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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

den Regierungsbureaus und häufig auch als Prwatangestellten in den europäischen
Banken und Handelshäusern. Meist sind es hübsche elegante Leute, die gute
Manieren und vollendete Höflichkeit zur Schau tragen; aber nicht umsonst gilt
der Bengali für das charakterloseste und unzuverlässigste Element ganz Indiens.
Im ganzen Lande erfreut er sich daher keiner großen Sympathien.

Bei dem starken Andrang der Bengalis an den Hochschulen kann es natürlich
nicht ausbleiben, daß viele Leute nach Beendigung ihrer Studien keine Anstellung
finden. Dadurch entsteht ein für die staatliche Ordnung höchst gefährliches
Bildungsproletariat. An allzugroßer Bescheidenheit leidet kein Bengali. Kann
er leidlich Englisch sprechen und hat er sich eine Art oberflächlicher Bildung
angeeignet, so hält er sich meist ohne weiteres für befähigt, die höchsten Ämter
im Staate zu bekleiden. "Wären die Fremden nicht hier," so argumentiert er,
"dann müßte mir einer der schönen, gutbezahlter Posten zufallen, die mir jetzt
verschlossen sind." Für ihn sind also die englischen Herren des Landes das
einzige Hindernis auf dem Wege zu Amt und Brot. Natürlich soll nicht geleugnet
werden, daß manche idealdenkenden Schwarmgeister, manche selbstlosen Patrioten
Mitglieder dieser revolutionären Propaganda sind. Im allgemeinen ist aber
das alte, den niederen Geistern so plausible "öde-toi qus je in' ^ mette" das
Stimulationsmittel, welches die indischen Mvolutionshelden zu ihren terroristischen
Akten begeistert. Man muß gestehen, daß die englische Polizei nicht ohne Geschick
gegen diese umstürzlerischen Elemente kämpft. Kaum ein politisches Verbrechen
ist ungesühnt geblieben und häufig genug gelang es, terroristische Verschwörungen
aufzudecken, noch ehe sie Schaden stiften konnten. Der wohlbekannte Mzekönig
Lord Curzon (1899 bis 1906) führte einen besonders scharfen Kampf gegen
die revolutionäre Propaganda. Auf seine Veranlassung entschloß man sich im
Jahre 1905 zu der viel besprochenen und viel verurteilten "partitiori LonZal".
Der östlich des Brahmaputra gelegene Teil Bengalens wurde mit der Provinz
Assam zu einer neuen Provinz "Eastern Bengal and Assam" vereinigt, während
der Nest als eine verkleinerte Provinz unter dem Namen "Western Bengal"
bestehen blieb. Motiviert wurde diese Neuerung mit verwaltungstechnischen
Gründen. Der wahre Zweck war indessen, einen Keil in die über ganz Ben¬
galen ausgebreitete revolutionäre Organisation zu treiben. Das Resultat ent¬
sprach kaum den Erwartungen. Die Bevölkerung sträubte sich dagegen, daß ihr
Land willkürlich in zwei Teile zerrissen wurde. Besonders stark war die Er¬
regung in "Eastern Bengal". Der hochkultivierte Bengali hatte bisher immer
voll Verachtung auf die Barbaren des östlichen Nachbarlandes Assam herab¬
geblickt. Nun sollten die beiden heterogenen Elemente plötzlich zu einem Ver¬
waltungsbezirk vereinigt werden. Der ganze Stolz des eitlen Bengali empörte
sich dagegen. Fing man doch im übrigen Indien schon an. den Ostbengali
spöttisch Assami zu nennen. Kurz, die Folge der Teilung Bengalens war nicht
ein Abflauen, sondern ein Anschwellen der revolutionären Bewegung. Gouver¬
neure und Unterbeamte befanden sich jahrelang eigentlich dauernd in Lebens-


Die Engländer in Indien

den Regierungsbureaus und häufig auch als Prwatangestellten in den europäischen
Banken und Handelshäusern. Meist sind es hübsche elegante Leute, die gute
Manieren und vollendete Höflichkeit zur Schau tragen; aber nicht umsonst gilt
der Bengali für das charakterloseste und unzuverlässigste Element ganz Indiens.
Im ganzen Lande erfreut er sich daher keiner großen Sympathien.

Bei dem starken Andrang der Bengalis an den Hochschulen kann es natürlich
nicht ausbleiben, daß viele Leute nach Beendigung ihrer Studien keine Anstellung
finden. Dadurch entsteht ein für die staatliche Ordnung höchst gefährliches
Bildungsproletariat. An allzugroßer Bescheidenheit leidet kein Bengali. Kann
er leidlich Englisch sprechen und hat er sich eine Art oberflächlicher Bildung
angeeignet, so hält er sich meist ohne weiteres für befähigt, die höchsten Ämter
im Staate zu bekleiden. „Wären die Fremden nicht hier," so argumentiert er,
„dann müßte mir einer der schönen, gutbezahlter Posten zufallen, die mir jetzt
verschlossen sind." Für ihn sind also die englischen Herren des Landes das
einzige Hindernis auf dem Wege zu Amt und Brot. Natürlich soll nicht geleugnet
werden, daß manche idealdenkenden Schwarmgeister, manche selbstlosen Patrioten
Mitglieder dieser revolutionären Propaganda sind. Im allgemeinen ist aber
das alte, den niederen Geistern so plausible „öde-toi qus je in' ^ mette" das
Stimulationsmittel, welches die indischen Mvolutionshelden zu ihren terroristischen
Akten begeistert. Man muß gestehen, daß die englische Polizei nicht ohne Geschick
gegen diese umstürzlerischen Elemente kämpft. Kaum ein politisches Verbrechen
ist ungesühnt geblieben und häufig genug gelang es, terroristische Verschwörungen
aufzudecken, noch ehe sie Schaden stiften konnten. Der wohlbekannte Mzekönig
Lord Curzon (1899 bis 1906) führte einen besonders scharfen Kampf gegen
die revolutionäre Propaganda. Auf seine Veranlassung entschloß man sich im
Jahre 1905 zu der viel besprochenen und viel verurteilten „partitiori LonZal".
Der östlich des Brahmaputra gelegene Teil Bengalens wurde mit der Provinz
Assam zu einer neuen Provinz „Eastern Bengal and Assam" vereinigt, während
der Nest als eine verkleinerte Provinz unter dem Namen „Western Bengal"
bestehen blieb. Motiviert wurde diese Neuerung mit verwaltungstechnischen
Gründen. Der wahre Zweck war indessen, einen Keil in die über ganz Ben¬
galen ausgebreitete revolutionäre Organisation zu treiben. Das Resultat ent¬
sprach kaum den Erwartungen. Die Bevölkerung sträubte sich dagegen, daß ihr
Land willkürlich in zwei Teile zerrissen wurde. Besonders stark war die Er¬
regung in „Eastern Bengal". Der hochkultivierte Bengali hatte bisher immer
voll Verachtung auf die Barbaren des östlichen Nachbarlandes Assam herab¬
geblickt. Nun sollten die beiden heterogenen Elemente plötzlich zu einem Ver¬
waltungsbezirk vereinigt werden. Der ganze Stolz des eitlen Bengali empörte
sich dagegen. Fing man doch im übrigen Indien schon an. den Ostbengali
spöttisch Assami zu nennen. Kurz, die Folge der Teilung Bengalens war nicht
ein Abflauen, sondern ein Anschwellen der revolutionären Bewegung. Gouver¬
neure und Unterbeamte befanden sich jahrelang eigentlich dauernd in Lebens-


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[0338] Die Engländer in Indien den Regierungsbureaus und häufig auch als Prwatangestellten in den europäischen Banken und Handelshäusern. Meist sind es hübsche elegante Leute, die gute Manieren und vollendete Höflichkeit zur Schau tragen; aber nicht umsonst gilt der Bengali für das charakterloseste und unzuverlässigste Element ganz Indiens. Im ganzen Lande erfreut er sich daher keiner großen Sympathien. Bei dem starken Andrang der Bengalis an den Hochschulen kann es natürlich nicht ausbleiben, daß viele Leute nach Beendigung ihrer Studien keine Anstellung finden. Dadurch entsteht ein für die staatliche Ordnung höchst gefährliches Bildungsproletariat. An allzugroßer Bescheidenheit leidet kein Bengali. Kann er leidlich Englisch sprechen und hat er sich eine Art oberflächlicher Bildung angeeignet, so hält er sich meist ohne weiteres für befähigt, die höchsten Ämter im Staate zu bekleiden. „Wären die Fremden nicht hier," so argumentiert er, „dann müßte mir einer der schönen, gutbezahlter Posten zufallen, die mir jetzt verschlossen sind." Für ihn sind also die englischen Herren des Landes das einzige Hindernis auf dem Wege zu Amt und Brot. Natürlich soll nicht geleugnet werden, daß manche idealdenkenden Schwarmgeister, manche selbstlosen Patrioten Mitglieder dieser revolutionären Propaganda sind. Im allgemeinen ist aber das alte, den niederen Geistern so plausible „öde-toi qus je in' ^ mette" das Stimulationsmittel, welches die indischen Mvolutionshelden zu ihren terroristischen Akten begeistert. Man muß gestehen, daß die englische Polizei nicht ohne Geschick gegen diese umstürzlerischen Elemente kämpft. Kaum ein politisches Verbrechen ist ungesühnt geblieben und häufig genug gelang es, terroristische Verschwörungen aufzudecken, noch ehe sie Schaden stiften konnten. Der wohlbekannte Mzekönig Lord Curzon (1899 bis 1906) führte einen besonders scharfen Kampf gegen die revolutionäre Propaganda. Auf seine Veranlassung entschloß man sich im Jahre 1905 zu der viel besprochenen und viel verurteilten „partitiori LonZal". Der östlich des Brahmaputra gelegene Teil Bengalens wurde mit der Provinz Assam zu einer neuen Provinz „Eastern Bengal and Assam" vereinigt, während der Nest als eine verkleinerte Provinz unter dem Namen „Western Bengal" bestehen blieb. Motiviert wurde diese Neuerung mit verwaltungstechnischen Gründen. Der wahre Zweck war indessen, einen Keil in die über ganz Ben¬ galen ausgebreitete revolutionäre Organisation zu treiben. Das Resultat ent¬ sprach kaum den Erwartungen. Die Bevölkerung sträubte sich dagegen, daß ihr Land willkürlich in zwei Teile zerrissen wurde. Besonders stark war die Er¬ regung in „Eastern Bengal". Der hochkultivierte Bengali hatte bisher immer voll Verachtung auf die Barbaren des östlichen Nachbarlandes Assam herab¬ geblickt. Nun sollten die beiden heterogenen Elemente plötzlich zu einem Ver¬ waltungsbezirk vereinigt werden. Der ganze Stolz des eitlen Bengali empörte sich dagegen. Fing man doch im übrigen Indien schon an. den Ostbengali spöttisch Assami zu nennen. Kurz, die Folge der Teilung Bengalens war nicht ein Abflauen, sondern ein Anschwellen der revolutionären Bewegung. Gouver¬ neure und Unterbeamte befanden sich jahrelang eigentlich dauernd in Lebens-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/338>, abgerufen am 27.07.2024.