Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.Richard Wagners parsifal nicht viel sagen, während der leidende Gott am Kreuze, das .Haupt voll Blut und Grenzboten II 191S 15
Richard Wagners parsifal nicht viel sagen, während der leidende Gott am Kreuze, das .Haupt voll Blut und Grenzboten II 191S 15
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325749"/> <fw type="header" place="top"> Richard Wagners parsifal</fw><lb/> <p xml:id="ID_916" prev="#ID_915" next="#ID_917"> nicht viel sagen, während der leidende Gott am Kreuze, das .Haupt voll Blut und<lb/> Wunden', selbst in der rohesten künstlerischen Wiedergebung, noch jederzeit uns mit<lb/> schwärmerischer Regung erfüllt." Daß es Gott ist, der leidet, ist für Wagner<lb/> das kleinere Wunder, wenn das größere, die Verneinung des Willens, als<lb/> Tatsache besteht (S. 214 a. a. O.). „Das größte Wunder ist für den natür¬<lb/> lichen Menschen jedenfalls diese Umkehr des Willens." „Das, was diese Um¬<lb/> kehr bewirkt hat, muß notwendig weit über die Natur erhaben und von über¬<lb/> menschlicher Gewalt sein, da die Vereinigung mit ihm als das einzig Ersehnte<lb/> und zu Erstrebende gilt. Dieses andere nannte Jesus seinen Armen das<lb/> „Reich Gottes", im Gegensatze zu „dem Reiche der Welt". Also ist auch „das<lb/> Reich Gottes" das „einzig zu Erstrebende", der Zustand des aufgehobenen, um¬<lb/> gekehrten Willens. In Jesus „offenbart" sich die Verneinung der Welt als<lb/> ein um der Erlösung willen vorbildlich geopfertes Leben. Der Heiland erlöst<lb/> die Welt durch „Mit—leiden" (eb. S. 216), er hat den Willen „schon vor<lb/> seiner Geburt vollständig gebrochen," so daß nicht der Wille zum Leben, wie<lb/> oben geschildert, ihn gezeugt haben kann, sondern er unbefleckt empfangen sein<lb/> muß. Der Wille zum Leben hat gar keinen Teil an ihm (S. 216/217). So<lb/> erlöst Jesus die Welt vom Willen, erlöst den Willen selbst — wir stehen wieder<lb/> auf bekanntem Boden. — Doch die Erlösung hat der Menschheit nicht viel<lb/> geholfen. Jesu „Offenbarung" ist nicht rein geblieben. Es würde zu weit<lb/> führen, wollte ich auf die Gründe eingehen, die Wagner hierfür angibt. Nur<lb/> die allgemeine Tatsache möge er selbst ausführen (eb. S. 230): „Unter den<lb/> Ärmsten und von der Welt Abgelegensten erschien der Heiland, den Weg der<lb/> Erlösung nicht mehr durch Lehren, sondern durch das Beispiel zu weisen: sein<lb/> eigenes Blut und Fleisch gab er als letztes höchstes Sühneopfer für alles sünd¬<lb/> haft vergossene Blut und geschlachtete Fleisch dahin, und reichte dafür seinen<lb/> Jüngern Wein und Brot zum täglichen Mahle — .solches allein genießet zu<lb/> meinem Andenken/" Dieses das einzige Heiland des christlichen Glaubens: mit<lb/> seiner Pflege ist alle Lehre des Erlösers ausgeübt. Wie mit angstvoller Ge¬<lb/> wissensqual (Amfortas!) verfolgt diese Lehre die christliche Kirche (Gegensatz: das<lb/> Heidenland Klinqsors!), ohne daß diese sie je in ihrer Reinheit zur Befolgung<lb/> bringen könnte, trotzdem sie, sehr ernstlich erwogen, den allgemein faßlichen<lb/> Kern des Christentums bilden sollte. Sie wurde zu einer symbolischen Aktion,<lb/> von Priestern ausgeübt, umgewandelt, während ihr eigentlicher Sinn sich nur<lb/> in den zeitweilig verordneten Fasten ausspricht ..." So hat denn nach Wagners<lb/> Auffassung (auf seinen Vegetarianismus einzugehn, ist hier kein Raum) die Mensch¬<lb/> heit, die Kirche, den Sinn der Heilstat Jesu nicht verstanden. Jesu Leiden und<lb/> Blut ist da. Das von ihm eingesetzte Mahl — Wein und Brot — wird genossen,<lb/> doch wird die Absicht der Einsetzung nicht verstanden — Erlösung bringt es nicht.<lb/> Wohl spendet der Gral Wein und Brot, wohl erglüht in ihm des Heilands<lb/> Blut, doch stumpf stehen davor Amsortas und seine Ritter. Amfortas ist sogar<lb/> sündhaft, er hat das Leben bejaht, die von Jesu bewirkte „Umkehr des</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 191S 15</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0229]
Richard Wagners parsifal
nicht viel sagen, während der leidende Gott am Kreuze, das .Haupt voll Blut und
Wunden', selbst in der rohesten künstlerischen Wiedergebung, noch jederzeit uns mit
schwärmerischer Regung erfüllt." Daß es Gott ist, der leidet, ist für Wagner
das kleinere Wunder, wenn das größere, die Verneinung des Willens, als
Tatsache besteht (S. 214 a. a. O.). „Das größte Wunder ist für den natür¬
lichen Menschen jedenfalls diese Umkehr des Willens." „Das, was diese Um¬
kehr bewirkt hat, muß notwendig weit über die Natur erhaben und von über¬
menschlicher Gewalt sein, da die Vereinigung mit ihm als das einzig Ersehnte
und zu Erstrebende gilt. Dieses andere nannte Jesus seinen Armen das
„Reich Gottes", im Gegensatze zu „dem Reiche der Welt". Also ist auch „das
Reich Gottes" das „einzig zu Erstrebende", der Zustand des aufgehobenen, um¬
gekehrten Willens. In Jesus „offenbart" sich die Verneinung der Welt als
ein um der Erlösung willen vorbildlich geopfertes Leben. Der Heiland erlöst
die Welt durch „Mit—leiden" (eb. S. 216), er hat den Willen „schon vor
seiner Geburt vollständig gebrochen," so daß nicht der Wille zum Leben, wie
oben geschildert, ihn gezeugt haben kann, sondern er unbefleckt empfangen sein
muß. Der Wille zum Leben hat gar keinen Teil an ihm (S. 216/217). So
erlöst Jesus die Welt vom Willen, erlöst den Willen selbst — wir stehen wieder
auf bekanntem Boden. — Doch die Erlösung hat der Menschheit nicht viel
geholfen. Jesu „Offenbarung" ist nicht rein geblieben. Es würde zu weit
führen, wollte ich auf die Gründe eingehen, die Wagner hierfür angibt. Nur
die allgemeine Tatsache möge er selbst ausführen (eb. S. 230): „Unter den
Ärmsten und von der Welt Abgelegensten erschien der Heiland, den Weg der
Erlösung nicht mehr durch Lehren, sondern durch das Beispiel zu weisen: sein
eigenes Blut und Fleisch gab er als letztes höchstes Sühneopfer für alles sünd¬
haft vergossene Blut und geschlachtete Fleisch dahin, und reichte dafür seinen
Jüngern Wein und Brot zum täglichen Mahle — .solches allein genießet zu
meinem Andenken/" Dieses das einzige Heiland des christlichen Glaubens: mit
seiner Pflege ist alle Lehre des Erlösers ausgeübt. Wie mit angstvoller Ge¬
wissensqual (Amfortas!) verfolgt diese Lehre die christliche Kirche (Gegensatz: das
Heidenland Klinqsors!), ohne daß diese sie je in ihrer Reinheit zur Befolgung
bringen könnte, trotzdem sie, sehr ernstlich erwogen, den allgemein faßlichen
Kern des Christentums bilden sollte. Sie wurde zu einer symbolischen Aktion,
von Priestern ausgeübt, umgewandelt, während ihr eigentlicher Sinn sich nur
in den zeitweilig verordneten Fasten ausspricht ..." So hat denn nach Wagners
Auffassung (auf seinen Vegetarianismus einzugehn, ist hier kein Raum) die Mensch¬
heit, die Kirche, den Sinn der Heilstat Jesu nicht verstanden. Jesu Leiden und
Blut ist da. Das von ihm eingesetzte Mahl — Wein und Brot — wird genossen,
doch wird die Absicht der Einsetzung nicht verstanden — Erlösung bringt es nicht.
Wohl spendet der Gral Wein und Brot, wohl erglüht in ihm des Heilands
Blut, doch stumpf stehen davor Amsortas und seine Ritter. Amfortas ist sogar
sündhaft, er hat das Leben bejaht, die von Jesu bewirkte „Umkehr des
Grenzboten II 191S 15
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |