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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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^turn
Roman
Max Ludwig-Dohm von

chloß Borküll lag in tiefem Frieden.

Heute schwiegen alle Arbeitsgeräusche, und in Maras ab¬
gelegenes Zimmer drangen nicht einmal die langgezogenen Töne
der frommen Sänger, die Gräfin Emerenzia Schildberg unten
in: großen Saal allsonntäglich um sich versammelte.

Mara wachte auf, als ihr die Sonne durchs offene Fenster mitten aufs
Gesicht schien. Da reckte sie sich behaglich: "Endlich einmal Sonne!" Aber
ihre Fröhlichkeit hielt nicht vor. Sie dachte daran, daß dieser Sonntag so
langweilig sein würde, wie alle anderen.

Zu Mittag hatten sich die Rosenhofer angemeldet, und ihr graute vor den
endlosen Salbadereien der beiden alten Damen, Tante Emerenzia und Gräfin
Hahn. Dazu der entsetzlich fade Woiko, das Muttersöhnchen von dreiunddreißig
Jahren, dem sie den Spitznamen "Knabe nämlich" gegeben hatten! Wenn
Mama doch wenigstens heute aufstände und die Honneurs machte! Der Gräfin
Schildberg anmaßendes Getue war einfach nicht mehr auszuhalten.

Laut rief das junge Mädchen ins Nebenzimmer hinüber, das von dem
ihrigen nur durch eine Portiere getrennt war:

"Es ist wunderschönes Wetter draußen, Mama! Heute mußt du an die
Luft. Paß auf, es wird dir gut tun!"

Eine müde Stimme antwortete:

"Komm lieber und zieh die Vorhänge vor. Ich kann das grelle Licht
nicht vertragen! Wie hast du nur bei dem Lärm da unten so lange schlafen
können? Der alte Maddis singt immer drei Töne zu hoch. Das ist geradezu
Gift für meine Migräne!"

"Du hättest lieber nicht so lange lesen sollen!" predigte Mara am Bett
der Mutter mit verhaltener Ungeduld. "Ich glaube gar, du hast das dicke
Buch schon wieder durch? Deine ewigen Krimmalgeschichten! Und das heiße
Fußbad hast du gestern Abend auch nicht genommen! Wie willst du denn
jemals gesund werden?"

"Laßt mich in Ruhe mit euren Ideen! Gegen mein Leiden ist eben kein
Kraut gewachsen. Da hilft Tante Emerenzias Beten und Handauflegen eben




^turn
Roman
Max Ludwig-Dohm von

chloß Borküll lag in tiefem Frieden.

Heute schwiegen alle Arbeitsgeräusche, und in Maras ab¬
gelegenes Zimmer drangen nicht einmal die langgezogenen Töne
der frommen Sänger, die Gräfin Emerenzia Schildberg unten
in: großen Saal allsonntäglich um sich versammelte.

Mara wachte auf, als ihr die Sonne durchs offene Fenster mitten aufs
Gesicht schien. Da reckte sie sich behaglich: „Endlich einmal Sonne!" Aber
ihre Fröhlichkeit hielt nicht vor. Sie dachte daran, daß dieser Sonntag so
langweilig sein würde, wie alle anderen.

Zu Mittag hatten sich die Rosenhofer angemeldet, und ihr graute vor den
endlosen Salbadereien der beiden alten Damen, Tante Emerenzia und Gräfin
Hahn. Dazu der entsetzlich fade Woiko, das Muttersöhnchen von dreiunddreißig
Jahren, dem sie den Spitznamen „Knabe nämlich" gegeben hatten! Wenn
Mama doch wenigstens heute aufstände und die Honneurs machte! Der Gräfin
Schildberg anmaßendes Getue war einfach nicht mehr auszuhalten.

Laut rief das junge Mädchen ins Nebenzimmer hinüber, das von dem
ihrigen nur durch eine Portiere getrennt war:

„Es ist wunderschönes Wetter draußen, Mama! Heute mußt du an die
Luft. Paß auf, es wird dir gut tun!"

Eine müde Stimme antwortete:

„Komm lieber und zieh die Vorhänge vor. Ich kann das grelle Licht
nicht vertragen! Wie hast du nur bei dem Lärm da unten so lange schlafen
können? Der alte Maddis singt immer drei Töne zu hoch. Das ist geradezu
Gift für meine Migräne!"

„Du hättest lieber nicht so lange lesen sollen!" predigte Mara am Bett
der Mutter mit verhaltener Ungeduld. „Ich glaube gar, du hast das dicke
Buch schon wieder durch? Deine ewigen Krimmalgeschichten! Und das heiße
Fußbad hast du gestern Abend auch nicht genommen! Wie willst du denn
jemals gesund werden?"

„Laßt mich in Ruhe mit euren Ideen! Gegen mein Leiden ist eben kein
Kraut gewachsen. Da hilft Tante Emerenzias Beten und Handauflegen eben


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[0381] [Abbildung] ^turn Roman Max Ludwig-Dohm von chloß Borküll lag in tiefem Frieden. Heute schwiegen alle Arbeitsgeräusche, und in Maras ab¬ gelegenes Zimmer drangen nicht einmal die langgezogenen Töne der frommen Sänger, die Gräfin Emerenzia Schildberg unten in: großen Saal allsonntäglich um sich versammelte. Mara wachte auf, als ihr die Sonne durchs offene Fenster mitten aufs Gesicht schien. Da reckte sie sich behaglich: „Endlich einmal Sonne!" Aber ihre Fröhlichkeit hielt nicht vor. Sie dachte daran, daß dieser Sonntag so langweilig sein würde, wie alle anderen. Zu Mittag hatten sich die Rosenhofer angemeldet, und ihr graute vor den endlosen Salbadereien der beiden alten Damen, Tante Emerenzia und Gräfin Hahn. Dazu der entsetzlich fade Woiko, das Muttersöhnchen von dreiunddreißig Jahren, dem sie den Spitznamen „Knabe nämlich" gegeben hatten! Wenn Mama doch wenigstens heute aufstände und die Honneurs machte! Der Gräfin Schildberg anmaßendes Getue war einfach nicht mehr auszuhalten. Laut rief das junge Mädchen ins Nebenzimmer hinüber, das von dem ihrigen nur durch eine Portiere getrennt war: „Es ist wunderschönes Wetter draußen, Mama! Heute mußt du an die Luft. Paß auf, es wird dir gut tun!" Eine müde Stimme antwortete: „Komm lieber und zieh die Vorhänge vor. Ich kann das grelle Licht nicht vertragen! Wie hast du nur bei dem Lärm da unten so lange schlafen können? Der alte Maddis singt immer drei Töne zu hoch. Das ist geradezu Gift für meine Migräne!" „Du hättest lieber nicht so lange lesen sollen!" predigte Mara am Bett der Mutter mit verhaltener Ungeduld. „Ich glaube gar, du hast das dicke Buch schon wieder durch? Deine ewigen Krimmalgeschichten! Und das heiße Fußbad hast du gestern Abend auch nicht genommen! Wie willst du denn jemals gesund werden?" „Laßt mich in Ruhe mit euren Ideen! Gegen mein Leiden ist eben kein Kraut gewachsen. Da hilft Tante Emerenzias Beten und Handauflegen eben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/381>, abgerufen am 30.12.2024.