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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Das seltenste Fremdwort

Wendung gegeben werden kann, braucht den Dichter. dem das Inhaltliche stets
Nebensache ist, nicht bedenklich zu machen. Bei Licht besehen beruht das ganze
sprachschöpferische Genie des Dichters, ein Instinkt wie der Spürsinn des Jagd¬
hundes, weniger darin, daß er neue Quellen aus dem Felsen schlägt, als daß
er die alten, verschütteten Brunnen der lebendigen Sprache freilegt. Unver¬
geßlich ist mir in der Beziehung der starke Eindruck geblieben, den ich hatte,
als ich zum erstenmale im Wallenstein las:


"Die Freiheit reizte mich und das Vermögen."

"Vermögen"? Ja, allerdings, aber nicht in dem hausbackenen Sinne, auf
den wir das Wort festgelegt haben, sondern: die Macht haben. Diese ureigenste
Bedeutung kommt hier plötzlich und zwingend zutage. Wie hätte dafür jeder
Nicht-Dichter gesagt? Er hätte sich überlegt: was will ich denn "im Grunde"
sagen? und hätte dabei unwillkürlich seinen Gedanken so abstrakt wie möglich
gefaßt, also etwa:


"Durch Freiheit ließ ich mich und Möglichkeit
Verlocken."

Hier läßt uns der Eindruck ganz kühl, weil alle Worte nur an unseren
Verstandesmechanismus rühren. Darum ist das Faktische vielleicht psychologisch
"richtiger" gegeben, aber das psychische Erlebnis bleibt aus.

Im grundlegenden Gegensatz zu dieser "Aufdeckung" des Faktischen, strebt
der Dichter beständig nach seiner pantomimischen Verkleidung. Er geht deshalb
davon aus: "wie kann ich mir das äußerlich wirksam machen, was ich mir
denke," und gelangt damit von selbst dazu, die abstrakte, passive Möglichkeit,
die er "im Grunde" natürlich ebenso meint, in der durch den Artikel und die
aktive Satzwendung leibhaftig gewordenen Freiheit auszudrücken, die er, da sie
ihm immer noch zu sehr "von des Gedanken Blässe angekränkelt" erschien, zur
vollen Abrundung ihrer Bildhaftigkeit durch das stark farbige "Vermögen" er¬
gänzte. Gewiß ist der Ausdruck "Vermögen" dabei kühn, aber er empfängt
sein Licht von der voranstehenden Freiheit, ebenso wie er auf sie Kraft und
Leben spendend zurückstrahlt. Beide zusammen bilden ein großartiges Hendia-
dyoin, das, indem es den Anreiz zur Tat sowohl in den äußeren Macht¬
verhältnissen, der "Freiheit", wie in den, inneren Machtbemußtsein, dem "Ver¬
mögen", sieht und auch wirklich sichtbar zu machen versteht, uns die tragische
Gebundenheit des Helden blitzartig erhellt.

Ja, könnte man da nun fragen, vermag denn nicht jeder aus diesen ver¬
schütteten Brunnen zu schöpfen? Das ist aber nicht möglich. Es liegt eben in
der dichterischen Sphäre, deren nähere Untersuchung wir uns hier versagen
müssen, eine gewisse Suggestion, die dem Dürstenden die Frische des Quells
in demselben Wasser zu kosten gibt, das dem Satter nur fade und abgestanden
schmeckt. Es ist nur vereinzelt, daß wir auch in der prosaischen Sphäre diese
Suggestion für uns erreichen können, und dann immer noch ungewiß, ob sie
auch für andere wirksam ist. Auf diese Ungewißheit kann sich aber zu allerletzt


Das seltenste Fremdwort

Wendung gegeben werden kann, braucht den Dichter. dem das Inhaltliche stets
Nebensache ist, nicht bedenklich zu machen. Bei Licht besehen beruht das ganze
sprachschöpferische Genie des Dichters, ein Instinkt wie der Spürsinn des Jagd¬
hundes, weniger darin, daß er neue Quellen aus dem Felsen schlägt, als daß
er die alten, verschütteten Brunnen der lebendigen Sprache freilegt. Unver¬
geßlich ist mir in der Beziehung der starke Eindruck geblieben, den ich hatte,
als ich zum erstenmale im Wallenstein las:


„Die Freiheit reizte mich und das Vermögen."

„Vermögen"? Ja, allerdings, aber nicht in dem hausbackenen Sinne, auf
den wir das Wort festgelegt haben, sondern: die Macht haben. Diese ureigenste
Bedeutung kommt hier plötzlich und zwingend zutage. Wie hätte dafür jeder
Nicht-Dichter gesagt? Er hätte sich überlegt: was will ich denn „im Grunde"
sagen? und hätte dabei unwillkürlich seinen Gedanken so abstrakt wie möglich
gefaßt, also etwa:


„Durch Freiheit ließ ich mich und Möglichkeit
Verlocken."

Hier läßt uns der Eindruck ganz kühl, weil alle Worte nur an unseren
Verstandesmechanismus rühren. Darum ist das Faktische vielleicht psychologisch
„richtiger" gegeben, aber das psychische Erlebnis bleibt aus.

Im grundlegenden Gegensatz zu dieser „Aufdeckung" des Faktischen, strebt
der Dichter beständig nach seiner pantomimischen Verkleidung. Er geht deshalb
davon aus: „wie kann ich mir das äußerlich wirksam machen, was ich mir
denke," und gelangt damit von selbst dazu, die abstrakte, passive Möglichkeit,
die er „im Grunde" natürlich ebenso meint, in der durch den Artikel und die
aktive Satzwendung leibhaftig gewordenen Freiheit auszudrücken, die er, da sie
ihm immer noch zu sehr „von des Gedanken Blässe angekränkelt" erschien, zur
vollen Abrundung ihrer Bildhaftigkeit durch das stark farbige „Vermögen" er¬
gänzte. Gewiß ist der Ausdruck „Vermögen" dabei kühn, aber er empfängt
sein Licht von der voranstehenden Freiheit, ebenso wie er auf sie Kraft und
Leben spendend zurückstrahlt. Beide zusammen bilden ein großartiges Hendia-
dyoin, das, indem es den Anreiz zur Tat sowohl in den äußeren Macht¬
verhältnissen, der „Freiheit", wie in den, inneren Machtbemußtsein, dem „Ver¬
mögen", sieht und auch wirklich sichtbar zu machen versteht, uns die tragische
Gebundenheit des Helden blitzartig erhellt.

Ja, könnte man da nun fragen, vermag denn nicht jeder aus diesen ver¬
schütteten Brunnen zu schöpfen? Das ist aber nicht möglich. Es liegt eben in
der dichterischen Sphäre, deren nähere Untersuchung wir uns hier versagen
müssen, eine gewisse Suggestion, die dem Dürstenden die Frische des Quells
in demselben Wasser zu kosten gibt, das dem Satter nur fade und abgestanden
schmeckt. Es ist nur vereinzelt, daß wir auch in der prosaischen Sphäre diese
Suggestion für uns erreichen können, und dann immer noch ungewiß, ob sie
auch für andere wirksam ist. Auf diese Ungewißheit kann sich aber zu allerletzt


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[0084] Das seltenste Fremdwort Wendung gegeben werden kann, braucht den Dichter. dem das Inhaltliche stets Nebensache ist, nicht bedenklich zu machen. Bei Licht besehen beruht das ganze sprachschöpferische Genie des Dichters, ein Instinkt wie der Spürsinn des Jagd¬ hundes, weniger darin, daß er neue Quellen aus dem Felsen schlägt, als daß er die alten, verschütteten Brunnen der lebendigen Sprache freilegt. Unver¬ geßlich ist mir in der Beziehung der starke Eindruck geblieben, den ich hatte, als ich zum erstenmale im Wallenstein las: „Die Freiheit reizte mich und das Vermögen." „Vermögen"? Ja, allerdings, aber nicht in dem hausbackenen Sinne, auf den wir das Wort festgelegt haben, sondern: die Macht haben. Diese ureigenste Bedeutung kommt hier plötzlich und zwingend zutage. Wie hätte dafür jeder Nicht-Dichter gesagt? Er hätte sich überlegt: was will ich denn „im Grunde" sagen? und hätte dabei unwillkürlich seinen Gedanken so abstrakt wie möglich gefaßt, also etwa: „Durch Freiheit ließ ich mich und Möglichkeit Verlocken." Hier läßt uns der Eindruck ganz kühl, weil alle Worte nur an unseren Verstandesmechanismus rühren. Darum ist das Faktische vielleicht psychologisch „richtiger" gegeben, aber das psychische Erlebnis bleibt aus. Im grundlegenden Gegensatz zu dieser „Aufdeckung" des Faktischen, strebt der Dichter beständig nach seiner pantomimischen Verkleidung. Er geht deshalb davon aus: „wie kann ich mir das äußerlich wirksam machen, was ich mir denke," und gelangt damit von selbst dazu, die abstrakte, passive Möglichkeit, die er „im Grunde" natürlich ebenso meint, in der durch den Artikel und die aktive Satzwendung leibhaftig gewordenen Freiheit auszudrücken, die er, da sie ihm immer noch zu sehr „von des Gedanken Blässe angekränkelt" erschien, zur vollen Abrundung ihrer Bildhaftigkeit durch das stark farbige „Vermögen" er¬ gänzte. Gewiß ist der Ausdruck „Vermögen" dabei kühn, aber er empfängt sein Licht von der voranstehenden Freiheit, ebenso wie er auf sie Kraft und Leben spendend zurückstrahlt. Beide zusammen bilden ein großartiges Hendia- dyoin, das, indem es den Anreiz zur Tat sowohl in den äußeren Macht¬ verhältnissen, der „Freiheit", wie in den, inneren Machtbemußtsein, dem „Ver¬ mögen", sieht und auch wirklich sichtbar zu machen versteht, uns die tragische Gebundenheit des Helden blitzartig erhellt. Ja, könnte man da nun fragen, vermag denn nicht jeder aus diesen ver¬ schütteten Brunnen zu schöpfen? Das ist aber nicht möglich. Es liegt eben in der dichterischen Sphäre, deren nähere Untersuchung wir uns hier versagen müssen, eine gewisse Suggestion, die dem Dürstenden die Frische des Quells in demselben Wasser zu kosten gibt, das dem Satter nur fade und abgestanden schmeckt. Es ist nur vereinzelt, daß wir auch in der prosaischen Sphäre diese Suggestion für uns erreichen können, und dann immer noch ungewiß, ob sie auch für andere wirksam ist. Auf diese Ungewißheit kann sich aber zu allerletzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/84>, abgerufen am 24.08.2024.