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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Kämpfe unserer Lehrerschaft

matische Brüskierung des ganzen Standes erhalten. Dieser Ausgang der Wahlen
ist durchweg die Arbeit der deutschen Volksschullehrer."

Der aus dem letzten Satze sprechende Dünkel wird noch übertroffen durch
die an Größenwahn grenzende Anschauung: "Wie es überhaupt einmal ganz
offen ausgesprochen werden muß, daß es die deutsche Volksschullehrerschaft ist,
die seit Gründung die Reichstagswahlen gemacht hat."

Wir wollen hoffen und wünschen, daß der Satz in dieser Verall¬
gemeinerung unzutreffend ist, sonst müßte man der deutschen Lehrerschaft den
schweren Vorwurf machen, ihre Pflichten gröblich und gewissenlos verletzt
zu haben.

In diesem Dünkel fühlen sich Leute vom Schlage Scharrelmanns durch
jede, aber auch jede noch so berechtigte Anordnung der Behörde verletzt, und
jeder ist doch nicht literarisch so gewandt wie Scharrelmann, daß er trotz der
Hinauskomplimentierung aus dem Amte sein Brot findet. Was sollen nun
diese armen Kerle tun? Scharrelmann gibt darauf folgende Antwort: "Eine
offene Empörung hätte keinen Zweck, aber die heimliche gegen alle Jntensionen
(gemeint sind Intentionen) der Behörden gerichtete Maulwurfsarbeit des passiven
Widerstandes ist darum um so wirkungsvoller."

Hut ab vor dieser noblen und tapferen Gesinnung! Sie will so schlecht
passen zu dem angeblichen Einfluß und der unbezwinglichen Macht, die dem
Volksschullehrerstande eigen ist. Er macht die Wahlen, ja er macht auch die
Kultur, denn: "würde sich die Lehrerschaft einmal grundsätzlich von aller privat
geleisteten Kulturarbeit zurückziehen und alle öffentliche Tätigkeit im Dienste der
Volksbildung und Meinungsbeeinflussung einstellen, so würde das gesamte Reich
langsam aber todsicher an Stumpfsinn zugrunde gehen."

Andere Stände leisten nichts für Kulturbestrebungen irgendwelcher Art.
natürlich ganz und gar nicht der Oberlehrerstand, der nach "Protektion und
Geldheirat strebt" (Ein jeder kehre vor seiner Tür!), den die Volksschullehrer
"so im ganzen genommen dreimal in den Sack stecken". Ebensowenig leisten
die Theologen etwas: "Die Pfaffen verlieren Tag für Tag selbst in ihren
treuesten Provinzen an Macht und Einfluß."

Aber auch der Kaufmann findet keine Gnade vor Scharrelmanns Augen:

"Der so oft breitspurig und aufgebläht auftretende deutsche Koofmich (sie!)
kommt als Kulturverbreiter höchstens für die Kolonien in Betracht." Aber "das
deutsche Volk besteht -- Gott sei Dank!! -- nur zum kleinsten Teile aus
Kaufleuten".

Leute, die über die Wertung der Berufsarbeit der einzelnen Stände und
die Förderung der Kultur durch sie anderer Meinung sind, werden in gerechter
Abwägung ihrer Urteilsfähigkeit als "blind für die Zeit", "böswillig" oder
"einsichtslos" bezeichnet.

Diese Proben werden genügen, um zu zeigen, wie der Geist beschaffen ist,
der in der neuen Schule des Lebens herrschen soll.


Kämpfe unserer Lehrerschaft

matische Brüskierung des ganzen Standes erhalten. Dieser Ausgang der Wahlen
ist durchweg die Arbeit der deutschen Volksschullehrer."

Der aus dem letzten Satze sprechende Dünkel wird noch übertroffen durch
die an Größenwahn grenzende Anschauung: „Wie es überhaupt einmal ganz
offen ausgesprochen werden muß, daß es die deutsche Volksschullehrerschaft ist,
die seit Gründung die Reichstagswahlen gemacht hat."

Wir wollen hoffen und wünschen, daß der Satz in dieser Verall¬
gemeinerung unzutreffend ist, sonst müßte man der deutschen Lehrerschaft den
schweren Vorwurf machen, ihre Pflichten gröblich und gewissenlos verletzt
zu haben.

In diesem Dünkel fühlen sich Leute vom Schlage Scharrelmanns durch
jede, aber auch jede noch so berechtigte Anordnung der Behörde verletzt, und
jeder ist doch nicht literarisch so gewandt wie Scharrelmann, daß er trotz der
Hinauskomplimentierung aus dem Amte sein Brot findet. Was sollen nun
diese armen Kerle tun? Scharrelmann gibt darauf folgende Antwort: „Eine
offene Empörung hätte keinen Zweck, aber die heimliche gegen alle Jntensionen
(gemeint sind Intentionen) der Behörden gerichtete Maulwurfsarbeit des passiven
Widerstandes ist darum um so wirkungsvoller."

Hut ab vor dieser noblen und tapferen Gesinnung! Sie will so schlecht
passen zu dem angeblichen Einfluß und der unbezwinglichen Macht, die dem
Volksschullehrerstande eigen ist. Er macht die Wahlen, ja er macht auch die
Kultur, denn: „würde sich die Lehrerschaft einmal grundsätzlich von aller privat
geleisteten Kulturarbeit zurückziehen und alle öffentliche Tätigkeit im Dienste der
Volksbildung und Meinungsbeeinflussung einstellen, so würde das gesamte Reich
langsam aber todsicher an Stumpfsinn zugrunde gehen."

Andere Stände leisten nichts für Kulturbestrebungen irgendwelcher Art.
natürlich ganz und gar nicht der Oberlehrerstand, der nach „Protektion und
Geldheirat strebt" (Ein jeder kehre vor seiner Tür!), den die Volksschullehrer
„so im ganzen genommen dreimal in den Sack stecken". Ebensowenig leisten
die Theologen etwas: „Die Pfaffen verlieren Tag für Tag selbst in ihren
treuesten Provinzen an Macht und Einfluß."

Aber auch der Kaufmann findet keine Gnade vor Scharrelmanns Augen:

„Der so oft breitspurig und aufgebläht auftretende deutsche Koofmich (sie!)
kommt als Kulturverbreiter höchstens für die Kolonien in Betracht." Aber „das
deutsche Volk besteht — Gott sei Dank!! — nur zum kleinsten Teile aus
Kaufleuten".

Leute, die über die Wertung der Berufsarbeit der einzelnen Stände und
die Förderung der Kultur durch sie anderer Meinung sind, werden in gerechter
Abwägung ihrer Urteilsfähigkeit als „blind für die Zeit", „böswillig" oder
„einsichtslos" bezeichnet.

Diese Proben werden genügen, um zu zeigen, wie der Geist beschaffen ist,
der in der neuen Schule des Lebens herrschen soll.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/620>, abgerufen am 22.07.2024.