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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

hält sich selbst für weit besser als den vornehmsten Inder von reinstem Brah-
minenblut. Das stolze "civis k?omarm8 8um" ist ihm angeboren; nur faßt
er diesen Begriff in einem weit höheren Sinne auf als der alte Römer. Durch
Erwerbung des römischen Bürgerrechts konnte schließlich jeder dem asiatischen
Rassengewimmel entsprossene Mischling ein "Römer" werden, während kein
Asiate, kein Eurasier je hoffen kann, in die englische Herrenkaste aufgenommen
zu werden. Instinktiv wehrt sich England gegen die Gefahr, wie das kaiserliche
Rom zum nationalitätslosen Polizeistaat herabzusinken und bleibt, trotz seiner
zahllosen fremdrassigen Untertanen stets streng abgeschlossener Nationalstaat.
Hier liegen die Quellen englischer Kraft, das weiß jeder Brite, und darum ist
ihm die Reinhaltung seiner Rasse zu einer Art selbstverständlichen Glaubenssatzes
geworden.

Freunde erwirbt man sich durch solch stolzes Herrentun: allerdings nicht.
Unter dem Szepter seiner asiatischen Bezwinger konnte der Inder das demütigende
Gefühl des Geknechtetseius nie allzu scharf empfinden. Er konnte sich sogar
einbilden, er sei gar nicht besiegt und unterworfen. Denn der Eroberer brachte
nichts als sein Schwert mit. Alles andere mußte er dem alten Kulturland
entnehmen. Die verfeinerten Sitten, der Baustil, das Regierungssustem, ja
sogar die Sprache ging vom Besiegten auf den Sieger über. So kam es, daß
in Indien nicht wie in anderen Ländern die Befreiung aus der Knechtschaft,
sondern oft gerade die Eroberung durch einen Fremden eine neue Blütezeit
nationaler Kultur herbeiführte.

Erst bei den letzten Eroberern änderte sich das. Diese entstammen einem
ganz anderen Kulturkreise und dachten nicht daran, Sprache und Sitten des
von ihnen eroberten Landes anzunehmen. Dem Volke Shakespeares war mit
der Mahabaratta und der Ramayana wenig gedient. Nicht um zu lernen war
man nach Indien gekommen; man wollte belehren, den unterworfenen Völkern
"die Segnungen der Zivilisation zugute kommen lassen".

So kam es, daß England, trotzdem es sich peinlich gehütet hat, die nationale
Eigenart Indiens anzutasten, nicht etwa befruchtend, sondern hemmend und
ertötend auf die indische Kultur gewirkt hat. Auf einmal galt die englische
Wissenschaft höher als die alte Weisheit der Brahmanen; englische Erzeugnisse
verdrängten das einheimische Gewerbe. Alle aufwärts und vorwärts strebenden
Elemente gerieten unwillkürlich in den Bann der fremden Kultur, viele aus
wahrem Wissensdrang, nicht wenige aber auch lediglich in der Absicht, die
Ursachen der englischen Überlegenheit zu studieren und so die Mittel zu finden,
mit denen man möglichst schnell das fremde Joch abschütteln könnte.

Nun ist aber unsere europäische und speziell die englische Kultur ein viel
zu spröder Stoff, als daß er ohne weiteres den indischen Verhältnissen ent¬
sprechend umgeformt werden könnte. Ein orientalischer Fürst glaubt auf der
Höhe westländischen Kunstgeschmacks zu sein, wenn er seine schönen alten Teppiche,
seine kunstvollen Schnitzereien verschleudert und sein Schloß mit europäischem


Die Engländer in Indien

hält sich selbst für weit besser als den vornehmsten Inder von reinstem Brah-
minenblut. Das stolze „civis k?omarm8 8um" ist ihm angeboren; nur faßt
er diesen Begriff in einem weit höheren Sinne auf als der alte Römer. Durch
Erwerbung des römischen Bürgerrechts konnte schließlich jeder dem asiatischen
Rassengewimmel entsprossene Mischling ein „Römer" werden, während kein
Asiate, kein Eurasier je hoffen kann, in die englische Herrenkaste aufgenommen
zu werden. Instinktiv wehrt sich England gegen die Gefahr, wie das kaiserliche
Rom zum nationalitätslosen Polizeistaat herabzusinken und bleibt, trotz seiner
zahllosen fremdrassigen Untertanen stets streng abgeschlossener Nationalstaat.
Hier liegen die Quellen englischer Kraft, das weiß jeder Brite, und darum ist
ihm die Reinhaltung seiner Rasse zu einer Art selbstverständlichen Glaubenssatzes
geworden.

Freunde erwirbt man sich durch solch stolzes Herrentun: allerdings nicht.
Unter dem Szepter seiner asiatischen Bezwinger konnte der Inder das demütigende
Gefühl des Geknechtetseius nie allzu scharf empfinden. Er konnte sich sogar
einbilden, er sei gar nicht besiegt und unterworfen. Denn der Eroberer brachte
nichts als sein Schwert mit. Alles andere mußte er dem alten Kulturland
entnehmen. Die verfeinerten Sitten, der Baustil, das Regierungssustem, ja
sogar die Sprache ging vom Besiegten auf den Sieger über. So kam es, daß
in Indien nicht wie in anderen Ländern die Befreiung aus der Knechtschaft,
sondern oft gerade die Eroberung durch einen Fremden eine neue Blütezeit
nationaler Kultur herbeiführte.

Erst bei den letzten Eroberern änderte sich das. Diese entstammen einem
ganz anderen Kulturkreise und dachten nicht daran, Sprache und Sitten des
von ihnen eroberten Landes anzunehmen. Dem Volke Shakespeares war mit
der Mahabaratta und der Ramayana wenig gedient. Nicht um zu lernen war
man nach Indien gekommen; man wollte belehren, den unterworfenen Völkern
„die Segnungen der Zivilisation zugute kommen lassen".

So kam es, daß England, trotzdem es sich peinlich gehütet hat, die nationale
Eigenart Indiens anzutasten, nicht etwa befruchtend, sondern hemmend und
ertötend auf die indische Kultur gewirkt hat. Auf einmal galt die englische
Wissenschaft höher als die alte Weisheit der Brahmanen; englische Erzeugnisse
verdrängten das einheimische Gewerbe. Alle aufwärts und vorwärts strebenden
Elemente gerieten unwillkürlich in den Bann der fremden Kultur, viele aus
wahrem Wissensdrang, nicht wenige aber auch lediglich in der Absicht, die
Ursachen der englischen Überlegenheit zu studieren und so die Mittel zu finden,
mit denen man möglichst schnell das fremde Joch abschütteln könnte.

Nun ist aber unsere europäische und speziell die englische Kultur ein viel
zu spröder Stoff, als daß er ohne weiteres den indischen Verhältnissen ent¬
sprechend umgeformt werden könnte. Ein orientalischer Fürst glaubt auf der
Höhe westländischen Kunstgeschmacks zu sein, wenn er seine schönen alten Teppiche,
seine kunstvollen Schnitzereien verschleudert und sein Schloß mit europäischem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/336>, abgerufen am 22.12.2024.