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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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dessen darf sich Burger rühmen, wenigstens was
seine bedeutsame Unterscheidung zwischen dem
Gegenstand der Darstellung und dem Gegen¬
stand des Bildes, der Gestaltung anbelangt.
Allerdings hat er vor dem letzton Grund
dieser Spaltung, die er sehr richtig als das
Wesen der modernen Malerei bezeichnet,
innegehalten, vor dem veränderten Verhältnis
der Malerei zur Architektur. Die Frage nach
der Lebensfähigkeit des Staffeleibildes hätte
den natürlichen Abschluß des kunstphilosophischen
Teiles geboten. Doch Burger scheut Abschlüsse,
je näher sie liegen, desto mehr. Dieses Grund¬
übel spricht sich schon im typographischen Äußeren
des Buches aus: nirgends ein Einschnitt, eine
Cäsur, eine Gliederung; die Pyramide spitzt
sich nie zu, nur die Basis wird immer
breiter. Endlos und mühsam fügt sich
die Vergleichung einzelner Meister aneinander
und nur künstlich wird der gemeinschaftliche,
erkenntnistheoretische Boden festgehalten. Im
Grunde also Randbemerkungen über Böcklin
und Th. Th. Heine, Hodler und Cözanne,
Cözanne und Marsch, Cözanne und Monet,
Cüzanne und Amiet, Cözanne und Corot
usw. usw. Im einzelnen vielfach von tiefstem
Inhalt und siegreichem Reichtum des Aus¬
drucks, der Übersetzung ins Sprachliche, im
ganzen, -- nein, da ist keine Meinung möglich,
weil ein Ganzes halt in Gottes Namen nicht
da ist, es sei denn: eine hoffnungsvolle Frucht
zu grün gepflückt. Ich glaube, kein Zweiter
besitzt so bald ein so schönes Material zu einem
grundlegenden Buch über die moderne Ma¬
lerei wie -- Fritz Burger. Er Spute sich, eS
zu nützen, sonst könnte ein anderer mit seinen
Steinen bauen. Steine sind zum Bauen da,
je besser sie gebrannt find, desto mehr. Das
wäre ein tragisches Schicksal, -- aber das
übelste nicht.

Vom Abbildungsband, der in seinen Neben¬
einanderstellungen Anregungen Meier-Grases
vielfach sehr geschickt verwirklicht, ist innerhalb
der gegebenen technischen und finanziellen
Möglichkeiten nicht mehr zu verlangen und er
wird, ein vortreffliches Kompendium der mo¬
dernen Malerei, jedem Käufer bald zum un¬
entbehrlichen Wörterbuch werden.

Eine besonders günstige Gelegenheit zur
Ergänzung dieses bildlichen Nachschlage¬
materials bietet sich eben zur Stunde in dem

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wunderschönen "Auktionskatalog der Samm¬
lung Günzburger-Genf" (bei Hugo Helbing,
München 1913, 10 M.), die besonders für
Hodler dem Burgerschen Abbildungsband
höchst erwünscht zur Hilfe kommt. Der pracht¬
volle Katalog, den eine feinsinnige Hodler-
Betrachtung Dr. Johannes Widmers einleitet,
enthält auf vierundsechzig großen Lichtdruck¬
tafeln in 4° mehr als sechzig Abbildungen
Hodlerscher Werke, die alle das Vollendetste
und Beste bieten, was von einer Wiedergabe
in Schwarz-Weiß überhaupt nur zu erwarten
ist. Besonders ist die Hodlersche Landschaft
reich und auserwählt zugleich vertreten. Außer
Hodler sind zwei Mädchenakte von Cuno
Amiet, bezeichnende Beispiele einer herb-sinn¬
lichen, hoch entwickelten Kunst, ein wunder¬
süßer Kinderkopf von Giacometti, Verschiedenes
von Buri und Vautier, wie auch die be¬
glückende, beherrschte Fülle eines Werkes
Georges d'Espagnat, schöne Zierden des schönen
Ganzen. Wie können wir uns freuen, daß
der Kunsthandel in unseren Tagen, indem er
seinen Erwerbszielen nachgeht, zugleich einem
viel weiteren Kreise als dem der gutgefütterten
Käufer so köstliche Gaben für erreichbare
Summen bietet.

In Hermann Röthlisbergers und Albert
Bauers Redaktion ist ein "schweizerisches
Jahrbuch für Kunst und Handwerk 1912" er¬
schienen (Wilh. Seid, Biel, 10 Franken). Der
textliche Teil ist herzlich unbedeutend und
daß er sich wenigstens dementsprechend auch
räumlich nicht allzu breit macht, ist nur zu
begrüßen. Sowohl die altgoethisch sein
sollende Lehrhaftigkeit, in der zum Publikum
gesprochen wird, wie die anmaßenden sitt¬
lichen Strafpredigten, in denen ungebildete
und verständnislose Kritiker abgekanzelt wer¬
den, erinnert an des edlen Ritters Kampf
gegen die Windmühlen und liest sich wie ver¬
altete Streitschriften. Dagegen bietet das
Abbildungsmaterial in bester Ausführung will¬
kommenen Ersatz: etwa ein Dutzend wunder¬
voller Hodler-Skizzen und Bilder aus dem
neuesten Schaffen des Meisters mit glücklicher
Hand gewählt. Mit sichtlich reifer Über¬
legung und gründlicher Kenntnis des ge¬
samten Schaffens der betreffenden Künstler
werden charakteristische Stücke von Amiet,
Buri, Brühlmann, Giacometti, Hermenjat und

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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dessen darf sich Burger rühmen, wenigstens was
seine bedeutsame Unterscheidung zwischen dem
Gegenstand der Darstellung und dem Gegen¬
stand des Bildes, der Gestaltung anbelangt.
Allerdings hat er vor dem letzton Grund
dieser Spaltung, die er sehr richtig als das
Wesen der modernen Malerei bezeichnet,
innegehalten, vor dem veränderten Verhältnis
der Malerei zur Architektur. Die Frage nach
der Lebensfähigkeit des Staffeleibildes hätte
den natürlichen Abschluß des kunstphilosophischen
Teiles geboten. Doch Burger scheut Abschlüsse,
je näher sie liegen, desto mehr. Dieses Grund¬
übel spricht sich schon im typographischen Äußeren
des Buches aus: nirgends ein Einschnitt, eine
Cäsur, eine Gliederung; die Pyramide spitzt
sich nie zu, nur die Basis wird immer
breiter. Endlos und mühsam fügt sich
die Vergleichung einzelner Meister aneinander
und nur künstlich wird der gemeinschaftliche,
erkenntnistheoretische Boden festgehalten. Im
Grunde also Randbemerkungen über Böcklin
und Th. Th. Heine, Hodler und Cözanne,
Cözanne und Marsch, Cözanne und Monet,
Cüzanne und Amiet, Cözanne und Corot
usw. usw. Im einzelnen vielfach von tiefstem
Inhalt und siegreichem Reichtum des Aus¬
drucks, der Übersetzung ins Sprachliche, im
ganzen, — nein, da ist keine Meinung möglich,
weil ein Ganzes halt in Gottes Namen nicht
da ist, es sei denn: eine hoffnungsvolle Frucht
zu grün gepflückt. Ich glaube, kein Zweiter
besitzt so bald ein so schönes Material zu einem
grundlegenden Buch über die moderne Ma¬
lerei wie — Fritz Burger. Er Spute sich, eS
zu nützen, sonst könnte ein anderer mit seinen
Steinen bauen. Steine sind zum Bauen da,
je besser sie gebrannt find, desto mehr. Das
wäre ein tragisches Schicksal, — aber das
übelste nicht.

Vom Abbildungsband, der in seinen Neben¬
einanderstellungen Anregungen Meier-Grases
vielfach sehr geschickt verwirklicht, ist innerhalb
der gegebenen technischen und finanziellen
Möglichkeiten nicht mehr zu verlangen und er
wird, ein vortreffliches Kompendium der mo¬
dernen Malerei, jedem Käufer bald zum un¬
entbehrlichen Wörterbuch werden.

Eine besonders günstige Gelegenheit zur
Ergänzung dieses bildlichen Nachschlage¬
materials bietet sich eben zur Stunde in dem

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wunderschönen „Auktionskatalog der Samm¬
lung Günzburger-Genf" (bei Hugo Helbing,
München 1913, 10 M.), die besonders für
Hodler dem Burgerschen Abbildungsband
höchst erwünscht zur Hilfe kommt. Der pracht¬
volle Katalog, den eine feinsinnige Hodler-
Betrachtung Dr. Johannes Widmers einleitet,
enthält auf vierundsechzig großen Lichtdruck¬
tafeln in 4° mehr als sechzig Abbildungen
Hodlerscher Werke, die alle das Vollendetste
und Beste bieten, was von einer Wiedergabe
in Schwarz-Weiß überhaupt nur zu erwarten
ist. Besonders ist die Hodlersche Landschaft
reich und auserwählt zugleich vertreten. Außer
Hodler sind zwei Mädchenakte von Cuno
Amiet, bezeichnende Beispiele einer herb-sinn¬
lichen, hoch entwickelten Kunst, ein wunder¬
süßer Kinderkopf von Giacometti, Verschiedenes
von Buri und Vautier, wie auch die be¬
glückende, beherrschte Fülle eines Werkes
Georges d'Espagnat, schöne Zierden des schönen
Ganzen. Wie können wir uns freuen, daß
der Kunsthandel in unseren Tagen, indem er
seinen Erwerbszielen nachgeht, zugleich einem
viel weiteren Kreise als dem der gutgefütterten
Käufer so köstliche Gaben für erreichbare
Summen bietet.

In Hermann Röthlisbergers und Albert
Bauers Redaktion ist ein „schweizerisches
Jahrbuch für Kunst und Handwerk 1912" er¬
schienen (Wilh. Seid, Biel, 10 Franken). Der
textliche Teil ist herzlich unbedeutend und
daß er sich wenigstens dementsprechend auch
räumlich nicht allzu breit macht, ist nur zu
begrüßen. Sowohl die altgoethisch sein
sollende Lehrhaftigkeit, in der zum Publikum
gesprochen wird, wie die anmaßenden sitt¬
lichen Strafpredigten, in denen ungebildete
und verständnislose Kritiker abgekanzelt wer¬
den, erinnert an des edlen Ritters Kampf
gegen die Windmühlen und liest sich wie ver¬
altete Streitschriften. Dagegen bietet das
Abbildungsmaterial in bester Ausführung will¬
kommenen Ersatz: etwa ein Dutzend wunder¬
voller Hodler-Skizzen und Bilder aus dem
neuesten Schaffen des Meisters mit glücklicher
Hand gewählt. Mit sichtlich reifer Über¬
legung und gründlicher Kenntnis des ge¬
samten Schaffens der betreffenden Künstler
werden charakteristische Stücke von Amiet,
Buri, Brühlmann, Giacometti, Hermenjat und

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[0547] Maßgebliches und Unmaßgebliches dessen darf sich Burger rühmen, wenigstens was seine bedeutsame Unterscheidung zwischen dem Gegenstand der Darstellung und dem Gegen¬ stand des Bildes, der Gestaltung anbelangt. Allerdings hat er vor dem letzton Grund dieser Spaltung, die er sehr richtig als das Wesen der modernen Malerei bezeichnet, innegehalten, vor dem veränderten Verhältnis der Malerei zur Architektur. Die Frage nach der Lebensfähigkeit des Staffeleibildes hätte den natürlichen Abschluß des kunstphilosophischen Teiles geboten. Doch Burger scheut Abschlüsse, je näher sie liegen, desto mehr. Dieses Grund¬ übel spricht sich schon im typographischen Äußeren des Buches aus: nirgends ein Einschnitt, eine Cäsur, eine Gliederung; die Pyramide spitzt sich nie zu, nur die Basis wird immer breiter. Endlos und mühsam fügt sich die Vergleichung einzelner Meister aneinander und nur künstlich wird der gemeinschaftliche, erkenntnistheoretische Boden festgehalten. Im Grunde also Randbemerkungen über Böcklin und Th. Th. Heine, Hodler und Cözanne, Cözanne und Marsch, Cözanne und Monet, Cüzanne und Amiet, Cözanne und Corot usw. usw. Im einzelnen vielfach von tiefstem Inhalt und siegreichem Reichtum des Aus¬ drucks, der Übersetzung ins Sprachliche, im ganzen, — nein, da ist keine Meinung möglich, weil ein Ganzes halt in Gottes Namen nicht da ist, es sei denn: eine hoffnungsvolle Frucht zu grün gepflückt. Ich glaube, kein Zweiter besitzt so bald ein so schönes Material zu einem grundlegenden Buch über die moderne Ma¬ lerei wie — Fritz Burger. Er Spute sich, eS zu nützen, sonst könnte ein anderer mit seinen Steinen bauen. Steine sind zum Bauen da, je besser sie gebrannt find, desto mehr. Das wäre ein tragisches Schicksal, — aber das übelste nicht. Vom Abbildungsband, der in seinen Neben¬ einanderstellungen Anregungen Meier-Grases vielfach sehr geschickt verwirklicht, ist innerhalb der gegebenen technischen und finanziellen Möglichkeiten nicht mehr zu verlangen und er wird, ein vortreffliches Kompendium der mo¬ dernen Malerei, jedem Käufer bald zum un¬ entbehrlichen Wörterbuch werden. Eine besonders günstige Gelegenheit zur Ergänzung dieses bildlichen Nachschlage¬ materials bietet sich eben zur Stunde in dem wunderschönen „Auktionskatalog der Samm¬ lung Günzburger-Genf" (bei Hugo Helbing, München 1913, 10 M.), die besonders für Hodler dem Burgerschen Abbildungsband höchst erwünscht zur Hilfe kommt. Der pracht¬ volle Katalog, den eine feinsinnige Hodler- Betrachtung Dr. Johannes Widmers einleitet, enthält auf vierundsechzig großen Lichtdruck¬ tafeln in 4° mehr als sechzig Abbildungen Hodlerscher Werke, die alle das Vollendetste und Beste bieten, was von einer Wiedergabe in Schwarz-Weiß überhaupt nur zu erwarten ist. Besonders ist die Hodlersche Landschaft reich und auserwählt zugleich vertreten. Außer Hodler sind zwei Mädchenakte von Cuno Amiet, bezeichnende Beispiele einer herb-sinn¬ lichen, hoch entwickelten Kunst, ein wunder¬ süßer Kinderkopf von Giacometti, Verschiedenes von Buri und Vautier, wie auch die be¬ glückende, beherrschte Fülle eines Werkes Georges d'Espagnat, schöne Zierden des schönen Ganzen. Wie können wir uns freuen, daß der Kunsthandel in unseren Tagen, indem er seinen Erwerbszielen nachgeht, zugleich einem viel weiteren Kreise als dem der gutgefütterten Käufer so köstliche Gaben für erreichbare Summen bietet. In Hermann Röthlisbergers und Albert Bauers Redaktion ist ein „schweizerisches Jahrbuch für Kunst und Handwerk 1912" er¬ schienen (Wilh. Seid, Biel, 10 Franken). Der textliche Teil ist herzlich unbedeutend und daß er sich wenigstens dementsprechend auch räumlich nicht allzu breit macht, ist nur zu begrüßen. Sowohl die altgoethisch sein sollende Lehrhaftigkeit, in der zum Publikum gesprochen wird, wie die anmaßenden sitt¬ lichen Strafpredigten, in denen ungebildete und verständnislose Kritiker abgekanzelt wer¬ den, erinnert an des edlen Ritters Kampf gegen die Windmühlen und liest sich wie ver¬ altete Streitschriften. Dagegen bietet das Abbildungsmaterial in bester Ausführung will¬ kommenen Ersatz: etwa ein Dutzend wunder¬ voller Hodler-Skizzen und Bilder aus dem neuesten Schaffen des Meisters mit glücklicher Hand gewählt. Mit sichtlich reifer Über¬ legung und gründlicher Kenntnis des ge¬ samten Schaffens der betreffenden Künstler werden charakteristische Stücke von Amiet, Buri, Brühlmann, Giacometti, Hermenjat und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/547>, abgerufen am 22.12.2024.