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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Kämpfe unserer Lehrerschaft

Weibliche Leitung höherer Mädchenschulen

Wie lange ist die Mädchenschule das Stiefkind unserer Unterrichtsverwaltungen
gewesen! Erst in unseren Tagen ist auch sie von dem starken pädagogischen
Interesse erfaßt worden, das heute immer weitere Kreise erfüllt, und nicht das
geringste Verdienst daran haben jene hervorragenden Führerinnen der geistigen
Frauenbewegung, wie Helene Lange und Gertrud Banner, die mit klarem Blicke
erkannten, daß die Verwirklichung ihrer Forderungen zum guten Teile eine ganz
andere Erziehung der Mädchen wie bisher zur Voraussetzung haben müßte.
Wie war es denn bis dahin gewesen? War die höhere Töchterschule wirklich
eine Vorbereitung fürs Leben gewesen, hatte wirklich die Frau den Einfluß auf
die Gestaltung des Unterrichts und der Erziehung ihrer Geschlechtsgenossinnen
gehabt, der ihr zukam? Im Gegenteil, die ganze Mädchenschule war nur eine
Art Notbehelf, eine Anstandspflicht, mit deren Erfüllung man sich so wenig
Kopfschmerzen wie möglich machte. Den schlagendsten Beweis dafür bilden die
Ausgaben für das Mädchenschulwesen, die bis zum heutigen Tage einen ganz
lächerlichen Prozentsatz der allgemeinen Ausgaben für das Unterrichtswesen aus¬
machen. Was war schließlich der letzte Grund von dieser stiefmütterlichen Be¬
Handlungsweise der Mädchenerziehung gewesen? Hauptsächlich wohl der Um¬
stand, daß es männliche Gedankenrichtungen, männliche Ideale und männliche
Auffassungen vom echt weiblichen Wesen waren, die Richtung und Mittel der
Erziehung des weiblichen Geschlechts bestimmten.

Wesentliche Fortschritte sind bis heute gemacht; dank seiner durch keine
humanistische Erbschaft belasteten Vergangenheit ist das Problem der Neugestaltung
der Mädchenschule zu einer der reizvollsten Aufgaben für Psychologen und Päda¬
gogen, sowie vor allem für die Unterrichtsverwaltungen in Stadt und Staat
geworden, freilich zugleich ist sie auch ein Kampfobjekt -- und leider, leider wird die
Mädchenschule auch bald eine Versorgungsanstalt für die immer zahlreicheren
jungen Lehrer werden, die wegen der Überfüllung im Lehrberuf keine Anstellung
an den höheren Knabenschulen finden.

In dem Streit um die Mädchenschule sind die Frauen Schritt für Schritt
vorwärts gedrungen, aber je größere Erfolge sie hatten, desto erbitterter wurde
der Kampf um die noch nicht genommenen Positionen. Noch sind trotz ihrer
gleichen Vorbildung weibliche und männliche Lehrkräfte in ihren Gehaltsbezügen
nicht gleichgestellt, noch rangieren -- ein scheinbar äußerlicher, aber doch recht
bezeichnender Umstand -- in den Lehrpersonallisten die Lehrerinnen meist erst
hinter allen männlichen Lehrkräften, obschon doch sonst überall das Anciennitäts-
prinzip durchgeführt ist. Am merkwürdigsten ist aber, daß man ihnen vielfach
noch den Posten mit aller Energie vorenthält, für den doch gerade sie als die
Berufenen erscheinen, die oberste Leitung der Mädchenschulen.

In einigen Bundesstaaten allerdings ist ihnen die Möglichkeit gegeben,
Direktorin der Schule zu werden, so in Preußen, Bayern, Baden und Württem¬
berg. Aber auch in diesen Staaten dauert die Opposition gegen diese Neuerung


Grenzboten I 1913 40
Kämpfe unserer Lehrerschaft

Weibliche Leitung höherer Mädchenschulen

Wie lange ist die Mädchenschule das Stiefkind unserer Unterrichtsverwaltungen
gewesen! Erst in unseren Tagen ist auch sie von dem starken pädagogischen
Interesse erfaßt worden, das heute immer weitere Kreise erfüllt, und nicht das
geringste Verdienst daran haben jene hervorragenden Führerinnen der geistigen
Frauenbewegung, wie Helene Lange und Gertrud Banner, die mit klarem Blicke
erkannten, daß die Verwirklichung ihrer Forderungen zum guten Teile eine ganz
andere Erziehung der Mädchen wie bisher zur Voraussetzung haben müßte.
Wie war es denn bis dahin gewesen? War die höhere Töchterschule wirklich
eine Vorbereitung fürs Leben gewesen, hatte wirklich die Frau den Einfluß auf
die Gestaltung des Unterrichts und der Erziehung ihrer Geschlechtsgenossinnen
gehabt, der ihr zukam? Im Gegenteil, die ganze Mädchenschule war nur eine
Art Notbehelf, eine Anstandspflicht, mit deren Erfüllung man sich so wenig
Kopfschmerzen wie möglich machte. Den schlagendsten Beweis dafür bilden die
Ausgaben für das Mädchenschulwesen, die bis zum heutigen Tage einen ganz
lächerlichen Prozentsatz der allgemeinen Ausgaben für das Unterrichtswesen aus¬
machen. Was war schließlich der letzte Grund von dieser stiefmütterlichen Be¬
Handlungsweise der Mädchenerziehung gewesen? Hauptsächlich wohl der Um¬
stand, daß es männliche Gedankenrichtungen, männliche Ideale und männliche
Auffassungen vom echt weiblichen Wesen waren, die Richtung und Mittel der
Erziehung des weiblichen Geschlechts bestimmten.

Wesentliche Fortschritte sind bis heute gemacht; dank seiner durch keine
humanistische Erbschaft belasteten Vergangenheit ist das Problem der Neugestaltung
der Mädchenschule zu einer der reizvollsten Aufgaben für Psychologen und Päda¬
gogen, sowie vor allem für die Unterrichtsverwaltungen in Stadt und Staat
geworden, freilich zugleich ist sie auch ein Kampfobjekt — und leider, leider wird die
Mädchenschule auch bald eine Versorgungsanstalt für die immer zahlreicheren
jungen Lehrer werden, die wegen der Überfüllung im Lehrberuf keine Anstellung
an den höheren Knabenschulen finden.

In dem Streit um die Mädchenschule sind die Frauen Schritt für Schritt
vorwärts gedrungen, aber je größere Erfolge sie hatten, desto erbitterter wurde
der Kampf um die noch nicht genommenen Positionen. Noch sind trotz ihrer
gleichen Vorbildung weibliche und männliche Lehrkräfte in ihren Gehaltsbezügen
nicht gleichgestellt, noch rangieren — ein scheinbar äußerlicher, aber doch recht
bezeichnender Umstand — in den Lehrpersonallisten die Lehrerinnen meist erst
hinter allen männlichen Lehrkräften, obschon doch sonst überall das Anciennitäts-
prinzip durchgeführt ist. Am merkwürdigsten ist aber, daß man ihnen vielfach
noch den Posten mit aller Energie vorenthält, für den doch gerade sie als die
Berufenen erscheinen, die oberste Leitung der Mädchenschulen.

In einigen Bundesstaaten allerdings ist ihnen die Möglichkeit gegeben,
Direktorin der Schule zu werden, so in Preußen, Bayern, Baden und Württem¬
berg. Aber auch in diesen Staaten dauert die Opposition gegen diese Neuerung


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[0629] Kämpfe unserer Lehrerschaft Weibliche Leitung höherer Mädchenschulen Wie lange ist die Mädchenschule das Stiefkind unserer Unterrichtsverwaltungen gewesen! Erst in unseren Tagen ist auch sie von dem starken pädagogischen Interesse erfaßt worden, das heute immer weitere Kreise erfüllt, und nicht das geringste Verdienst daran haben jene hervorragenden Führerinnen der geistigen Frauenbewegung, wie Helene Lange und Gertrud Banner, die mit klarem Blicke erkannten, daß die Verwirklichung ihrer Forderungen zum guten Teile eine ganz andere Erziehung der Mädchen wie bisher zur Voraussetzung haben müßte. Wie war es denn bis dahin gewesen? War die höhere Töchterschule wirklich eine Vorbereitung fürs Leben gewesen, hatte wirklich die Frau den Einfluß auf die Gestaltung des Unterrichts und der Erziehung ihrer Geschlechtsgenossinnen gehabt, der ihr zukam? Im Gegenteil, die ganze Mädchenschule war nur eine Art Notbehelf, eine Anstandspflicht, mit deren Erfüllung man sich so wenig Kopfschmerzen wie möglich machte. Den schlagendsten Beweis dafür bilden die Ausgaben für das Mädchenschulwesen, die bis zum heutigen Tage einen ganz lächerlichen Prozentsatz der allgemeinen Ausgaben für das Unterrichtswesen aus¬ machen. Was war schließlich der letzte Grund von dieser stiefmütterlichen Be¬ Handlungsweise der Mädchenerziehung gewesen? Hauptsächlich wohl der Um¬ stand, daß es männliche Gedankenrichtungen, männliche Ideale und männliche Auffassungen vom echt weiblichen Wesen waren, die Richtung und Mittel der Erziehung des weiblichen Geschlechts bestimmten. Wesentliche Fortschritte sind bis heute gemacht; dank seiner durch keine humanistische Erbschaft belasteten Vergangenheit ist das Problem der Neugestaltung der Mädchenschule zu einer der reizvollsten Aufgaben für Psychologen und Päda¬ gogen, sowie vor allem für die Unterrichtsverwaltungen in Stadt und Staat geworden, freilich zugleich ist sie auch ein Kampfobjekt — und leider, leider wird die Mädchenschule auch bald eine Versorgungsanstalt für die immer zahlreicheren jungen Lehrer werden, die wegen der Überfüllung im Lehrberuf keine Anstellung an den höheren Knabenschulen finden. In dem Streit um die Mädchenschule sind die Frauen Schritt für Schritt vorwärts gedrungen, aber je größere Erfolge sie hatten, desto erbitterter wurde der Kampf um die noch nicht genommenen Positionen. Noch sind trotz ihrer gleichen Vorbildung weibliche und männliche Lehrkräfte in ihren Gehaltsbezügen nicht gleichgestellt, noch rangieren — ein scheinbar äußerlicher, aber doch recht bezeichnender Umstand — in den Lehrpersonallisten die Lehrerinnen meist erst hinter allen männlichen Lehrkräften, obschon doch sonst überall das Anciennitäts- prinzip durchgeführt ist. Am merkwürdigsten ist aber, daß man ihnen vielfach noch den Posten mit aller Energie vorenthält, für den doch gerade sie als die Berufenen erscheinen, die oberste Leitung der Mädchenschulen. In einigen Bundesstaaten allerdings ist ihnen die Möglichkeit gegeben, Direktorin der Schule zu werden, so in Preußen, Bayern, Baden und Württem¬ berg. Aber auch in diesen Staaten dauert die Opposition gegen diese Neuerung Grenzboten I 1913 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/629>, abgerufen am 23.06.2024.