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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Rumpfe unserer Lehrerschaft

Reformversuche an der falschen Stelle an. Alle Lehrplan-, Stundenplan-, Me¬
thodenänderungen, alle "Erleichterungen" und Modernisierungen nützen nichts,
solange die Lehrer, die die neuen Herrlichkeiten in die Praxis umsetzen sollen,
sie nicht aus ganzem Herzen billigen. Und das geschieht in sehr vielen Fällen
eben nicht, und so fallen die Reformen, die einen langsamer, die andern schneller
ins Wasser.

Wenn die Reformer recht haben -- und ich bin überzeugt, daß das zum
guten Teil der Fall ist -- dann muß die Reform nicht bei den Schulen, sondern
bei den Lehrern beginnen. Wir brauchen andere als die Nurphilologen zu
Erziehern der zukünftigen Leiter unseres Volkes. D. h, wir brauchen eine andere
Philologenvorbildung.

Ein bezeichnender Streit über diese Frage fand sich neulich im Tag. Es
war vorgeschlagen worden, die jungen Philologen vor ihrem Studium ein
praktisches Ausbildungsjahr an einer Volksschule durchmachen zu lassen. Sofort
erwiderte ein akademischer Lehrer auf das energischste, daß eine Vermengung des
höheren Schulwesens mit der Volksschule unter allen Umständen wett von der
Hand zu weisen sei.

Der Vorfall ist typisch. Der Philologe ist überhaupt in keiner Weise ge¬
neigt, zuzugeben, daß Volksschulunterricht und höherer Unterricht im wesentlichen
dieselbe Sachen seien. Daher z. B. die Abneigung gegen den Oberlehrertitel
und die Vorliebe für das in der Mädchenfortbildung ja jetzt zum Siege ge¬
langte Kennwort "Studien".

Daß die Behörde diesen Standpunkt nicht glattweg teilt, ist ja in neuerer
Zeit klar genug durch die Zulassung der Mittelschullehrer zum Unterricht an
den Unterklassen höherer Schulen bekundet worden -- zum größten Schmerz der
Philologen. Man soll aber gegen diese gerecht sein. Es handelt sich hier nicht
bloß um den "Futterneid", obwohl dieser durchaus berechtigterweise natürlich
auch in Betracht kommt, es handelt sich für die Philologen in erster Linie um
den Kampf für das innerste Wesen ihres Berufsstandes. Sie wollen Gelehrte
sein und empfinden deshalb die berufliche (nicht rangliche) Gleichstellung der
seminarischen Lehrer nahezu als eine Schmach.

Mit welchem Recht? -- Bekanntlich stehen die Radikalen der Gegenseite
auf dem Standpunkt, daß der höhere Lehrerstand sich grundsätzlich aus den
tüchtigsten Volksschullehrern ergänzen solle, denen Gelegenheit zur "Weiterbildung"
verschafft werden müsse. Hier wird also auch der Standesunterschied verwischt
und die beiden Kategorien Lehrer stehen zueinander wie niedere und Stabs¬
offiziere.

Historisch haben unzweifelhaft die Philologen recht: Von Haus aus ist der
Bildner zukünftiger Gelehrter etwas nicht nur dem Grade, sondern der Art nach
völlig Verschiedenes von dem Schulmeister der Elementarschule, der Lesen,
Schreiben, Rechnen und Katechismus beibringt. Aber -- inzwischen sind wir
einige Jahrhunderte weiter gekommen. Unsere Volksschule ist nicht mehr Ele-


Rumpfe unserer Lehrerschaft

Reformversuche an der falschen Stelle an. Alle Lehrplan-, Stundenplan-, Me¬
thodenänderungen, alle „Erleichterungen" und Modernisierungen nützen nichts,
solange die Lehrer, die die neuen Herrlichkeiten in die Praxis umsetzen sollen,
sie nicht aus ganzem Herzen billigen. Und das geschieht in sehr vielen Fällen
eben nicht, und so fallen die Reformen, die einen langsamer, die andern schneller
ins Wasser.

Wenn die Reformer recht haben — und ich bin überzeugt, daß das zum
guten Teil der Fall ist — dann muß die Reform nicht bei den Schulen, sondern
bei den Lehrern beginnen. Wir brauchen andere als die Nurphilologen zu
Erziehern der zukünftigen Leiter unseres Volkes. D. h, wir brauchen eine andere
Philologenvorbildung.

Ein bezeichnender Streit über diese Frage fand sich neulich im Tag. Es
war vorgeschlagen worden, die jungen Philologen vor ihrem Studium ein
praktisches Ausbildungsjahr an einer Volksschule durchmachen zu lassen. Sofort
erwiderte ein akademischer Lehrer auf das energischste, daß eine Vermengung des
höheren Schulwesens mit der Volksschule unter allen Umständen wett von der
Hand zu weisen sei.

Der Vorfall ist typisch. Der Philologe ist überhaupt in keiner Weise ge¬
neigt, zuzugeben, daß Volksschulunterricht und höherer Unterricht im wesentlichen
dieselbe Sachen seien. Daher z. B. die Abneigung gegen den Oberlehrertitel
und die Vorliebe für das in der Mädchenfortbildung ja jetzt zum Siege ge¬
langte Kennwort „Studien".

Daß die Behörde diesen Standpunkt nicht glattweg teilt, ist ja in neuerer
Zeit klar genug durch die Zulassung der Mittelschullehrer zum Unterricht an
den Unterklassen höherer Schulen bekundet worden — zum größten Schmerz der
Philologen. Man soll aber gegen diese gerecht sein. Es handelt sich hier nicht
bloß um den „Futterneid", obwohl dieser durchaus berechtigterweise natürlich
auch in Betracht kommt, es handelt sich für die Philologen in erster Linie um
den Kampf für das innerste Wesen ihres Berufsstandes. Sie wollen Gelehrte
sein und empfinden deshalb die berufliche (nicht rangliche) Gleichstellung der
seminarischen Lehrer nahezu als eine Schmach.

Mit welchem Recht? — Bekanntlich stehen die Radikalen der Gegenseite
auf dem Standpunkt, daß der höhere Lehrerstand sich grundsätzlich aus den
tüchtigsten Volksschullehrern ergänzen solle, denen Gelegenheit zur „Weiterbildung"
verschafft werden müsse. Hier wird also auch der Standesunterschied verwischt
und die beiden Kategorien Lehrer stehen zueinander wie niedere und Stabs¬
offiziere.

Historisch haben unzweifelhaft die Philologen recht: Von Haus aus ist der
Bildner zukünftiger Gelehrter etwas nicht nur dem Grade, sondern der Art nach
völlig Verschiedenes von dem Schulmeister der Elementarschule, der Lesen,
Schreiben, Rechnen und Katechismus beibringt. Aber — inzwischen sind wir
einige Jahrhunderte weiter gekommen. Unsere Volksschule ist nicht mehr Ele-


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[0627] Rumpfe unserer Lehrerschaft Reformversuche an der falschen Stelle an. Alle Lehrplan-, Stundenplan-, Me¬ thodenänderungen, alle „Erleichterungen" und Modernisierungen nützen nichts, solange die Lehrer, die die neuen Herrlichkeiten in die Praxis umsetzen sollen, sie nicht aus ganzem Herzen billigen. Und das geschieht in sehr vielen Fällen eben nicht, und so fallen die Reformen, die einen langsamer, die andern schneller ins Wasser. Wenn die Reformer recht haben — und ich bin überzeugt, daß das zum guten Teil der Fall ist — dann muß die Reform nicht bei den Schulen, sondern bei den Lehrern beginnen. Wir brauchen andere als die Nurphilologen zu Erziehern der zukünftigen Leiter unseres Volkes. D. h, wir brauchen eine andere Philologenvorbildung. Ein bezeichnender Streit über diese Frage fand sich neulich im Tag. Es war vorgeschlagen worden, die jungen Philologen vor ihrem Studium ein praktisches Ausbildungsjahr an einer Volksschule durchmachen zu lassen. Sofort erwiderte ein akademischer Lehrer auf das energischste, daß eine Vermengung des höheren Schulwesens mit der Volksschule unter allen Umständen wett von der Hand zu weisen sei. Der Vorfall ist typisch. Der Philologe ist überhaupt in keiner Weise ge¬ neigt, zuzugeben, daß Volksschulunterricht und höherer Unterricht im wesentlichen dieselbe Sachen seien. Daher z. B. die Abneigung gegen den Oberlehrertitel und die Vorliebe für das in der Mädchenfortbildung ja jetzt zum Siege ge¬ langte Kennwort „Studien". Daß die Behörde diesen Standpunkt nicht glattweg teilt, ist ja in neuerer Zeit klar genug durch die Zulassung der Mittelschullehrer zum Unterricht an den Unterklassen höherer Schulen bekundet worden — zum größten Schmerz der Philologen. Man soll aber gegen diese gerecht sein. Es handelt sich hier nicht bloß um den „Futterneid", obwohl dieser durchaus berechtigterweise natürlich auch in Betracht kommt, es handelt sich für die Philologen in erster Linie um den Kampf für das innerste Wesen ihres Berufsstandes. Sie wollen Gelehrte sein und empfinden deshalb die berufliche (nicht rangliche) Gleichstellung der seminarischen Lehrer nahezu als eine Schmach. Mit welchem Recht? — Bekanntlich stehen die Radikalen der Gegenseite auf dem Standpunkt, daß der höhere Lehrerstand sich grundsätzlich aus den tüchtigsten Volksschullehrern ergänzen solle, denen Gelegenheit zur „Weiterbildung" verschafft werden müsse. Hier wird also auch der Standesunterschied verwischt und die beiden Kategorien Lehrer stehen zueinander wie niedere und Stabs¬ offiziere. Historisch haben unzweifelhaft die Philologen recht: Von Haus aus ist der Bildner zukünftiger Gelehrter etwas nicht nur dem Grade, sondern der Art nach völlig Verschiedenes von dem Schulmeister der Elementarschule, der Lesen, Schreiben, Rechnen und Katechismus beibringt. Aber — inzwischen sind wir einige Jahrhunderte weiter gekommen. Unsere Volksschule ist nicht mehr Ele-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/627>, abgerufen am 29.06.2024.