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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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heit hatte, ihm näherzutreten, und es läßt sich aus solchen und ähnlichen Be¬
gebenheiten auch verstehen, wenn er sich unter den in politisch gespannten
Zeiten stets auf das äußerste überlasteten führenden Journalisten sowie auch unter
den Parlamentariern die größten Feinde machen konnte, ohne es je zu wollen.




Kiderlens Leben hat im Hause eines Bankiers begonnen und diese Tat¬
sache sowohl wie seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu Diplomatenfamilien
mütterlicherseits wiesen ihm von vornherein den Weg aus seiner engeren Heimat
Württemberg. Dennoch hat sein stark entwickeltes Heimatsgefühl, das warm¬
herzigen Ausdruck in manchem Wort fand, es ihn zunächst versuchen lassen,
in den Dienst der engeren Heimat zu treten. Aber die erste Teilnahme an dem
Mittagstisch des kleinen Städtchens, in dem er seine Laufbahn beginnen sollte,
scheuchte den munteren Rechtspraktikanten wieder davon. Er erzählte es ge¬
legentlich, wie ihn der Gedanke entsetzt habe, dermaleinst ähnlich in den Ver¬
hältnissen der Kleinstadt versäuern zu müssen, wie es bei einigen von den
älteren Tischgenossen der ersten Mahlzeit augenscheinlich der Fall war. Persön¬
liche Beziehungen zum württembergischen Gesandten in Berlin brachten ihn bald
darauf in eine Abendgesellschaft des Fürsten Bismarck. Damit war sein Schicksal
besiegelt. Es gelang, das Interesse des Altreichskanzlers auf den munteren
Schwaben zu lenken. Im Jahre 1879 trat Kiderlen-Waechter als Attachö in
das Auswärtige Amt ein; seine Laufbahn im Auslande führte ihn für längere
Zeit nach Paris, Petersburg und Konstantinopel; im Jahre 1888, bald nach
dem Antritt der Regierung durch Kaiser Wilhelm den Zweiten, wurde er als
Hilfsarbeiter in die politische Abteilung des Auswärtigen Amts berufen, wo
er bald zum vortragenden Rat und Begleiter des Kaisers auf dessen Reisen
aufstieg: ein Mann der Zukunft.

Kiderlens Aufstieg erhielt indessen eine empfindliche Unterbrechung dadurch,
daß der Kaiser ihm ziemlich unvermittelt seine Huld entzog. Die letzten Gründe
der Ungnade hat der Berliner Vertreter der Frankfurter Zeitung richtig dar¬
gestellt: Kiderlen pflegte -- wie es übrigens auch die meisten anderen Diplo¬
maten taten -- neben seinen amtlichen Berichten an den damaligen Staats¬
sekretär des Auswärtigen Amts Freiherrn Marschall von Bieberstein auch private
Briefe an diesen zu richten. Diese Briefe, Kabinettsstücke eines naturreinen
kräftigen Humors, schilderten das Leben auf der Reise und die daran beteiligten
Persönlichkeiten, beleuchteten die an Bord besprochenen Fragen und stellten über¬
haupt geistreiche Erläuterungen und Glossen zu der amtlichen Korrespondenz dar.
Nun wirken solche Glossen acht Tage nach der Niederschrift anders als Jahre
später. Durch irgendeinen Zufall, über den Kiderlen seine Mutmaßungen hatte,
sind dem Kaiser einige solcher Briefe mit entsprechendem Kommentar in die Hand
gespielt worden. Der Kaiser, der ursprünglich für den humorvollen Schwaben


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Alfred von Kiderlen-Waechter

heit hatte, ihm näherzutreten, und es läßt sich aus solchen und ähnlichen Be¬
gebenheiten auch verstehen, wenn er sich unter den in politisch gespannten
Zeiten stets auf das äußerste überlasteten führenden Journalisten sowie auch unter
den Parlamentariern die größten Feinde machen konnte, ohne es je zu wollen.




Kiderlens Leben hat im Hause eines Bankiers begonnen und diese Tat¬
sache sowohl wie seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu Diplomatenfamilien
mütterlicherseits wiesen ihm von vornherein den Weg aus seiner engeren Heimat
Württemberg. Dennoch hat sein stark entwickeltes Heimatsgefühl, das warm¬
herzigen Ausdruck in manchem Wort fand, es ihn zunächst versuchen lassen,
in den Dienst der engeren Heimat zu treten. Aber die erste Teilnahme an dem
Mittagstisch des kleinen Städtchens, in dem er seine Laufbahn beginnen sollte,
scheuchte den munteren Rechtspraktikanten wieder davon. Er erzählte es ge¬
legentlich, wie ihn der Gedanke entsetzt habe, dermaleinst ähnlich in den Ver¬
hältnissen der Kleinstadt versäuern zu müssen, wie es bei einigen von den
älteren Tischgenossen der ersten Mahlzeit augenscheinlich der Fall war. Persön¬
liche Beziehungen zum württembergischen Gesandten in Berlin brachten ihn bald
darauf in eine Abendgesellschaft des Fürsten Bismarck. Damit war sein Schicksal
besiegelt. Es gelang, das Interesse des Altreichskanzlers auf den munteren
Schwaben zu lenken. Im Jahre 1879 trat Kiderlen-Waechter als Attachö in
das Auswärtige Amt ein; seine Laufbahn im Auslande führte ihn für längere
Zeit nach Paris, Petersburg und Konstantinopel; im Jahre 1888, bald nach
dem Antritt der Regierung durch Kaiser Wilhelm den Zweiten, wurde er als
Hilfsarbeiter in die politische Abteilung des Auswärtigen Amts berufen, wo
er bald zum vortragenden Rat und Begleiter des Kaisers auf dessen Reisen
aufstieg: ein Mann der Zukunft.

Kiderlens Aufstieg erhielt indessen eine empfindliche Unterbrechung dadurch,
daß der Kaiser ihm ziemlich unvermittelt seine Huld entzog. Die letzten Gründe
der Ungnade hat der Berliner Vertreter der Frankfurter Zeitung richtig dar¬
gestellt: Kiderlen pflegte — wie es übrigens auch die meisten anderen Diplo¬
maten taten — neben seinen amtlichen Berichten an den damaligen Staats¬
sekretär des Auswärtigen Amts Freiherrn Marschall von Bieberstein auch private
Briefe an diesen zu richten. Diese Briefe, Kabinettsstücke eines naturreinen
kräftigen Humors, schilderten das Leben auf der Reise und die daran beteiligten
Persönlichkeiten, beleuchteten die an Bord besprochenen Fragen und stellten über¬
haupt geistreiche Erläuterungen und Glossen zu der amtlichen Korrespondenz dar.
Nun wirken solche Glossen acht Tage nach der Niederschrift anders als Jahre
später. Durch irgendeinen Zufall, über den Kiderlen seine Mutmaßungen hatte,
sind dem Kaiser einige solcher Briefe mit entsprechendem Kommentar in die Hand
gespielt worden. Der Kaiser, der ursprünglich für den humorvollen Schwaben


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[0063] Alfred von Kiderlen-Waechter heit hatte, ihm näherzutreten, und es läßt sich aus solchen und ähnlichen Be¬ gebenheiten auch verstehen, wenn er sich unter den in politisch gespannten Zeiten stets auf das äußerste überlasteten führenden Journalisten sowie auch unter den Parlamentariern die größten Feinde machen konnte, ohne es je zu wollen. Kiderlens Leben hat im Hause eines Bankiers begonnen und diese Tat¬ sache sowohl wie seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu Diplomatenfamilien mütterlicherseits wiesen ihm von vornherein den Weg aus seiner engeren Heimat Württemberg. Dennoch hat sein stark entwickeltes Heimatsgefühl, das warm¬ herzigen Ausdruck in manchem Wort fand, es ihn zunächst versuchen lassen, in den Dienst der engeren Heimat zu treten. Aber die erste Teilnahme an dem Mittagstisch des kleinen Städtchens, in dem er seine Laufbahn beginnen sollte, scheuchte den munteren Rechtspraktikanten wieder davon. Er erzählte es ge¬ legentlich, wie ihn der Gedanke entsetzt habe, dermaleinst ähnlich in den Ver¬ hältnissen der Kleinstadt versäuern zu müssen, wie es bei einigen von den älteren Tischgenossen der ersten Mahlzeit augenscheinlich der Fall war. Persön¬ liche Beziehungen zum württembergischen Gesandten in Berlin brachten ihn bald darauf in eine Abendgesellschaft des Fürsten Bismarck. Damit war sein Schicksal besiegelt. Es gelang, das Interesse des Altreichskanzlers auf den munteren Schwaben zu lenken. Im Jahre 1879 trat Kiderlen-Waechter als Attachö in das Auswärtige Amt ein; seine Laufbahn im Auslande führte ihn für längere Zeit nach Paris, Petersburg und Konstantinopel; im Jahre 1888, bald nach dem Antritt der Regierung durch Kaiser Wilhelm den Zweiten, wurde er als Hilfsarbeiter in die politische Abteilung des Auswärtigen Amts berufen, wo er bald zum vortragenden Rat und Begleiter des Kaisers auf dessen Reisen aufstieg: ein Mann der Zukunft. Kiderlens Aufstieg erhielt indessen eine empfindliche Unterbrechung dadurch, daß der Kaiser ihm ziemlich unvermittelt seine Huld entzog. Die letzten Gründe der Ungnade hat der Berliner Vertreter der Frankfurter Zeitung richtig dar¬ gestellt: Kiderlen pflegte — wie es übrigens auch die meisten anderen Diplo¬ maten taten — neben seinen amtlichen Berichten an den damaligen Staats¬ sekretär des Auswärtigen Amts Freiherrn Marschall von Bieberstein auch private Briefe an diesen zu richten. Diese Briefe, Kabinettsstücke eines naturreinen kräftigen Humors, schilderten das Leben auf der Reise und die daran beteiligten Persönlichkeiten, beleuchteten die an Bord besprochenen Fragen und stellten über¬ haupt geistreiche Erläuterungen und Glossen zu der amtlichen Korrespondenz dar. Nun wirken solche Glossen acht Tage nach der Niederschrift anders als Jahre später. Durch irgendeinen Zufall, über den Kiderlen seine Mutmaßungen hatte, sind dem Kaiser einige solcher Briefe mit entsprechendem Kommentar in die Hand gespielt worden. Der Kaiser, der ursprünglich für den humorvollen Schwaben 4"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/63>, abgerufen am 24.07.2024.