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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der vorsichtige Freier
Karl Federn Novelle von

Wis Giulio Avinelli den Zug der Flamländer und seiner Lands¬
leute an der Cleveschen Grenze verlassen hatte, ritt er trotz
mancher Warnung allem weiter. Nicht daß er so furchtlos ge¬
wesen wäre: der Vorsatz war zu mächtig in ihm und die Gründe
zu triftig; sein Diener aber war in Arnheim krank zurückgeblieben
und im Zuge war kein Mann entbehrlich. Während er in dem einsamen Tal
dem Flusse folgte, dachte er der Worte seines Vaters, preßte wohl die Hand
auf den Leib, wo er im Futter seines grauen rotgeschlitzten Reisewamses aus
geringem Tuch und Leder den Schuldschein verborgen hatte, oder seine Gedanken
flogen voraus und stellten sich den Empfang bei dem alten Murlacher vor:
das Töchterchen mußte wohl schon groß und mannbar sein.

Er war etwa zwei Stunden geritten und hatte kein Haus und keinen
Menschen gesehen, immer nur das Grün des Bodens und der Bäume, als ihn,
da er gerade durch eine Senkung kam, eine leichte Unruhe seines Pferdes sich
umzublicken bewog. Zu seiner Linken saß halb im Busch ein Mann in schlechter
Kleidung auf der Erde, der Brot schnitt. Das Gesicht, um das ein rauher
schwarzer Bart stand, sah nicht ohne Besorgnis nach dem Reiter, der die Hand
aus eine der großen Pistolen in der Satteltasche gelegt, herankam und dessen
Worte er nicht verstand. Aber er hatte wohl nicht viel zu verlieren und begriff
auch, daß er nur um den Weg gefragt wurde; und wie schlecht Avinelli den
Namen des schweizerischen Obersten aussprach, der Mann wies deutlich nach
Osten; doch schüttelte er den Kopf dazu und machte sonderbar heftige Geberden,
die der Italiener so wenig wie einer des andern Worte verstand.

Die Sonne begann sich zu neigen, als Avinelli in der Ferne Gebäude zu
sehen glaubte; er trieb sein Pferd zu rascherem Trabe an und hielt es plötzlich
zurück: er sah leere Fensterhöhlen, rauchgeschwärzte Mauern. Das Pferd
schnoberte den Brandgeruch und drängte fort; jenseits eines kleinen gelben Hügels,
der scharf an die Straße trat, die eine Biegung um ihn machte, war ein Schloß
gewesen: ein torloser Hof öffnete sich; halbe Mauern standen, aus geöffneten
ausgebrannten Zimmern mit geschwärzten Kalkwänden stieg der Rauch noch empor.
Ein Mensch war nirgends zu sehen, nicht einmal ein verlaufener Hund bellte.

Beklommen hielt er sein Pferd an und sah nach der Sonne: den ganzen
Weg zurück und den anderen nachjagen schien das klügste. Aber die Bewohner
konnten geflohen sein. Mit neugierigem Grauen zog er das Pferd in den leeren




Der vorsichtige Freier
Karl Federn Novelle von

Wis Giulio Avinelli den Zug der Flamländer und seiner Lands¬
leute an der Cleveschen Grenze verlassen hatte, ritt er trotz
mancher Warnung allem weiter. Nicht daß er so furchtlos ge¬
wesen wäre: der Vorsatz war zu mächtig in ihm und die Gründe
zu triftig; sein Diener aber war in Arnheim krank zurückgeblieben
und im Zuge war kein Mann entbehrlich. Während er in dem einsamen Tal
dem Flusse folgte, dachte er der Worte seines Vaters, preßte wohl die Hand
auf den Leib, wo er im Futter seines grauen rotgeschlitzten Reisewamses aus
geringem Tuch und Leder den Schuldschein verborgen hatte, oder seine Gedanken
flogen voraus und stellten sich den Empfang bei dem alten Murlacher vor:
das Töchterchen mußte wohl schon groß und mannbar sein.

Er war etwa zwei Stunden geritten und hatte kein Haus und keinen
Menschen gesehen, immer nur das Grün des Bodens und der Bäume, als ihn,
da er gerade durch eine Senkung kam, eine leichte Unruhe seines Pferdes sich
umzublicken bewog. Zu seiner Linken saß halb im Busch ein Mann in schlechter
Kleidung auf der Erde, der Brot schnitt. Das Gesicht, um das ein rauher
schwarzer Bart stand, sah nicht ohne Besorgnis nach dem Reiter, der die Hand
aus eine der großen Pistolen in der Satteltasche gelegt, herankam und dessen
Worte er nicht verstand. Aber er hatte wohl nicht viel zu verlieren und begriff
auch, daß er nur um den Weg gefragt wurde; und wie schlecht Avinelli den
Namen des schweizerischen Obersten aussprach, der Mann wies deutlich nach
Osten; doch schüttelte er den Kopf dazu und machte sonderbar heftige Geberden,
die der Italiener so wenig wie einer des andern Worte verstand.

Die Sonne begann sich zu neigen, als Avinelli in der Ferne Gebäude zu
sehen glaubte; er trieb sein Pferd zu rascherem Trabe an und hielt es plötzlich
zurück: er sah leere Fensterhöhlen, rauchgeschwärzte Mauern. Das Pferd
schnoberte den Brandgeruch und drängte fort; jenseits eines kleinen gelben Hügels,
der scharf an die Straße trat, die eine Biegung um ihn machte, war ein Schloß
gewesen: ein torloser Hof öffnete sich; halbe Mauern standen, aus geöffneten
ausgebrannten Zimmern mit geschwärzten Kalkwänden stieg der Rauch noch empor.
Ein Mensch war nirgends zu sehen, nicht einmal ein verlaufener Hund bellte.

Beklommen hielt er sein Pferd an und sah nach der Sonne: den ganzen
Weg zurück und den anderen nachjagen schien das klügste. Aber die Bewohner
konnten geflohen sein. Mit neugierigem Grauen zog er das Pferd in den leeren


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[0239] [Abbildung] Der vorsichtige Freier Karl Federn Novelle von Wis Giulio Avinelli den Zug der Flamländer und seiner Lands¬ leute an der Cleveschen Grenze verlassen hatte, ritt er trotz mancher Warnung allem weiter. Nicht daß er so furchtlos ge¬ wesen wäre: der Vorsatz war zu mächtig in ihm und die Gründe zu triftig; sein Diener aber war in Arnheim krank zurückgeblieben und im Zuge war kein Mann entbehrlich. Während er in dem einsamen Tal dem Flusse folgte, dachte er der Worte seines Vaters, preßte wohl die Hand auf den Leib, wo er im Futter seines grauen rotgeschlitzten Reisewamses aus geringem Tuch und Leder den Schuldschein verborgen hatte, oder seine Gedanken flogen voraus und stellten sich den Empfang bei dem alten Murlacher vor: das Töchterchen mußte wohl schon groß und mannbar sein. Er war etwa zwei Stunden geritten und hatte kein Haus und keinen Menschen gesehen, immer nur das Grün des Bodens und der Bäume, als ihn, da er gerade durch eine Senkung kam, eine leichte Unruhe seines Pferdes sich umzublicken bewog. Zu seiner Linken saß halb im Busch ein Mann in schlechter Kleidung auf der Erde, der Brot schnitt. Das Gesicht, um das ein rauher schwarzer Bart stand, sah nicht ohne Besorgnis nach dem Reiter, der die Hand aus eine der großen Pistolen in der Satteltasche gelegt, herankam und dessen Worte er nicht verstand. Aber er hatte wohl nicht viel zu verlieren und begriff auch, daß er nur um den Weg gefragt wurde; und wie schlecht Avinelli den Namen des schweizerischen Obersten aussprach, der Mann wies deutlich nach Osten; doch schüttelte er den Kopf dazu und machte sonderbar heftige Geberden, die der Italiener so wenig wie einer des andern Worte verstand. Die Sonne begann sich zu neigen, als Avinelli in der Ferne Gebäude zu sehen glaubte; er trieb sein Pferd zu rascherem Trabe an und hielt es plötzlich zurück: er sah leere Fensterhöhlen, rauchgeschwärzte Mauern. Das Pferd schnoberte den Brandgeruch und drängte fort; jenseits eines kleinen gelben Hügels, der scharf an die Straße trat, die eine Biegung um ihn machte, war ein Schloß gewesen: ein torloser Hof öffnete sich; halbe Mauern standen, aus geöffneten ausgebrannten Zimmern mit geschwärzten Kalkwänden stieg der Rauch noch empor. Ein Mensch war nirgends zu sehen, nicht einmal ein verlaufener Hund bellte. Beklommen hielt er sein Pferd an und sah nach der Sonne: den ganzen Weg zurück und den anderen nachjagen schien das klügste. Aber die Bewohner konnten geflohen sein. Mit neugierigem Grauen zog er das Pferd in den leeren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/239>, abgerufen am 30.12.2024.