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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Kämpfe unserer Lehrerschaft

liebe für unmoralisch erklärt: "Wir Lehrer des Volkes" -- so schreibt er --
"haben zu tun, was in unseren Kräften steht, um die Unterschiede der Natio¬
nalitäten auszumerzen. Wir haben daher jeden Patriotismus zu bekämpfen (I),
mag er eine Form annehmen, welche er will. Bewußte Erziehung zum Patrio¬
tismus bedeutet immer eine Unterminierung von Gesittung und Kultur im
Volke und ist somit direkt unmoralisch. Jede patriotische Regung ist nämlich
im tiefsten Kerne unmoralisch." An anderer Stelle nennt dieser Jugenderzieher
jeden Patriotismus antireligiös, und weiterhin behauptet er: "Liebe zur engeren
Heimat macht die Menschen unfrei."

Solche Anschauungen aufs energischste zu bekämpfen ist vaterländische Pflicht,
denn die deutsche Schule soll nicht zu rückgratlosem Kosmopolitismus erziehen,
sondern zu wahrem, echtem Vaterlandsgefühl. So sehr jeder Einsichtige einem
äußerlich bleibenden Hurrapatriotismus den Einzug in die Schulen verwehren
wird, so wenig wir davon überzeugt sind, daß das beste oder gar einzige Mittel,
in unsern Schülern vaterländisches Gefühl zu wecken, Schulfeiern und patriotische
Feste sind, so sehr wollen wir uns dagegen verwahren, daß unsere Jugend zu
internationalem Molluskentum, zur Gesinnungslosigkeit erzogen wird. Eine ent¬
schiedene Vertretung des vaterländischen Gedankens, besonders im Geschichts- und
Sprachunterricht, müssen wir anstreben, sie ist zur Charakterbildung unentbehr¬
lich, und auch die großartig klingenden Phrasen von der "sozialen Gerechtigkeit"
und "großzügigem Weltbürgertum" beweisen keineswegs ihre Überflüssigkeit.
Wir wären die Errungenschaften unserer Väter nicht wert, wollten wir vergessen,
was gerade in vergangener Zeit die bewußte Pflege des nationalen Gedankens
für Erfolge gezeitigt hat. Man denke an die Männer, die vor hundert Jahren
in diesem Sinne gewirkt haben, und vergesse nicht, daß in absehbarer Zeit Völker,
die es unterlassen, vaterländische Gesinnung in ihrer Jugend zu pflegen, politisch
schwere Einbuße erleiden werden. Es ist wirklich lächerlich, immer wieder von
einem großen Teil der Lehrerschaft darüber aufgeklärt zu werden, daß das, was
wir vaterländisch oder national nennen, im Grunde politisch sei. Es ist auch
leider nicht mehr zu bezweifeln, daß dieser Teil der Lehrerschaft Schrittmacher
der Sozialdemokratie ist.

Scharrelmann belehrt uns hierüber: "Wieviele Lehrer mag es in Deutsch¬
land geben, die -- natürlich heimlich (I) -- zur Sozialdemokratie gehören.
Wieviele stehen überhaupt politisch und religiös so links wie möglich." Wir
werden uns jetzt nicht mehr zu wundern haben über den Zustrom gerade an
Jugendlichen, deren sich die sozialdemokratische Partei erfreut, wenn Scharrel¬
mann recht hat. Und wenn er nicht recht hätte, dann wäre es die höchste
Zeit, daß seine Standesgenossen recht sichtbar von ihm abrückten.

Man erstaunt aber, wenn man als Ursache dieser für einen Jugendlehrer
immerhin befremdlichen Anschauung das Gefühl der Rachsucht erkennt:

"Die deutschen Behörden haben inzwischen durch den Ausfall der letzten
Reichstagswahlen die Quittung der Lehrerschaft über die fortgesetzte und Spöte


Kämpfe unserer Lehrerschaft

liebe für unmoralisch erklärt: „Wir Lehrer des Volkes" — so schreibt er —
„haben zu tun, was in unseren Kräften steht, um die Unterschiede der Natio¬
nalitäten auszumerzen. Wir haben daher jeden Patriotismus zu bekämpfen (I),
mag er eine Form annehmen, welche er will. Bewußte Erziehung zum Patrio¬
tismus bedeutet immer eine Unterminierung von Gesittung und Kultur im
Volke und ist somit direkt unmoralisch. Jede patriotische Regung ist nämlich
im tiefsten Kerne unmoralisch." An anderer Stelle nennt dieser Jugenderzieher
jeden Patriotismus antireligiös, und weiterhin behauptet er: „Liebe zur engeren
Heimat macht die Menschen unfrei."

Solche Anschauungen aufs energischste zu bekämpfen ist vaterländische Pflicht,
denn die deutsche Schule soll nicht zu rückgratlosem Kosmopolitismus erziehen,
sondern zu wahrem, echtem Vaterlandsgefühl. So sehr jeder Einsichtige einem
äußerlich bleibenden Hurrapatriotismus den Einzug in die Schulen verwehren
wird, so wenig wir davon überzeugt sind, daß das beste oder gar einzige Mittel,
in unsern Schülern vaterländisches Gefühl zu wecken, Schulfeiern und patriotische
Feste sind, so sehr wollen wir uns dagegen verwahren, daß unsere Jugend zu
internationalem Molluskentum, zur Gesinnungslosigkeit erzogen wird. Eine ent¬
schiedene Vertretung des vaterländischen Gedankens, besonders im Geschichts- und
Sprachunterricht, müssen wir anstreben, sie ist zur Charakterbildung unentbehr¬
lich, und auch die großartig klingenden Phrasen von der „sozialen Gerechtigkeit"
und „großzügigem Weltbürgertum" beweisen keineswegs ihre Überflüssigkeit.
Wir wären die Errungenschaften unserer Väter nicht wert, wollten wir vergessen,
was gerade in vergangener Zeit die bewußte Pflege des nationalen Gedankens
für Erfolge gezeitigt hat. Man denke an die Männer, die vor hundert Jahren
in diesem Sinne gewirkt haben, und vergesse nicht, daß in absehbarer Zeit Völker,
die es unterlassen, vaterländische Gesinnung in ihrer Jugend zu pflegen, politisch
schwere Einbuße erleiden werden. Es ist wirklich lächerlich, immer wieder von
einem großen Teil der Lehrerschaft darüber aufgeklärt zu werden, daß das, was
wir vaterländisch oder national nennen, im Grunde politisch sei. Es ist auch
leider nicht mehr zu bezweifeln, daß dieser Teil der Lehrerschaft Schrittmacher
der Sozialdemokratie ist.

Scharrelmann belehrt uns hierüber: „Wieviele Lehrer mag es in Deutsch¬
land geben, die — natürlich heimlich (I) — zur Sozialdemokratie gehören.
Wieviele stehen überhaupt politisch und religiös so links wie möglich." Wir
werden uns jetzt nicht mehr zu wundern haben über den Zustrom gerade an
Jugendlichen, deren sich die sozialdemokratische Partei erfreut, wenn Scharrel¬
mann recht hat. Und wenn er nicht recht hätte, dann wäre es die höchste
Zeit, daß seine Standesgenossen recht sichtbar von ihm abrückten.

Man erstaunt aber, wenn man als Ursache dieser für einen Jugendlehrer
immerhin befremdlichen Anschauung das Gefühl der Rachsucht erkennt:

„Die deutschen Behörden haben inzwischen durch den Ausfall der letzten
Reichstagswahlen die Quittung der Lehrerschaft über die fortgesetzte und Spöte


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[0619] Kämpfe unserer Lehrerschaft liebe für unmoralisch erklärt: „Wir Lehrer des Volkes" — so schreibt er — „haben zu tun, was in unseren Kräften steht, um die Unterschiede der Natio¬ nalitäten auszumerzen. Wir haben daher jeden Patriotismus zu bekämpfen (I), mag er eine Form annehmen, welche er will. Bewußte Erziehung zum Patrio¬ tismus bedeutet immer eine Unterminierung von Gesittung und Kultur im Volke und ist somit direkt unmoralisch. Jede patriotische Regung ist nämlich im tiefsten Kerne unmoralisch." An anderer Stelle nennt dieser Jugenderzieher jeden Patriotismus antireligiös, und weiterhin behauptet er: „Liebe zur engeren Heimat macht die Menschen unfrei." Solche Anschauungen aufs energischste zu bekämpfen ist vaterländische Pflicht, denn die deutsche Schule soll nicht zu rückgratlosem Kosmopolitismus erziehen, sondern zu wahrem, echtem Vaterlandsgefühl. So sehr jeder Einsichtige einem äußerlich bleibenden Hurrapatriotismus den Einzug in die Schulen verwehren wird, so wenig wir davon überzeugt sind, daß das beste oder gar einzige Mittel, in unsern Schülern vaterländisches Gefühl zu wecken, Schulfeiern und patriotische Feste sind, so sehr wollen wir uns dagegen verwahren, daß unsere Jugend zu internationalem Molluskentum, zur Gesinnungslosigkeit erzogen wird. Eine ent¬ schiedene Vertretung des vaterländischen Gedankens, besonders im Geschichts- und Sprachunterricht, müssen wir anstreben, sie ist zur Charakterbildung unentbehr¬ lich, und auch die großartig klingenden Phrasen von der „sozialen Gerechtigkeit" und „großzügigem Weltbürgertum" beweisen keineswegs ihre Überflüssigkeit. Wir wären die Errungenschaften unserer Väter nicht wert, wollten wir vergessen, was gerade in vergangener Zeit die bewußte Pflege des nationalen Gedankens für Erfolge gezeitigt hat. Man denke an die Männer, die vor hundert Jahren in diesem Sinne gewirkt haben, und vergesse nicht, daß in absehbarer Zeit Völker, die es unterlassen, vaterländische Gesinnung in ihrer Jugend zu pflegen, politisch schwere Einbuße erleiden werden. Es ist wirklich lächerlich, immer wieder von einem großen Teil der Lehrerschaft darüber aufgeklärt zu werden, daß das, was wir vaterländisch oder national nennen, im Grunde politisch sei. Es ist auch leider nicht mehr zu bezweifeln, daß dieser Teil der Lehrerschaft Schrittmacher der Sozialdemokratie ist. Scharrelmann belehrt uns hierüber: „Wieviele Lehrer mag es in Deutsch¬ land geben, die — natürlich heimlich (I) — zur Sozialdemokratie gehören. Wieviele stehen überhaupt politisch und religiös so links wie möglich." Wir werden uns jetzt nicht mehr zu wundern haben über den Zustrom gerade an Jugendlichen, deren sich die sozialdemokratische Partei erfreut, wenn Scharrel¬ mann recht hat. Und wenn er nicht recht hätte, dann wäre es die höchste Zeit, daß seine Standesgenossen recht sichtbar von ihm abrückten. Man erstaunt aber, wenn man als Ursache dieser für einen Jugendlehrer immerhin befremdlichen Anschauung das Gefühl der Rachsucht erkennt: „Die deutschen Behörden haben inzwischen durch den Ausfall der letzten Reichstagswahlen die Quittung der Lehrerschaft über die fortgesetzte und Spöte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/619>, abgerufen am 03.07.2024.