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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Grundlagen eos Imperialismus

nationalistische Politik. Es ist eine bei Rußland um so merkwürdigere Er¬
scheinung, als hier in diesem unentwickelten Lande, das sich eben erst aus der
Agrarverfassung des Mittelalters herauszuschälen beginnt, die nach außen treibende
Kraft des entwickelten Kapitalismus fehlt. -- Ebensowenig vermag man Japan
die innere Notwendigkeit für eine imperialistische Zukunft zuzusprechen -- schwach
entwickelter Kapitalismus, große Landreseroen, denn kaum 40 Prozent des Bodens
sind in landwirtschaftlicher Kultur --, wenn auch hier der Wunsch, es auch in
dieser Beziehung den europäischen Großmächten gleichzutun und der Gedanke
an spätere Zukunft als innere Gründe für die Ausdehnung in der Mandschurei,
in Korea und China geltend gemacht werden mögen.

So ergibt sich aus diesem kurzen Überblick über die imperialistische Ent¬
wicklung in den einzelnen Ländern der Unterschied von dem englischen Imperia¬
lismus, oder wenigstens die Abweichungen: in England Imperialismus zur
Erreichung eines kulturellen Zieles, der Schaffung einer großen britischen Kultur¬
gemeinschaft, verbunden mit rein imperialistischen, kolonialen Neuerwerbungen;
in den anderen Ländern Ausdehnung um der Ausdehnung willen, ohne kulturelle
Absichten, allein zum Zweck des Machtzuwachses.

Gemeinsam aber ist England und den anderen Ländern -- ausgenommen
vielleicht Rußland -- der wichtigste äußere Antrieb zur imperialistischen Politik:
der Kapitalismus. Wie dieser kapitalistische Geist sich in England bildete und
welche Wirkungen er auf die äußere Politik hatte, ist im Anschluß an Schulze-
Gaevernitz ausgeführt worden. Mag nun auch diese kapitalistische Bewegung
in anderen Ländern -- entsprechend den verschiedenen Vorbedingungen -- sich
verschieden entwickelt haben, so wird nicht daran gezweifelt werden können, daß
der Kapitalismus in den imperialistischen Ländern die Grundlage der wirtschaft¬
lichen Anschauungen bildet und daß der Imperialismus sich in dem Maße stärker
und aktiver äußert, in dem der Kapitalismus ausgebildet ist; vor allem also
in den Vereinigten Staaten und England.

Wenn daher der Beweis für das Einanderbedingen von Kapitalismus
und Imperialismus auch nicht für alle Länder in so zwingender Weise geführt
werden kann wie für England, wo die Expansion der Industrialisierung und
Kapitalansammlung auf dem Fuße folgte, und wo ein so glänzender lebender
Beweis für ihre Verschmelzung erwuchs, wie Cecil Rhodes es war, so läßt er
sich immerhin aus der Betrachtung des Wirtschaftslebens der einzelnen Länder
in analoger Weise führen. Überall wird man den Gang der äußeren Ent¬
wicklung in großen Zügen so verlaufen sehen: Einführung von Schutzzöllen,
Entstehung einer starken Industrie, Hebung des allgemeinen Wohlstandes, wirt¬
schaftliche Erschließung fremder Länder, gefolgt von -- oder verbunden mit --'
politischer Beeinflussung. So besteht denn auch heute kaum noch ein Zweifel
über diesen Zusammenhang. Auch die Sozialdemokraten haben ihn mit der
feinen Witterung, die sie für ihnen abträgliche Bewegungen haben, erkannt.
Und sowohl die orthodoxe, wie die revisionistische Richtung macht sich die Er-


Grundlagen eos Imperialismus

nationalistische Politik. Es ist eine bei Rußland um so merkwürdigere Er¬
scheinung, als hier in diesem unentwickelten Lande, das sich eben erst aus der
Agrarverfassung des Mittelalters herauszuschälen beginnt, die nach außen treibende
Kraft des entwickelten Kapitalismus fehlt. — Ebensowenig vermag man Japan
die innere Notwendigkeit für eine imperialistische Zukunft zuzusprechen — schwach
entwickelter Kapitalismus, große Landreseroen, denn kaum 40 Prozent des Bodens
sind in landwirtschaftlicher Kultur —, wenn auch hier der Wunsch, es auch in
dieser Beziehung den europäischen Großmächten gleichzutun und der Gedanke
an spätere Zukunft als innere Gründe für die Ausdehnung in der Mandschurei,
in Korea und China geltend gemacht werden mögen.

So ergibt sich aus diesem kurzen Überblick über die imperialistische Ent¬
wicklung in den einzelnen Ländern der Unterschied von dem englischen Imperia¬
lismus, oder wenigstens die Abweichungen: in England Imperialismus zur
Erreichung eines kulturellen Zieles, der Schaffung einer großen britischen Kultur¬
gemeinschaft, verbunden mit rein imperialistischen, kolonialen Neuerwerbungen;
in den anderen Ländern Ausdehnung um der Ausdehnung willen, ohne kulturelle
Absichten, allein zum Zweck des Machtzuwachses.

Gemeinsam aber ist England und den anderen Ländern — ausgenommen
vielleicht Rußland — der wichtigste äußere Antrieb zur imperialistischen Politik:
der Kapitalismus. Wie dieser kapitalistische Geist sich in England bildete und
welche Wirkungen er auf die äußere Politik hatte, ist im Anschluß an Schulze-
Gaevernitz ausgeführt worden. Mag nun auch diese kapitalistische Bewegung
in anderen Ländern — entsprechend den verschiedenen Vorbedingungen — sich
verschieden entwickelt haben, so wird nicht daran gezweifelt werden können, daß
der Kapitalismus in den imperialistischen Ländern die Grundlage der wirtschaft¬
lichen Anschauungen bildet und daß der Imperialismus sich in dem Maße stärker
und aktiver äußert, in dem der Kapitalismus ausgebildet ist; vor allem also
in den Vereinigten Staaten und England.

Wenn daher der Beweis für das Einanderbedingen von Kapitalismus
und Imperialismus auch nicht für alle Länder in so zwingender Weise geführt
werden kann wie für England, wo die Expansion der Industrialisierung und
Kapitalansammlung auf dem Fuße folgte, und wo ein so glänzender lebender
Beweis für ihre Verschmelzung erwuchs, wie Cecil Rhodes es war, so läßt er
sich immerhin aus der Betrachtung des Wirtschaftslebens der einzelnen Länder
in analoger Weise führen. Überall wird man den Gang der äußeren Ent¬
wicklung in großen Zügen so verlaufen sehen: Einführung von Schutzzöllen,
Entstehung einer starken Industrie, Hebung des allgemeinen Wohlstandes, wirt¬
schaftliche Erschließung fremder Länder, gefolgt von — oder verbunden mit —'
politischer Beeinflussung. So besteht denn auch heute kaum noch ein Zweifel
über diesen Zusammenhang. Auch die Sozialdemokraten haben ihn mit der
feinen Witterung, die sie für ihnen abträgliche Bewegungen haben, erkannt.
Und sowohl die orthodoxe, wie die revisionistische Richtung macht sich die Er-


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[0276] Grundlagen eos Imperialismus nationalistische Politik. Es ist eine bei Rußland um so merkwürdigere Er¬ scheinung, als hier in diesem unentwickelten Lande, das sich eben erst aus der Agrarverfassung des Mittelalters herauszuschälen beginnt, die nach außen treibende Kraft des entwickelten Kapitalismus fehlt. — Ebensowenig vermag man Japan die innere Notwendigkeit für eine imperialistische Zukunft zuzusprechen — schwach entwickelter Kapitalismus, große Landreseroen, denn kaum 40 Prozent des Bodens sind in landwirtschaftlicher Kultur —, wenn auch hier der Wunsch, es auch in dieser Beziehung den europäischen Großmächten gleichzutun und der Gedanke an spätere Zukunft als innere Gründe für die Ausdehnung in der Mandschurei, in Korea und China geltend gemacht werden mögen. So ergibt sich aus diesem kurzen Überblick über die imperialistische Ent¬ wicklung in den einzelnen Ländern der Unterschied von dem englischen Imperia¬ lismus, oder wenigstens die Abweichungen: in England Imperialismus zur Erreichung eines kulturellen Zieles, der Schaffung einer großen britischen Kultur¬ gemeinschaft, verbunden mit rein imperialistischen, kolonialen Neuerwerbungen; in den anderen Ländern Ausdehnung um der Ausdehnung willen, ohne kulturelle Absichten, allein zum Zweck des Machtzuwachses. Gemeinsam aber ist England und den anderen Ländern — ausgenommen vielleicht Rußland — der wichtigste äußere Antrieb zur imperialistischen Politik: der Kapitalismus. Wie dieser kapitalistische Geist sich in England bildete und welche Wirkungen er auf die äußere Politik hatte, ist im Anschluß an Schulze- Gaevernitz ausgeführt worden. Mag nun auch diese kapitalistische Bewegung in anderen Ländern — entsprechend den verschiedenen Vorbedingungen — sich verschieden entwickelt haben, so wird nicht daran gezweifelt werden können, daß der Kapitalismus in den imperialistischen Ländern die Grundlage der wirtschaft¬ lichen Anschauungen bildet und daß der Imperialismus sich in dem Maße stärker und aktiver äußert, in dem der Kapitalismus ausgebildet ist; vor allem also in den Vereinigten Staaten und England. Wenn daher der Beweis für das Einanderbedingen von Kapitalismus und Imperialismus auch nicht für alle Länder in so zwingender Weise geführt werden kann wie für England, wo die Expansion der Industrialisierung und Kapitalansammlung auf dem Fuße folgte, und wo ein so glänzender lebender Beweis für ihre Verschmelzung erwuchs, wie Cecil Rhodes es war, so läßt er sich immerhin aus der Betrachtung des Wirtschaftslebens der einzelnen Länder in analoger Weise führen. Überall wird man den Gang der äußeren Ent¬ wicklung in großen Zügen so verlaufen sehen: Einführung von Schutzzöllen, Entstehung einer starken Industrie, Hebung des allgemeinen Wohlstandes, wirt¬ schaftliche Erschließung fremder Länder, gefolgt von — oder verbunden mit —' politischer Beeinflussung. So besteht denn auch heute kaum noch ein Zweifel über diesen Zusammenhang. Auch die Sozialdemokraten haben ihn mit der feinen Witterung, die sie für ihnen abträgliche Bewegungen haben, erkannt. Und sowohl die orthodoxe, wie die revisionistische Richtung macht sich die Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/276>, abgerufen am 28.07.2024.