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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Schule auch "Du" zu mir sagen dürfe. Die Mutter fühlt sich gehoben und
lächelt in heimlichem Stolz. --

Als gestern die Nachricht kam, daß mein Entlassungsgesuch genehmigt sei,
bin ich des Nachmittags hinausgewandert, um Abschied zu nehmen von meinem
Walde. Anna war mit, und wir gingen Hand in Hand. Genau wie das
erstemal, als ich ihn betrat, lag goldene Sonne auf den Bäumen. Statt der
herbstlichen Wehmut aber wehte mich lind und leise die Verheißung des Früh¬
lings an. Schneeglöckchen drangen aus der Erde, wir pflückten und kehrten
heim wie fröhliche Kinder.

Was nun weiter wird, können wir in Ruhe abwarten. Ich danke Dir,
daß Du schon mit dem Provinzialschulrat gesprochen hast. Die Sache scheint
sa zu werden. Vorerst komme ich nun zu Eurer Hochzeit. Da werde ich an
Ort und Stelle selber die nötigen Schritte tun. Komme ich in Eurer Stadt
unter, so kommt Anna bald nach. Ich werde ihr von meinem väterlichen Erbteil
eine gute Pension besorgen und sür ihre weitere Ausbildung Sorge tragen.
Sonst geht es auf irgendeine andere Art. --

Der letzte Brief aus Trebeldorf.

Ich hätte nicht geglaubt, als ich hier vor einem halben Jahre einrückte,
daß es soviel in diesem Neste zu erleben gäbe.

Ich schaue zurück auf alles und alle und scheide ohne Groll.

Ich segne den Pipenklüb; ich segne Josepha Pluderig und die Frau Senator
Strabel. Ich segne den heiligen Kaffee. Ich segne auch den Fritze Adlers
und alle, die mir sonst weh getan haben.

Wenn die Postkutsche -- denn die muß ich trotz der Bahn noch benutzen --
mit mir zum Tore hinauskarrt, dann werde ich die letzte Strophe des Kantor¬
liedes jauchzend zum Fenster hinaussingcn:

Ich komme!


Dein Edward.


Briefe aus Trebeldorf

Schule auch „Du" zu mir sagen dürfe. Die Mutter fühlt sich gehoben und
lächelt in heimlichem Stolz. —

Als gestern die Nachricht kam, daß mein Entlassungsgesuch genehmigt sei,
bin ich des Nachmittags hinausgewandert, um Abschied zu nehmen von meinem
Walde. Anna war mit, und wir gingen Hand in Hand. Genau wie das
erstemal, als ich ihn betrat, lag goldene Sonne auf den Bäumen. Statt der
herbstlichen Wehmut aber wehte mich lind und leise die Verheißung des Früh¬
lings an. Schneeglöckchen drangen aus der Erde, wir pflückten und kehrten
heim wie fröhliche Kinder.

Was nun weiter wird, können wir in Ruhe abwarten. Ich danke Dir,
daß Du schon mit dem Provinzialschulrat gesprochen hast. Die Sache scheint
sa zu werden. Vorerst komme ich nun zu Eurer Hochzeit. Da werde ich an
Ort und Stelle selber die nötigen Schritte tun. Komme ich in Eurer Stadt
unter, so kommt Anna bald nach. Ich werde ihr von meinem väterlichen Erbteil
eine gute Pension besorgen und sür ihre weitere Ausbildung Sorge tragen.
Sonst geht es auf irgendeine andere Art. —

Der letzte Brief aus Trebeldorf.

Ich hätte nicht geglaubt, als ich hier vor einem halben Jahre einrückte,
daß es soviel in diesem Neste zu erleben gäbe.

Ich schaue zurück auf alles und alle und scheide ohne Groll.

Ich segne den Pipenklüb; ich segne Josepha Pluderig und die Frau Senator
Strabel. Ich segne den heiligen Kaffee. Ich segne auch den Fritze Adlers
und alle, die mir sonst weh getan haben.

Wenn die Postkutsche — denn die muß ich trotz der Bahn noch benutzen —
mit mir zum Tore hinauskarrt, dann werde ich die letzte Strophe des Kantor¬
liedes jauchzend zum Fenster hinaussingcn:

Ich komme!


Dein Edward.


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[0542] Briefe aus Trebeldorf Schule auch „Du" zu mir sagen dürfe. Die Mutter fühlt sich gehoben und lächelt in heimlichem Stolz. — Als gestern die Nachricht kam, daß mein Entlassungsgesuch genehmigt sei, bin ich des Nachmittags hinausgewandert, um Abschied zu nehmen von meinem Walde. Anna war mit, und wir gingen Hand in Hand. Genau wie das erstemal, als ich ihn betrat, lag goldene Sonne auf den Bäumen. Statt der herbstlichen Wehmut aber wehte mich lind und leise die Verheißung des Früh¬ lings an. Schneeglöckchen drangen aus der Erde, wir pflückten und kehrten heim wie fröhliche Kinder. Was nun weiter wird, können wir in Ruhe abwarten. Ich danke Dir, daß Du schon mit dem Provinzialschulrat gesprochen hast. Die Sache scheint sa zu werden. Vorerst komme ich nun zu Eurer Hochzeit. Da werde ich an Ort und Stelle selber die nötigen Schritte tun. Komme ich in Eurer Stadt unter, so kommt Anna bald nach. Ich werde ihr von meinem väterlichen Erbteil eine gute Pension besorgen und sür ihre weitere Ausbildung Sorge tragen. Sonst geht es auf irgendeine andere Art. — Der letzte Brief aus Trebeldorf. Ich hätte nicht geglaubt, als ich hier vor einem halben Jahre einrückte, daß es soviel in diesem Neste zu erleben gäbe. Ich schaue zurück auf alles und alle und scheide ohne Groll. Ich segne den Pipenklüb; ich segne Josepha Pluderig und die Frau Senator Strabel. Ich segne den heiligen Kaffee. Ich segne auch den Fritze Adlers und alle, die mir sonst weh getan haben. Wenn die Postkutsche — denn die muß ich trotz der Bahn noch benutzen — mit mir zum Tore hinauskarrt, dann werde ich die letzte Strophe des Kantor¬ liedes jauchzend zum Fenster hinaussingcn: Ich komme! Dein Edward.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/542>, abgerufen am 22.07.2024.