Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Grundlagen des Imperialismus

der ökonomisch-historischen Richtung, führt ihn darauf zurück, daß er der -- not¬
wendigen -- Güterbeschaffung aus ausländischen Gegenden diene, die von irgend
einem Volk besorgt werden müsse. Solange keine internationale Güterverteilungs-
stelle bestünde, geschehe dieser Gütererwerb eben unter Kämpfen. Noch wichtiger
ist, daß Schippel diese Notwendigkeit der auswärtigen Güterbeschaffung und
Unterdrückung fremder Völker als eine auch im zukünftigen Arbeitereuropa nötige
Handlung hinstellt. Er bejaht also den Imperialismus -- von der wirtschaft¬
lichen Seite aus.

So besteht also heute wohl kaum noch ein Zweifel über die Richtigkeit
der Behauptung, daß der kapitalistische Geist der äußere Antrieb des imperia¬
listischen ist, wenn auch ein jeder, je nach seinen politischen oder wirtschaftlichen
Anschauungen, auf verschiedenem Wege zu dieser Erkenntnis gelangt ist und
verschiedene Folgerungen aus ihr zieht. Das Merkwürdige ist nur, daß eben
Vertreter aller Parteien sich mit dieser Erklärung begnügen, obwohl sie
eine rein materialistisch-ökonomische ist. Verständlich ist es bei den Vertretern
der sozialistischen Richtung, denen der Materialismus die Grundlage ihres
Denkens ist. Daß aber der, dem die Geschichte nicht lediglich das Ergebnis
wirtschaftlicher Beweggründe ist, eine so gewaltige tiefgreifende Bewegung, wie
den Imperialismus, nur auf kaptalistische Beweggründe zurückführt, ist erstaun¬
lich. Und doch erblickt selbst ein Werk, wie das des Engländers Hobson, das
sich mit der Theorie des Imperialismus befaßt"), in der imperialistischen Be¬
wegung nichts anderes als eine solche, die von einem Kreise von ideell oder
materiell Interessierten zu ihrem Vorteil ins Leben gerufen ist: ehrgeizige Poli¬
tiker oder Soldaten, übereifrige Missionare, vor allem aber Großkapitalisten, Gro߬
industrielle, Großrheder, die Presse, die die öffentliche Meinung zu ihren Privat¬
zwecken mißbrauchen; oder um ein geschmackvolles, in der liberal-sozialistischen
Presse beliebtes Schlagwort zu gebrauchen: Panzerplattenpatriotismus sei der
Erreger des Imperialismus. Der Grundirrtum dieser Auffassung besteht darin,
den Imperialismus als eine Mache zu betrachten, als eine oberflächliche Wallung.
Dieser Irrtum ist um so unbegreiflicher, als schon die Beobachtung der Tages¬
ereignisse lehrt, daß der Imperialismus alle Kreise der betreffenden Völker er¬
griffen hat. Das tripolitanische Unternehmen Italiens, das dem Außenstehenden
zuerst als Prestige- und Kapitalistenpolitik erscheinen mochte, entsprang dem ein¬
mütiger Willen des ganzen Volkes, und ist unter nie erlahmender Begeisterung,
der sich selbst die sozialistischen Abgeordneten anschließen mußten, zu Ende geführt
worden. Die Vereinigten Staaten -- eine Republik! -- hätten nie eine äußere
Politik treiben dürfen, wie sie sie in den letzten fünfzehn Jahren getrieben haben,
wenn sie nicht von der .einmütiger Billigung des ganzen Volkes getragen
worden wäre. Nie hätte das liberale englische Kabinett die imperialistische
Politik des konservativen fortsetzen dürfen, wenn nicht der Imperialismus dem



*) Hobson, Jmperialism. London 190S.
Grundlagen des Imperialismus

der ökonomisch-historischen Richtung, führt ihn darauf zurück, daß er der — not¬
wendigen — Güterbeschaffung aus ausländischen Gegenden diene, die von irgend
einem Volk besorgt werden müsse. Solange keine internationale Güterverteilungs-
stelle bestünde, geschehe dieser Gütererwerb eben unter Kämpfen. Noch wichtiger
ist, daß Schippel diese Notwendigkeit der auswärtigen Güterbeschaffung und
Unterdrückung fremder Völker als eine auch im zukünftigen Arbeitereuropa nötige
Handlung hinstellt. Er bejaht also den Imperialismus — von der wirtschaft¬
lichen Seite aus.

So besteht also heute wohl kaum noch ein Zweifel über die Richtigkeit
der Behauptung, daß der kapitalistische Geist der äußere Antrieb des imperia¬
listischen ist, wenn auch ein jeder, je nach seinen politischen oder wirtschaftlichen
Anschauungen, auf verschiedenem Wege zu dieser Erkenntnis gelangt ist und
verschiedene Folgerungen aus ihr zieht. Das Merkwürdige ist nur, daß eben
Vertreter aller Parteien sich mit dieser Erklärung begnügen, obwohl sie
eine rein materialistisch-ökonomische ist. Verständlich ist es bei den Vertretern
der sozialistischen Richtung, denen der Materialismus die Grundlage ihres
Denkens ist. Daß aber der, dem die Geschichte nicht lediglich das Ergebnis
wirtschaftlicher Beweggründe ist, eine so gewaltige tiefgreifende Bewegung, wie
den Imperialismus, nur auf kaptalistische Beweggründe zurückführt, ist erstaun¬
lich. Und doch erblickt selbst ein Werk, wie das des Engländers Hobson, das
sich mit der Theorie des Imperialismus befaßt"), in der imperialistischen Be¬
wegung nichts anderes als eine solche, die von einem Kreise von ideell oder
materiell Interessierten zu ihrem Vorteil ins Leben gerufen ist: ehrgeizige Poli¬
tiker oder Soldaten, übereifrige Missionare, vor allem aber Großkapitalisten, Gro߬
industrielle, Großrheder, die Presse, die die öffentliche Meinung zu ihren Privat¬
zwecken mißbrauchen; oder um ein geschmackvolles, in der liberal-sozialistischen
Presse beliebtes Schlagwort zu gebrauchen: Panzerplattenpatriotismus sei der
Erreger des Imperialismus. Der Grundirrtum dieser Auffassung besteht darin,
den Imperialismus als eine Mache zu betrachten, als eine oberflächliche Wallung.
Dieser Irrtum ist um so unbegreiflicher, als schon die Beobachtung der Tages¬
ereignisse lehrt, daß der Imperialismus alle Kreise der betreffenden Völker er¬
griffen hat. Das tripolitanische Unternehmen Italiens, das dem Außenstehenden
zuerst als Prestige- und Kapitalistenpolitik erscheinen mochte, entsprang dem ein¬
mütiger Willen des ganzen Volkes, und ist unter nie erlahmender Begeisterung,
der sich selbst die sozialistischen Abgeordneten anschließen mußten, zu Ende geführt
worden. Die Vereinigten Staaten — eine Republik! — hätten nie eine äußere
Politik treiben dürfen, wie sie sie in den letzten fünfzehn Jahren getrieben haben,
wenn sie nicht von der .einmütiger Billigung des ganzen Volkes getragen
worden wäre. Nie hätte das liberale englische Kabinett die imperialistische
Politik des konservativen fortsetzen dürfen, wenn nicht der Imperialismus dem



*) Hobson, Jmperialism. London 190S.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325798"/>
          <fw type="header" place="top"> Grundlagen des Imperialismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1090" prev="#ID_1089"> der ökonomisch-historischen Richtung, führt ihn darauf zurück, daß er der &#x2014; not¬<lb/>
wendigen &#x2014; Güterbeschaffung aus ausländischen Gegenden diene, die von irgend<lb/>
einem Volk besorgt werden müsse. Solange keine internationale Güterverteilungs-<lb/>
stelle bestünde, geschehe dieser Gütererwerb eben unter Kämpfen. Noch wichtiger<lb/>
ist, daß Schippel diese Notwendigkeit der auswärtigen Güterbeschaffung und<lb/>
Unterdrückung fremder Völker als eine auch im zukünftigen Arbeitereuropa nötige<lb/>
Handlung hinstellt. Er bejaht also den Imperialismus &#x2014; von der wirtschaft¬<lb/>
lichen Seite aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1091" next="#ID_1092"> So besteht also heute wohl kaum noch ein Zweifel über die Richtigkeit<lb/>
der Behauptung, daß der kapitalistische Geist der äußere Antrieb des imperia¬<lb/>
listischen ist, wenn auch ein jeder, je nach seinen politischen oder wirtschaftlichen<lb/>
Anschauungen, auf verschiedenem Wege zu dieser Erkenntnis gelangt ist und<lb/>
verschiedene Folgerungen aus ihr zieht. Das Merkwürdige ist nur, daß eben<lb/>
Vertreter aller Parteien sich mit dieser Erklärung begnügen, obwohl sie<lb/>
eine rein materialistisch-ökonomische ist. Verständlich ist es bei den Vertretern<lb/>
der sozialistischen Richtung, denen der Materialismus die Grundlage ihres<lb/>
Denkens ist. Daß aber der, dem die Geschichte nicht lediglich das Ergebnis<lb/>
wirtschaftlicher Beweggründe ist, eine so gewaltige tiefgreifende Bewegung, wie<lb/>
den Imperialismus, nur auf kaptalistische Beweggründe zurückführt, ist erstaun¬<lb/>
lich. Und doch erblickt selbst ein Werk, wie das des Engländers Hobson, das<lb/>
sich mit der Theorie des Imperialismus befaßt"), in der imperialistischen Be¬<lb/>
wegung nichts anderes als eine solche, die von einem Kreise von ideell oder<lb/>
materiell Interessierten zu ihrem Vorteil ins Leben gerufen ist: ehrgeizige Poli¬<lb/>
tiker oder Soldaten, übereifrige Missionare, vor allem aber Großkapitalisten, Gro߬<lb/>
industrielle, Großrheder, die Presse, die die öffentliche Meinung zu ihren Privat¬<lb/>
zwecken mißbrauchen; oder um ein geschmackvolles, in der liberal-sozialistischen<lb/>
Presse beliebtes Schlagwort zu gebrauchen: Panzerplattenpatriotismus sei der<lb/>
Erreger des Imperialismus. Der Grundirrtum dieser Auffassung besteht darin,<lb/>
den Imperialismus als eine Mache zu betrachten, als eine oberflächliche Wallung.<lb/>
Dieser Irrtum ist um so unbegreiflicher, als schon die Beobachtung der Tages¬<lb/>
ereignisse lehrt, daß der Imperialismus alle Kreise der betreffenden Völker er¬<lb/>
griffen hat. Das tripolitanische Unternehmen Italiens, das dem Außenstehenden<lb/>
zuerst als Prestige- und Kapitalistenpolitik erscheinen mochte, entsprang dem ein¬<lb/>
mütiger Willen des ganzen Volkes, und ist unter nie erlahmender Begeisterung,<lb/>
der sich selbst die sozialistischen Abgeordneten anschließen mußten, zu Ende geführt<lb/>
worden. Die Vereinigten Staaten &#x2014; eine Republik! &#x2014; hätten nie eine äußere<lb/>
Politik treiben dürfen, wie sie sie in den letzten fünfzehn Jahren getrieben haben,<lb/>
wenn sie nicht von der .einmütiger Billigung des ganzen Volkes getragen<lb/>
worden wäre. Nie hätte das liberale englische Kabinett die imperialistische<lb/>
Politik des konservativen fortsetzen dürfen, wenn nicht der Imperialismus dem</p><lb/>
          <note xml:id="FID_55" place="foot"> *) Hobson, Jmperialism. London 190S.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0278] Grundlagen des Imperialismus der ökonomisch-historischen Richtung, führt ihn darauf zurück, daß er der — not¬ wendigen — Güterbeschaffung aus ausländischen Gegenden diene, die von irgend einem Volk besorgt werden müsse. Solange keine internationale Güterverteilungs- stelle bestünde, geschehe dieser Gütererwerb eben unter Kämpfen. Noch wichtiger ist, daß Schippel diese Notwendigkeit der auswärtigen Güterbeschaffung und Unterdrückung fremder Völker als eine auch im zukünftigen Arbeitereuropa nötige Handlung hinstellt. Er bejaht also den Imperialismus — von der wirtschaft¬ lichen Seite aus. So besteht also heute wohl kaum noch ein Zweifel über die Richtigkeit der Behauptung, daß der kapitalistische Geist der äußere Antrieb des imperia¬ listischen ist, wenn auch ein jeder, je nach seinen politischen oder wirtschaftlichen Anschauungen, auf verschiedenem Wege zu dieser Erkenntnis gelangt ist und verschiedene Folgerungen aus ihr zieht. Das Merkwürdige ist nur, daß eben Vertreter aller Parteien sich mit dieser Erklärung begnügen, obwohl sie eine rein materialistisch-ökonomische ist. Verständlich ist es bei den Vertretern der sozialistischen Richtung, denen der Materialismus die Grundlage ihres Denkens ist. Daß aber der, dem die Geschichte nicht lediglich das Ergebnis wirtschaftlicher Beweggründe ist, eine so gewaltige tiefgreifende Bewegung, wie den Imperialismus, nur auf kaptalistische Beweggründe zurückführt, ist erstaun¬ lich. Und doch erblickt selbst ein Werk, wie das des Engländers Hobson, das sich mit der Theorie des Imperialismus befaßt"), in der imperialistischen Be¬ wegung nichts anderes als eine solche, die von einem Kreise von ideell oder materiell Interessierten zu ihrem Vorteil ins Leben gerufen ist: ehrgeizige Poli¬ tiker oder Soldaten, übereifrige Missionare, vor allem aber Großkapitalisten, Gro߬ industrielle, Großrheder, die Presse, die die öffentliche Meinung zu ihren Privat¬ zwecken mißbrauchen; oder um ein geschmackvolles, in der liberal-sozialistischen Presse beliebtes Schlagwort zu gebrauchen: Panzerplattenpatriotismus sei der Erreger des Imperialismus. Der Grundirrtum dieser Auffassung besteht darin, den Imperialismus als eine Mache zu betrachten, als eine oberflächliche Wallung. Dieser Irrtum ist um so unbegreiflicher, als schon die Beobachtung der Tages¬ ereignisse lehrt, daß der Imperialismus alle Kreise der betreffenden Völker er¬ griffen hat. Das tripolitanische Unternehmen Italiens, das dem Außenstehenden zuerst als Prestige- und Kapitalistenpolitik erscheinen mochte, entsprang dem ein¬ mütiger Willen des ganzen Volkes, und ist unter nie erlahmender Begeisterung, der sich selbst die sozialistischen Abgeordneten anschließen mußten, zu Ende geführt worden. Die Vereinigten Staaten — eine Republik! — hätten nie eine äußere Politik treiben dürfen, wie sie sie in den letzten fünfzehn Jahren getrieben haben, wenn sie nicht von der .einmütiger Billigung des ganzen Volkes getragen worden wäre. Nie hätte das liberale englische Kabinett die imperialistische Politik des konservativen fortsetzen dürfen, wenn nicht der Imperialismus dem *) Hobson, Jmperialism. London 190S.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/278
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/278>, abgerufen am 22.12.2024.