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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Zur Gntvölkerungsfrage
"Line Studie aus Frankreich
Gerichtsassessor Dr. Goltermann, vonzurzeit in
III.

Überwiegen demnach bei weitem die nachteiligen Folgen der Entvölkerung
und hat nicht nur Frankreich seine beste Bevölkerungsdichte, das günstigste Ver¬
hältnis zwischen Bevölkerungszahl und Unterhaltsmitteln, noch nicht erreicht,
sondern kann die ganze Erde wohl das Vierfache ihrer jetzigen 1^/z Milliarden
Menschen ernähren, so ist die Entvölkerung mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Um diese zu finden, ist von den Gründen für dle Bevölkerungsabnahme aus¬
zugehen.

Die Sterblichkeit zeigt bereits in allen Ländern infolge der mannigfachen
Vorkehrungsmaßregeln eine erhebliche Abnahme, ist jedoch namentlich während
des ersten Lebensjahres und ganz besonders im ersten Monate noch bedeutend
mangels genügender Fürsorge für Mutter und Kind. Es handelt sich hier aber
vor allem darum, die Gründe für die Geburtenminderung festzustellen.

1. Eine Reihe von Gründen wird physiologischer Art sein. Denn wenn
auch unter den 16 Prozent (nach Bertillon 17,1 Prozent) kinderlosen Ehen in
Frankreich manche sein mögen, die nur wenige Monate gedauert haben, daher keine
Kinder haben konnten, andere, die ihre Kinder verloren haben, so wird doch ein
erheblicher Prozentsatz von solchen übrig bleiben, in denen Kinder jahrelang
vergeblich erwartet wurden. Manches fürstliche und vornehme Geschlecht ist
wider seinen Willen ausgestorben. Außer den Geschlechtskrankheiten und der
pathologischen Sterilität, die vielleicht in Frankreich besonders verbreitet sind,
könnte man eine Rasseneigentümlichkeit annehmen, verleitet durch die Tatsache,
daß die flandrischen und wallonischen, also mit ausländischen Elementen
gemischten Provinzen Frankreichs und die deutschen Kantone der Schweiz eine
höhere Geburtenziffer aufweisen als die rein französischen Landesteile. Aber es
gibt in Deutschland und England verhältnismäßig mehr kinderlose Ehen als
in Frankreich. An der verhältnismäßig großen Anzahl der Totgeburten
in Frankreich (36000 neben 774000 lebenden im Jahre 1910) mag dagegen
neben Krankheiten auch die Rasse schuld sein. Das dreimalige Aussterben der
französischen Königsfamilie, das man auch auf Überernährung hat zurückführen
wollen, dürfte seine -- in gewissen Fällen vielleicht heute noch zutreffende --
Erklärung natürlicher in den vielen Mätressen finden; nur die von ihnen übrig




Zur Gntvölkerungsfrage
«Line Studie aus Frankreich
Gerichtsassessor Dr. Goltermann, vonzurzeit in
III.

Überwiegen demnach bei weitem die nachteiligen Folgen der Entvölkerung
und hat nicht nur Frankreich seine beste Bevölkerungsdichte, das günstigste Ver¬
hältnis zwischen Bevölkerungszahl und Unterhaltsmitteln, noch nicht erreicht,
sondern kann die ganze Erde wohl das Vierfache ihrer jetzigen 1^/z Milliarden
Menschen ernähren, so ist die Entvölkerung mit allen Mitteln zu bekämpfen.
Um diese zu finden, ist von den Gründen für dle Bevölkerungsabnahme aus¬
zugehen.

Die Sterblichkeit zeigt bereits in allen Ländern infolge der mannigfachen
Vorkehrungsmaßregeln eine erhebliche Abnahme, ist jedoch namentlich während
des ersten Lebensjahres und ganz besonders im ersten Monate noch bedeutend
mangels genügender Fürsorge für Mutter und Kind. Es handelt sich hier aber
vor allem darum, die Gründe für die Geburtenminderung festzustellen.

1. Eine Reihe von Gründen wird physiologischer Art sein. Denn wenn
auch unter den 16 Prozent (nach Bertillon 17,1 Prozent) kinderlosen Ehen in
Frankreich manche sein mögen, die nur wenige Monate gedauert haben, daher keine
Kinder haben konnten, andere, die ihre Kinder verloren haben, so wird doch ein
erheblicher Prozentsatz von solchen übrig bleiben, in denen Kinder jahrelang
vergeblich erwartet wurden. Manches fürstliche und vornehme Geschlecht ist
wider seinen Willen ausgestorben. Außer den Geschlechtskrankheiten und der
pathologischen Sterilität, die vielleicht in Frankreich besonders verbreitet sind,
könnte man eine Rasseneigentümlichkeit annehmen, verleitet durch die Tatsache,
daß die flandrischen und wallonischen, also mit ausländischen Elementen
gemischten Provinzen Frankreichs und die deutschen Kantone der Schweiz eine
höhere Geburtenziffer aufweisen als die rein französischen Landesteile. Aber es
gibt in Deutschland und England verhältnismäßig mehr kinderlose Ehen als
in Frankreich. An der verhältnismäßig großen Anzahl der Totgeburten
in Frankreich (36000 neben 774000 lebenden im Jahre 1910) mag dagegen
neben Krankheiten auch die Rasse schuld sein. Das dreimalige Aussterben der
französischen Königsfamilie, das man auch auf Überernährung hat zurückführen
wollen, dürfte seine — in gewissen Fällen vielleicht heute noch zutreffende —
Erklärung natürlicher in den vielen Mätressen finden; nur die von ihnen übrig


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[0632] [Abbildung] Zur Gntvölkerungsfrage «Line Studie aus Frankreich Gerichtsassessor Dr. Goltermann, vonzurzeit in III. Überwiegen demnach bei weitem die nachteiligen Folgen der Entvölkerung und hat nicht nur Frankreich seine beste Bevölkerungsdichte, das günstigste Ver¬ hältnis zwischen Bevölkerungszahl und Unterhaltsmitteln, noch nicht erreicht, sondern kann die ganze Erde wohl das Vierfache ihrer jetzigen 1^/z Milliarden Menschen ernähren, so ist die Entvölkerung mit allen Mitteln zu bekämpfen. Um diese zu finden, ist von den Gründen für dle Bevölkerungsabnahme aus¬ zugehen. Die Sterblichkeit zeigt bereits in allen Ländern infolge der mannigfachen Vorkehrungsmaßregeln eine erhebliche Abnahme, ist jedoch namentlich während des ersten Lebensjahres und ganz besonders im ersten Monate noch bedeutend mangels genügender Fürsorge für Mutter und Kind. Es handelt sich hier aber vor allem darum, die Gründe für die Geburtenminderung festzustellen. 1. Eine Reihe von Gründen wird physiologischer Art sein. Denn wenn auch unter den 16 Prozent (nach Bertillon 17,1 Prozent) kinderlosen Ehen in Frankreich manche sein mögen, die nur wenige Monate gedauert haben, daher keine Kinder haben konnten, andere, die ihre Kinder verloren haben, so wird doch ein erheblicher Prozentsatz von solchen übrig bleiben, in denen Kinder jahrelang vergeblich erwartet wurden. Manches fürstliche und vornehme Geschlecht ist wider seinen Willen ausgestorben. Außer den Geschlechtskrankheiten und der pathologischen Sterilität, die vielleicht in Frankreich besonders verbreitet sind, könnte man eine Rasseneigentümlichkeit annehmen, verleitet durch die Tatsache, daß die flandrischen und wallonischen, also mit ausländischen Elementen gemischten Provinzen Frankreichs und die deutschen Kantone der Schweiz eine höhere Geburtenziffer aufweisen als die rein französischen Landesteile. Aber es gibt in Deutschland und England verhältnismäßig mehr kinderlose Ehen als in Frankreich. An der verhältnismäßig großen Anzahl der Totgeburten in Frankreich (36000 neben 774000 lebenden im Jahre 1910) mag dagegen neben Krankheiten auch die Rasse schuld sein. Das dreimalige Aussterben der französischen Königsfamilie, das man auch auf Überernährung hat zurückführen wollen, dürfte seine — in gewissen Fällen vielleicht heute noch zutreffende — Erklärung natürlicher in den vielen Mätressen finden; nur die von ihnen übrig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/632>, abgerufen am 22.12.2024.