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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Georg Rcrschensteiners Begriff der Arbeitsschule

eigene Tätigkeit in Rücksicht auf den Erfolg der gemeinsamen Arbeit erwacht,
die Befriedigung über den Erfolg, die Enttäuschung über den Mißerfolg hört
auf, eine rein persönliche zu sein, und der Stolz läuft damit weniger Gefahr,
in Eitelkeit, die Enttäuschung in Entmutigung auszuarten. Dem Lehrer, der
diese Art des Betriebes in der rechten Weise sittlich auszunutzen versteht, wird
es nicht schwer fallen, diese Wirkung zu verstärken, indem er die Untersuchungen
aller zwölf Schülergruppen in der rechten Weise zur Ermittlung des eigent¬
lichen Wertes der Konstanten verbindet. Der Klassengeist für die gemeinsame
Erreichung eines ernsten Zieles erwacht, und das ist ein wertvoller Anfang
zur Erziehung zur Hingabesittlichkeit." (Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung
S. 54 bis 56.)

Die Arbeitsgemeinschaft als sittliches Prinzip ist für Kerschensteiner also
das wesentliche Kennzeichen der Zukunstsschule im Geiste Pestalozzis, die er
"Arbeitsschule" genannt hat. Damit hat er allerdings etwas für die heutige
Schule ganz Neues gefordert, etwas viel Wertvolleres, als die Betätigung der
manuellen Schaffenslust, die man ja leider als den Begriff der Arbeitsschule
aufzufassen pflegt. Aus dieser Auffassung erklärt sich Kerschensteiners Stellung
zum Arbeitsunterricht. In den Schulen, bei deren Zöglingen nach dem Maß
ihrer Geisteskräfte eine Arbeitsgemeinschaft auf geistigem Gebiete nicht zu er¬
warten ist, also in den unteren Klassen der Volksschulen und aus anderen
Gründen in den Fortbildungsschulen, muß der gemeinsame Werkunterricht die
Grundlage der staatsbürgerlichen Erziehung bilden. Das hat Kerschensteiner
seit einer Reihe von Jahren als Leiter des Münchener Schulwesens an Schul¬
knaben, Schulgärten, Werkstätten für Knaben und Mädchen erprobt.

Die staatsbürgerliche Belehrung, die neutrale politische Schulung, also der
jetzt so heiß geforderte Unterricht in der Bürgerkunde, wird auch in den höheren
Schulen, meint Kerschensteiner, nicht zum guten Staatsbürger erziehen. Be¬
sonders aber für die Massen, deren Intelligenz nicht weit genug reicht, um
theoretische Belehrung zu assimilieren, ist die frühzeitige Gewöhnung an staats¬
bürgerliche Tugenden von weit größerer Bedeutung als bürgerkundlicher Unter¬
richt. Der Irrtum all unserer Schulorganisationen besteht in der Erwartung,
"daß der Mensch durch Kenntnisse allein zum rechten Handeln geführt werden
kann". Unser rechtes Denken wird sich nur dann in rechtes Handeln umsetzen,
wenn wir von Jugend auf angeleitet werden, das Pflichtgefühl in Handlungen
zu entladen. Deswegen ist in den Volksschulen, wo die geistige Reife fehlt,
die Gewöhnung zu gemeinschaftlicher Arbeit das einzige Mittel der staatsbürger¬
lichen Erziehung. In den städtischen Fortbildungsschulen ist die staatsbürger¬
liche Belehrung nicht zu umgehen, sie soll sich aber im Geschichtsunterricht an
die historische Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse jener
Berufe gruppieren, welchen die Schüler angehören. "In ländlichen Fortbildungs¬
schulen wird eine Geschichte des Bauernstandes, in kaufmännischen die Geschichte
von Handel und Verkehr eine Grundlage geben, die alle Schüler fesselt und


Georg Rcrschensteiners Begriff der Arbeitsschule

eigene Tätigkeit in Rücksicht auf den Erfolg der gemeinsamen Arbeit erwacht,
die Befriedigung über den Erfolg, die Enttäuschung über den Mißerfolg hört
auf, eine rein persönliche zu sein, und der Stolz läuft damit weniger Gefahr,
in Eitelkeit, die Enttäuschung in Entmutigung auszuarten. Dem Lehrer, der
diese Art des Betriebes in der rechten Weise sittlich auszunutzen versteht, wird
es nicht schwer fallen, diese Wirkung zu verstärken, indem er die Untersuchungen
aller zwölf Schülergruppen in der rechten Weise zur Ermittlung des eigent¬
lichen Wertes der Konstanten verbindet. Der Klassengeist für die gemeinsame
Erreichung eines ernsten Zieles erwacht, und das ist ein wertvoller Anfang
zur Erziehung zur Hingabesittlichkeit." (Begriff der staatsbürgerlichen Erziehung
S. 54 bis 56.)

Die Arbeitsgemeinschaft als sittliches Prinzip ist für Kerschensteiner also
das wesentliche Kennzeichen der Zukunstsschule im Geiste Pestalozzis, die er
„Arbeitsschule" genannt hat. Damit hat er allerdings etwas für die heutige
Schule ganz Neues gefordert, etwas viel Wertvolleres, als die Betätigung der
manuellen Schaffenslust, die man ja leider als den Begriff der Arbeitsschule
aufzufassen pflegt. Aus dieser Auffassung erklärt sich Kerschensteiners Stellung
zum Arbeitsunterricht. In den Schulen, bei deren Zöglingen nach dem Maß
ihrer Geisteskräfte eine Arbeitsgemeinschaft auf geistigem Gebiete nicht zu er¬
warten ist, also in den unteren Klassen der Volksschulen und aus anderen
Gründen in den Fortbildungsschulen, muß der gemeinsame Werkunterricht die
Grundlage der staatsbürgerlichen Erziehung bilden. Das hat Kerschensteiner
seit einer Reihe von Jahren als Leiter des Münchener Schulwesens an Schul¬
knaben, Schulgärten, Werkstätten für Knaben und Mädchen erprobt.

Die staatsbürgerliche Belehrung, die neutrale politische Schulung, also der
jetzt so heiß geforderte Unterricht in der Bürgerkunde, wird auch in den höheren
Schulen, meint Kerschensteiner, nicht zum guten Staatsbürger erziehen. Be¬
sonders aber für die Massen, deren Intelligenz nicht weit genug reicht, um
theoretische Belehrung zu assimilieren, ist die frühzeitige Gewöhnung an staats¬
bürgerliche Tugenden von weit größerer Bedeutung als bürgerkundlicher Unter¬
richt. Der Irrtum all unserer Schulorganisationen besteht in der Erwartung,
„daß der Mensch durch Kenntnisse allein zum rechten Handeln geführt werden
kann". Unser rechtes Denken wird sich nur dann in rechtes Handeln umsetzen,
wenn wir von Jugend auf angeleitet werden, das Pflichtgefühl in Handlungen
zu entladen. Deswegen ist in den Volksschulen, wo die geistige Reife fehlt,
die Gewöhnung zu gemeinschaftlicher Arbeit das einzige Mittel der staatsbürger¬
lichen Erziehung. In den städtischen Fortbildungsschulen ist die staatsbürger¬
liche Belehrung nicht zu umgehen, sie soll sich aber im Geschichtsunterricht an
die historische Entwicklung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse jener
Berufe gruppieren, welchen die Schüler angehören. „In ländlichen Fortbildungs¬
schulen wird eine Geschichte des Bauernstandes, in kaufmännischen die Geschichte
von Handel und Verkehr eine Grundlage geben, die alle Schüler fesselt und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/185>, abgerufen am 23.12.2024.