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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Fürstliche Gegner Bismarcks

Zugleich mit dem königlichen Schreiben überbrachte Schleinitz einen Brief
des Kronprinzen von tief pessimistischen Inhalt.

Kronprinz Friedrich Wilhelm an Herzog Ernst den Zweiten").

Berlin, den 26. März 1866.


Mein lieber Onkel.

Bestens für Deinen Brief dankend, benutze ich gleichfalls Schleinitz, um
Dir, wenn auch nur allgemein gehalten, zu sagen, daß ich namenlose Pein in
diesen Tagen aufstehe.

Bruderkrieg ist das nämliche Wort, welches ich gebrauche, um aus-
zusprechen, wie ich Bismarcks Entschluß: den Krieg mit Österreich uns auf.
zuerlegen. ansehe. Noch stehen die Dinge wohl nicht zum Äußersten, bei
Bismarcks Talent aber, die Dinge also zu färben, wie er sie angesehen haben
will, muß ich befürchten, daß er dem König so zusetzen wird, daß wir wirklich
das Unerhörte erleben werden.

Der König ist entschieden nicht kriegslustig, vielmehr sich vollkommen der
ungeheueren Verantwortlichkeit bewußt, die er übernimmt, wenn er solch einen
Krieg beginnt. Aber er ist gereizt durch Österreichs Auftreten sowohl im
Holsteinschen wie auch in der Presse; diese zwei Punkte werden natürlich
geflissentlich und geschickt benutzt, um beständig neue Reizmittel abzugeben. Und
nun vollends in Böhmen und Galizien Truppenbewegungen stattfinden, wird
dieser Umstand erst recht Öl ins Feuer gießen. Bismarck ignoriert mich voll¬
ständig. Seit dem Herbstmanöver in Sachsen hat er für gut befunden, mir
bis heute faktisch nicht eine Silbe über die brennende Frage zukommen zu
lassen. Ich natürlich erwidere sein Benehmen, was mir wenigstens den Vorteil
gewährt, mich unbefangen äußern zu können. Ich erfahre mitunter durch den
König den augenblicklichen Stand der Dinge und spreche mit ihm offen. Sonst
erfahre ich nur das, was jeder auf der Straße vernehmen kann.

Unerklärlich bleibt mir Bismarcks Tollkühnheit, einen deutschen Krieg in
deutschen Landen gegen die Sympathie des engeren wie des weiteren Vaterlandes
zu unternehmen, zumal nichts in der Welt dem Kaiser Napoleon willkommener
sein kann, wie die sichere Aussicht, in Deutschland den Friedensstifter alsdann
spielen zu können.

Man stützt sich aber hier auf die günstige Lage des Augenblicks (?), auf
die noch einige Jahre vorwaltende Überlegenheit der preußischen gezogenen
Feuerwaffen und meint, Italien werde auch losgehen, wenn wir es tun.

Des Pudels Kern ist: Bismarck hat des Königs ursprüngliche absolu¬
tistische Gesinnung mit der Gegenwart in eine Scheinverträglichkeit zu bringen
verstanden, wobei er nebst seinen Ministerkollegen von Konflikt zu Konflikt mit
dem Lande sich tiefer in die Unhaltbarkeit seines Systems hineingeritten hat.



*) Tempeltey S. 23 ff. hat nur einen Auszug. Gerade charakteristische Stellen fehlen.
Fürstliche Gegner Bismarcks

Zugleich mit dem königlichen Schreiben überbrachte Schleinitz einen Brief
des Kronprinzen von tief pessimistischen Inhalt.

Kronprinz Friedrich Wilhelm an Herzog Ernst den Zweiten").

Berlin, den 26. März 1866.


Mein lieber Onkel.

Bestens für Deinen Brief dankend, benutze ich gleichfalls Schleinitz, um
Dir, wenn auch nur allgemein gehalten, zu sagen, daß ich namenlose Pein in
diesen Tagen aufstehe.

Bruderkrieg ist das nämliche Wort, welches ich gebrauche, um aus-
zusprechen, wie ich Bismarcks Entschluß: den Krieg mit Österreich uns auf.
zuerlegen. ansehe. Noch stehen die Dinge wohl nicht zum Äußersten, bei
Bismarcks Talent aber, die Dinge also zu färben, wie er sie angesehen haben
will, muß ich befürchten, daß er dem König so zusetzen wird, daß wir wirklich
das Unerhörte erleben werden.

Der König ist entschieden nicht kriegslustig, vielmehr sich vollkommen der
ungeheueren Verantwortlichkeit bewußt, die er übernimmt, wenn er solch einen
Krieg beginnt. Aber er ist gereizt durch Österreichs Auftreten sowohl im
Holsteinschen wie auch in der Presse; diese zwei Punkte werden natürlich
geflissentlich und geschickt benutzt, um beständig neue Reizmittel abzugeben. Und
nun vollends in Böhmen und Galizien Truppenbewegungen stattfinden, wird
dieser Umstand erst recht Öl ins Feuer gießen. Bismarck ignoriert mich voll¬
ständig. Seit dem Herbstmanöver in Sachsen hat er für gut befunden, mir
bis heute faktisch nicht eine Silbe über die brennende Frage zukommen zu
lassen. Ich natürlich erwidere sein Benehmen, was mir wenigstens den Vorteil
gewährt, mich unbefangen äußern zu können. Ich erfahre mitunter durch den
König den augenblicklichen Stand der Dinge und spreche mit ihm offen. Sonst
erfahre ich nur das, was jeder auf der Straße vernehmen kann.

Unerklärlich bleibt mir Bismarcks Tollkühnheit, einen deutschen Krieg in
deutschen Landen gegen die Sympathie des engeren wie des weiteren Vaterlandes
zu unternehmen, zumal nichts in der Welt dem Kaiser Napoleon willkommener
sein kann, wie die sichere Aussicht, in Deutschland den Friedensstifter alsdann
spielen zu können.

Man stützt sich aber hier auf die günstige Lage des Augenblicks (?), auf
die noch einige Jahre vorwaltende Überlegenheit der preußischen gezogenen
Feuerwaffen und meint, Italien werde auch losgehen, wenn wir es tun.

Des Pudels Kern ist: Bismarck hat des Königs ursprüngliche absolu¬
tistische Gesinnung mit der Gegenwart in eine Scheinverträglichkeit zu bringen
verstanden, wobei er nebst seinen Ministerkollegen von Konflikt zu Konflikt mit
dem Lande sich tiefer in die Unhaltbarkeit seines Systems hineingeritten hat.



*) Tempeltey S. 23 ff. hat nur einen Auszug. Gerade charakteristische Stellen fehlen.
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[0027] Fürstliche Gegner Bismarcks Zugleich mit dem königlichen Schreiben überbrachte Schleinitz einen Brief des Kronprinzen von tief pessimistischen Inhalt. Kronprinz Friedrich Wilhelm an Herzog Ernst den Zweiten"). Berlin, den 26. März 1866. Mein lieber Onkel. Bestens für Deinen Brief dankend, benutze ich gleichfalls Schleinitz, um Dir, wenn auch nur allgemein gehalten, zu sagen, daß ich namenlose Pein in diesen Tagen aufstehe. Bruderkrieg ist das nämliche Wort, welches ich gebrauche, um aus- zusprechen, wie ich Bismarcks Entschluß: den Krieg mit Österreich uns auf. zuerlegen. ansehe. Noch stehen die Dinge wohl nicht zum Äußersten, bei Bismarcks Talent aber, die Dinge also zu färben, wie er sie angesehen haben will, muß ich befürchten, daß er dem König so zusetzen wird, daß wir wirklich das Unerhörte erleben werden. Der König ist entschieden nicht kriegslustig, vielmehr sich vollkommen der ungeheueren Verantwortlichkeit bewußt, die er übernimmt, wenn er solch einen Krieg beginnt. Aber er ist gereizt durch Österreichs Auftreten sowohl im Holsteinschen wie auch in der Presse; diese zwei Punkte werden natürlich geflissentlich und geschickt benutzt, um beständig neue Reizmittel abzugeben. Und nun vollends in Böhmen und Galizien Truppenbewegungen stattfinden, wird dieser Umstand erst recht Öl ins Feuer gießen. Bismarck ignoriert mich voll¬ ständig. Seit dem Herbstmanöver in Sachsen hat er für gut befunden, mir bis heute faktisch nicht eine Silbe über die brennende Frage zukommen zu lassen. Ich natürlich erwidere sein Benehmen, was mir wenigstens den Vorteil gewährt, mich unbefangen äußern zu können. Ich erfahre mitunter durch den König den augenblicklichen Stand der Dinge und spreche mit ihm offen. Sonst erfahre ich nur das, was jeder auf der Straße vernehmen kann. Unerklärlich bleibt mir Bismarcks Tollkühnheit, einen deutschen Krieg in deutschen Landen gegen die Sympathie des engeren wie des weiteren Vaterlandes zu unternehmen, zumal nichts in der Welt dem Kaiser Napoleon willkommener sein kann, wie die sichere Aussicht, in Deutschland den Friedensstifter alsdann spielen zu können. Man stützt sich aber hier auf die günstige Lage des Augenblicks (?), auf die noch einige Jahre vorwaltende Überlegenheit der preußischen gezogenen Feuerwaffen und meint, Italien werde auch losgehen, wenn wir es tun. Des Pudels Kern ist: Bismarck hat des Königs ursprüngliche absolu¬ tistische Gesinnung mit der Gegenwart in eine Scheinverträglichkeit zu bringen verstanden, wobei er nebst seinen Ministerkollegen von Konflikt zu Konflikt mit dem Lande sich tiefer in die Unhaltbarkeit seines Systems hineingeritten hat. *) Tempeltey S. 23 ff. hat nur einen Auszug. Gerade charakteristische Stellen fehlen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/27>, abgerufen am 27.07.2024.