm schon her, nun komm schon her!" Aber all sein Werben regte das Tier
nur noch mehr auf. Er fletschte die Zähne und sprang den Maler an, so daß
er gezwungen war, sich mit der Leinewand des Bildes zu schützen.

"Was ist mit ihm los?" Mara war erstaunt, aber doch auch ein wenig
belustigt über die komische Situation. "Kusch dich, Barry!" Sie faßte ihn
energisch am Halsband. "Ich glaube, es ist der ungewohnte Anblick Ihres
langen Haares!"

Sie hatte Mühe, sich das Lachen zu verbeißen, denn Madelung hielt immer
noch den Keilrahmen als Schild vor sich und blickte ängstlich über seinen Rand.
Da fiel ihr seine Ähnlichkeit mit Berta "Angsthase" auf, und jetzt erinnerte sie
sich, daß sie ja schon längst von ihm gehört hatte.

"Sind Sie nicht der Vetter von unserer Frau Pastorin?" Als er es be¬
jahte, mußte sie doch laut auflachen.

Dessen hatte sich Madelung am allerwenigsten versehen, nachdem ihm die
erste Anknüpfung der Bekanntschaft so vorzüglich gelungen war.

"Sie verzeihen!" sagte Mara, "aber es ist wirklich ein komischer Zufall.
Fräulein Berta Madelung war nämlich bisher der einzige Mensch, der sich mit
meinem Barry nicht gut stand, ein paar Hofleute ausgenommen."

"Das Tier wittert, daß ich kein großer Hundefreund bin, und die Madelungs
sind es wohl alle nicht. Sie haben immer in der Stadt gelebt. Er wird es
sicher lernen, sich mit mir zu vertragen."

"Sie dürfen nur keine Angst zeigen wie Fräulein Berta -- pardon, wie
Frau Pastor Tannebaum. Übrigens erwarten wir ja heute Besuch aus dem
Pfarrhaus. Vielleicht kommen Sie auch mit?"

"Sehr gerne, Fräulein --"

"von der Borke!" fiel Mara ein, die seit der Entdeckung der verwandt¬
schaftlichen Beziehungen zwischen dem Maler und Berta "Angsthase" den Rest
ihrer Befangenheit verloren hatte. Aber Madelung blieb vor der Hand bei


Sturm

Diese inhaltsschweren, gedankentiefen Worte sprach der Maler nicht etwa
mit erhobener Stimme. Er stand neben Mara, den rechten Ellenbogen in die
linke Hand gestützt und fuhr von Zeit zu Zeit mit den langen knochigen Fingern
über sein Kinn. Der Ausdruck seines Auges blieb gelassen und leblos — ein
Fischauge, das gegen die Wand seines gläsernen Behälters starrt.

„Ein seltsamer Mann!" dachte Mara in einem Gemisch von Interesse und
Ablehnung. „Aber ich glaube, er ist ein guter Mensch!"

Als sie so stand und ihn heimlich von der Seite betrachtete, wurde das
Schweigen plötzlich von einem Bellen unterbrochen. Ihr Hund Barry war
vorhin einem Waldhasen nachgesetzt und hatte seine Herrin verloren. Jetzt
hatte er sie gefunden und blieb ein paar Schritte vor den beiden stehen, indem
er wütend nach dem Maler klaffte.

Mara wies ihn zur Ruhe: „Er hat noch keine Staffelei gesehen!"

„Ein herrliches Tier," meinte Madelung und lockte den Hund: „Nun
komm schon her, nun komm schon her!" Aber all sein Werben regte das Tier
nur noch mehr auf. Er fletschte die Zähne und sprang den Maler an, so daß
er gezwungen war, sich mit der Leinewand des Bildes zu schützen.

„Was ist mit ihm los?" Mara war erstaunt, aber doch auch ein wenig
belustigt über die komische Situation. „Kusch dich, Barry!" Sie faßte ihn
energisch am Halsband. „Ich glaube, es ist der ungewohnte Anblick Ihres
langen Haares!"

Sie hatte Mühe, sich das Lachen zu verbeißen, denn Madelung hielt immer
noch den Keilrahmen als Schild vor sich und blickte ängstlich über seinen Rand.
Da fiel ihr seine Ähnlichkeit mit Berta „Angsthase" auf, und jetzt erinnerte sie
sich, daß sie ja schon längst von ihm gehört hatte.

„Sind Sie nicht der Vetter von unserer Frau Pastorin?" Als er es be¬
jahte, mußte sie doch laut auflachen.

Dessen hatte sich Madelung am allerwenigsten versehen, nachdem ihm die
erste Anknüpfung der Bekanntschaft so vorzüglich gelungen war.

„Sie verzeihen!" sagte Mara, „aber es ist wirklich ein komischer Zufall.
Fräulein Berta Madelung war nämlich bisher der einzige Mensch, der sich mit
meinem Barry nicht gut stand, ein paar Hofleute ausgenommen."

„Das Tier wittert, daß ich kein großer Hundefreund bin, und die Madelungs
sind es wohl alle nicht. Sie haben immer in der Stadt gelebt. Er wird es
sicher lernen, sich mit mir zu vertragen."

„Sie dürfen nur keine Angst zeigen wie Fräulein Berta — pardon, wie
Frau Pastor Tannebaum. Übrigens erwarten wir ja heute Besuch aus dem
Pfarrhaus. Vielleicht kommen Sie auch mit?"

„Sehr gerne, Fräulein —"

„von der Borke!" fiel Mara ein, die seit der Entdeckung der verwandt¬
schaftlichen Beziehungen zwischen dem Maler und Berta „Angsthase" den Rest
ihrer Befangenheit verloren hatte. Aber Madelung blieb vor der Hand bei


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[0385] Sturm Diese inhaltsschweren, gedankentiefen Worte sprach der Maler nicht etwa mit erhobener Stimme. Er stand neben Mara, den rechten Ellenbogen in die linke Hand gestützt und fuhr von Zeit zu Zeit mit den langen knochigen Fingern über sein Kinn. Der Ausdruck seines Auges blieb gelassen und leblos — ein Fischauge, das gegen die Wand seines gläsernen Behälters starrt. „Ein seltsamer Mann!" dachte Mara in einem Gemisch von Interesse und Ablehnung. „Aber ich glaube, er ist ein guter Mensch!" Als sie so stand und ihn heimlich von der Seite betrachtete, wurde das Schweigen plötzlich von einem Bellen unterbrochen. Ihr Hund Barry war vorhin einem Waldhasen nachgesetzt und hatte seine Herrin verloren. Jetzt hatte er sie gefunden und blieb ein paar Schritte vor den beiden stehen, indem er wütend nach dem Maler klaffte. Mara wies ihn zur Ruhe: „Er hat noch keine Staffelei gesehen!" „Ein herrliches Tier," meinte Madelung und lockte den Hund: „Nun komm schon her, nun komm schon her!" Aber all sein Werben regte das Tier nur noch mehr auf. Er fletschte die Zähne und sprang den Maler an, so daß er gezwungen war, sich mit der Leinewand des Bildes zu schützen. „Was ist mit ihm los?" Mara war erstaunt, aber doch auch ein wenig belustigt über die komische Situation. „Kusch dich, Barry!" Sie faßte ihn energisch am Halsband. „Ich glaube, es ist der ungewohnte Anblick Ihres langen Haares!" Sie hatte Mühe, sich das Lachen zu verbeißen, denn Madelung hielt immer noch den Keilrahmen als Schild vor sich und blickte ängstlich über seinen Rand. Da fiel ihr seine Ähnlichkeit mit Berta „Angsthase" auf, und jetzt erinnerte sie sich, daß sie ja schon längst von ihm gehört hatte. „Sind Sie nicht der Vetter von unserer Frau Pastorin?" Als er es be¬ jahte, mußte sie doch laut auflachen. Dessen hatte sich Madelung am allerwenigsten versehen, nachdem ihm die erste Anknüpfung der Bekanntschaft so vorzüglich gelungen war. „Sie verzeihen!" sagte Mara, „aber es ist wirklich ein komischer Zufall. Fräulein Berta Madelung war nämlich bisher der einzige Mensch, der sich mit meinem Barry nicht gut stand, ein paar Hofleute ausgenommen." „Das Tier wittert, daß ich kein großer Hundefreund bin, und die Madelungs sind es wohl alle nicht. Sie haben immer in der Stadt gelebt. Er wird es sicher lernen, sich mit mir zu vertragen." „Sie dürfen nur keine Angst zeigen wie Fräulein Berta — pardon, wie Frau Pastor Tannebaum. Übrigens erwarten wir ja heute Besuch aus dem Pfarrhaus. Vielleicht kommen Sie auch mit?" „Sehr gerne, Fräulein —" „von der Borke!" fiel Mara ein, die seit der Entdeckung der verwandt¬ schaftlichen Beziehungen zwischen dem Maler und Berta „Angsthase" den Rest ihrer Befangenheit verloren hatte. Aber Madelung blieb vor der Hand bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/385>, abgerufen am 27.07.2024.