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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Fürsten und Völker

Agitation gegen den "deutschen" Zaren durch taktvolle Würde den Boden zu
entziehen, versucht der Zar das sür die Russen Peinliche zu beseitigen durch
Preisgabe der eigenen Tradition: voriges Jahr in Verbindung mit Schaffung des
Romanow-Fonds zur Hebung der Landwirtschaft, in diesem durch das Romanow-
Jubiläum, das der großen Masse die echtrussische Abstammung des Zaren vor¬
spiegeln soll, die nicht vorhanden ist. Eine tiefergehende, für das Zaren¬
haus günstige Wirkung dieses Versuchs, darf man nicht erwarten; die fort¬
schreitende Bildung wird die Romanowlegende nie festen Fuß fassen lassen und
wahrscheinlich wird das Gegenteil von dem eintreten, was man zu erreichen
hoffte: die glücklich auslaufenden Unternehmungen der Regierung werden, mit
dem Namen Romanow in Verbindung gebracht, als Erfolge russischen Wesens
und Geistes gestempelt, alles Mißgeschick aber dem "Deutschen" auf dem Thron
zugeschoben werden.

Nach außen hin ist die Preisgabe der eigenen Haustradition ein sicht¬
bares Zeichen der Schwäche der russischen Negierung und des Verblassens der
zarischen Macht. Aber sie bedeutet auch die Bestätigung jener Abkehr von der
preußisch-russischen Politik eines Jahrhunderts, die schon unter Alexander dem
Dritten, also zur Amtszeit Bismarcks, einsetzte und die seinerzeit den jungen
Herrscher auf dem Deutschen Kaiserthron veranlaßte, die Konsequenzen zu ziehen.
Daher verliert auch für Deutschland der deutsch-russische Rückversicherungs-
vertrag die entlastende Bedeutung, die uns in früheren Jahren gestattete, unsere
Rüstung an der Ostgrenze nur gemächlich wachsen zu lassen. Ist der Draht
zwischen Berlin und Petersburg auch nicht zerschnitten, besteht auch das in
Potsdam aufgebaute Abkommen von Björko zu Recht, so hat diese Verbindung
doch nicht mehr den friedensichernden Einfluß früherer Jahre: die persönliche
Freundschaft der beiden Monarchen bietet keine absolute Garantie mehr für die
friedlichen Beziehungen beider Reiche, denn das Phantom von der Selbst¬
herrlichkeit des Zaren ist dahin, der Zar hat sich als machtlos erwiesen gegen¬
über den nationalistischen Strömungen im Lande. Das ist die wichtigste politische
Lehre der Romanowfeiern für uns Deutsche. Denn es gibt keine größere
Bedrohung des Friedens als schwache Regierungen, als Monarchen, die jeden
Augenblick gezwungen werden können, Handlungen zu tun, denen sie innerlich
widerstreben, lediglich, um sich dem Demos gegenüber zu halten.

Beschattet von der Entwicklung der innerpolitischen Lage Rußlands, ge¬
winnen die neuen Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel für uns Deutsche jene
ernste Bedeutung, die unsere Regierung veranlassen mußte, an den Begriff
"Kriegsbereitschaft" einen neuen Maßstab zu legen. Der neuen Lage gegen¬
über müssen wir gerüstet sein und je besser die Rüstung ist, umso sicherer
können wir damit rechnen, uns unsere Gegner in achtunggebietender Entfernung
vom Leibe zu halten.

So sind es denn nicht wir, die durch neue Rüstungen neue Kriegs¬
gefahren heraufbeschwören, nicht die neuen deutschen Heeresverstärkungen, die zum


Fürsten und Völker

Agitation gegen den „deutschen" Zaren durch taktvolle Würde den Boden zu
entziehen, versucht der Zar das sür die Russen Peinliche zu beseitigen durch
Preisgabe der eigenen Tradition: voriges Jahr in Verbindung mit Schaffung des
Romanow-Fonds zur Hebung der Landwirtschaft, in diesem durch das Romanow-
Jubiläum, das der großen Masse die echtrussische Abstammung des Zaren vor¬
spiegeln soll, die nicht vorhanden ist. Eine tiefergehende, für das Zaren¬
haus günstige Wirkung dieses Versuchs, darf man nicht erwarten; die fort¬
schreitende Bildung wird die Romanowlegende nie festen Fuß fassen lassen und
wahrscheinlich wird das Gegenteil von dem eintreten, was man zu erreichen
hoffte: die glücklich auslaufenden Unternehmungen der Regierung werden, mit
dem Namen Romanow in Verbindung gebracht, als Erfolge russischen Wesens
und Geistes gestempelt, alles Mißgeschick aber dem „Deutschen" auf dem Thron
zugeschoben werden.

Nach außen hin ist die Preisgabe der eigenen Haustradition ein sicht¬
bares Zeichen der Schwäche der russischen Negierung und des Verblassens der
zarischen Macht. Aber sie bedeutet auch die Bestätigung jener Abkehr von der
preußisch-russischen Politik eines Jahrhunderts, die schon unter Alexander dem
Dritten, also zur Amtszeit Bismarcks, einsetzte und die seinerzeit den jungen
Herrscher auf dem Deutschen Kaiserthron veranlaßte, die Konsequenzen zu ziehen.
Daher verliert auch für Deutschland der deutsch-russische Rückversicherungs-
vertrag die entlastende Bedeutung, die uns in früheren Jahren gestattete, unsere
Rüstung an der Ostgrenze nur gemächlich wachsen zu lassen. Ist der Draht
zwischen Berlin und Petersburg auch nicht zerschnitten, besteht auch das in
Potsdam aufgebaute Abkommen von Björko zu Recht, so hat diese Verbindung
doch nicht mehr den friedensichernden Einfluß früherer Jahre: die persönliche
Freundschaft der beiden Monarchen bietet keine absolute Garantie mehr für die
friedlichen Beziehungen beider Reiche, denn das Phantom von der Selbst¬
herrlichkeit des Zaren ist dahin, der Zar hat sich als machtlos erwiesen gegen¬
über den nationalistischen Strömungen im Lande. Das ist die wichtigste politische
Lehre der Romanowfeiern für uns Deutsche. Denn es gibt keine größere
Bedrohung des Friedens als schwache Regierungen, als Monarchen, die jeden
Augenblick gezwungen werden können, Handlungen zu tun, denen sie innerlich
widerstreben, lediglich, um sich dem Demos gegenüber zu halten.

Beschattet von der Entwicklung der innerpolitischen Lage Rußlands, ge¬
winnen die neuen Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel für uns Deutsche jene
ernste Bedeutung, die unsere Regierung veranlassen mußte, an den Begriff
„Kriegsbereitschaft" einen neuen Maßstab zu legen. Der neuen Lage gegen¬
über müssen wir gerüstet sein und je besser die Rüstung ist, umso sicherer
können wir damit rechnen, uns unsere Gegner in achtunggebietender Entfernung
vom Leibe zu halten.

So sind es denn nicht wir, die durch neue Rüstungen neue Kriegs¬
gefahren heraufbeschwören, nicht die neuen deutschen Heeresverstärkungen, die zum


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[0504] Fürsten und Völker Agitation gegen den „deutschen" Zaren durch taktvolle Würde den Boden zu entziehen, versucht der Zar das sür die Russen Peinliche zu beseitigen durch Preisgabe der eigenen Tradition: voriges Jahr in Verbindung mit Schaffung des Romanow-Fonds zur Hebung der Landwirtschaft, in diesem durch das Romanow- Jubiläum, das der großen Masse die echtrussische Abstammung des Zaren vor¬ spiegeln soll, die nicht vorhanden ist. Eine tiefergehende, für das Zaren¬ haus günstige Wirkung dieses Versuchs, darf man nicht erwarten; die fort¬ schreitende Bildung wird die Romanowlegende nie festen Fuß fassen lassen und wahrscheinlich wird das Gegenteil von dem eintreten, was man zu erreichen hoffte: die glücklich auslaufenden Unternehmungen der Regierung werden, mit dem Namen Romanow in Verbindung gebracht, als Erfolge russischen Wesens und Geistes gestempelt, alles Mißgeschick aber dem „Deutschen" auf dem Thron zugeschoben werden. Nach außen hin ist die Preisgabe der eigenen Haustradition ein sicht¬ bares Zeichen der Schwäche der russischen Negierung und des Verblassens der zarischen Macht. Aber sie bedeutet auch die Bestätigung jener Abkehr von der preußisch-russischen Politik eines Jahrhunderts, die schon unter Alexander dem Dritten, also zur Amtszeit Bismarcks, einsetzte und die seinerzeit den jungen Herrscher auf dem Deutschen Kaiserthron veranlaßte, die Konsequenzen zu ziehen. Daher verliert auch für Deutschland der deutsch-russische Rückversicherungs- vertrag die entlastende Bedeutung, die uns in früheren Jahren gestattete, unsere Rüstung an der Ostgrenze nur gemächlich wachsen zu lassen. Ist der Draht zwischen Berlin und Petersburg auch nicht zerschnitten, besteht auch das in Potsdam aufgebaute Abkommen von Björko zu Recht, so hat diese Verbindung doch nicht mehr den friedensichernden Einfluß früherer Jahre: die persönliche Freundschaft der beiden Monarchen bietet keine absolute Garantie mehr für die friedlichen Beziehungen beider Reiche, denn das Phantom von der Selbst¬ herrlichkeit des Zaren ist dahin, der Zar hat sich als machtlos erwiesen gegen¬ über den nationalistischen Strömungen im Lande. Das ist die wichtigste politische Lehre der Romanowfeiern für uns Deutsche. Denn es gibt keine größere Bedrohung des Friedens als schwache Regierungen, als Monarchen, die jeden Augenblick gezwungen werden können, Handlungen zu tun, denen sie innerlich widerstreben, lediglich, um sich dem Demos gegenüber zu halten. Beschattet von der Entwicklung der innerpolitischen Lage Rußlands, ge¬ winnen die neuen Verhältnisse auf der Balkanhalbinsel für uns Deutsche jene ernste Bedeutung, die unsere Regierung veranlassen mußte, an den Begriff „Kriegsbereitschaft" einen neuen Maßstab zu legen. Der neuen Lage gegen¬ über müssen wir gerüstet sein und je besser die Rüstung ist, umso sicherer können wir damit rechnen, uns unsere Gegner in achtunggebietender Entfernung vom Leibe zu halten. So sind es denn nicht wir, die durch neue Rüstungen neue Kriegs¬ gefahren heraufbeschwören, nicht die neuen deutschen Heeresverstärkungen, die zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/504>, abgerufen am 22.12.2024.