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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

LounLil) anzusehen. Denn damit bekommt ein Eingeborener Einblick in die
geheimsten Beratungen der Regierung und kann einen nicht unbedeutenden
Einfluß auf die Geschicke des Landes ausüben. Anläßlich des Krönungsdurbars
im vorigen Jahre wurde ferner die so unpopulär gewordene Teilung Bengalens
rückgängig gemacht, also die "starke" Politik Lord Curzons desavouiert und
eine weitgehende Konzession an die unruhigen Bengalis gemacht.

Zurzeit arbeitet man endlich an einer großzügigen Justizreform, welche
die Tendenz verfolgt, sich mehr dem Rechtsbewußtsein des indischen Volkes
anzupassen und den von den großen indischen Reformgesellschaften, der Brahmo-
Samadsch und der Uria-Samadsch formulierten Wünschen entgegenzukommen.
(Näheres hierüber in dem Januar- und Februarheft der Zeitschrift Asien.)

Viele englische Beamte, besonders solche, welche lange in Indien waren,
stellen allerdings dem neuen Kurs des "Inäian Mich" kein günstiges Prog¬
nostikuni. Ich entsinne mich u. a. eines 1908 auf einer Station Assams mit
einem englischen Eisenbahnbeamten gepflogenen Gesprächs. Der betreffende
Herr war ein großer Bewunderer Lord Curzons. Dieser habe, so meinte
er, durch sein energisches Auftreten, durch seine unerschütterliche Verteidigung
der Vorrechte der Weißen gegenüber den Farbigen das englische Prestige außer¬
ordentlich gefestigt.*) Das sei ein großes Verdienst. Denn nur wenn dieses
Prestige unangefochten bliebe, könne man hoffen, auch fernerhin mit einer
Handvoll Leuten Indien zu beherrschen. Jetzt wolle man dieses bisher be¬
währte Prinzip durchlöchern, den Indern einen erhöhten Einfluß auf die Ver¬
waltung einräumen, sie sogar in die hohen Beamtenstellen hineinbringen und
sie damit zu Vorgesetzten von weißen Beamten machen. Dadurch würde nicht
nur das Ansehen der Weißen schwer geschädigt, sondern auch die ganze Re¬
gierungsmaschine schweren Reibungen ausgesetzt. Kein Farbiger sei imstande,
ein Amt ohne Oberaufsicht unparteiisch und ehrenhaft zu verwalten. Kein
Weißer würde es auf die Dauer ertragen, unter einem farbigen Vorgesetzten
zu arbeiten. Wenn man mit der Morlenschen Reformbill auf die Dankbarkeit
der Eingeborenen spekuliere, so begehe man einen schweren Prinzipienfehler;
denn alle Konzessionen würden von diesen nur als Schwäche gedeutet und
daher würde die Aufstandsgefahr durch Nachgiebigkeit vergrößert statt verringert.
Ähnlicher Ansichten bin ich auch an anderen Stellen in Indien mehrfach be-
gegnet. Tatsächlich ist die Frage der eingeborenen Beamten mit der wundeste
Punkt in der ganzen anglo-indischen Verwaltung. Sie wird den Reformern
noch manche harte Nuß zu knacken geben. Denn es läßt sich nicht leugnen,



*) Lord Curzon verstand es ausgezeichnet, durch glänzendes und würdevolles Auf¬
treten dem für Äußerlichkeiten stark empfänglichen Inder zu imponieren. Doch hat dem
anfangs unzweifelhaft Populären Mann seine zunehmende Schroffheit in der späteren Zeit
seiner Amtsführung sehr geschadet. Schließlich unterlag er in einem Kompetenzstreit mit
dem Commander in Chief, Lord Kitchener, und mußte seinen Posten bor Ablauf seiner Amts¬
periode (1905) verlassen.
Die Engländer in Indien

LounLil) anzusehen. Denn damit bekommt ein Eingeborener Einblick in die
geheimsten Beratungen der Regierung und kann einen nicht unbedeutenden
Einfluß auf die Geschicke des Landes ausüben. Anläßlich des Krönungsdurbars
im vorigen Jahre wurde ferner die so unpopulär gewordene Teilung Bengalens
rückgängig gemacht, also die „starke" Politik Lord Curzons desavouiert und
eine weitgehende Konzession an die unruhigen Bengalis gemacht.

Zurzeit arbeitet man endlich an einer großzügigen Justizreform, welche
die Tendenz verfolgt, sich mehr dem Rechtsbewußtsein des indischen Volkes
anzupassen und den von den großen indischen Reformgesellschaften, der Brahmo-
Samadsch und der Uria-Samadsch formulierten Wünschen entgegenzukommen.
(Näheres hierüber in dem Januar- und Februarheft der Zeitschrift Asien.)

Viele englische Beamte, besonders solche, welche lange in Indien waren,
stellen allerdings dem neuen Kurs des „Inäian Mich" kein günstiges Prog¬
nostikuni. Ich entsinne mich u. a. eines 1908 auf einer Station Assams mit
einem englischen Eisenbahnbeamten gepflogenen Gesprächs. Der betreffende
Herr war ein großer Bewunderer Lord Curzons. Dieser habe, so meinte
er, durch sein energisches Auftreten, durch seine unerschütterliche Verteidigung
der Vorrechte der Weißen gegenüber den Farbigen das englische Prestige außer¬
ordentlich gefestigt.*) Das sei ein großes Verdienst. Denn nur wenn dieses
Prestige unangefochten bliebe, könne man hoffen, auch fernerhin mit einer
Handvoll Leuten Indien zu beherrschen. Jetzt wolle man dieses bisher be¬
währte Prinzip durchlöchern, den Indern einen erhöhten Einfluß auf die Ver¬
waltung einräumen, sie sogar in die hohen Beamtenstellen hineinbringen und
sie damit zu Vorgesetzten von weißen Beamten machen. Dadurch würde nicht
nur das Ansehen der Weißen schwer geschädigt, sondern auch die ganze Re¬
gierungsmaschine schweren Reibungen ausgesetzt. Kein Farbiger sei imstande,
ein Amt ohne Oberaufsicht unparteiisch und ehrenhaft zu verwalten. Kein
Weißer würde es auf die Dauer ertragen, unter einem farbigen Vorgesetzten
zu arbeiten. Wenn man mit der Morlenschen Reformbill auf die Dankbarkeit
der Eingeborenen spekuliere, so begehe man einen schweren Prinzipienfehler;
denn alle Konzessionen würden von diesen nur als Schwäche gedeutet und
daher würde die Aufstandsgefahr durch Nachgiebigkeit vergrößert statt verringert.
Ähnlicher Ansichten bin ich auch an anderen Stellen in Indien mehrfach be-
gegnet. Tatsächlich ist die Frage der eingeborenen Beamten mit der wundeste
Punkt in der ganzen anglo-indischen Verwaltung. Sie wird den Reformern
noch manche harte Nuß zu knacken geben. Denn es läßt sich nicht leugnen,



*) Lord Curzon verstand es ausgezeichnet, durch glänzendes und würdevolles Auf¬
treten dem für Äußerlichkeiten stark empfänglichen Inder zu imponieren. Doch hat dem
anfangs unzweifelhaft Populären Mann seine zunehmende Schroffheit in der späteren Zeit
seiner Amtsführung sehr geschadet. Schließlich unterlag er in einem Kompetenzstreit mit
dem Commander in Chief, Lord Kitchener, und mußte seinen Posten bor Ablauf seiner Amts¬
periode (1905) verlassen.
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[0342] Die Engländer in Indien LounLil) anzusehen. Denn damit bekommt ein Eingeborener Einblick in die geheimsten Beratungen der Regierung und kann einen nicht unbedeutenden Einfluß auf die Geschicke des Landes ausüben. Anläßlich des Krönungsdurbars im vorigen Jahre wurde ferner die so unpopulär gewordene Teilung Bengalens rückgängig gemacht, also die „starke" Politik Lord Curzons desavouiert und eine weitgehende Konzession an die unruhigen Bengalis gemacht. Zurzeit arbeitet man endlich an einer großzügigen Justizreform, welche die Tendenz verfolgt, sich mehr dem Rechtsbewußtsein des indischen Volkes anzupassen und den von den großen indischen Reformgesellschaften, der Brahmo- Samadsch und der Uria-Samadsch formulierten Wünschen entgegenzukommen. (Näheres hierüber in dem Januar- und Februarheft der Zeitschrift Asien.) Viele englische Beamte, besonders solche, welche lange in Indien waren, stellen allerdings dem neuen Kurs des „Inäian Mich" kein günstiges Prog¬ nostikuni. Ich entsinne mich u. a. eines 1908 auf einer Station Assams mit einem englischen Eisenbahnbeamten gepflogenen Gesprächs. Der betreffende Herr war ein großer Bewunderer Lord Curzons. Dieser habe, so meinte er, durch sein energisches Auftreten, durch seine unerschütterliche Verteidigung der Vorrechte der Weißen gegenüber den Farbigen das englische Prestige außer¬ ordentlich gefestigt.*) Das sei ein großes Verdienst. Denn nur wenn dieses Prestige unangefochten bliebe, könne man hoffen, auch fernerhin mit einer Handvoll Leuten Indien zu beherrschen. Jetzt wolle man dieses bisher be¬ währte Prinzip durchlöchern, den Indern einen erhöhten Einfluß auf die Ver¬ waltung einräumen, sie sogar in die hohen Beamtenstellen hineinbringen und sie damit zu Vorgesetzten von weißen Beamten machen. Dadurch würde nicht nur das Ansehen der Weißen schwer geschädigt, sondern auch die ganze Re¬ gierungsmaschine schweren Reibungen ausgesetzt. Kein Farbiger sei imstande, ein Amt ohne Oberaufsicht unparteiisch und ehrenhaft zu verwalten. Kein Weißer würde es auf die Dauer ertragen, unter einem farbigen Vorgesetzten zu arbeiten. Wenn man mit der Morlenschen Reformbill auf die Dankbarkeit der Eingeborenen spekuliere, so begehe man einen schweren Prinzipienfehler; denn alle Konzessionen würden von diesen nur als Schwäche gedeutet und daher würde die Aufstandsgefahr durch Nachgiebigkeit vergrößert statt verringert. Ähnlicher Ansichten bin ich auch an anderen Stellen in Indien mehrfach be- gegnet. Tatsächlich ist die Frage der eingeborenen Beamten mit der wundeste Punkt in der ganzen anglo-indischen Verwaltung. Sie wird den Reformern noch manche harte Nuß zu knacken geben. Denn es läßt sich nicht leugnen, *) Lord Curzon verstand es ausgezeichnet, durch glänzendes und würdevolles Auf¬ treten dem für Äußerlichkeiten stark empfänglichen Inder zu imponieren. Doch hat dem anfangs unzweifelhaft Populären Mann seine zunehmende Schroffheit in der späteren Zeit seiner Amtsführung sehr geschadet. Schließlich unterlag er in einem Kompetenzstreit mit dem Commander in Chief, Lord Kitchener, und mußte seinen Posten bor Ablauf seiner Amts¬ periode (1905) verlassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/342>, abgerufen am 22.12.2024.