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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

lagen der modernen Kriegsführung, Aus¬
rüstung und Technik; das zweite Kommando-
und Marschtechnik, Offensive und Defensive;
das dritte Strategik und Taktik zu Land und
zur See. Er bemerkt nebenbei, daß in der
Taktik die Ansichten der beiden Armeeleitungen
am wenigsten auseinandergingen, nur sei das
deutsche Heer mehr vom Geist der Offensive
beherrscht.

Wie Frankreich sich gegenüber dieser Offen¬
sive zu verhalten habe, wollte ein kürzlich
verstorbener militärischer Schriftsteller seinen
Landsleuten klarmachen: Lliarlss Alat", der
die Formel Prägte, Frankreich müsse die
fehlende Quantität durch die Qualität seiner
Soldaten ersetzen. Seine während des Früh¬
jahrs 1911 im Journal des Döbats er¬
schienenen Aufsätze hat Henri Welschinger zu
einem Buch vereinigt und mit einer Vorrede
versehen: "I^a proclame liuerre" (ebendort
1912). Aus dein Studium des Krieges 1870/71
hat er die Überzeugung gewonnen, daß da¬
mals der Zufall die Vorsehung der Deutschen
war, und das hat ihm neue Hoffnung für
die Zukunft gegeben. Auf Grund mehrerer
Hypothesen (Italien wird dein Dreibund un¬
treu und greift Osterreich an, oder Italien
zögert und Osterreich wird von Rußland fest¬
gehalten; England und Rußland beenden ihre
Mobilisätion erst drei Wochen nach der Kriegs¬
erklärung) löst er Deutschland und Frankreich
aus dem Bündnisverhältnis und stellt sie
allein einander gegenüber. Schickt Frankreich
alle seine verfügbaren Armeekorps an die
Grenze, so wären nach Berechnungen des Ver¬
fassers, der die Festungstruppen von Epinal,
Toul und Verdun mit einbezieht, die Kräfte
auf beiden Seiten gleich. Malo geht dann
ausführlich auf die Möglichkeiten der Defen¬
sive ein, die nach einigen zwanzig Tagen beim
thatkräftigen Eingreifen Rußlands und Eng¬
lands durch die Offensive abgelöst werden kann.

Auch über die militärischen Kreise hinaus
hat der "coup ä'^Zactir" eine nachhaltende
Wirkung, einen nervösen Patriotismus in ganz
Frankreich erzeugt. Etienne Rey nennt diese

[Spaltenumbruch]

Stimmung in einer kürzlich erschienenen Bro¬
schüre "Ils Kensigsanco "Zo I'orxueil iran-
s"is" (Paris, Bernard Grasset, 1913). Er
will damit zum Ausdruck bringen, daß das
Plötzliche "Erwachen des französischen Stolzes"
und das Vertrauen auf eine günstige kriege¬
rische Aktion das natürliche Ergebnis des
langsamen Erstarkens nach dem letzten Kriege
sind. Was er als stolzfördernde Friedens¬
arbeit anführt, ist nicht alles gerechtfertigt;
jedenfalls wird man ihm zugestehen, daß die
kolonialen Eroberungen, das Bündnis mit
Rußland, die sportliche Erziehung der Jugend,
die Erfolge in der Aviatik und die energische
Propaganda der Action Francnise zur Kriegs¬
begeisterung mit beigetragen haben, die En¬
tente cordiale hat der Verfasser Wohl absicht¬
lich unerwähnt gelassen. Aber wo er auf das
Wesen der Begeisterung eingeht, scheint er mir
zweierlei zu verwechseln: den nervösen Pa¬
triotismus, hervorgerufen durch den coup
et'^Zsclir und verstärkt durch die letzte Volks¬
zählung, und eine allgemeine geistige Vor¬
wärtsbewegung, die auf eine Umwandlung
der Anschauungen hindrängt. Der Verfasser
leitet uns durch seine zahlreichen Widersprüche
selbst auf den richtigen Weg; er behauptet,
"das Nationalbewußtsein sei erstarkt mit dem
wachsenden Vertrauen zur republikanischen
Regierung" und dann muß er von der Ju¬
gend bekennen, daß "die demokratische Idee
sie nicht entflamme noch sie beeinflusse". "Nie¬
mals," sagt er auch um einer anderen Stelle,
"ist die Literatur so wenig national gewesen."
Die geistigen Führer des heutigen Frankreich
haben ein Ziel, das weit innerlicher ist als
lärmender Chauvinismus: sie "vollen das Land
von der demokratischen Fessel, dem Majoritäts¬
fanatismus und der leeren Formel befreien.
Das ist ein mutiger Schritt aufwärts, eine
Art Renaissance, in der Frankreich verlorene
Lebenskräfte wiedererwerben kann. Aber
zwischen dieser Renaissance und dein Zapfen¬
streich und Panacherummel bildet nur die
Gleichzeitigkeit eine äußerliche Verbindung.

Dr. Fritz Roepke [Ende Spaltensatz]


Nachdruck sämtlicher Anfsiihc nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet.
Her-uttworllich: der Herausgeber George Cleinow in Berlin-Schöneberg. -- Manuslriptsendnngen und Buche
werden erbeten unter der Adresse: An den Herausgeber der Grenzliotcn in Berlin - Frieden"", Hcdlvigstr.
F-rusprech-r der Schristlciwng: Amt Uhland 86M, des Verlags: Amt Liiyow S510.
Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H. in Berlin SV. 11.
Truck: "Der Reichsbote" G. in. b. H. in Berlin SW. II. D-ssaner Strafe "K/37.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

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lagen der modernen Kriegsführung, Aus¬
rüstung und Technik; das zweite Kommando-
und Marschtechnik, Offensive und Defensive;
das dritte Strategik und Taktik zu Land und
zur See. Er bemerkt nebenbei, daß in der
Taktik die Ansichten der beiden Armeeleitungen
am wenigsten auseinandergingen, nur sei das
deutsche Heer mehr vom Geist der Offensive
beherrscht.

Wie Frankreich sich gegenüber dieser Offen¬
sive zu verhalten habe, wollte ein kürzlich
verstorbener militärischer Schriftsteller seinen
Landsleuten klarmachen: Lliarlss Alat», der
die Formel Prägte, Frankreich müsse die
fehlende Quantität durch die Qualität seiner
Soldaten ersetzen. Seine während des Früh¬
jahrs 1911 im Journal des Döbats er¬
schienenen Aufsätze hat Henri Welschinger zu
einem Buch vereinigt und mit einer Vorrede
versehen: „I^a proclame liuerre" (ebendort
1912). Aus dein Studium des Krieges 1870/71
hat er die Überzeugung gewonnen, daß da¬
mals der Zufall die Vorsehung der Deutschen
war, und das hat ihm neue Hoffnung für
die Zukunft gegeben. Auf Grund mehrerer
Hypothesen (Italien wird dein Dreibund un¬
treu und greift Osterreich an, oder Italien
zögert und Osterreich wird von Rußland fest¬
gehalten; England und Rußland beenden ihre
Mobilisätion erst drei Wochen nach der Kriegs¬
erklärung) löst er Deutschland und Frankreich
aus dem Bündnisverhältnis und stellt sie
allein einander gegenüber. Schickt Frankreich
alle seine verfügbaren Armeekorps an die
Grenze, so wären nach Berechnungen des Ver¬
fassers, der die Festungstruppen von Epinal,
Toul und Verdun mit einbezieht, die Kräfte
auf beiden Seiten gleich. Malo geht dann
ausführlich auf die Möglichkeiten der Defen¬
sive ein, die nach einigen zwanzig Tagen beim
thatkräftigen Eingreifen Rußlands und Eng¬
lands durch die Offensive abgelöst werden kann.

Auch über die militärischen Kreise hinaus
hat der „coup ä'^Zactir" eine nachhaltende
Wirkung, einen nervösen Patriotismus in ganz
Frankreich erzeugt. Etienne Rey nennt diese

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Stimmung in einer kürzlich erschienenen Bro¬
schüre „Ils Kensigsanco «Zo I'orxueil iran-
s»is" (Paris, Bernard Grasset, 1913). Er
will damit zum Ausdruck bringen, daß das
Plötzliche „Erwachen des französischen Stolzes"
und das Vertrauen auf eine günstige kriege¬
rische Aktion das natürliche Ergebnis des
langsamen Erstarkens nach dem letzten Kriege
sind. Was er als stolzfördernde Friedens¬
arbeit anführt, ist nicht alles gerechtfertigt;
jedenfalls wird man ihm zugestehen, daß die
kolonialen Eroberungen, das Bündnis mit
Rußland, die sportliche Erziehung der Jugend,
die Erfolge in der Aviatik und die energische
Propaganda der Action Francnise zur Kriegs¬
begeisterung mit beigetragen haben, die En¬
tente cordiale hat der Verfasser Wohl absicht¬
lich unerwähnt gelassen. Aber wo er auf das
Wesen der Begeisterung eingeht, scheint er mir
zweierlei zu verwechseln: den nervösen Pa¬
triotismus, hervorgerufen durch den coup
et'^Zsclir und verstärkt durch die letzte Volks¬
zählung, und eine allgemeine geistige Vor¬
wärtsbewegung, die auf eine Umwandlung
der Anschauungen hindrängt. Der Verfasser
leitet uns durch seine zahlreichen Widersprüche
selbst auf den richtigen Weg; er behauptet,
„das Nationalbewußtsein sei erstarkt mit dem
wachsenden Vertrauen zur republikanischen
Regierung" und dann muß er von der Ju¬
gend bekennen, daß „die demokratische Idee
sie nicht entflamme noch sie beeinflusse". „Nie¬
mals," sagt er auch um einer anderen Stelle,
„ist die Literatur so wenig national gewesen."
Die geistigen Führer des heutigen Frankreich
haben ein Ziel, das weit innerlicher ist als
lärmender Chauvinismus: sie »vollen das Land
von der demokratischen Fessel, dem Majoritäts¬
fanatismus und der leeren Formel befreien.
Das ist ein mutiger Schritt aufwärts, eine
Art Renaissance, in der Frankreich verlorene
Lebenskräfte wiedererwerben kann. Aber
zwischen dieser Renaissance und dein Zapfen¬
streich und Panacherummel bildet nur die
Gleichzeitigkeit eine äußerliche Verbindung.

Dr. Fritz Roepke [Ende Spaltensatz]


Nachdruck sämtlicher Anfsiihc nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet.
Her-uttworllich: der Herausgeber George Cleinow in Berlin-Schöneberg. — Manuslriptsendnngen und Buche
werden erbeten unter der Adresse: An den Herausgeber der Grenzliotcn in Berlin - Frieden«», Hcdlvigstr.
F-rusprech-r der Schristlciwng: Amt Uhland 86M, des Verlags: Amt Liiyow S510.
Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H. in Berlin SV. 11.
Truck: „Der Reichsbote" G. in. b. H. in Berlin SW. II. D-ssaner Strafe »K/37.
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[0260] Maßgebliches und Unmaßgebliches lagen der modernen Kriegsführung, Aus¬ rüstung und Technik; das zweite Kommando- und Marschtechnik, Offensive und Defensive; das dritte Strategik und Taktik zu Land und zur See. Er bemerkt nebenbei, daß in der Taktik die Ansichten der beiden Armeeleitungen am wenigsten auseinandergingen, nur sei das deutsche Heer mehr vom Geist der Offensive beherrscht. Wie Frankreich sich gegenüber dieser Offen¬ sive zu verhalten habe, wollte ein kürzlich verstorbener militärischer Schriftsteller seinen Landsleuten klarmachen: Lliarlss Alat», der die Formel Prägte, Frankreich müsse die fehlende Quantität durch die Qualität seiner Soldaten ersetzen. Seine während des Früh¬ jahrs 1911 im Journal des Döbats er¬ schienenen Aufsätze hat Henri Welschinger zu einem Buch vereinigt und mit einer Vorrede versehen: „I^a proclame liuerre" (ebendort 1912). Aus dein Studium des Krieges 1870/71 hat er die Überzeugung gewonnen, daß da¬ mals der Zufall die Vorsehung der Deutschen war, und das hat ihm neue Hoffnung für die Zukunft gegeben. Auf Grund mehrerer Hypothesen (Italien wird dein Dreibund un¬ treu und greift Osterreich an, oder Italien zögert und Osterreich wird von Rußland fest¬ gehalten; England und Rußland beenden ihre Mobilisätion erst drei Wochen nach der Kriegs¬ erklärung) löst er Deutschland und Frankreich aus dem Bündnisverhältnis und stellt sie allein einander gegenüber. Schickt Frankreich alle seine verfügbaren Armeekorps an die Grenze, so wären nach Berechnungen des Ver¬ fassers, der die Festungstruppen von Epinal, Toul und Verdun mit einbezieht, die Kräfte auf beiden Seiten gleich. Malo geht dann ausführlich auf die Möglichkeiten der Defen¬ sive ein, die nach einigen zwanzig Tagen beim thatkräftigen Eingreifen Rußlands und Eng¬ lands durch die Offensive abgelöst werden kann. Auch über die militärischen Kreise hinaus hat der „coup ä'^Zactir" eine nachhaltende Wirkung, einen nervösen Patriotismus in ganz Frankreich erzeugt. Etienne Rey nennt diese Stimmung in einer kürzlich erschienenen Bro¬ schüre „Ils Kensigsanco «Zo I'orxueil iran- s»is" (Paris, Bernard Grasset, 1913). Er will damit zum Ausdruck bringen, daß das Plötzliche „Erwachen des französischen Stolzes" und das Vertrauen auf eine günstige kriege¬ rische Aktion das natürliche Ergebnis des langsamen Erstarkens nach dem letzten Kriege sind. Was er als stolzfördernde Friedens¬ arbeit anführt, ist nicht alles gerechtfertigt; jedenfalls wird man ihm zugestehen, daß die kolonialen Eroberungen, das Bündnis mit Rußland, die sportliche Erziehung der Jugend, die Erfolge in der Aviatik und die energische Propaganda der Action Francnise zur Kriegs¬ begeisterung mit beigetragen haben, die En¬ tente cordiale hat der Verfasser Wohl absicht¬ lich unerwähnt gelassen. Aber wo er auf das Wesen der Begeisterung eingeht, scheint er mir zweierlei zu verwechseln: den nervösen Pa¬ triotismus, hervorgerufen durch den coup et'^Zsclir und verstärkt durch die letzte Volks¬ zählung, und eine allgemeine geistige Vor¬ wärtsbewegung, die auf eine Umwandlung der Anschauungen hindrängt. Der Verfasser leitet uns durch seine zahlreichen Widersprüche selbst auf den richtigen Weg; er behauptet, „das Nationalbewußtsein sei erstarkt mit dem wachsenden Vertrauen zur republikanischen Regierung" und dann muß er von der Ju¬ gend bekennen, daß „die demokratische Idee sie nicht entflamme noch sie beeinflusse". „Nie¬ mals," sagt er auch um einer anderen Stelle, „ist die Literatur so wenig national gewesen." Die geistigen Führer des heutigen Frankreich haben ein Ziel, das weit innerlicher ist als lärmender Chauvinismus: sie »vollen das Land von der demokratischen Fessel, dem Majoritäts¬ fanatismus und der leeren Formel befreien. Das ist ein mutiger Schritt aufwärts, eine Art Renaissance, in der Frankreich verlorene Lebenskräfte wiedererwerben kann. Aber zwischen dieser Renaissance und dein Zapfen¬ streich und Panacherummel bildet nur die Gleichzeitigkeit eine äußerliche Verbindung. Dr. Fritz Roepke Nachdruck sämtlicher Anfsiihc nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlags gestattet. Her-uttworllich: der Herausgeber George Cleinow in Berlin-Schöneberg. — Manuslriptsendnngen und Buche werden erbeten unter der Adresse: An den Herausgeber der Grenzliotcn in Berlin - Frieden«», Hcdlvigstr. F-rusprech-r der Schristlciwng: Amt Uhland 86M, des Verlags: Amt Liiyow S510. Verlag: Verlag der Grenzboten G. in. b. H. in Berlin SV. 11. Truck: „Der Reichsbote" G. in. b. H. in Berlin SW. II. D-ssaner Strafe »K/37.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/260>, abgerufen am 30.12.2024.