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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Anselm Feuerbach und seine Zeit

Grafen von Schack ein Retter gewiesen. Die wundervollen Bilder, die heute
die Zierde der Schackschen Galerie in München sind -- vor allem die pracht¬
volle PietÄ, Paolo und Francesca, Dante und die Frauen, der Hafis, die
Kinder am Meere -- wurden dem Grafen damals um ein ganz geringes Geld
gemalt und verkauft. Auch dieses Verhältnis sollte nicht allzulange währen.
Differenzen zwischen Schack und seinem Maler, der eigene Ideen und nicht die
des schöngeistigen Grafen gestalten wollte, erschwerten es und hoben es
endlich auf.

Es hat etwas Rührendes, wie sich das deutsche Gefühl bei Feuerbach im
Jahre 1871 plötzlich aus der Tiefe hebt. Er bittet die Mutter, ihm die Ein¬
nahme von Paris sogleich telegraphisch zu melden, damit er der erste sei, der
die Fahne heraussteckt. "Was die Deutschen an mir gesündigt haben, soll
man mir nicht ansehen," schreibt er. "Wenn ich glaubte, mich nützlicher zu
machen, indem ich meine Glieder den Kugeln der Franzosen preisgebe, so
würde ich es sorglos und ohne Säumen tun." Er liebt sein Vaterland, ob¬
gleich er ihm nichts zu danken hat, sein Haß gilt denen, die ihn ins Elend
gebracht haben; aber er konnte auch schreiben: "Daß ich mein Vaterland hasse,
das ist meine süße und bittere Rache" und: "Hat Dante Erfolg in Paris, so
wird der Augenblick der Rache und Triumph mir Jahre vergessen machen."
Not und Enttäuschungen zerstören und verbittern ihn, er ist manchmal an der
Grenze des Lebens und kaum noch einen Schritt vom Selbstmord entfernt.
Ähnlich Schiller faßt er den Plan, sich durch eine Geldheirat zu retten, aber
doch vermag er sich nicht zu entschließen. Der Anblick seiner Bilder nur gibt
ihm Trost. "In der Abenddämmerung, um diese Stunde, sehen meine Bilder,
die mich umstehen, so aus, als trügen sie die Berechtigung zu existieren in
sich." "Warum," sagt er ein andermal, "ergreift mich der bloße Gedanke an
Iphigenie so sehr, warum rührt mich diese uralte Geschichte so sehr, daß ich
nicht Ruhe habe und Rast, sie durchzubilden, währenddem ich mit Juden.
Geldmangel, Neid und Kränkung im Leben zu kämpfen habe!"

Dennoch wird Feuerbach von dem Vorwurf nicht freizusprechen sein, daß
er allzu weich, allzu sensibel gewesen ist, nennt er sich doch selbst einmal einen
"weichen launischen Knaben". Die schnelle Verdüsterung seines Wesens scheint
sein Erbteil vom Vater her gewesen zu sein. "Es mag eine Dosis unberechtigter
Melancholie in mir sitzen vom Vater her," sagt er selbst, "und ich selbst mag
an vielem schuld sein, obgleich ich nichts bereue, aber manchmal will es mir
bedünken, als sei es unedel von meiner Zeit, daß sie der aufblühenden Blumen
nicht wartet, nicht pflegt, sondern rasch pflückt oder -- zertritt. -- Wie kann
ich meine Kunst in Rapport mit dem Leben bringen, wenn mir letzteres nichts
bietetI" Seine Melancholie, seine Sucht zu klagen, hat ohne Zweifel einen
pathologischen Zug. Die Lektüre seiner Briefe, die in zwei umfangreichen
Bänden unlängst (bei Meyer u. Jessen in Berlin) erschienen sind, wird durch die
ständige Wiederkehr derselben Dinge und Beschwerden erheblich beeinträchtigt,


Anselm Feuerbach und seine Zeit

Grafen von Schack ein Retter gewiesen. Die wundervollen Bilder, die heute
die Zierde der Schackschen Galerie in München sind — vor allem die pracht¬
volle PietÄ, Paolo und Francesca, Dante und die Frauen, der Hafis, die
Kinder am Meere — wurden dem Grafen damals um ein ganz geringes Geld
gemalt und verkauft. Auch dieses Verhältnis sollte nicht allzulange währen.
Differenzen zwischen Schack und seinem Maler, der eigene Ideen und nicht die
des schöngeistigen Grafen gestalten wollte, erschwerten es und hoben es
endlich auf.

Es hat etwas Rührendes, wie sich das deutsche Gefühl bei Feuerbach im
Jahre 1871 plötzlich aus der Tiefe hebt. Er bittet die Mutter, ihm die Ein¬
nahme von Paris sogleich telegraphisch zu melden, damit er der erste sei, der
die Fahne heraussteckt. „Was die Deutschen an mir gesündigt haben, soll
man mir nicht ansehen," schreibt er. „Wenn ich glaubte, mich nützlicher zu
machen, indem ich meine Glieder den Kugeln der Franzosen preisgebe, so
würde ich es sorglos und ohne Säumen tun." Er liebt sein Vaterland, ob¬
gleich er ihm nichts zu danken hat, sein Haß gilt denen, die ihn ins Elend
gebracht haben; aber er konnte auch schreiben: „Daß ich mein Vaterland hasse,
das ist meine süße und bittere Rache" und: „Hat Dante Erfolg in Paris, so
wird der Augenblick der Rache und Triumph mir Jahre vergessen machen."
Not und Enttäuschungen zerstören und verbittern ihn, er ist manchmal an der
Grenze des Lebens und kaum noch einen Schritt vom Selbstmord entfernt.
Ähnlich Schiller faßt er den Plan, sich durch eine Geldheirat zu retten, aber
doch vermag er sich nicht zu entschließen. Der Anblick seiner Bilder nur gibt
ihm Trost. „In der Abenddämmerung, um diese Stunde, sehen meine Bilder,
die mich umstehen, so aus, als trügen sie die Berechtigung zu existieren in
sich." „Warum," sagt er ein andermal, „ergreift mich der bloße Gedanke an
Iphigenie so sehr, warum rührt mich diese uralte Geschichte so sehr, daß ich
nicht Ruhe habe und Rast, sie durchzubilden, währenddem ich mit Juden.
Geldmangel, Neid und Kränkung im Leben zu kämpfen habe!"

Dennoch wird Feuerbach von dem Vorwurf nicht freizusprechen sein, daß
er allzu weich, allzu sensibel gewesen ist, nennt er sich doch selbst einmal einen
„weichen launischen Knaben". Die schnelle Verdüsterung seines Wesens scheint
sein Erbteil vom Vater her gewesen zu sein. „Es mag eine Dosis unberechtigter
Melancholie in mir sitzen vom Vater her," sagt er selbst, „und ich selbst mag
an vielem schuld sein, obgleich ich nichts bereue, aber manchmal will es mir
bedünken, als sei es unedel von meiner Zeit, daß sie der aufblühenden Blumen
nicht wartet, nicht pflegt, sondern rasch pflückt oder — zertritt. — Wie kann
ich meine Kunst in Rapport mit dem Leben bringen, wenn mir letzteres nichts
bietetI" Seine Melancholie, seine Sucht zu klagen, hat ohne Zweifel einen
pathologischen Zug. Die Lektüre seiner Briefe, die in zwei umfangreichen
Bänden unlängst (bei Meyer u. Jessen in Berlin) erschienen sind, wird durch die
ständige Wiederkehr derselben Dinge und Beschwerden erheblich beeinträchtigt,


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[0326] Anselm Feuerbach und seine Zeit Grafen von Schack ein Retter gewiesen. Die wundervollen Bilder, die heute die Zierde der Schackschen Galerie in München sind — vor allem die pracht¬ volle PietÄ, Paolo und Francesca, Dante und die Frauen, der Hafis, die Kinder am Meere — wurden dem Grafen damals um ein ganz geringes Geld gemalt und verkauft. Auch dieses Verhältnis sollte nicht allzulange währen. Differenzen zwischen Schack und seinem Maler, der eigene Ideen und nicht die des schöngeistigen Grafen gestalten wollte, erschwerten es und hoben es endlich auf. Es hat etwas Rührendes, wie sich das deutsche Gefühl bei Feuerbach im Jahre 1871 plötzlich aus der Tiefe hebt. Er bittet die Mutter, ihm die Ein¬ nahme von Paris sogleich telegraphisch zu melden, damit er der erste sei, der die Fahne heraussteckt. „Was die Deutschen an mir gesündigt haben, soll man mir nicht ansehen," schreibt er. „Wenn ich glaubte, mich nützlicher zu machen, indem ich meine Glieder den Kugeln der Franzosen preisgebe, so würde ich es sorglos und ohne Säumen tun." Er liebt sein Vaterland, ob¬ gleich er ihm nichts zu danken hat, sein Haß gilt denen, die ihn ins Elend gebracht haben; aber er konnte auch schreiben: „Daß ich mein Vaterland hasse, das ist meine süße und bittere Rache" und: „Hat Dante Erfolg in Paris, so wird der Augenblick der Rache und Triumph mir Jahre vergessen machen." Not und Enttäuschungen zerstören und verbittern ihn, er ist manchmal an der Grenze des Lebens und kaum noch einen Schritt vom Selbstmord entfernt. Ähnlich Schiller faßt er den Plan, sich durch eine Geldheirat zu retten, aber doch vermag er sich nicht zu entschließen. Der Anblick seiner Bilder nur gibt ihm Trost. „In der Abenddämmerung, um diese Stunde, sehen meine Bilder, die mich umstehen, so aus, als trügen sie die Berechtigung zu existieren in sich." „Warum," sagt er ein andermal, „ergreift mich der bloße Gedanke an Iphigenie so sehr, warum rührt mich diese uralte Geschichte so sehr, daß ich nicht Ruhe habe und Rast, sie durchzubilden, währenddem ich mit Juden. Geldmangel, Neid und Kränkung im Leben zu kämpfen habe!" Dennoch wird Feuerbach von dem Vorwurf nicht freizusprechen sein, daß er allzu weich, allzu sensibel gewesen ist, nennt er sich doch selbst einmal einen „weichen launischen Knaben". Die schnelle Verdüsterung seines Wesens scheint sein Erbteil vom Vater her gewesen zu sein. „Es mag eine Dosis unberechtigter Melancholie in mir sitzen vom Vater her," sagt er selbst, „und ich selbst mag an vielem schuld sein, obgleich ich nichts bereue, aber manchmal will es mir bedünken, als sei es unedel von meiner Zeit, daß sie der aufblühenden Blumen nicht wartet, nicht pflegt, sondern rasch pflückt oder — zertritt. — Wie kann ich meine Kunst in Rapport mit dem Leben bringen, wenn mir letzteres nichts bietetI" Seine Melancholie, seine Sucht zu klagen, hat ohne Zweifel einen pathologischen Zug. Die Lektüre seiner Briefe, die in zwei umfangreichen Bänden unlängst (bei Meyer u. Jessen in Berlin) erschienen sind, wird durch die ständige Wiederkehr derselben Dinge und Beschwerden erheblich beeinträchtigt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/326>, abgerufen am 28.07.2024.