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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

Eine weitere Garantie gegen gefährliche Aufstände liegt in dem Umstand,
daß die gesamte Artillerie des Heeres aus Engländern besteht, daß das Ver¬
hältnis zwischen englischen und eingeborenen Truppen 1 : 2 (statt 1 : 6 bis 7
vor dem Aufstand des Jahres 1857) ist und daß alle wertvollen Magazine,
alle strategisch wichtigen Punkte von weißen Truppen besetzt sind. Dank den
von Lord Kitchener eingeführten Reformen ist ferner das Heer überall in
größeren Garnisonen an den wichtigen Eisenbohnknoten vereinigt und kann mit
Hilfe des vorzüglichen Bahnnetzes jederzeit schnell nach jeder beliebigen Richtung
geworfen werden, sei es zur Niederschlagung eines Aufstandes, sei es zur Ab¬
wehr eines äußeren Feindes. Diese letztere Möglichkeit, die Gefahr einer
russischen Invasion (die angesichts der trennenden Wüsten und Gebirge eigentlich
immer eine Chimäre war und erst nach Ausbau des persischen Bahnnetzes in den
Bereich der Möglichkeit gerückt wurde), verursacht seit dem russisch-japanischen
Kriege den Londoner Politikern keine schlaflosen Nächte mehr.

Wohin man also blickt, überall ein großartiger Aufschwung der englischen
Macht in Asten, ein genialer Ausbau seiner militärischen und politischen Hilfs¬
mittel.

"Wir haben das Land erobert, als wir noch geschwächt und behindert
waren durch den Konkurrenzkampf mit unseren europäischen Nachbarn, als uns
noch eine monatelange beschwerliche Seefahrt von Indien trennte. Wie kann
dieser unser Besitz jetzt gefährdet werden, jetzt, wo sechsundsiebzigtausend unserer
Landsleute dort zur Verteidigung unserer Herrschaft bereit stehen, wo in wenigen
Wochen ganze Armeen aus England, aus Afrika und Australien dahin herüberge¬
worfen werden können? Mit dem Schwerte haben wir es erworben, mit dem
Schwerte werden wir es zu behaupten wissen!" Wer kann es dem englischen Offizier
verdenken, wenn er allen Gerüchten über die bevorstehende Losreißung Indiens
mit diesem Argument entgegentritt. Fester denn je scheint Englands Hand auf
Indien zu liegen. Aber, . . . seit den russischen Niederlagen in Ostasien hat der
Asiate gelernt den Europäer mit anderen Augen anzusehen. Es ist schwer, die
Tragwette eines geschichtlichen Ereignisses aus der Nähe richtig zu würdigen.
Meist ist ein gewisser Abstand zur Gewinnung der richtigen Perspektive erforderlich.
Wenn aber nicht alles trügt, bedeutet Plassey den Anfang und Mukden den
Abschluß einer weltgeschichtlichen Epoche, deren Hauptmerkmal die Vorherrschaft
des Europäers über die anderen Völker der Erde ist. Indien ist das Land,
wo die von Japan ausgehende neue Strömung sich vielleicht am frühesten
fühlbar machte. Innerlich wirkt diese daher dort schon stärker, als in anderen
asiatischen Ländern, wo sie äußerlich sichtbare Umwälzungen hervorrief.




Die Engländer in Indien

Eine weitere Garantie gegen gefährliche Aufstände liegt in dem Umstand,
daß die gesamte Artillerie des Heeres aus Engländern besteht, daß das Ver¬
hältnis zwischen englischen und eingeborenen Truppen 1 : 2 (statt 1 : 6 bis 7
vor dem Aufstand des Jahres 1857) ist und daß alle wertvollen Magazine,
alle strategisch wichtigen Punkte von weißen Truppen besetzt sind. Dank den
von Lord Kitchener eingeführten Reformen ist ferner das Heer überall in
größeren Garnisonen an den wichtigen Eisenbohnknoten vereinigt und kann mit
Hilfe des vorzüglichen Bahnnetzes jederzeit schnell nach jeder beliebigen Richtung
geworfen werden, sei es zur Niederschlagung eines Aufstandes, sei es zur Ab¬
wehr eines äußeren Feindes. Diese letztere Möglichkeit, die Gefahr einer
russischen Invasion (die angesichts der trennenden Wüsten und Gebirge eigentlich
immer eine Chimäre war und erst nach Ausbau des persischen Bahnnetzes in den
Bereich der Möglichkeit gerückt wurde), verursacht seit dem russisch-japanischen
Kriege den Londoner Politikern keine schlaflosen Nächte mehr.

Wohin man also blickt, überall ein großartiger Aufschwung der englischen
Macht in Asten, ein genialer Ausbau seiner militärischen und politischen Hilfs¬
mittel.

„Wir haben das Land erobert, als wir noch geschwächt und behindert
waren durch den Konkurrenzkampf mit unseren europäischen Nachbarn, als uns
noch eine monatelange beschwerliche Seefahrt von Indien trennte. Wie kann
dieser unser Besitz jetzt gefährdet werden, jetzt, wo sechsundsiebzigtausend unserer
Landsleute dort zur Verteidigung unserer Herrschaft bereit stehen, wo in wenigen
Wochen ganze Armeen aus England, aus Afrika und Australien dahin herüberge¬
worfen werden können? Mit dem Schwerte haben wir es erworben, mit dem
Schwerte werden wir es zu behaupten wissen!" Wer kann es dem englischen Offizier
verdenken, wenn er allen Gerüchten über die bevorstehende Losreißung Indiens
mit diesem Argument entgegentritt. Fester denn je scheint Englands Hand auf
Indien zu liegen. Aber, . . . seit den russischen Niederlagen in Ostasien hat der
Asiate gelernt den Europäer mit anderen Augen anzusehen. Es ist schwer, die
Tragwette eines geschichtlichen Ereignisses aus der Nähe richtig zu würdigen.
Meist ist ein gewisser Abstand zur Gewinnung der richtigen Perspektive erforderlich.
Wenn aber nicht alles trügt, bedeutet Plassey den Anfang und Mukden den
Abschluß einer weltgeschichtlichen Epoche, deren Hauptmerkmal die Vorherrschaft
des Europäers über die anderen Völker der Erde ist. Indien ist das Land,
wo die von Japan ausgehende neue Strömung sich vielleicht am frühesten
fühlbar machte. Innerlich wirkt diese daher dort schon stärker, als in anderen
asiatischen Ländern, wo sie äußerlich sichtbare Umwälzungen hervorrief.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/97>, abgerufen am 29.06.2024.