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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Aanzlerreden

Und doch sollen die großen Tage im Reichshause Paraden sein, bei
deren Betrachtung der Zeitungsreporter entschädigt werden will für die vielen
hundert Stunden der oft genug bis zum Ekel gesteigerten Langenweile, die
ihm die Reichstagssitzungen das ganze Jahr hindurch bescheren, -- eine
Parade, durch die das Ausland belehrt werden soll, welch ein gewaltiges
politisches Leben in deutschen Landen pulsiert, eine Parade, von der die
nationalen eine Hebung der nationalen Selbstachtung erhoffen, während den
Internationalen Gelegenheit wird, den Nachweis zu erbringen, welche große
Rolle sie im Parlament, im Volk spielen. Immer aber soll im Mittelpunkt
der Parade die Regierung oder ganz präzise ausgedrückt, der Reichskanzler stehen.

Die großen Tage und ihre sensationelle Ausbeutung haben somit eine
gewisse Berechtigung. Es fragt sich nur. an welcher Stelle die Berechtigung
des sensationellen aufhört, wo es zu einer politischen Gefahr wird.




An den großen Tagen bilden die Kanzlerreden die Pole, auf die sich alle
Aufmerksamkeit vereinigt und von denen aus die Kräfte und elektrischen Ströme
sich auf Parlament und Presse verbreiten, die das Ganze beleben und gewisser¬
maßen jeden einzelnen Parlamentarier zum Mitspiel zwingen, sei es mitreißend,
sei es zurückstoßend. Dergestalt erhält der Reichskanzler für solche großen Tage
von den Zuschauern eine doppelte Rolle zugewiesen: als Hauptakteur und
Regisseur, -- und es hängt von seinen Anlagen und Fähigkeiten ab, ob er sich
über den Nahmen dieser Aufgabe hinaus als Regierer erweisen kann.

Sehen wir uns die bisherigen deutschen Reichskanzler daraufhin an, wie
sie dieser ihrer Aufgabe gerecht werden, so müssen Caprivi und Hohenlohe
von vornherein ausscheiden: sie konnten aus Mangel an Veranlagung für das
rein Theatralische weder Akteure noch Regisseure sein. Als Regierer aber
kamen sie überhaupt nicht in Frage. Caprivi war der gehorsame Soldat, der
lediglich die Befehle seines kaiserlichen Herrn dem Fahneneide gemäß aus¬
zuführen trachtete; Hohenlohe war väterlicher Freund und Berater. Die Regie
lag von 1892 bis 1900 entweder beim Kaiser selbst oder bei Personengruppen,
über die lediglich Vermutungen bestehen.

Bismarck und Bülow.

Bismarck stand bei allen politischen Fragen, die er öffentlich behandelte,
schon ohne weiteres im Mittelpunkt; sie waren mit ihm, er mit ihnen geworden;
sie waren für ihn nicht allein historische Tatsachen, die sich aus den Akten
ergaben, sondern auch ureigenste Erlebnisse. Seine Reden waren dement¬
sprechend sein ureigenstes geistiges Eigentum. Er konnte aus der Fülle seiner
Erinnerung schöpfen und schaffen. Akten und Statistik gaben ihm das Gerippe.
Bis zu welchem Grade Bismarck frei schöpfte, zeigt schon Tiedemanns Mit¬
teilung, daß der Kanzler ihm ohne Unterbrechung neun Stunden diktieren
konnte; daß er aber als Künstler schuf in schwerer innerer Arbeit, das zeigt
die Art des Entstehens der Reden. Die großen Reden waren nur selten im


Aanzlerreden

Und doch sollen die großen Tage im Reichshause Paraden sein, bei
deren Betrachtung der Zeitungsreporter entschädigt werden will für die vielen
hundert Stunden der oft genug bis zum Ekel gesteigerten Langenweile, die
ihm die Reichstagssitzungen das ganze Jahr hindurch bescheren, — eine
Parade, durch die das Ausland belehrt werden soll, welch ein gewaltiges
politisches Leben in deutschen Landen pulsiert, eine Parade, von der die
nationalen eine Hebung der nationalen Selbstachtung erhoffen, während den
Internationalen Gelegenheit wird, den Nachweis zu erbringen, welche große
Rolle sie im Parlament, im Volk spielen. Immer aber soll im Mittelpunkt
der Parade die Regierung oder ganz präzise ausgedrückt, der Reichskanzler stehen.

Die großen Tage und ihre sensationelle Ausbeutung haben somit eine
gewisse Berechtigung. Es fragt sich nur. an welcher Stelle die Berechtigung
des sensationellen aufhört, wo es zu einer politischen Gefahr wird.




An den großen Tagen bilden die Kanzlerreden die Pole, auf die sich alle
Aufmerksamkeit vereinigt und von denen aus die Kräfte und elektrischen Ströme
sich auf Parlament und Presse verbreiten, die das Ganze beleben und gewisser¬
maßen jeden einzelnen Parlamentarier zum Mitspiel zwingen, sei es mitreißend,
sei es zurückstoßend. Dergestalt erhält der Reichskanzler für solche großen Tage
von den Zuschauern eine doppelte Rolle zugewiesen: als Hauptakteur und
Regisseur, — und es hängt von seinen Anlagen und Fähigkeiten ab, ob er sich
über den Nahmen dieser Aufgabe hinaus als Regierer erweisen kann.

Sehen wir uns die bisherigen deutschen Reichskanzler daraufhin an, wie
sie dieser ihrer Aufgabe gerecht werden, so müssen Caprivi und Hohenlohe
von vornherein ausscheiden: sie konnten aus Mangel an Veranlagung für das
rein Theatralische weder Akteure noch Regisseure sein. Als Regierer aber
kamen sie überhaupt nicht in Frage. Caprivi war der gehorsame Soldat, der
lediglich die Befehle seines kaiserlichen Herrn dem Fahneneide gemäß aus¬
zuführen trachtete; Hohenlohe war väterlicher Freund und Berater. Die Regie
lag von 1892 bis 1900 entweder beim Kaiser selbst oder bei Personengruppen,
über die lediglich Vermutungen bestehen.

Bismarck und Bülow.

Bismarck stand bei allen politischen Fragen, die er öffentlich behandelte,
schon ohne weiteres im Mittelpunkt; sie waren mit ihm, er mit ihnen geworden;
sie waren für ihn nicht allein historische Tatsachen, die sich aus den Akten
ergaben, sondern auch ureigenste Erlebnisse. Seine Reden waren dement¬
sprechend sein ureigenstes geistiges Eigentum. Er konnte aus der Fülle seiner
Erinnerung schöpfen und schaffen. Akten und Statistik gaben ihm das Gerippe.
Bis zu welchem Grade Bismarck frei schöpfte, zeigt schon Tiedemanns Mit¬
teilung, daß der Kanzler ihm ohne Unterbrechung neun Stunden diktieren
konnte; daß er aber als Künstler schuf in schwerer innerer Arbeit, das zeigt
die Art des Entstehens der Reden. Die großen Reden waren nur selten im


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[0110] Aanzlerreden Und doch sollen die großen Tage im Reichshause Paraden sein, bei deren Betrachtung der Zeitungsreporter entschädigt werden will für die vielen hundert Stunden der oft genug bis zum Ekel gesteigerten Langenweile, die ihm die Reichstagssitzungen das ganze Jahr hindurch bescheren, — eine Parade, durch die das Ausland belehrt werden soll, welch ein gewaltiges politisches Leben in deutschen Landen pulsiert, eine Parade, von der die nationalen eine Hebung der nationalen Selbstachtung erhoffen, während den Internationalen Gelegenheit wird, den Nachweis zu erbringen, welche große Rolle sie im Parlament, im Volk spielen. Immer aber soll im Mittelpunkt der Parade die Regierung oder ganz präzise ausgedrückt, der Reichskanzler stehen. Die großen Tage und ihre sensationelle Ausbeutung haben somit eine gewisse Berechtigung. Es fragt sich nur. an welcher Stelle die Berechtigung des sensationellen aufhört, wo es zu einer politischen Gefahr wird. An den großen Tagen bilden die Kanzlerreden die Pole, auf die sich alle Aufmerksamkeit vereinigt und von denen aus die Kräfte und elektrischen Ströme sich auf Parlament und Presse verbreiten, die das Ganze beleben und gewisser¬ maßen jeden einzelnen Parlamentarier zum Mitspiel zwingen, sei es mitreißend, sei es zurückstoßend. Dergestalt erhält der Reichskanzler für solche großen Tage von den Zuschauern eine doppelte Rolle zugewiesen: als Hauptakteur und Regisseur, — und es hängt von seinen Anlagen und Fähigkeiten ab, ob er sich über den Nahmen dieser Aufgabe hinaus als Regierer erweisen kann. Sehen wir uns die bisherigen deutschen Reichskanzler daraufhin an, wie sie dieser ihrer Aufgabe gerecht werden, so müssen Caprivi und Hohenlohe von vornherein ausscheiden: sie konnten aus Mangel an Veranlagung für das rein Theatralische weder Akteure noch Regisseure sein. Als Regierer aber kamen sie überhaupt nicht in Frage. Caprivi war der gehorsame Soldat, der lediglich die Befehle seines kaiserlichen Herrn dem Fahneneide gemäß aus¬ zuführen trachtete; Hohenlohe war väterlicher Freund und Berater. Die Regie lag von 1892 bis 1900 entweder beim Kaiser selbst oder bei Personengruppen, über die lediglich Vermutungen bestehen. Bismarck und Bülow. Bismarck stand bei allen politischen Fragen, die er öffentlich behandelte, schon ohne weiteres im Mittelpunkt; sie waren mit ihm, er mit ihnen geworden; sie waren für ihn nicht allein historische Tatsachen, die sich aus den Akten ergaben, sondern auch ureigenste Erlebnisse. Seine Reden waren dement¬ sprechend sein ureigenstes geistiges Eigentum. Er konnte aus der Fülle seiner Erinnerung schöpfen und schaffen. Akten und Statistik gaben ihm das Gerippe. Bis zu welchem Grade Bismarck frei schöpfte, zeigt schon Tiedemanns Mit¬ teilung, daß der Kanzler ihm ohne Unterbrechung neun Stunden diktieren konnte; daß er aber als Künstler schuf in schwerer innerer Arbeit, das zeigt die Art des Entstehens der Reden. Die großen Reden waren nur selten im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/110>, abgerufen am 27.07.2024.