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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Kritik und Publikum

so wenig wie dieser Mann für andere Frauen etwas
übrig hat. Er wird doch nicht?

Ernsthaft könnte ich aber wieder fragen: Zu¬
gegeben, mein Artikel "wird" keinen Leser überzeugen,
was beweist das? Der Erfolg ist ein Argument für
Kinder.

Es ist zwar ein Schönheitsfehler, von einer Selbstverständlichkeit Worte
zu machen. Dennoch will ich die nationale Seite der Fremdwörterfrage, wie
ich sie sehe, an dieser Stelle kurz und deutsch zum Ausdruck bringen. Ich schulde
die Erklärung, nachdem ich erst mit kaltschnäuziger Verständigkeit und nun mit
unheiliger Heiterkeit eine Sache abgehandelt habe, von der ich weiß, daß ihr viele
meiner Leser, und nicht die schlechtesten, mit innerster Teilnahme gegenüberstehen.

Meinen Patriotismus lasse ich nicht zur Diskussion stellen, bloß weil andere
Patrioten ihr eigenes Quentchen nicht anders lebendig erhalten können, als daß
es ihnen von Zeit zu Zeit in die Feder rutscht. Aber das betone ich nach¬
drücklich: Schönheit und Reichtum der deutschen Sprache liegt mir so gut am
Herzen wie sonst einem Welcher Deutsche könnte sich diesem Gefühl entziehen,
der nur den geringsten Blick für literarische Werte hat I Aber ich glaube, meine
Liebe zu ihr nur zu vertiefen, wenn ich mich nebenbei bemühe, sie zu verstehen.
Und da sehe ich nun, daß sie kein Blümchen Wunderhold ist, über Nacht und
ungezeugt aus dem Nichts geschossen, in unnahbarer Herrlichkeit. Gerade ihr
Gewachsensein, ihre tausendfache Verschlingung mit dem Nährboden der Geschichte
gab ihr das Feuer der Farben und den einzigen Duft. Wer zählt die An-
regungen von außen, die an der Bildung unserer Sprache gearbeitet haben,
wer die Wirkungen, die sie selbst dankbar weiterstrahlte im lebenfördernden
Spiel eines ewig bewegten Gebens und Nehmens? Dieser freien Entwicklung
will ich ihre Bahn lassen, zum Wohle der deutschen Sprache. In voller Über¬
zeugung, daß man ihren unvergleichlichen Reichtum untergräbt, wehre ich den
vorwitzigen Händen, die ihre Wurzeln abschneiden wollen, um ihre eingebildete
Nationalität zu retten.

Die Anwendung macht das Wort. Darum ist seine wahre Nationalität
der Geist des Redenden. Indem ich ein Wort, das buchstäblich aus einem
fremden Volk hervorgegangen sein mag, in den Sinn meiner deutschen Gedanken
spanne, schmelze ich es ein in das lebendige Sprachgut meines Volkes. Der
Fremdling erwirbt Heimatrecht, der sich der Zucht seiner Wirte unterwirft, und
mit stillem Segen vergilt er die Gastfreundschaft hundertfach. Wer wagt es.
heute die Emigranten als lästige Ausländer zu schmähen? Nicht der schädigt
die deutsche Sprache, der sie durch immer neue Einstellung auf fremde Gedanken¬
kreise und Kulturwerte zur Entfaltung ihrer letzten Schmiegsamkeit antreibt.
Der aber tut es wider Willen, der sich abmüht, ihre wilde Schoßkraft im
Nonnenkloster einer puritanischen Erziehung zu verkümmern.




Kritik und Publikum

so wenig wie dieser Mann für andere Frauen etwas
übrig hat. Er wird doch nicht?

Ernsthaft könnte ich aber wieder fragen: Zu¬
gegeben, mein Artikel „wird" keinen Leser überzeugen,
was beweist das? Der Erfolg ist ein Argument für
Kinder.

Es ist zwar ein Schönheitsfehler, von einer Selbstverständlichkeit Worte
zu machen. Dennoch will ich die nationale Seite der Fremdwörterfrage, wie
ich sie sehe, an dieser Stelle kurz und deutsch zum Ausdruck bringen. Ich schulde
die Erklärung, nachdem ich erst mit kaltschnäuziger Verständigkeit und nun mit
unheiliger Heiterkeit eine Sache abgehandelt habe, von der ich weiß, daß ihr viele
meiner Leser, und nicht die schlechtesten, mit innerster Teilnahme gegenüberstehen.

Meinen Patriotismus lasse ich nicht zur Diskussion stellen, bloß weil andere
Patrioten ihr eigenes Quentchen nicht anders lebendig erhalten können, als daß
es ihnen von Zeit zu Zeit in die Feder rutscht. Aber das betone ich nach¬
drücklich: Schönheit und Reichtum der deutschen Sprache liegt mir so gut am
Herzen wie sonst einem Welcher Deutsche könnte sich diesem Gefühl entziehen,
der nur den geringsten Blick für literarische Werte hat I Aber ich glaube, meine
Liebe zu ihr nur zu vertiefen, wenn ich mich nebenbei bemühe, sie zu verstehen.
Und da sehe ich nun, daß sie kein Blümchen Wunderhold ist, über Nacht und
ungezeugt aus dem Nichts geschossen, in unnahbarer Herrlichkeit. Gerade ihr
Gewachsensein, ihre tausendfache Verschlingung mit dem Nährboden der Geschichte
gab ihr das Feuer der Farben und den einzigen Duft. Wer zählt die An-
regungen von außen, die an der Bildung unserer Sprache gearbeitet haben,
wer die Wirkungen, die sie selbst dankbar weiterstrahlte im lebenfördernden
Spiel eines ewig bewegten Gebens und Nehmens? Dieser freien Entwicklung
will ich ihre Bahn lassen, zum Wohle der deutschen Sprache. In voller Über¬
zeugung, daß man ihren unvergleichlichen Reichtum untergräbt, wehre ich den
vorwitzigen Händen, die ihre Wurzeln abschneiden wollen, um ihre eingebildete
Nationalität zu retten.

Die Anwendung macht das Wort. Darum ist seine wahre Nationalität
der Geist des Redenden. Indem ich ein Wort, das buchstäblich aus einem
fremden Volk hervorgegangen sein mag, in den Sinn meiner deutschen Gedanken
spanne, schmelze ich es ein in das lebendige Sprachgut meines Volkes. Der
Fremdling erwirbt Heimatrecht, der sich der Zucht seiner Wirte unterwirft, und
mit stillem Segen vergilt er die Gastfreundschaft hundertfach. Wer wagt es.
heute die Emigranten als lästige Ausländer zu schmähen? Nicht der schädigt
die deutsche Sprache, der sie durch immer neue Einstellung auf fremde Gedanken¬
kreise und Kulturwerte zur Entfaltung ihrer letzten Schmiegsamkeit antreibt.
Der aber tut es wider Willen, der sich abmüht, ihre wilde Schoßkraft im
Nonnenkloster einer puritanischen Erziehung zu verkümmern.




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[0527] Kritik und Publikum so wenig wie dieser Mann für andere Frauen etwas übrig hat. Er wird doch nicht? Ernsthaft könnte ich aber wieder fragen: Zu¬ gegeben, mein Artikel „wird" keinen Leser überzeugen, was beweist das? Der Erfolg ist ein Argument für Kinder. Es ist zwar ein Schönheitsfehler, von einer Selbstverständlichkeit Worte zu machen. Dennoch will ich die nationale Seite der Fremdwörterfrage, wie ich sie sehe, an dieser Stelle kurz und deutsch zum Ausdruck bringen. Ich schulde die Erklärung, nachdem ich erst mit kaltschnäuziger Verständigkeit und nun mit unheiliger Heiterkeit eine Sache abgehandelt habe, von der ich weiß, daß ihr viele meiner Leser, und nicht die schlechtesten, mit innerster Teilnahme gegenüberstehen. Meinen Patriotismus lasse ich nicht zur Diskussion stellen, bloß weil andere Patrioten ihr eigenes Quentchen nicht anders lebendig erhalten können, als daß es ihnen von Zeit zu Zeit in die Feder rutscht. Aber das betone ich nach¬ drücklich: Schönheit und Reichtum der deutschen Sprache liegt mir so gut am Herzen wie sonst einem Welcher Deutsche könnte sich diesem Gefühl entziehen, der nur den geringsten Blick für literarische Werte hat I Aber ich glaube, meine Liebe zu ihr nur zu vertiefen, wenn ich mich nebenbei bemühe, sie zu verstehen. Und da sehe ich nun, daß sie kein Blümchen Wunderhold ist, über Nacht und ungezeugt aus dem Nichts geschossen, in unnahbarer Herrlichkeit. Gerade ihr Gewachsensein, ihre tausendfache Verschlingung mit dem Nährboden der Geschichte gab ihr das Feuer der Farben und den einzigen Duft. Wer zählt die An- regungen von außen, die an der Bildung unserer Sprache gearbeitet haben, wer die Wirkungen, die sie selbst dankbar weiterstrahlte im lebenfördernden Spiel eines ewig bewegten Gebens und Nehmens? Dieser freien Entwicklung will ich ihre Bahn lassen, zum Wohle der deutschen Sprache. In voller Über¬ zeugung, daß man ihren unvergleichlichen Reichtum untergräbt, wehre ich den vorwitzigen Händen, die ihre Wurzeln abschneiden wollen, um ihre eingebildete Nationalität zu retten. Die Anwendung macht das Wort. Darum ist seine wahre Nationalität der Geist des Redenden. Indem ich ein Wort, das buchstäblich aus einem fremden Volk hervorgegangen sein mag, in den Sinn meiner deutschen Gedanken spanne, schmelze ich es ein in das lebendige Sprachgut meines Volkes. Der Fremdling erwirbt Heimatrecht, der sich der Zucht seiner Wirte unterwirft, und mit stillem Segen vergilt er die Gastfreundschaft hundertfach. Wer wagt es. heute die Emigranten als lästige Ausländer zu schmähen? Nicht der schädigt die deutsche Sprache, der sie durch immer neue Einstellung auf fremde Gedanken¬ kreise und Kulturwerte zur Entfaltung ihrer letzten Schmiegsamkeit antreibt. Der aber tut es wider Willen, der sich abmüht, ihre wilde Schoßkraft im Nonnenkloster einer puritanischen Erziehung zu verkümmern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/527>, abgerufen am 04.07.2024.