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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Englisches und deutsches Friedenspräsenzrecht

vertrag gebunden war. In England gaben die Bürgerkriege, in Deutschland
der-Dreißigjährige Krieg diesem Söldnerheere die innere Rechtfertigung seines
Bestandes, zeigten aber auch die große Gefahr eines solchen Heeres für die
bestehende ständische Verfassung.

In England haben während des Bürgerkrieges beide Parteien das Heer
zu verfassungswidrigen Zwecken zu mißbrauchen versucht. Die gottseliger Dra¬
goner Cromwells waren eine ebenso große Gefahr für Parlamentsverfassung
und anglikanische Kirche, wie das von irisch-katholischen Offizieren befehligte
Heer Jakobs des Zweiten. Mit dem endgültigen Siege des Parlamentes durch
die glorreiche Revolution von 1688 wird daher in der Bill of rights der Satz
aufgestellt: "l'nat tre rai8inZ c>r lceepinx a 8tanäinx arm^ witiiin tre
KinZäom in eins of peace, unis88 it lie wird con8ent ok parliament, >8
ÄMin8t laxv." England konnte sich diesen Luxus, den Bestand eines stehenden
Heeres in Friedenszeiten für verfassungswidrig zu erklären, um so eher leisten,
als es bei seiner insularen Lage den Schutz seines Gebietes in erster Linie von
seiner Flotte erwartete.

Und doch war der Bestand eines stehenden Heeres auch für England nicht
ganz zu entbehren. Es wurde daher alljährlich durch besonderes Ausnahme¬
gesetz genehmigt, aber nur für das folgende Jahr. Gleichzeitig wurde das Heer,
da sonst Meuterei und Ungehorsam straflos gewesen wären, für dieses folgende
Jahr einem besonderen militärischen Strafrechte und Disziplinarrechte unterstellt.
Dies ist die Bedeutung des alljährlichen, früher als Rudin^ act, seit 1881 als
/".rin^ act bezeichneten Gesetzes. In dem Eingange wird stereotyp hervor¬
gehoben, daß die Aushebung und Unterhaltung eines stehenden Heeres in
Friedenszeiten, es sei denn mit Genehmigung des Parlamentes verfassungs¬
widrig ist, daß es aber trotzdem für die Sicherheit und Verteidigung des
Reiches notwendig erscheint, ein stehendes Heer in folgendem Bestände zu unter¬
halten, daß ferner niemand dem Kriegsrechte oder Kriegsgerichte unterworfen
ist, das aber trotzdem notwendig erscheint gegenüber der aufgestellten Kriegs¬
macht -- deshalb werden die nachfolgenden Bestimmungen getroffen.

Das englische Heerwesen ruht noch heute auf den alljährlich erneuerten
Rechtsgrundlagen des siebzehnten Jahrhunderts. Es ist ein gewordenes Söldner¬
heer geblieben, neben dem die alte Grafschaftsmiliz trotz aller Wiederbelebungs¬
versuche immer mehr an Bedeutung verloren hat. Als versafsungswidrige
Einrichtung findet es seine einzige Rechtsgrundlage in dem alljährlich er¬
neuerten Friedenspräsenzgesetze. Sollte dieses einmal ohne Erneuerung ab¬
gelaufen sein, so müßte das englische Heer notwendig sofort entlassen werden.
Denn ohne militärisches Strafrecht und Disztplinarrecht hätte man gar keine
rechtlichen Mittel mehr, die Soldaten beisammen zu halten und an dem Aus¬
einanderlaufen zu verhindern.

Das preußische und deutsche Heer ist dagegen gleich den anderen Heeren des
Festlandes nicht auf dem Standpunkte des siebzehnten Jahrhunderts stehen-


Englisches und deutsches Friedenspräsenzrecht

vertrag gebunden war. In England gaben die Bürgerkriege, in Deutschland
der-Dreißigjährige Krieg diesem Söldnerheere die innere Rechtfertigung seines
Bestandes, zeigten aber auch die große Gefahr eines solchen Heeres für die
bestehende ständische Verfassung.

In England haben während des Bürgerkrieges beide Parteien das Heer
zu verfassungswidrigen Zwecken zu mißbrauchen versucht. Die gottseliger Dra¬
goner Cromwells waren eine ebenso große Gefahr für Parlamentsverfassung
und anglikanische Kirche, wie das von irisch-katholischen Offizieren befehligte
Heer Jakobs des Zweiten. Mit dem endgültigen Siege des Parlamentes durch
die glorreiche Revolution von 1688 wird daher in der Bill of rights der Satz
aufgestellt: „l'nat tre rai8inZ c>r lceepinx a 8tanäinx arm^ witiiin tre
KinZäom in eins of peace, unis88 it lie wird con8ent ok parliament, >8
ÄMin8t laxv." England konnte sich diesen Luxus, den Bestand eines stehenden
Heeres in Friedenszeiten für verfassungswidrig zu erklären, um so eher leisten,
als es bei seiner insularen Lage den Schutz seines Gebietes in erster Linie von
seiner Flotte erwartete.

Und doch war der Bestand eines stehenden Heeres auch für England nicht
ganz zu entbehren. Es wurde daher alljährlich durch besonderes Ausnahme¬
gesetz genehmigt, aber nur für das folgende Jahr. Gleichzeitig wurde das Heer,
da sonst Meuterei und Ungehorsam straflos gewesen wären, für dieses folgende
Jahr einem besonderen militärischen Strafrechte und Disziplinarrechte unterstellt.
Dies ist die Bedeutung des alljährlichen, früher als Rudin^ act, seit 1881 als
/».rin^ act bezeichneten Gesetzes. In dem Eingange wird stereotyp hervor¬
gehoben, daß die Aushebung und Unterhaltung eines stehenden Heeres in
Friedenszeiten, es sei denn mit Genehmigung des Parlamentes verfassungs¬
widrig ist, daß es aber trotzdem für die Sicherheit und Verteidigung des
Reiches notwendig erscheint, ein stehendes Heer in folgendem Bestände zu unter¬
halten, daß ferner niemand dem Kriegsrechte oder Kriegsgerichte unterworfen
ist, das aber trotzdem notwendig erscheint gegenüber der aufgestellten Kriegs¬
macht — deshalb werden die nachfolgenden Bestimmungen getroffen.

Das englische Heerwesen ruht noch heute auf den alljährlich erneuerten
Rechtsgrundlagen des siebzehnten Jahrhunderts. Es ist ein gewordenes Söldner¬
heer geblieben, neben dem die alte Grafschaftsmiliz trotz aller Wiederbelebungs¬
versuche immer mehr an Bedeutung verloren hat. Als versafsungswidrige
Einrichtung findet es seine einzige Rechtsgrundlage in dem alljährlich er¬
neuerten Friedenspräsenzgesetze. Sollte dieses einmal ohne Erneuerung ab¬
gelaufen sein, so müßte das englische Heer notwendig sofort entlassen werden.
Denn ohne militärisches Strafrecht und Disztplinarrecht hätte man gar keine
rechtlichen Mittel mehr, die Soldaten beisammen zu halten und an dem Aus¬
einanderlaufen zu verhindern.

Das preußische und deutsche Heer ist dagegen gleich den anderen Heeren des
Festlandes nicht auf dem Standpunkte des siebzehnten Jahrhunderts stehen-


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[0506] Englisches und deutsches Friedenspräsenzrecht vertrag gebunden war. In England gaben die Bürgerkriege, in Deutschland der-Dreißigjährige Krieg diesem Söldnerheere die innere Rechtfertigung seines Bestandes, zeigten aber auch die große Gefahr eines solchen Heeres für die bestehende ständische Verfassung. In England haben während des Bürgerkrieges beide Parteien das Heer zu verfassungswidrigen Zwecken zu mißbrauchen versucht. Die gottseliger Dra¬ goner Cromwells waren eine ebenso große Gefahr für Parlamentsverfassung und anglikanische Kirche, wie das von irisch-katholischen Offizieren befehligte Heer Jakobs des Zweiten. Mit dem endgültigen Siege des Parlamentes durch die glorreiche Revolution von 1688 wird daher in der Bill of rights der Satz aufgestellt: „l'nat tre rai8inZ c>r lceepinx a 8tanäinx arm^ witiiin tre KinZäom in eins of peace, unis88 it lie wird con8ent ok parliament, >8 ÄMin8t laxv." England konnte sich diesen Luxus, den Bestand eines stehenden Heeres in Friedenszeiten für verfassungswidrig zu erklären, um so eher leisten, als es bei seiner insularen Lage den Schutz seines Gebietes in erster Linie von seiner Flotte erwartete. Und doch war der Bestand eines stehenden Heeres auch für England nicht ganz zu entbehren. Es wurde daher alljährlich durch besonderes Ausnahme¬ gesetz genehmigt, aber nur für das folgende Jahr. Gleichzeitig wurde das Heer, da sonst Meuterei und Ungehorsam straflos gewesen wären, für dieses folgende Jahr einem besonderen militärischen Strafrechte und Disziplinarrechte unterstellt. Dies ist die Bedeutung des alljährlichen, früher als Rudin^ act, seit 1881 als /».rin^ act bezeichneten Gesetzes. In dem Eingange wird stereotyp hervor¬ gehoben, daß die Aushebung und Unterhaltung eines stehenden Heeres in Friedenszeiten, es sei denn mit Genehmigung des Parlamentes verfassungs¬ widrig ist, daß es aber trotzdem für die Sicherheit und Verteidigung des Reiches notwendig erscheint, ein stehendes Heer in folgendem Bestände zu unter¬ halten, daß ferner niemand dem Kriegsrechte oder Kriegsgerichte unterworfen ist, das aber trotzdem notwendig erscheint gegenüber der aufgestellten Kriegs¬ macht — deshalb werden die nachfolgenden Bestimmungen getroffen. Das englische Heerwesen ruht noch heute auf den alljährlich erneuerten Rechtsgrundlagen des siebzehnten Jahrhunderts. Es ist ein gewordenes Söldner¬ heer geblieben, neben dem die alte Grafschaftsmiliz trotz aller Wiederbelebungs¬ versuche immer mehr an Bedeutung verloren hat. Als versafsungswidrige Einrichtung findet es seine einzige Rechtsgrundlage in dem alljährlich er¬ neuerten Friedenspräsenzgesetze. Sollte dieses einmal ohne Erneuerung ab¬ gelaufen sein, so müßte das englische Heer notwendig sofort entlassen werden. Denn ohne militärisches Strafrecht und Disztplinarrecht hätte man gar keine rechtlichen Mittel mehr, die Soldaten beisammen zu halten und an dem Aus¬ einanderlaufen zu verhindern. Das preußische und deutsche Heer ist dagegen gleich den anderen Heeren des Festlandes nicht auf dem Standpunkte des siebzehnten Jahrhunderts stehen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/506>, abgerufen am 22.12.2024.