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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Engländer in Indien

Gewiß schaffen die Engländer diese großen Kulturwerke nicht, um den
Indern einen uneigennützigen Dienst zu erweisen, sondern sie verfolgen damit
in erster Linie ihre eigenen Interessen. Das in Indien angelegte englische
Kapital trägt gute Zinsen. Eisenbahnen verzinsen sich durchschnittlich mit
5,77 Prozent (1907), Bewässerungsanlagen sogar mit 8,67 Prozent (der Eastern
Jumma Canal mit 28,47 Prozent, 1907). Aber Indien hätte nie die etwa
350 Millionen Pfd. sei., welche in indischen Eisenbahnen und Kanälen an¬
gelegt worden sind, aus eigener Kraft aufgebracht und, wenn es diese Summe
als Anleihe erhalten hätte, wäre es nie imstande gewesen, sie so zweckmäßig
und ökonomisch anzulegen. Das kolonisatorische Geschick der Engländer liegt
eben nicht so sehr in der Art, wie sie fremde Völker regieren (obgleich auch
auf diesem Gebiete keine andere moderne Kolonialmacht die Engländer erreicht),
sondern wie sie die Hilfsquellen der neugewonnenen Länder in nationaler Weise
erschließen und das Kolonisieren zu einem gewinnbringenden Unternehmen
machen. Römer und Spanier betrachteten ihre Kolonien nur als Geldquelle
und erwarteten, daß diese ohne eigene Arbeit ununterbrochen weiterfließen
würde. Die Engländer eigneten sich nach anfänglichen Mißgriffen bald den
Standpunkt des klugen Kaufmanns und geschickten Industriellen an. Sie wissen
heute, daß man nur dann auf guten und anhaltenden Verdienst rechnen kann,
wenn man beträchtliche Summen in sein Unternehmen "hineingesteckt" hat.
Jede wirkliche tüchtige Leistung wird, auch wenn sie nur in eigennütziger Ab¬
sicht vollbracht wurde, automatisch zu einem Verdienst um die Allgemeinheit.
Durch Schaffung gewaltiger Verkehrsanlagen, durch Erschließung von Wüsten
und Sümpfen suchten die Engländer Verzinsung für ihre Kapitalien, und der
Erfolg war, daß für Millionen von Menschen neue oder bessere Existenz¬
bedingungen geschaffen wurden. Wo heute die von den großen Flüssen ge¬
nährten blinkenden Wasseradern das ehemals wüste Land durchziehen, da hat
die schlimmste Geißel Indiens, die Hungersnot, ihre Schrecken zum größten
Teil verloren; denn selbst in regenarmen Jahren pflegt die künstliche Bewässerung
zur Erzielung einer mittleren Ernte zu genügen. Die große Organisation zur
Bekämpfung der Hungersnot, das "kämme reuet" wäre aber ohne die
modernsten Verkehrsmittel gar nicht denkbar. In Deutschland erhebt man
häufig schwere Vorwürfe gegen England wegen dieser periodischen Hunger¬
epidemien, spricht aber wenig von den Maßregeln, die zu ihrer Bekämpfung
getroffen werden. Ich glaube, mancher würde sein schnell gefälltes Urteil
mildern, wenn er wüßte, was "kämme rslief" ist. Ich möchte daher mit
einigen Worten darauf eingehen.




dickicht. Heute wird wieder systematisch an der Urbarmachung des einst so fruchtbaren Ge¬
bietes gearbeitet. Handelt es sich doch um eine Fläche, welche an Ausdehnung die Provinz
Hannover beträchtlich übertrifft und durchweg drei Reisernten im Jahre bringt.
Die Engländer in Indien

Gewiß schaffen die Engländer diese großen Kulturwerke nicht, um den
Indern einen uneigennützigen Dienst zu erweisen, sondern sie verfolgen damit
in erster Linie ihre eigenen Interessen. Das in Indien angelegte englische
Kapital trägt gute Zinsen. Eisenbahnen verzinsen sich durchschnittlich mit
5,77 Prozent (1907), Bewässerungsanlagen sogar mit 8,67 Prozent (der Eastern
Jumma Canal mit 28,47 Prozent, 1907). Aber Indien hätte nie die etwa
350 Millionen Pfd. sei., welche in indischen Eisenbahnen und Kanälen an¬
gelegt worden sind, aus eigener Kraft aufgebracht und, wenn es diese Summe
als Anleihe erhalten hätte, wäre es nie imstande gewesen, sie so zweckmäßig
und ökonomisch anzulegen. Das kolonisatorische Geschick der Engländer liegt
eben nicht so sehr in der Art, wie sie fremde Völker regieren (obgleich auch
auf diesem Gebiete keine andere moderne Kolonialmacht die Engländer erreicht),
sondern wie sie die Hilfsquellen der neugewonnenen Länder in nationaler Weise
erschließen und das Kolonisieren zu einem gewinnbringenden Unternehmen
machen. Römer und Spanier betrachteten ihre Kolonien nur als Geldquelle
und erwarteten, daß diese ohne eigene Arbeit ununterbrochen weiterfließen
würde. Die Engländer eigneten sich nach anfänglichen Mißgriffen bald den
Standpunkt des klugen Kaufmanns und geschickten Industriellen an. Sie wissen
heute, daß man nur dann auf guten und anhaltenden Verdienst rechnen kann,
wenn man beträchtliche Summen in sein Unternehmen „hineingesteckt" hat.
Jede wirkliche tüchtige Leistung wird, auch wenn sie nur in eigennütziger Ab¬
sicht vollbracht wurde, automatisch zu einem Verdienst um die Allgemeinheit.
Durch Schaffung gewaltiger Verkehrsanlagen, durch Erschließung von Wüsten
und Sümpfen suchten die Engländer Verzinsung für ihre Kapitalien, und der
Erfolg war, daß für Millionen von Menschen neue oder bessere Existenz¬
bedingungen geschaffen wurden. Wo heute die von den großen Flüssen ge¬
nährten blinkenden Wasseradern das ehemals wüste Land durchziehen, da hat
die schlimmste Geißel Indiens, die Hungersnot, ihre Schrecken zum größten
Teil verloren; denn selbst in regenarmen Jahren pflegt die künstliche Bewässerung
zur Erzielung einer mittleren Ernte zu genügen. Die große Organisation zur
Bekämpfung der Hungersnot, das „kämme reuet" wäre aber ohne die
modernsten Verkehrsmittel gar nicht denkbar. In Deutschland erhebt man
häufig schwere Vorwürfe gegen England wegen dieser periodischen Hunger¬
epidemien, spricht aber wenig von den Maßregeln, die zu ihrer Bekämpfung
getroffen werden. Ich glaube, mancher würde sein schnell gefälltes Urteil
mildern, wenn er wüßte, was „kämme rslief" ist. Ich möchte daher mit
einigen Worten darauf eingehen.




dickicht. Heute wird wieder systematisch an der Urbarmachung des einst so fruchtbaren Ge¬
bietes gearbeitet. Handelt es sich doch um eine Fläche, welche an Ausdehnung die Provinz
Hannover beträchtlich übertrifft und durchweg drei Reisernten im Jahre bringt.
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[0572] Die Engländer in Indien Gewiß schaffen die Engländer diese großen Kulturwerke nicht, um den Indern einen uneigennützigen Dienst zu erweisen, sondern sie verfolgen damit in erster Linie ihre eigenen Interessen. Das in Indien angelegte englische Kapital trägt gute Zinsen. Eisenbahnen verzinsen sich durchschnittlich mit 5,77 Prozent (1907), Bewässerungsanlagen sogar mit 8,67 Prozent (der Eastern Jumma Canal mit 28,47 Prozent, 1907). Aber Indien hätte nie die etwa 350 Millionen Pfd. sei., welche in indischen Eisenbahnen und Kanälen an¬ gelegt worden sind, aus eigener Kraft aufgebracht und, wenn es diese Summe als Anleihe erhalten hätte, wäre es nie imstande gewesen, sie so zweckmäßig und ökonomisch anzulegen. Das kolonisatorische Geschick der Engländer liegt eben nicht so sehr in der Art, wie sie fremde Völker regieren (obgleich auch auf diesem Gebiete keine andere moderne Kolonialmacht die Engländer erreicht), sondern wie sie die Hilfsquellen der neugewonnenen Länder in nationaler Weise erschließen und das Kolonisieren zu einem gewinnbringenden Unternehmen machen. Römer und Spanier betrachteten ihre Kolonien nur als Geldquelle und erwarteten, daß diese ohne eigene Arbeit ununterbrochen weiterfließen würde. Die Engländer eigneten sich nach anfänglichen Mißgriffen bald den Standpunkt des klugen Kaufmanns und geschickten Industriellen an. Sie wissen heute, daß man nur dann auf guten und anhaltenden Verdienst rechnen kann, wenn man beträchtliche Summen in sein Unternehmen „hineingesteckt" hat. Jede wirkliche tüchtige Leistung wird, auch wenn sie nur in eigennütziger Ab¬ sicht vollbracht wurde, automatisch zu einem Verdienst um die Allgemeinheit. Durch Schaffung gewaltiger Verkehrsanlagen, durch Erschließung von Wüsten und Sümpfen suchten die Engländer Verzinsung für ihre Kapitalien, und der Erfolg war, daß für Millionen von Menschen neue oder bessere Existenz¬ bedingungen geschaffen wurden. Wo heute die von den großen Flüssen ge¬ nährten blinkenden Wasseradern das ehemals wüste Land durchziehen, da hat die schlimmste Geißel Indiens, die Hungersnot, ihre Schrecken zum größten Teil verloren; denn selbst in regenarmen Jahren pflegt die künstliche Bewässerung zur Erzielung einer mittleren Ernte zu genügen. Die große Organisation zur Bekämpfung der Hungersnot, das „kämme reuet" wäre aber ohne die modernsten Verkehrsmittel gar nicht denkbar. In Deutschland erhebt man häufig schwere Vorwürfe gegen England wegen dieser periodischen Hunger¬ epidemien, spricht aber wenig von den Maßregeln, die zu ihrer Bekämpfung getroffen werden. Ich glaube, mancher würde sein schnell gefälltes Urteil mildern, wenn er wüßte, was „kämme rslief" ist. Ich möchte daher mit einigen Worten darauf eingehen. dickicht. Heute wird wieder systematisch an der Urbarmachung des einst so fruchtbaren Ge¬ bietes gearbeitet. Handelt es sich doch um eine Fläche, welche an Ausdehnung die Provinz Hannover beträchtlich übertrifft und durchweg drei Reisernten im Jahre bringt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/572>, abgerufen am 22.12.2024.