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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Präludien zu einem Ritt in Persien

als wir gegen Abend nach Hause kamen, ob er die Reise mitmachen wollte,
und da er zusagte, bestellten wir ihn sür den nächsten Vormittag, denn gegen
Mittag schon ging das Schiff ab.

Er besaß nun tatsächlich alle geschilderten Vorzüge, nur hatte er seit Jahren
nicht mehr geritten und versagte daher, als die Anstrengungen groß wurden,
so daß wir ihn in Erserum entlassen und einen anderen Pferdepfleger mieten
mußten, der nur türkisch sprach. Somit war der Gedanke eines uns immer
begleitenden Dragomans zunichte geworden. Es empfiehlt sich bei solchen Reisen,
sich nur auf sich selbst, nicht auf andere oder glückliche Umstände zu verlassen,
denn das Schicksal bestraft fast immer solche Bequemlichkeiten. Man lernt
auf diese Weise und mit Hilfe eines Taschenlexikons schnell die nötigsten
Ausdrücke, so daß selbst ich mich nach einiger Zeit ganz gut mit unserem Diener
verständigen konnte.

Fast noch zeitraubender war das Aneignen der nötigen praktischen Kennt¬
nisse. Obgleich ich schon seit Jahren photographische Aufnahmen machte, erschien
es mir doch zweckdienlich, noch einen Kursus durchzumachen, da ich auch zum
erstenmal Aufnahmen mit einem Teleobjektiv machen wollte. Ferner hatte ich
die Absicht, möglichst während des ganzen Rittes Routenaufnahmen zu machen,
was auch eine vorhergehende Unterweisung nötig machte. Ein Kursus im Prä¬
parieren von Tierfellen war mir als Jäger von besonderer Bedeutung, und
schließlich mußte man doch auch medizinisch soweit gebildet sein, daß man mit
seinen Medikamenten, die die Reiseapotheke enthielt, umzugehen und schließlich
auch äußere Verletzungen selbst schwererer Art zu behandeln verstand. Denn
man mußte sich immer wieder klarmachen, daß man vielleicht wochenlang,
jedenfalls tagelang, von jeder Hilfe durch Personen von Beruf abgeschnitten
und gänzlich auf sich selbst angewiesen sein würde, ein Zustand, der einem zu
Hause, ja selbst auf Reisen gewöhnlicher Art ganz unbekannt ist. Für den
Reisenden gilt hier:


"Da tritt kein anderer für ihn ein,
Auf sich selber steht er da ganz allem."

Das aber war gerade das Reizvolle, das war es, was einem Befriedigung
gab: der Kampf mit den Schwierigkeiten und der glückliche Sieg.

Inwieweit waren nun die offiziellen Behörden bei unserem Vorhaben in
Anspruch zu nehmen, ja selbst nur zu benachrichtigen? Einerseits würden uns
offizielle Empfehlungen entschieden von großem Vorteil gewesen sein, ander¬
seits lief man aber Gefahr, daß gerade, weil die politischen Verhältnisse nicht
die besten waren, von amtlicher Seite Einwendungen gegen die Reise erhoben
werden konnten. Reiske man auf eigene Gefahr, so hatte niemand eine Ver¬
antwortung für uns. Wir hielten es daher für das Ratsamste, möglichst in¬
offiziell zu reisen, uns aber private Empfehlungen an Zivil- und Militärbehörden
geben zu lassen und darauf bedacht zu sein, daß die Kette der Empfehlungen
nicht abriß. Die Türken sowohl wie die Russen sind ja gegen Fremde von


Präludien zu einem Ritt in Persien

als wir gegen Abend nach Hause kamen, ob er die Reise mitmachen wollte,
und da er zusagte, bestellten wir ihn sür den nächsten Vormittag, denn gegen
Mittag schon ging das Schiff ab.

Er besaß nun tatsächlich alle geschilderten Vorzüge, nur hatte er seit Jahren
nicht mehr geritten und versagte daher, als die Anstrengungen groß wurden,
so daß wir ihn in Erserum entlassen und einen anderen Pferdepfleger mieten
mußten, der nur türkisch sprach. Somit war der Gedanke eines uns immer
begleitenden Dragomans zunichte geworden. Es empfiehlt sich bei solchen Reisen,
sich nur auf sich selbst, nicht auf andere oder glückliche Umstände zu verlassen,
denn das Schicksal bestraft fast immer solche Bequemlichkeiten. Man lernt
auf diese Weise und mit Hilfe eines Taschenlexikons schnell die nötigsten
Ausdrücke, so daß selbst ich mich nach einiger Zeit ganz gut mit unserem Diener
verständigen konnte.

Fast noch zeitraubender war das Aneignen der nötigen praktischen Kennt¬
nisse. Obgleich ich schon seit Jahren photographische Aufnahmen machte, erschien
es mir doch zweckdienlich, noch einen Kursus durchzumachen, da ich auch zum
erstenmal Aufnahmen mit einem Teleobjektiv machen wollte. Ferner hatte ich
die Absicht, möglichst während des ganzen Rittes Routenaufnahmen zu machen,
was auch eine vorhergehende Unterweisung nötig machte. Ein Kursus im Prä¬
parieren von Tierfellen war mir als Jäger von besonderer Bedeutung, und
schließlich mußte man doch auch medizinisch soweit gebildet sein, daß man mit
seinen Medikamenten, die die Reiseapotheke enthielt, umzugehen und schließlich
auch äußere Verletzungen selbst schwererer Art zu behandeln verstand. Denn
man mußte sich immer wieder klarmachen, daß man vielleicht wochenlang,
jedenfalls tagelang, von jeder Hilfe durch Personen von Beruf abgeschnitten
und gänzlich auf sich selbst angewiesen sein würde, ein Zustand, der einem zu
Hause, ja selbst auf Reisen gewöhnlicher Art ganz unbekannt ist. Für den
Reisenden gilt hier:


„Da tritt kein anderer für ihn ein,
Auf sich selber steht er da ganz allem."

Das aber war gerade das Reizvolle, das war es, was einem Befriedigung
gab: der Kampf mit den Schwierigkeiten und der glückliche Sieg.

Inwieweit waren nun die offiziellen Behörden bei unserem Vorhaben in
Anspruch zu nehmen, ja selbst nur zu benachrichtigen? Einerseits würden uns
offizielle Empfehlungen entschieden von großem Vorteil gewesen sein, ander¬
seits lief man aber Gefahr, daß gerade, weil die politischen Verhältnisse nicht
die besten waren, von amtlicher Seite Einwendungen gegen die Reise erhoben
werden konnten. Reiske man auf eigene Gefahr, so hatte niemand eine Ver¬
antwortung für uns. Wir hielten es daher für das Ratsamste, möglichst in¬
offiziell zu reisen, uns aber private Empfehlungen an Zivil- und Militärbehörden
geben zu lassen und darauf bedacht zu sein, daß die Kette der Empfehlungen
nicht abriß. Die Türken sowohl wie die Russen sind ja gegen Fremde von


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[0198] Präludien zu einem Ritt in Persien als wir gegen Abend nach Hause kamen, ob er die Reise mitmachen wollte, und da er zusagte, bestellten wir ihn sür den nächsten Vormittag, denn gegen Mittag schon ging das Schiff ab. Er besaß nun tatsächlich alle geschilderten Vorzüge, nur hatte er seit Jahren nicht mehr geritten und versagte daher, als die Anstrengungen groß wurden, so daß wir ihn in Erserum entlassen und einen anderen Pferdepfleger mieten mußten, der nur türkisch sprach. Somit war der Gedanke eines uns immer begleitenden Dragomans zunichte geworden. Es empfiehlt sich bei solchen Reisen, sich nur auf sich selbst, nicht auf andere oder glückliche Umstände zu verlassen, denn das Schicksal bestraft fast immer solche Bequemlichkeiten. Man lernt auf diese Weise und mit Hilfe eines Taschenlexikons schnell die nötigsten Ausdrücke, so daß selbst ich mich nach einiger Zeit ganz gut mit unserem Diener verständigen konnte. Fast noch zeitraubender war das Aneignen der nötigen praktischen Kennt¬ nisse. Obgleich ich schon seit Jahren photographische Aufnahmen machte, erschien es mir doch zweckdienlich, noch einen Kursus durchzumachen, da ich auch zum erstenmal Aufnahmen mit einem Teleobjektiv machen wollte. Ferner hatte ich die Absicht, möglichst während des ganzen Rittes Routenaufnahmen zu machen, was auch eine vorhergehende Unterweisung nötig machte. Ein Kursus im Prä¬ parieren von Tierfellen war mir als Jäger von besonderer Bedeutung, und schließlich mußte man doch auch medizinisch soweit gebildet sein, daß man mit seinen Medikamenten, die die Reiseapotheke enthielt, umzugehen und schließlich auch äußere Verletzungen selbst schwererer Art zu behandeln verstand. Denn man mußte sich immer wieder klarmachen, daß man vielleicht wochenlang, jedenfalls tagelang, von jeder Hilfe durch Personen von Beruf abgeschnitten und gänzlich auf sich selbst angewiesen sein würde, ein Zustand, der einem zu Hause, ja selbst auf Reisen gewöhnlicher Art ganz unbekannt ist. Für den Reisenden gilt hier: „Da tritt kein anderer für ihn ein, Auf sich selber steht er da ganz allem." Das aber war gerade das Reizvolle, das war es, was einem Befriedigung gab: der Kampf mit den Schwierigkeiten und der glückliche Sieg. Inwieweit waren nun die offiziellen Behörden bei unserem Vorhaben in Anspruch zu nehmen, ja selbst nur zu benachrichtigen? Einerseits würden uns offizielle Empfehlungen entschieden von großem Vorteil gewesen sein, ander¬ seits lief man aber Gefahr, daß gerade, weil die politischen Verhältnisse nicht die besten waren, von amtlicher Seite Einwendungen gegen die Reise erhoben werden konnten. Reiske man auf eigene Gefahr, so hatte niemand eine Ver¬ antwortung für uns. Wir hielten es daher für das Ratsamste, möglichst in¬ offiziell zu reisen, uns aber private Empfehlungen an Zivil- und Militärbehörden geben zu lassen und darauf bedacht zu sein, daß die Kette der Empfehlungen nicht abriß. Die Türken sowohl wie die Russen sind ja gegen Fremde von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/198>, abgerufen am 27.07.2024.