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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Hebbel und Heine
Klara Hofer vonin

s ist 1344 und Juni. In seinem Zimmer in der Rue de Mul-
hov.se Ur. 13 im Faubourg Poissonniöre steht Hebbel am Fenster.
Es ist Morgen, noch liegt ein Nebel über dem Häusermeer von
Paris, das er unter sich erblickt: aber die Sonne kämpft schon
mächtig und wird bald den Nebel verzehren, wie er jetzt noch
ihre Strahlen verzehrt und dadurch blau wird, indes er anfangs grau war.
Je länger er hier lebt, desto lieber wird ihm die Stadt. Hier trennte er sich
mehr und mehr von seiner finsteren Vergangenheit los, hier lernte er den hohen
und einzigen Wert des Lebens kennen, und die Kraft des Menschen und seine
Ziele, aus dem geliehenen Leben heraus zu holen, was als seine Aufgabe
darin sitzt, wie in der Knospe -- von Anbeginn dunkel empfunden -- wurden hier
klar in ihm.

Er hält einen Brief in der Hand, von Elise Lensing, die ihn durch
ihre Liebe und Aufopferung in seiner schrecklichsten Zeit am Leben erhielt. Ihr
verdankt er sein Leben, ist er ihr dafür sein Leben schuldig? -- Elise ist eine
zu rein und selbstlos empfindende Seele, um mit der Brutalität roher Naturen
ihre Rechte zu behaupten, und sie hat Rechte. Wie ist das nur gekommen,
was ihn an sie bindet wie mit Ketten? -- Er fühlt sich gebunden; er hat ihr
gesagt: nur sie wird seine Frau. Es war ihm Ernst damit; er hat es gesagt
nicht einmal, sondern vielmal, in Wort und Schrift; er hat es gesagt aus der
inneren Ehrfurcht heraus, die er vor ihr empfand, aus der Gewißheit heraus,
eine adligere Natur könne er nicht finden im Leben.

Nun haben die Jahre der Unsicherheit, des Mit°leidens und Selbst-leidens
sie zermürbt, ihre Kraft ist gebrochen. Fehlschlag auf Fehlschlag ist gekommen,
ein Unglück hinter dem andern, nun ist ihre Seele müde geworden. Gott hat
es nicht gewollt. Man muß den großen Gedanken entsagen, vielleicht läßt sich
noch ein Menschenglück zimmern aus zerbrochenen Planken. Da kommt ihr
wie vom Himmel der Antrag des Verlegers Campe, Herr Dr. Hebbel möchte
die Redaktion des Telegraphen für Deutschland übernehmen, des großen Blattes,
das in Hamburg erscheint, das bis jetzt Karl Gutzkow geleitet hat. Das ist
ein Glück für sie, wie von Gott selbst gesandt. --

Hebbel blickt über die Dächer, die Sonne liegt schon juliwarm darüber und faßt
sie in bleiches Gold. Muß er den Antrag annehmen? -- Für seine Berufung




Hebbel und Heine
Klara Hofer vonin

s ist 1344 und Juni. In seinem Zimmer in der Rue de Mul-
hov.se Ur. 13 im Faubourg Poissonniöre steht Hebbel am Fenster.
Es ist Morgen, noch liegt ein Nebel über dem Häusermeer von
Paris, das er unter sich erblickt: aber die Sonne kämpft schon
mächtig und wird bald den Nebel verzehren, wie er jetzt noch
ihre Strahlen verzehrt und dadurch blau wird, indes er anfangs grau war.
Je länger er hier lebt, desto lieber wird ihm die Stadt. Hier trennte er sich
mehr und mehr von seiner finsteren Vergangenheit los, hier lernte er den hohen
und einzigen Wert des Lebens kennen, und die Kraft des Menschen und seine
Ziele, aus dem geliehenen Leben heraus zu holen, was als seine Aufgabe
darin sitzt, wie in der Knospe — von Anbeginn dunkel empfunden — wurden hier
klar in ihm.

Er hält einen Brief in der Hand, von Elise Lensing, die ihn durch
ihre Liebe und Aufopferung in seiner schrecklichsten Zeit am Leben erhielt. Ihr
verdankt er sein Leben, ist er ihr dafür sein Leben schuldig? — Elise ist eine
zu rein und selbstlos empfindende Seele, um mit der Brutalität roher Naturen
ihre Rechte zu behaupten, und sie hat Rechte. Wie ist das nur gekommen,
was ihn an sie bindet wie mit Ketten? — Er fühlt sich gebunden; er hat ihr
gesagt: nur sie wird seine Frau. Es war ihm Ernst damit; er hat es gesagt
nicht einmal, sondern vielmal, in Wort und Schrift; er hat es gesagt aus der
inneren Ehrfurcht heraus, die er vor ihr empfand, aus der Gewißheit heraus,
eine adligere Natur könne er nicht finden im Leben.

Nun haben die Jahre der Unsicherheit, des Mit°leidens und Selbst-leidens
sie zermürbt, ihre Kraft ist gebrochen. Fehlschlag auf Fehlschlag ist gekommen,
ein Unglück hinter dem andern, nun ist ihre Seele müde geworden. Gott hat
es nicht gewollt. Man muß den großen Gedanken entsagen, vielleicht läßt sich
noch ein Menschenglück zimmern aus zerbrochenen Planken. Da kommt ihr
wie vom Himmel der Antrag des Verlegers Campe, Herr Dr. Hebbel möchte
die Redaktion des Telegraphen für Deutschland übernehmen, des großen Blattes,
das in Hamburg erscheint, das bis jetzt Karl Gutzkow geleitet hat. Das ist
ein Glück für sie, wie von Gott selbst gesandt. —

Hebbel blickt über die Dächer, die Sonne liegt schon juliwarm darüber und faßt
sie in bleiches Gold. Muß er den Antrag annehmen? — Für seine Berufung


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[0528] [Abbildung] Hebbel und Heine Klara Hofer vonin s ist 1344 und Juni. In seinem Zimmer in der Rue de Mul- hov.se Ur. 13 im Faubourg Poissonniöre steht Hebbel am Fenster. Es ist Morgen, noch liegt ein Nebel über dem Häusermeer von Paris, das er unter sich erblickt: aber die Sonne kämpft schon mächtig und wird bald den Nebel verzehren, wie er jetzt noch ihre Strahlen verzehrt und dadurch blau wird, indes er anfangs grau war. Je länger er hier lebt, desto lieber wird ihm die Stadt. Hier trennte er sich mehr und mehr von seiner finsteren Vergangenheit los, hier lernte er den hohen und einzigen Wert des Lebens kennen, und die Kraft des Menschen und seine Ziele, aus dem geliehenen Leben heraus zu holen, was als seine Aufgabe darin sitzt, wie in der Knospe — von Anbeginn dunkel empfunden — wurden hier klar in ihm. Er hält einen Brief in der Hand, von Elise Lensing, die ihn durch ihre Liebe und Aufopferung in seiner schrecklichsten Zeit am Leben erhielt. Ihr verdankt er sein Leben, ist er ihr dafür sein Leben schuldig? — Elise ist eine zu rein und selbstlos empfindende Seele, um mit der Brutalität roher Naturen ihre Rechte zu behaupten, und sie hat Rechte. Wie ist das nur gekommen, was ihn an sie bindet wie mit Ketten? — Er fühlt sich gebunden; er hat ihr gesagt: nur sie wird seine Frau. Es war ihm Ernst damit; er hat es gesagt nicht einmal, sondern vielmal, in Wort und Schrift; er hat es gesagt aus der inneren Ehrfurcht heraus, die er vor ihr empfand, aus der Gewißheit heraus, eine adligere Natur könne er nicht finden im Leben. Nun haben die Jahre der Unsicherheit, des Mit°leidens und Selbst-leidens sie zermürbt, ihre Kraft ist gebrochen. Fehlschlag auf Fehlschlag ist gekommen, ein Unglück hinter dem andern, nun ist ihre Seele müde geworden. Gott hat es nicht gewollt. Man muß den großen Gedanken entsagen, vielleicht läßt sich noch ein Menschenglück zimmern aus zerbrochenen Planken. Da kommt ihr wie vom Himmel der Antrag des Verlegers Campe, Herr Dr. Hebbel möchte die Redaktion des Telegraphen für Deutschland übernehmen, des großen Blattes, das in Hamburg erscheint, das bis jetzt Karl Gutzkow geleitet hat. Das ist ein Glück für sie, wie von Gott selbst gesandt. — Hebbel blickt über die Dächer, die Sonne liegt schon juliwarm darüber und faßt sie in bleiches Gold. Muß er den Antrag annehmen? — Für seine Berufung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/528>, abgerufen am 04.07.2024.