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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Briefe aus Trebeldorf

Sie nickt nur schmerzlich bewegt.

Da plötzlich, wie ich das Seelenstärke Mädchen so vor mir sehe in ihrer
Güte und Selbstlosigkeit, da durchfährt es mich, welch ein erbärmlicher Mensch
ich bin. wenn ich sie von mir lasse um eines jämmerlichen Klatsches willen.
Jetzt fühle ich zum erstenmal, was ich mir nie habe gestehen wollen, daß meine
Liebe zu ihr doch eine ganz andere ist, als ich überhaupt gewußt habe.

Ich reiße sie in meine Arme und sage: "Nein, Anna, liebes Kind. Du
gehst nicht von mir, niemals! Wir zwei Ausgestoßene, Geächtete gehören zu¬
einander für alle Dauer des Lebens. Uns hat der Neid der Menschen zusammen¬
gekettet. Nun laß uns zusammenbleiben alle, alle Tage. -- Sag ein Wort.
Anna, ein einziges! Willst Du?"

Sie ruht mit geschlossenen Augen an meiner Brust, lange, lange. Ihr
Atem ist kurz und hastig. Dann schlägt sie den Blick empor, und nun strömt
ihr die lindernde Träne. "Es geht nicht." sagte sie ganz leise. "Das kann
nicht sein."

"Warum nicht?" frage ich.

Sie sei zu gering für mich, sagt sie. und sie dürfe mich nicht hinabziehen zu sich.

"El was!" entgegne ich. "Du denkst wohl gar, ich bringe Dir ein Opfer?
Nein, nein. Anna, seit heute weiß ich es. daß ich Dich lieb gehabt habe vom
ersten Augenblick, nicht wie ein Vater das Kind, nicht wie ein Bruder die
Schwester, sondern wie der Mann das Weib."

Da lächelt sie glückselig zu mir auf, bietet mir zum Kusse die schwellenden
Lippen, um uns vergeht die Welt im seligen Genießen dieses Augenblicks. --

Nun. lieber Cunz. sind wir ein paar glückliche Menschenkinder, und Du
hast auch darin recht behalten: ich habe mich "verplempert".

Ist es wirklich so? Du wirst sie ja kennen lernen über kurz oder lang.
-- Und dann weiß ich, Du wirst Dich freuen über das seltene Mädchen. Ja
meine Hoffnung und mein Glaube versteigen sich mutig bis dahinauf, daß
selbst Deine adlige Braut -- dann schon Frau -- mit meiner kleinen Torf¬
bäuerin Freundschaft schließen wird. -- Sie ist wie eine Märchenprinzesstn.
sag ich Dir. --

Nun sind wir verlobt. Dir gilt mein Brief statt besonderer Anzeige. Hier
steht es heute in der Zeitung, vielen zum Ärger, einigen wenigen zur Freude.
Der Präparandenvorsteher und die Seinen haben mir mit warmen, bewegten
Worten ihren Glückwunsch ausgesprochen. -- Tadellose Leute. Gleich hole ich
Anna ab. Bei ihnen werden wir den Abend zubringen. Desgleichen haben
mir auch der alte Kantor und der Rektor die Hand kräftig geschüttelt. Anna
ist ehemals ihre beste Schülerin gewesen.

"Mit der können Sie sich vor Majestät sehen lassen." versicherte der Kantor
in seiner treuherzigen Weise.

Vater Ewert hat vor Staunen wieder nur den Mund weit aufgerissen;
Paul ist außer sich vor Freude und fragt immer wieder, ob er nun in der


Briefe aus Trebeldorf

Sie nickt nur schmerzlich bewegt.

Da plötzlich, wie ich das Seelenstärke Mädchen so vor mir sehe in ihrer
Güte und Selbstlosigkeit, da durchfährt es mich, welch ein erbärmlicher Mensch
ich bin. wenn ich sie von mir lasse um eines jämmerlichen Klatsches willen.
Jetzt fühle ich zum erstenmal, was ich mir nie habe gestehen wollen, daß meine
Liebe zu ihr doch eine ganz andere ist, als ich überhaupt gewußt habe.

Ich reiße sie in meine Arme und sage: „Nein, Anna, liebes Kind. Du
gehst nicht von mir, niemals! Wir zwei Ausgestoßene, Geächtete gehören zu¬
einander für alle Dauer des Lebens. Uns hat der Neid der Menschen zusammen¬
gekettet. Nun laß uns zusammenbleiben alle, alle Tage. — Sag ein Wort.
Anna, ein einziges! Willst Du?"

Sie ruht mit geschlossenen Augen an meiner Brust, lange, lange. Ihr
Atem ist kurz und hastig. Dann schlägt sie den Blick empor, und nun strömt
ihr die lindernde Träne. „Es geht nicht." sagte sie ganz leise. „Das kann
nicht sein."

„Warum nicht?" frage ich.

Sie sei zu gering für mich, sagt sie. und sie dürfe mich nicht hinabziehen zu sich.

„El was!" entgegne ich. „Du denkst wohl gar, ich bringe Dir ein Opfer?
Nein, nein. Anna, seit heute weiß ich es. daß ich Dich lieb gehabt habe vom
ersten Augenblick, nicht wie ein Vater das Kind, nicht wie ein Bruder die
Schwester, sondern wie der Mann das Weib."

Da lächelt sie glückselig zu mir auf, bietet mir zum Kusse die schwellenden
Lippen, um uns vergeht die Welt im seligen Genießen dieses Augenblicks. —

Nun. lieber Cunz. sind wir ein paar glückliche Menschenkinder, und Du
hast auch darin recht behalten: ich habe mich „verplempert".

Ist es wirklich so? Du wirst sie ja kennen lernen über kurz oder lang.
— Und dann weiß ich, Du wirst Dich freuen über das seltene Mädchen. Ja
meine Hoffnung und mein Glaube versteigen sich mutig bis dahinauf, daß
selbst Deine adlige Braut — dann schon Frau — mit meiner kleinen Torf¬
bäuerin Freundschaft schließen wird. — Sie ist wie eine Märchenprinzesstn.
sag ich Dir. —

Nun sind wir verlobt. Dir gilt mein Brief statt besonderer Anzeige. Hier
steht es heute in der Zeitung, vielen zum Ärger, einigen wenigen zur Freude.
Der Präparandenvorsteher und die Seinen haben mir mit warmen, bewegten
Worten ihren Glückwunsch ausgesprochen. — Tadellose Leute. Gleich hole ich
Anna ab. Bei ihnen werden wir den Abend zubringen. Desgleichen haben
mir auch der alte Kantor und der Rektor die Hand kräftig geschüttelt. Anna
ist ehemals ihre beste Schülerin gewesen.

„Mit der können Sie sich vor Majestät sehen lassen." versicherte der Kantor
in seiner treuherzigen Weise.

Vater Ewert hat vor Staunen wieder nur den Mund weit aufgerissen;
Paul ist außer sich vor Freude und fragt immer wieder, ob er nun in der


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[0541] Briefe aus Trebeldorf Sie nickt nur schmerzlich bewegt. Da plötzlich, wie ich das Seelenstärke Mädchen so vor mir sehe in ihrer Güte und Selbstlosigkeit, da durchfährt es mich, welch ein erbärmlicher Mensch ich bin. wenn ich sie von mir lasse um eines jämmerlichen Klatsches willen. Jetzt fühle ich zum erstenmal, was ich mir nie habe gestehen wollen, daß meine Liebe zu ihr doch eine ganz andere ist, als ich überhaupt gewußt habe. Ich reiße sie in meine Arme und sage: „Nein, Anna, liebes Kind. Du gehst nicht von mir, niemals! Wir zwei Ausgestoßene, Geächtete gehören zu¬ einander für alle Dauer des Lebens. Uns hat der Neid der Menschen zusammen¬ gekettet. Nun laß uns zusammenbleiben alle, alle Tage. — Sag ein Wort. Anna, ein einziges! Willst Du?" Sie ruht mit geschlossenen Augen an meiner Brust, lange, lange. Ihr Atem ist kurz und hastig. Dann schlägt sie den Blick empor, und nun strömt ihr die lindernde Träne. „Es geht nicht." sagte sie ganz leise. „Das kann nicht sein." „Warum nicht?" frage ich. Sie sei zu gering für mich, sagt sie. und sie dürfe mich nicht hinabziehen zu sich. „El was!" entgegne ich. „Du denkst wohl gar, ich bringe Dir ein Opfer? Nein, nein. Anna, seit heute weiß ich es. daß ich Dich lieb gehabt habe vom ersten Augenblick, nicht wie ein Vater das Kind, nicht wie ein Bruder die Schwester, sondern wie der Mann das Weib." Da lächelt sie glückselig zu mir auf, bietet mir zum Kusse die schwellenden Lippen, um uns vergeht die Welt im seligen Genießen dieses Augenblicks. — Nun. lieber Cunz. sind wir ein paar glückliche Menschenkinder, und Du hast auch darin recht behalten: ich habe mich „verplempert". Ist es wirklich so? Du wirst sie ja kennen lernen über kurz oder lang. — Und dann weiß ich, Du wirst Dich freuen über das seltene Mädchen. Ja meine Hoffnung und mein Glaube versteigen sich mutig bis dahinauf, daß selbst Deine adlige Braut — dann schon Frau — mit meiner kleinen Torf¬ bäuerin Freundschaft schließen wird. — Sie ist wie eine Märchenprinzesstn. sag ich Dir. — Nun sind wir verlobt. Dir gilt mein Brief statt besonderer Anzeige. Hier steht es heute in der Zeitung, vielen zum Ärger, einigen wenigen zur Freude. Der Präparandenvorsteher und die Seinen haben mir mit warmen, bewegten Worten ihren Glückwunsch ausgesprochen. — Tadellose Leute. Gleich hole ich Anna ab. Bei ihnen werden wir den Abend zubringen. Desgleichen haben mir auch der alte Kantor und der Rektor die Hand kräftig geschüttelt. Anna ist ehemals ihre beste Schülerin gewesen. „Mit der können Sie sich vor Majestät sehen lassen." versicherte der Kantor in seiner treuherzigen Weise. Vater Ewert hat vor Staunen wieder nur den Mund weit aufgerissen; Paul ist außer sich vor Freude und fragt immer wieder, ob er nun in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/541>, abgerufen am 22.07.2024.