Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Anselm Feuerbach und seine Zeit

Eigenart seiner Gemälde besser charakterisierten als diese drei, welche Griechen¬
land, Italien und den deutschen Geist gemeinsam in sich zu fassen scheinen.
Sein ganzes Wesen erhöht sich ihm wunderbar. "Mein Leben ist mir manchmal
wie ein Traum," schreibt er. "Wie kommt es doch, daß meine Bilder so fest
und unberührbar dastehen und ich bin wie ein schwankendes Rohr? Oft sehe
ich hundert Jahre voraus und wandle durch alte Galerien und sehe meine
eigenen Bilder in stillem Ernste an den Wänden hängen. Ich bin zu Großem
berufen, das weiß ich wohl. Zur Ruhe werde ich erst im Tode kommen.
Leiden werde ich immer haben, aber meine Werke werden ewig leben."

Für die Leiden war bald gesorgt, man entzog Feuerbach das Stipendium.
Es traf ihn wie "ein scharfes Schwert", "aber tödlich ist die Wunde nicht,
nur sehr schmerzhaft". Diese Stunde war für ihn Entscheidung und Schicksal.
"Es gibt kein Drama," schreibt er an die Mutter; "dazu gehören zwei, das
richtige tragische Schicksal und der richtige dumme Mensch. Der bin ich nicht.
Ich schlage mich durch." Sein Entschluß war gefaßt; er kehrte der undankbaren
Heimat den Rücken und blieb in den: Lande, das ihn mit Tiefsten begnadet
hatte. Sein Ziel war Rom.

In Florenz ergreift ihn die alte Kunst wieder; in der ersten Nacht, der
Mond schien hell, wandert er durch die Gassen, er kommt auf die Piazza,
weiß strahlt der riesige David des Michelangelo, der damals noch vor dem
Palazzo Vecchio stand, auf ihn, an dem Perseus des Benvenuto Cellini vorbei,
kommt er zum Arno. Jeder Schritt Saat der Seele, die aufgehen sollte in
Bildern von Unsterblichkeit. In den Uffizien aber erfaßt ihn die Kunst der
alten Meister mit solcher Gewalt, daß er die Galerie sofort verlassen muß, die
Tränen liefen ihm unaufhaltsam die Wangen herab. In heftigem Fieber
kommt er in Rom an.

Damit hatte Feuerbach den Boden erreicht, auf dem er einzig gedeihen
konnte. Rom war seine Stadt und blieb es durch zwei Jahrzehnte. Hier
entstanden die großen Bilder: der Dante, die Iphigenie, Ariost, die Medea,
Franceska da Rimini, die PietÄ, das Gastmahl. Man erkennt aus diesen
Titeln die Tiefe der Einwirkung dichterischen Geistes. Die Phantasien und
Gestalten der Dichter zu malen, lag in der Zeit; es sei nur an die Dante-
Barke von Delacroix, an die Gemälde der englischen Präraphaeliten, an
Kaulbach und Piloto erinnert. Aber Feuerbach war selbst dichterlicher Art,
ihn ergriff die Idee des Bildes wie der Stoff den Dramatiker ergreift. Und
wo eine Idee nur edel, hoch und rein war, da war er schon im Innersten
von ihr berührt. Er hatte das lyrische Gefühl für die heroische oder elegische
Vorstellung, darum ging ihm Dante stets nahe, darum ließ ihn Iphigenie und
Medea nicht, bis er sie endgültig gestaltet hatte; von beiden wie auch vom
Gastmahl des Plato existieren zwei Fassungen. Die Stoffe gehören den Vor¬
stellungskreisen der Antike und der Renaissance an, darin zeigt sich Feuerbach
als ganz im neunzehnten Jahrhundert befangen, aber er gewann aus ihnen


Anselm Feuerbach und seine Zeit

Eigenart seiner Gemälde besser charakterisierten als diese drei, welche Griechen¬
land, Italien und den deutschen Geist gemeinsam in sich zu fassen scheinen.
Sein ganzes Wesen erhöht sich ihm wunderbar. „Mein Leben ist mir manchmal
wie ein Traum," schreibt er. „Wie kommt es doch, daß meine Bilder so fest
und unberührbar dastehen und ich bin wie ein schwankendes Rohr? Oft sehe
ich hundert Jahre voraus und wandle durch alte Galerien und sehe meine
eigenen Bilder in stillem Ernste an den Wänden hängen. Ich bin zu Großem
berufen, das weiß ich wohl. Zur Ruhe werde ich erst im Tode kommen.
Leiden werde ich immer haben, aber meine Werke werden ewig leben."

Für die Leiden war bald gesorgt, man entzog Feuerbach das Stipendium.
Es traf ihn wie „ein scharfes Schwert", „aber tödlich ist die Wunde nicht,
nur sehr schmerzhaft". Diese Stunde war für ihn Entscheidung und Schicksal.
„Es gibt kein Drama," schreibt er an die Mutter; „dazu gehören zwei, das
richtige tragische Schicksal und der richtige dumme Mensch. Der bin ich nicht.
Ich schlage mich durch." Sein Entschluß war gefaßt; er kehrte der undankbaren
Heimat den Rücken und blieb in den: Lande, das ihn mit Tiefsten begnadet
hatte. Sein Ziel war Rom.

In Florenz ergreift ihn die alte Kunst wieder; in der ersten Nacht, der
Mond schien hell, wandert er durch die Gassen, er kommt auf die Piazza,
weiß strahlt der riesige David des Michelangelo, der damals noch vor dem
Palazzo Vecchio stand, auf ihn, an dem Perseus des Benvenuto Cellini vorbei,
kommt er zum Arno. Jeder Schritt Saat der Seele, die aufgehen sollte in
Bildern von Unsterblichkeit. In den Uffizien aber erfaßt ihn die Kunst der
alten Meister mit solcher Gewalt, daß er die Galerie sofort verlassen muß, die
Tränen liefen ihm unaufhaltsam die Wangen herab. In heftigem Fieber
kommt er in Rom an.

Damit hatte Feuerbach den Boden erreicht, auf dem er einzig gedeihen
konnte. Rom war seine Stadt und blieb es durch zwei Jahrzehnte. Hier
entstanden die großen Bilder: der Dante, die Iphigenie, Ariost, die Medea,
Franceska da Rimini, die PietÄ, das Gastmahl. Man erkennt aus diesen
Titeln die Tiefe der Einwirkung dichterischen Geistes. Die Phantasien und
Gestalten der Dichter zu malen, lag in der Zeit; es sei nur an die Dante-
Barke von Delacroix, an die Gemälde der englischen Präraphaeliten, an
Kaulbach und Piloto erinnert. Aber Feuerbach war selbst dichterlicher Art,
ihn ergriff die Idee des Bildes wie der Stoff den Dramatiker ergreift. Und
wo eine Idee nur edel, hoch und rein war, da war er schon im Innersten
von ihr berührt. Er hatte das lyrische Gefühl für die heroische oder elegische
Vorstellung, darum ging ihm Dante stets nahe, darum ließ ihn Iphigenie und
Medea nicht, bis er sie endgültig gestaltet hatte; von beiden wie auch vom
Gastmahl des Plato existieren zwei Fassungen. Die Stoffe gehören den Vor¬
stellungskreisen der Antike und der Renaissance an, darin zeigt sich Feuerbach
als ganz im neunzehnten Jahrhundert befangen, aber er gewann aus ihnen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325844"/>
          <fw type="header" place="top"> Anselm Feuerbach und seine Zeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1295" prev="#ID_1294"> Eigenart seiner Gemälde besser charakterisierten als diese drei, welche Griechen¬<lb/>
land, Italien und den deutschen Geist gemeinsam in sich zu fassen scheinen.<lb/>
Sein ganzes Wesen erhöht sich ihm wunderbar. &#x201E;Mein Leben ist mir manchmal<lb/>
wie ein Traum," schreibt er. &#x201E;Wie kommt es doch, daß meine Bilder so fest<lb/>
und unberührbar dastehen und ich bin wie ein schwankendes Rohr? Oft sehe<lb/>
ich hundert Jahre voraus und wandle durch alte Galerien und sehe meine<lb/>
eigenen Bilder in stillem Ernste an den Wänden hängen. Ich bin zu Großem<lb/>
berufen, das weiß ich wohl. Zur Ruhe werde ich erst im Tode kommen.<lb/>
Leiden werde ich immer haben, aber meine Werke werden ewig leben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1296"> Für die Leiden war bald gesorgt, man entzog Feuerbach das Stipendium.<lb/>
Es traf ihn wie &#x201E;ein scharfes Schwert", &#x201E;aber tödlich ist die Wunde nicht,<lb/>
nur sehr schmerzhaft". Diese Stunde war für ihn Entscheidung und Schicksal.<lb/>
&#x201E;Es gibt kein Drama," schreibt er an die Mutter; &#x201E;dazu gehören zwei, das<lb/>
richtige tragische Schicksal und der richtige dumme Mensch. Der bin ich nicht.<lb/>
Ich schlage mich durch." Sein Entschluß war gefaßt; er kehrte der undankbaren<lb/>
Heimat den Rücken und blieb in den: Lande, das ihn mit Tiefsten begnadet<lb/>
hatte.  Sein Ziel war Rom.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1297"> In Florenz ergreift ihn die alte Kunst wieder; in der ersten Nacht, der<lb/>
Mond schien hell, wandert er durch die Gassen, er kommt auf die Piazza,<lb/>
weiß strahlt der riesige David des Michelangelo, der damals noch vor dem<lb/>
Palazzo Vecchio stand, auf ihn, an dem Perseus des Benvenuto Cellini vorbei,<lb/>
kommt er zum Arno. Jeder Schritt Saat der Seele, die aufgehen sollte in<lb/>
Bildern von Unsterblichkeit. In den Uffizien aber erfaßt ihn die Kunst der<lb/>
alten Meister mit solcher Gewalt, daß er die Galerie sofort verlassen muß, die<lb/>
Tränen liefen ihm unaufhaltsam die Wangen herab. In heftigem Fieber<lb/>
kommt er in Rom an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1298" next="#ID_1299"> Damit hatte Feuerbach den Boden erreicht, auf dem er einzig gedeihen<lb/>
konnte. Rom war seine Stadt und blieb es durch zwei Jahrzehnte. Hier<lb/>
entstanden die großen Bilder: der Dante, die Iphigenie, Ariost, die Medea,<lb/>
Franceska da Rimini, die PietÄ, das Gastmahl. Man erkennt aus diesen<lb/>
Titeln die Tiefe der Einwirkung dichterischen Geistes. Die Phantasien und<lb/>
Gestalten der Dichter zu malen, lag in der Zeit; es sei nur an die Dante-<lb/>
Barke von Delacroix, an die Gemälde der englischen Präraphaeliten, an<lb/>
Kaulbach und Piloto erinnert. Aber Feuerbach war selbst dichterlicher Art,<lb/>
ihn ergriff die Idee des Bildes wie der Stoff den Dramatiker ergreift. Und<lb/>
wo eine Idee nur edel, hoch und rein war, da war er schon im Innersten<lb/>
von ihr berührt. Er hatte das lyrische Gefühl für die heroische oder elegische<lb/>
Vorstellung, darum ging ihm Dante stets nahe, darum ließ ihn Iphigenie und<lb/>
Medea nicht, bis er sie endgültig gestaltet hatte; von beiden wie auch vom<lb/>
Gastmahl des Plato existieren zwei Fassungen. Die Stoffe gehören den Vor¬<lb/>
stellungskreisen der Antike und der Renaissance an, darin zeigt sich Feuerbach<lb/>
als ganz im neunzehnten Jahrhundert befangen, aber er gewann aus ihnen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0324] Anselm Feuerbach und seine Zeit Eigenart seiner Gemälde besser charakterisierten als diese drei, welche Griechen¬ land, Italien und den deutschen Geist gemeinsam in sich zu fassen scheinen. Sein ganzes Wesen erhöht sich ihm wunderbar. „Mein Leben ist mir manchmal wie ein Traum," schreibt er. „Wie kommt es doch, daß meine Bilder so fest und unberührbar dastehen und ich bin wie ein schwankendes Rohr? Oft sehe ich hundert Jahre voraus und wandle durch alte Galerien und sehe meine eigenen Bilder in stillem Ernste an den Wänden hängen. Ich bin zu Großem berufen, das weiß ich wohl. Zur Ruhe werde ich erst im Tode kommen. Leiden werde ich immer haben, aber meine Werke werden ewig leben." Für die Leiden war bald gesorgt, man entzog Feuerbach das Stipendium. Es traf ihn wie „ein scharfes Schwert", „aber tödlich ist die Wunde nicht, nur sehr schmerzhaft". Diese Stunde war für ihn Entscheidung und Schicksal. „Es gibt kein Drama," schreibt er an die Mutter; „dazu gehören zwei, das richtige tragische Schicksal und der richtige dumme Mensch. Der bin ich nicht. Ich schlage mich durch." Sein Entschluß war gefaßt; er kehrte der undankbaren Heimat den Rücken und blieb in den: Lande, das ihn mit Tiefsten begnadet hatte. Sein Ziel war Rom. In Florenz ergreift ihn die alte Kunst wieder; in der ersten Nacht, der Mond schien hell, wandert er durch die Gassen, er kommt auf die Piazza, weiß strahlt der riesige David des Michelangelo, der damals noch vor dem Palazzo Vecchio stand, auf ihn, an dem Perseus des Benvenuto Cellini vorbei, kommt er zum Arno. Jeder Schritt Saat der Seele, die aufgehen sollte in Bildern von Unsterblichkeit. In den Uffizien aber erfaßt ihn die Kunst der alten Meister mit solcher Gewalt, daß er die Galerie sofort verlassen muß, die Tränen liefen ihm unaufhaltsam die Wangen herab. In heftigem Fieber kommt er in Rom an. Damit hatte Feuerbach den Boden erreicht, auf dem er einzig gedeihen konnte. Rom war seine Stadt und blieb es durch zwei Jahrzehnte. Hier entstanden die großen Bilder: der Dante, die Iphigenie, Ariost, die Medea, Franceska da Rimini, die PietÄ, das Gastmahl. Man erkennt aus diesen Titeln die Tiefe der Einwirkung dichterischen Geistes. Die Phantasien und Gestalten der Dichter zu malen, lag in der Zeit; es sei nur an die Dante- Barke von Delacroix, an die Gemälde der englischen Präraphaeliten, an Kaulbach und Piloto erinnert. Aber Feuerbach war selbst dichterlicher Art, ihn ergriff die Idee des Bildes wie der Stoff den Dramatiker ergreift. Und wo eine Idee nur edel, hoch und rein war, da war er schon im Innersten von ihr berührt. Er hatte das lyrische Gefühl für die heroische oder elegische Vorstellung, darum ging ihm Dante stets nahe, darum ließ ihn Iphigenie und Medea nicht, bis er sie endgültig gestaltet hatte; von beiden wie auch vom Gastmahl des Plato existieren zwei Fassungen. Die Stoffe gehören den Vor¬ stellungskreisen der Antike und der Renaissance an, darin zeigt sich Feuerbach als ganz im neunzehnten Jahrhundert befangen, aber er gewann aus ihnen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/324
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/324>, abgerufen am 28.07.2024.