Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Diplomaten-Erziehung

Von Bismarcks persönlichem Eingreifen meldet erst ein Berlin, den 13. No¬
vember 1880 an seine Schwester Johanna gerichteter Brief, und zwar nachdem
bereits davon die Rede war, daß Kiderlen werde nach Japan gehen müssen;
dort heißt es:

". . . Also soeben wurde ich gefragt, ob ich gern uach Petersburg ginge.
Dieses ist nun weniger weit als Japan, aber sehr teuer, auch etwas kalt.

Ich habe deshalb es für das beste gehalten, zu sagen, ich stelle die Ent¬
scheidung dem Auswärtigen Amt anheim, worauf mir versichert wurde, die Sache
werde dann so entschieden werden, wie sie für meine Karriere am günstigsten sei.

Daß dies wahr, glaube ich schon deshalb, weil mir ausdrücklich gesagt
worden ist, der Fürst Bismarck habe selbst befohlen, man solle mich nicht gegen
meinen Willen außer Europa schicken, weil man mit mir sehr zufrieden sei usw.
Es wird also das beste sein, die Sache an sich herankommen zu lassen und sich
zu nichts zu melden. ..."
und weiter am 29. November an die Mutter:

". . . Der Reichskanzler sei der Ansicht gewesen, Japan wäre ganz inter¬
essant, aber ich sollte auf einen Posten, wo es viel zu tun gebe und wo man
viel lernen könne, viel in den Salons sich bewegen müsse usw. . . ."

Erst am 5. Dezember 1881, nachdem er schon mehrere Monate hindurch
als dritter Sekretär in Petersburg beschäftigt war, hat Kiderlen Gelegenheit,
dem Fürsten persönlich näher zu treten, und zwar auf einem parlamentarischen
Abend, auf dem er als Durchreisender "mit einem gepumpten Claquehut und
einer gepumpten Weste erschien, welche, um sie passend zu machen, auf dein
Rücken aufgeschlitzt wurde. Als ich, fährt Kiderlen in einen: Briefe nach Stuttgart
fort, der Fürstin Bismarck die Hand küsse, fühlte ich einen deutlichen Kraals in
der Weste. Doch war Ihre Durchlaucht trotzdem sehr liebenswürdig, sagte mir,
sie hätte von meiner Jagd gehört usw." Gegen Ende des Festes begab sich
dann folgende heitere Szene:

". . . Als ich eben, berichtet Kiderlen, weggehen wollte, der Fürstin bereits
mein Kompliment gemacht hatte und mich hinter dem Reichskanzler herumdrücken
wollte, sehe ich, wie die Fürstin ihm etwas ins Ohr sagt und er sofort auf
mich zugestürzt kommt, mir furchtbar freundlich die Hand schüttelt und nun an¬
fängt: ,Es freut mich sehr, daß Sie hier sind, bei der schlechten Stimmung in
jenen Gegenden und besonders an der Lahn' usw. Ich merkte sofort, daß mich
der Reichskanzler verwechselte, hoffte aber, er würde mich nach ein paar freund¬
lichen Phrasen loslassen und so käme die Verwechslung gar nicht zutage. Doch
er redete immer weiter, und als ich gar nichts sagte, so fragte er endlich: ,Nun,
in der Stichwahl ist es ja recht gut gegangen; wer war denn Ihr Gegenkandidat?'
Nun mußte ich Farbe bekennen und sagte: ,Jch bedauere, Durchlaucht verwechseln
mich; ich bin überhaupt kein Abgeordneter/ -- ,Ja, sind Sie denn nicht der
Prinz Solms? Wer sind Sie denn/ Als ich ihm das gesagt, sagte er: .Nun,
dann muß jedenfalls große Ähnlichkeit bestehen; die Hauptschuld trifft aber meine


Diplomaten-Erziehung

Von Bismarcks persönlichem Eingreifen meldet erst ein Berlin, den 13. No¬
vember 1880 an seine Schwester Johanna gerichteter Brief, und zwar nachdem
bereits davon die Rede war, daß Kiderlen werde nach Japan gehen müssen;
dort heißt es:

„. . . Also soeben wurde ich gefragt, ob ich gern uach Petersburg ginge.
Dieses ist nun weniger weit als Japan, aber sehr teuer, auch etwas kalt.

Ich habe deshalb es für das beste gehalten, zu sagen, ich stelle die Ent¬
scheidung dem Auswärtigen Amt anheim, worauf mir versichert wurde, die Sache
werde dann so entschieden werden, wie sie für meine Karriere am günstigsten sei.

Daß dies wahr, glaube ich schon deshalb, weil mir ausdrücklich gesagt
worden ist, der Fürst Bismarck habe selbst befohlen, man solle mich nicht gegen
meinen Willen außer Europa schicken, weil man mit mir sehr zufrieden sei usw.
Es wird also das beste sein, die Sache an sich herankommen zu lassen und sich
zu nichts zu melden. ..."
und weiter am 29. November an die Mutter:

„. . . Der Reichskanzler sei der Ansicht gewesen, Japan wäre ganz inter¬
essant, aber ich sollte auf einen Posten, wo es viel zu tun gebe und wo man
viel lernen könne, viel in den Salons sich bewegen müsse usw. . . ."

Erst am 5. Dezember 1881, nachdem er schon mehrere Monate hindurch
als dritter Sekretär in Petersburg beschäftigt war, hat Kiderlen Gelegenheit,
dem Fürsten persönlich näher zu treten, und zwar auf einem parlamentarischen
Abend, auf dem er als Durchreisender „mit einem gepumpten Claquehut und
einer gepumpten Weste erschien, welche, um sie passend zu machen, auf dein
Rücken aufgeschlitzt wurde. Als ich, fährt Kiderlen in einen: Briefe nach Stuttgart
fort, der Fürstin Bismarck die Hand küsse, fühlte ich einen deutlichen Kraals in
der Weste. Doch war Ihre Durchlaucht trotzdem sehr liebenswürdig, sagte mir,
sie hätte von meiner Jagd gehört usw." Gegen Ende des Festes begab sich
dann folgende heitere Szene:

„. . . Als ich eben, berichtet Kiderlen, weggehen wollte, der Fürstin bereits
mein Kompliment gemacht hatte und mich hinter dem Reichskanzler herumdrücken
wollte, sehe ich, wie die Fürstin ihm etwas ins Ohr sagt und er sofort auf
mich zugestürzt kommt, mir furchtbar freundlich die Hand schüttelt und nun an¬
fängt: ,Es freut mich sehr, daß Sie hier sind, bei der schlechten Stimmung in
jenen Gegenden und besonders an der Lahn' usw. Ich merkte sofort, daß mich
der Reichskanzler verwechselte, hoffte aber, er würde mich nach ein paar freund¬
lichen Phrasen loslassen und so käme die Verwechslung gar nicht zutage. Doch
er redete immer weiter, und als ich gar nichts sagte, so fragte er endlich: ,Nun,
in der Stichwahl ist es ja recht gut gegangen; wer war denn Ihr Gegenkandidat?'
Nun mußte ich Farbe bekennen und sagte: ,Jch bedauere, Durchlaucht verwechseln
mich; ich bin überhaupt kein Abgeordneter/ — ,Ja, sind Sie denn nicht der
Prinz Solms? Wer sind Sie denn/ Als ich ihm das gesagt, sagte er: .Nun,
dann muß jedenfalls große Ähnlichkeit bestehen; die Hauptschuld trifft aber meine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0607" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325477"/>
          <fw type="header" place="top"> Diplomaten-Erziehung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2837"> Von Bismarcks persönlichem Eingreifen meldet erst ein Berlin, den 13. No¬<lb/>
vember 1880 an seine Schwester Johanna gerichteter Brief, und zwar nachdem<lb/>
bereits davon die Rede war, daß Kiderlen werde nach Japan gehen müssen;<lb/>
dort heißt es:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2838"> &#x201E;. . . Also soeben wurde ich gefragt, ob ich gern uach Petersburg ginge.<lb/>
Dieses ist nun weniger weit als Japan, aber sehr teuer, auch etwas kalt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2839"> Ich habe deshalb es für das beste gehalten, zu sagen, ich stelle die Ent¬<lb/>
scheidung dem Auswärtigen Amt anheim, worauf mir versichert wurde, die Sache<lb/>
werde dann so entschieden werden, wie sie für meine Karriere am günstigsten sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2840"> Daß dies wahr, glaube ich schon deshalb, weil mir ausdrücklich gesagt<lb/>
worden ist, der Fürst Bismarck habe selbst befohlen, man solle mich nicht gegen<lb/>
meinen Willen außer Europa schicken, weil man mit mir sehr zufrieden sei usw.<lb/>
Es wird also das beste sein, die Sache an sich herankommen zu lassen und sich<lb/>
zu nichts zu melden. ..."<lb/>
und weiter am 29. November an die Mutter:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2841"> &#x201E;. . . Der Reichskanzler sei der Ansicht gewesen, Japan wäre ganz inter¬<lb/>
essant, aber ich sollte auf einen Posten, wo es viel zu tun gebe und wo man<lb/>
viel lernen könne, viel in den Salons sich bewegen müsse usw. . . ."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2842"> Erst am 5. Dezember 1881, nachdem er schon mehrere Monate hindurch<lb/>
als dritter Sekretär in Petersburg beschäftigt war, hat Kiderlen Gelegenheit,<lb/>
dem Fürsten persönlich näher zu treten, und zwar auf einem parlamentarischen<lb/>
Abend, auf dem er als Durchreisender &#x201E;mit einem gepumpten Claquehut und<lb/>
einer gepumpten Weste erschien, welche, um sie passend zu machen, auf dein<lb/>
Rücken aufgeschlitzt wurde. Als ich, fährt Kiderlen in einen: Briefe nach Stuttgart<lb/>
fort, der Fürstin Bismarck die Hand küsse, fühlte ich einen deutlichen Kraals in<lb/>
der Weste. Doch war Ihre Durchlaucht trotzdem sehr liebenswürdig, sagte mir,<lb/>
sie hätte von meiner Jagd gehört usw." Gegen Ende des Festes begab sich<lb/>
dann folgende heitere Szene:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2843" next="#ID_2844"> &#x201E;. . . Als ich eben, berichtet Kiderlen, weggehen wollte, der Fürstin bereits<lb/>
mein Kompliment gemacht hatte und mich hinter dem Reichskanzler herumdrücken<lb/>
wollte, sehe ich, wie die Fürstin ihm etwas ins Ohr sagt und er sofort auf<lb/>
mich zugestürzt kommt, mir furchtbar freundlich die Hand schüttelt und nun an¬<lb/>
fängt: ,Es freut mich sehr, daß Sie hier sind, bei der schlechten Stimmung in<lb/>
jenen Gegenden und besonders an der Lahn' usw. Ich merkte sofort, daß mich<lb/>
der Reichskanzler verwechselte, hoffte aber, er würde mich nach ein paar freund¬<lb/>
lichen Phrasen loslassen und so käme die Verwechslung gar nicht zutage. Doch<lb/>
er redete immer weiter, und als ich gar nichts sagte, so fragte er endlich: ,Nun,<lb/>
in der Stichwahl ist es ja recht gut gegangen; wer war denn Ihr Gegenkandidat?'<lb/>
Nun mußte ich Farbe bekennen und sagte: ,Jch bedauere, Durchlaucht verwechseln<lb/>
mich; ich bin überhaupt kein Abgeordneter/ &#x2014; ,Ja, sind Sie denn nicht der<lb/>
Prinz Solms? Wer sind Sie denn/ Als ich ihm das gesagt, sagte er: .Nun,<lb/>
dann muß jedenfalls große Ähnlichkeit bestehen; die Hauptschuld trifft aber meine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0607] Diplomaten-Erziehung Von Bismarcks persönlichem Eingreifen meldet erst ein Berlin, den 13. No¬ vember 1880 an seine Schwester Johanna gerichteter Brief, und zwar nachdem bereits davon die Rede war, daß Kiderlen werde nach Japan gehen müssen; dort heißt es: „. . . Also soeben wurde ich gefragt, ob ich gern uach Petersburg ginge. Dieses ist nun weniger weit als Japan, aber sehr teuer, auch etwas kalt. Ich habe deshalb es für das beste gehalten, zu sagen, ich stelle die Ent¬ scheidung dem Auswärtigen Amt anheim, worauf mir versichert wurde, die Sache werde dann so entschieden werden, wie sie für meine Karriere am günstigsten sei. Daß dies wahr, glaube ich schon deshalb, weil mir ausdrücklich gesagt worden ist, der Fürst Bismarck habe selbst befohlen, man solle mich nicht gegen meinen Willen außer Europa schicken, weil man mit mir sehr zufrieden sei usw. Es wird also das beste sein, die Sache an sich herankommen zu lassen und sich zu nichts zu melden. ..." und weiter am 29. November an die Mutter: „. . . Der Reichskanzler sei der Ansicht gewesen, Japan wäre ganz inter¬ essant, aber ich sollte auf einen Posten, wo es viel zu tun gebe und wo man viel lernen könne, viel in den Salons sich bewegen müsse usw. . . ." Erst am 5. Dezember 1881, nachdem er schon mehrere Monate hindurch als dritter Sekretär in Petersburg beschäftigt war, hat Kiderlen Gelegenheit, dem Fürsten persönlich näher zu treten, und zwar auf einem parlamentarischen Abend, auf dem er als Durchreisender „mit einem gepumpten Claquehut und einer gepumpten Weste erschien, welche, um sie passend zu machen, auf dein Rücken aufgeschlitzt wurde. Als ich, fährt Kiderlen in einen: Briefe nach Stuttgart fort, der Fürstin Bismarck die Hand küsse, fühlte ich einen deutlichen Kraals in der Weste. Doch war Ihre Durchlaucht trotzdem sehr liebenswürdig, sagte mir, sie hätte von meiner Jagd gehört usw." Gegen Ende des Festes begab sich dann folgende heitere Szene: „. . . Als ich eben, berichtet Kiderlen, weggehen wollte, der Fürstin bereits mein Kompliment gemacht hatte und mich hinter dem Reichskanzler herumdrücken wollte, sehe ich, wie die Fürstin ihm etwas ins Ohr sagt und er sofort auf mich zugestürzt kommt, mir furchtbar freundlich die Hand schüttelt und nun an¬ fängt: ,Es freut mich sehr, daß Sie hier sind, bei der schlechten Stimmung in jenen Gegenden und besonders an der Lahn' usw. Ich merkte sofort, daß mich der Reichskanzler verwechselte, hoffte aber, er würde mich nach ein paar freund¬ lichen Phrasen loslassen und so käme die Verwechslung gar nicht zutage. Doch er redete immer weiter, und als ich gar nichts sagte, so fragte er endlich: ,Nun, in der Stichwahl ist es ja recht gut gegangen; wer war denn Ihr Gegenkandidat?' Nun mußte ich Farbe bekennen und sagte: ,Jch bedauere, Durchlaucht verwechseln mich; ich bin überhaupt kein Abgeordneter/ — ,Ja, sind Sie denn nicht der Prinz Solms? Wer sind Sie denn/ Als ich ihm das gesagt, sagte er: .Nun, dann muß jedenfalls große Ähnlichkeit bestehen; die Hauptschuld trifft aber meine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/607
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/607>, abgerufen am 24.08.2024.