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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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gestattet, ihre ungeschliffenen Begriffe -- und ihre Gefühlsbedürfnisse hineinzu¬
tragen. Indem aber gegenüber dieser allgemeinen Fassung die Anwendung,
wie jede Praxis, im Besonderen bleibt, ist gerade das Vernünftige des Satzes
nicht zu denken ohne die schärfste begriffliche Einengung. Da es nun nicht
jedermann gegeben ist, jederzeit ein xranum 8alis vorrätig zu halten, wird
einfach mit zunehmender Popularisierung der Sinn in das Eindeutige des Wort-
wörtlichen vergröbert. Dieser Entwicklung vom Programm zum Schlagwort ist
noch keine fruchtbare Wahrheit entgangen: Das IZMlitü-geschrei der Revolution
endete auf der Guillotine, die "Entdeckung" vom Formwesen der Kunst weniger
abschließend, aber ebenso schmerzhaft in den Schreckenskammern unserer Moderne.
So alt wie die Idee der Sprachreinigung ist deshalb auch ihre Ausschlachtung
durch die Fanatiker der "Konsequenz". Von der "Deutschgesinnten Genossen¬
schaft" des Philipp von Zehen, dessen "Zerdeutschungen", wie Vilmar sie treffend
bezeichnet, nur noch als antiquarische Merkwürdigkeiten in den Literaturgeschichten
ein unrühmliches Leben fristen, über Joachim Heinrich Campe, "die furchtbare
Waschfrau, welche die Sprache des Teut säubert mit Lauge und Sand"*),
führt eine Linie gesinnungstüchtiger Verwandtschaft bis auf unsere Tage. Daher
sahen sich auch von jeher gerade die feinfühligster Verehrer der deutschen Sprache,
wie Schiller und Schopenhauer, in die Opposition getrieben.

Wo ist nun der Punkt, an dem man das Programm: "Dem Deutschen
deutsch!" mißbräuchlich durchbrechen kann? So kurz es ist, es hat zwei solcher
Punkte. Einmal ist es die sachliche Forderung "Deutsch!", die man übertreiben
kann: "Deutsch um jeden Preis!" In diesem sozusagen handgreiflichen Mi߬
brauch schwelgte die naivere Zeit eines Philipp von Zehen: Löschhorn für Nase,
Lustine für Venus, Selbstand für Person, das klingt heute jedem lächerlich.
Unauffälliger ist man darum jetzt an der Arbeit, die übertreibende Tendenz in
das Anwendungsgebiet "dem Deutschen" zu verlegen. Wozu lebt man denn
in einem Polizeistaat, als daß man für solche staatserhaltende Begriffe wie
den Deutschen "maßgebliche" Bestimmungen hätte, durch die aller sophistischen
Ausdeutung die Spitze abgebrochen wird!? Wer ein Deutscher ist, entscheidet
ganz einfach das Personalpapier und damit punktum. Diese amtlich gestempelte
Beweismacht ist allerdings unerschütterlich, nur beweist sie an unserem Falle
vorbei; denn hier handelt es sich offenbar gar nicht darum, ob einer so ein
Teutscher von Staats wegen "ist", sondern ob er als solcher spricht oder schreibt.
Wie aber, wenn er nicht "als solcher" spricht oder schreibt, sondern sich sachlich
äußert, d. h. wenn er eine Sache sprachlich niederlegt, deren eigenste Form gar
nicht deutsch bedingt ist, weil hier die Form oder Methode überhaupt vor aller
konkret sprachlichen Wiedergabe der Sache zugehört? Wenn er mit anderen
Worten wissenschaftlich arbeitet? Dann hat für ihn das Programm der natio¬
nalen Sprachreinheit eben keinen Sinn mehr. Man sei sich doch darüber klar,



") Schiller: Xeme 37.
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gestattet, ihre ungeschliffenen Begriffe — und ihre Gefühlsbedürfnisse hineinzu¬
tragen. Indem aber gegenüber dieser allgemeinen Fassung die Anwendung,
wie jede Praxis, im Besonderen bleibt, ist gerade das Vernünftige des Satzes
nicht zu denken ohne die schärfste begriffliche Einengung. Da es nun nicht
jedermann gegeben ist, jederzeit ein xranum 8alis vorrätig zu halten, wird
einfach mit zunehmender Popularisierung der Sinn in das Eindeutige des Wort-
wörtlichen vergröbert. Dieser Entwicklung vom Programm zum Schlagwort ist
noch keine fruchtbare Wahrheit entgangen: Das IZMlitü-geschrei der Revolution
endete auf der Guillotine, die „Entdeckung" vom Formwesen der Kunst weniger
abschließend, aber ebenso schmerzhaft in den Schreckenskammern unserer Moderne.
So alt wie die Idee der Sprachreinigung ist deshalb auch ihre Ausschlachtung
durch die Fanatiker der „Konsequenz". Von der „Deutschgesinnten Genossen¬
schaft" des Philipp von Zehen, dessen „Zerdeutschungen", wie Vilmar sie treffend
bezeichnet, nur noch als antiquarische Merkwürdigkeiten in den Literaturgeschichten
ein unrühmliches Leben fristen, über Joachim Heinrich Campe, „die furchtbare
Waschfrau, welche die Sprache des Teut säubert mit Lauge und Sand"*),
führt eine Linie gesinnungstüchtiger Verwandtschaft bis auf unsere Tage. Daher
sahen sich auch von jeher gerade die feinfühligster Verehrer der deutschen Sprache,
wie Schiller und Schopenhauer, in die Opposition getrieben.

Wo ist nun der Punkt, an dem man das Programm: „Dem Deutschen
deutsch!" mißbräuchlich durchbrechen kann? So kurz es ist, es hat zwei solcher
Punkte. Einmal ist es die sachliche Forderung „Deutsch!", die man übertreiben
kann: „Deutsch um jeden Preis!" In diesem sozusagen handgreiflichen Mi߬
brauch schwelgte die naivere Zeit eines Philipp von Zehen: Löschhorn für Nase,
Lustine für Venus, Selbstand für Person, das klingt heute jedem lächerlich.
Unauffälliger ist man darum jetzt an der Arbeit, die übertreibende Tendenz in
das Anwendungsgebiet „dem Deutschen" zu verlegen. Wozu lebt man denn
in einem Polizeistaat, als daß man für solche staatserhaltende Begriffe wie
den Deutschen „maßgebliche" Bestimmungen hätte, durch die aller sophistischen
Ausdeutung die Spitze abgebrochen wird!? Wer ein Deutscher ist, entscheidet
ganz einfach das Personalpapier und damit punktum. Diese amtlich gestempelte
Beweismacht ist allerdings unerschütterlich, nur beweist sie an unserem Falle
vorbei; denn hier handelt es sich offenbar gar nicht darum, ob einer so ein
Teutscher von Staats wegen „ist", sondern ob er als solcher spricht oder schreibt.
Wie aber, wenn er nicht „als solcher" spricht oder schreibt, sondern sich sachlich
äußert, d. h. wenn er eine Sache sprachlich niederlegt, deren eigenste Form gar
nicht deutsch bedingt ist, weil hier die Form oder Methode überhaupt vor aller
konkret sprachlichen Wiedergabe der Sache zugehört? Wenn er mit anderen
Worten wissenschaftlich arbeitet? Dann hat für ihn das Programm der natio¬
nalen Sprachreinheit eben keinen Sinn mehr. Man sei sich doch darüber klar,



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[0068] Das stilcchto ^sremdivort gestattet, ihre ungeschliffenen Begriffe — und ihre Gefühlsbedürfnisse hineinzu¬ tragen. Indem aber gegenüber dieser allgemeinen Fassung die Anwendung, wie jede Praxis, im Besonderen bleibt, ist gerade das Vernünftige des Satzes nicht zu denken ohne die schärfste begriffliche Einengung. Da es nun nicht jedermann gegeben ist, jederzeit ein xranum 8alis vorrätig zu halten, wird einfach mit zunehmender Popularisierung der Sinn in das Eindeutige des Wort- wörtlichen vergröbert. Dieser Entwicklung vom Programm zum Schlagwort ist noch keine fruchtbare Wahrheit entgangen: Das IZMlitü-geschrei der Revolution endete auf der Guillotine, die „Entdeckung" vom Formwesen der Kunst weniger abschließend, aber ebenso schmerzhaft in den Schreckenskammern unserer Moderne. So alt wie die Idee der Sprachreinigung ist deshalb auch ihre Ausschlachtung durch die Fanatiker der „Konsequenz". Von der „Deutschgesinnten Genossen¬ schaft" des Philipp von Zehen, dessen „Zerdeutschungen", wie Vilmar sie treffend bezeichnet, nur noch als antiquarische Merkwürdigkeiten in den Literaturgeschichten ein unrühmliches Leben fristen, über Joachim Heinrich Campe, „die furchtbare Waschfrau, welche die Sprache des Teut säubert mit Lauge und Sand"*), führt eine Linie gesinnungstüchtiger Verwandtschaft bis auf unsere Tage. Daher sahen sich auch von jeher gerade die feinfühligster Verehrer der deutschen Sprache, wie Schiller und Schopenhauer, in die Opposition getrieben. Wo ist nun der Punkt, an dem man das Programm: „Dem Deutschen deutsch!" mißbräuchlich durchbrechen kann? So kurz es ist, es hat zwei solcher Punkte. Einmal ist es die sachliche Forderung „Deutsch!", die man übertreiben kann: „Deutsch um jeden Preis!" In diesem sozusagen handgreiflichen Mi߬ brauch schwelgte die naivere Zeit eines Philipp von Zehen: Löschhorn für Nase, Lustine für Venus, Selbstand für Person, das klingt heute jedem lächerlich. Unauffälliger ist man darum jetzt an der Arbeit, die übertreibende Tendenz in das Anwendungsgebiet „dem Deutschen" zu verlegen. Wozu lebt man denn in einem Polizeistaat, als daß man für solche staatserhaltende Begriffe wie den Deutschen „maßgebliche" Bestimmungen hätte, durch die aller sophistischen Ausdeutung die Spitze abgebrochen wird!? Wer ein Deutscher ist, entscheidet ganz einfach das Personalpapier und damit punktum. Diese amtlich gestempelte Beweismacht ist allerdings unerschütterlich, nur beweist sie an unserem Falle vorbei; denn hier handelt es sich offenbar gar nicht darum, ob einer so ein Teutscher von Staats wegen „ist", sondern ob er als solcher spricht oder schreibt. Wie aber, wenn er nicht „als solcher" spricht oder schreibt, sondern sich sachlich äußert, d. h. wenn er eine Sache sprachlich niederlegt, deren eigenste Form gar nicht deutsch bedingt ist, weil hier die Form oder Methode überhaupt vor aller konkret sprachlichen Wiedergabe der Sache zugehört? Wenn er mit anderen Worten wissenschaftlich arbeitet? Dann hat für ihn das Programm der natio¬ nalen Sprachreinheit eben keinen Sinn mehr. Man sei sich doch darüber klar, ") Schiller: Xeme 37.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/68>, abgerufen am 22.12.2024.