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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Fürsten und Völker

für Deutschland wenigstens eine sehr wichtige Stütze des Friedens beseitigt
erscheint. Was ist geschehen?

Das offizielle Rußland feiert in diesen Tagen den dreihundertsten Ge¬
burtstag der Dynastie Romanow, die mit Michail Feodorowitsch (1613 bis
1645) auf den Thron kam. Die Romanowitschi sind aber tatsächlich als
regierende Fürsten schon mit Iwan dem Sechsten 1741 aus Rußland ver¬
schwunden. Iwans Mutter, die Kaiserin Elisabeth, war schon eine geborene Prin¬
zessin von Braunschweig-Bevern und deren Nachfolger, ihr Neffe von Holstein-
Gottorp, als Zar Peter der Dritte, war bedeutsamer als Gatte Katharinas der
Zweiten, die ihn beseitigte und die seine Nachfolgerin auf dem Thron wurde.
Also am Anfang der heutigen sogenannten Romanow-Dynastie steht ein deutsches
Fürstenpaar. Die Verbindung mit dem Hause Romanow geschieht an dieser
Stelle lediglich durch die Mutter Peters des Dritten, Anna Petrowna, die.
eine Tochter Peters des Großen, selbst mit Herzog Karl Friedrich von Holstein
verheiratet war. Alle späteren sogenannten Romanows sind somit in Wirk¬
lichkeit Holstein-Gottorper und nicht Romanowitschi. Einwände gegen diese Be¬
hauptung könnten bezüglich Pauls des Ersten erhoben worden. Läßt man
diese aber gelten, so würde das Recht des heutigen Zaren sich als ein Ab¬
kömmling von den Romanow zu bezeichnen noch fadenscheiniger sein, als es so
schon ist. Wenn nämlich Paul überhaupt aus einem unerlaubten Verhältnis der
Kaiserin mit einem ihrer zahlreichen Günstlinge stammen sollte, so läßt sich seine
Entstehung doch nicht auf einen Romanow zurückführen, da Katharina ihre
Gunst keinem der Romanows geschenkt hatte.

Die späteren Zaren heirateten ausschließlich Prinzessinnen germanischen
Blutes. Paul der Erste: Sophie Dorothea von Württemberg. Alexander der
Erste: Luise Marie Auguste von Baden. Nikolaus der Erste: Charlotte von
Preußen. Alexander der Zweite: Marie von Hessen. Alexander der Dritte:
Dagmar von Dänemark, Nikolaus der Zweite: Aux von Hessen.

Die Feier eines Romanowjubiläums erscheint angesichts dieser stolzen Reihe
deutscher Fürsten um so merkwürdiger, als die Holstein-Gottorper es im vorigen
Jahre unterließen, ihr eigenes Hausjubiläum, den Tag des Regierungsantritts
Peters des Dritten vor hundertundfunfzig Jahren festlich zu begehen.

Nun wird man sagen: das ist Hauspolitik. Aber kaum wird jemand
behaupten können, diese Hauspolitik sei würdig und zeuge von Stolz.

Es ist tatsächlich eine an Entsagung grenzende Konzession des Zaren an
das Altrussentum. die Preisgabe der Tradition eines Fürstenhauses, das auf
diese Tradition stolz sein darf. Katharina die Große, und die beiden ersten
Alexander waren zweifellos Monarchen, denen Rußland außerordentliche Fort¬
schritte und Machterweiterungen zu danken hell Aber es ist den Russen, die
sonst über ihre Schwächen doch so geistreich zu spotten verstehen, peinlich, sich
immer sagen zu müssen, daß es schließlich Deutsche gewesen sind, die das
Riesenreich so fest organisiert haben. Statt nun aber der daran sich knüpfenden


Fürsten und Völker

für Deutschland wenigstens eine sehr wichtige Stütze des Friedens beseitigt
erscheint. Was ist geschehen?

Das offizielle Rußland feiert in diesen Tagen den dreihundertsten Ge¬
burtstag der Dynastie Romanow, die mit Michail Feodorowitsch (1613 bis
1645) auf den Thron kam. Die Romanowitschi sind aber tatsächlich als
regierende Fürsten schon mit Iwan dem Sechsten 1741 aus Rußland ver¬
schwunden. Iwans Mutter, die Kaiserin Elisabeth, war schon eine geborene Prin¬
zessin von Braunschweig-Bevern und deren Nachfolger, ihr Neffe von Holstein-
Gottorp, als Zar Peter der Dritte, war bedeutsamer als Gatte Katharinas der
Zweiten, die ihn beseitigte und die seine Nachfolgerin auf dem Thron wurde.
Also am Anfang der heutigen sogenannten Romanow-Dynastie steht ein deutsches
Fürstenpaar. Die Verbindung mit dem Hause Romanow geschieht an dieser
Stelle lediglich durch die Mutter Peters des Dritten, Anna Petrowna, die.
eine Tochter Peters des Großen, selbst mit Herzog Karl Friedrich von Holstein
verheiratet war. Alle späteren sogenannten Romanows sind somit in Wirk¬
lichkeit Holstein-Gottorper und nicht Romanowitschi. Einwände gegen diese Be¬
hauptung könnten bezüglich Pauls des Ersten erhoben worden. Läßt man
diese aber gelten, so würde das Recht des heutigen Zaren sich als ein Ab¬
kömmling von den Romanow zu bezeichnen noch fadenscheiniger sein, als es so
schon ist. Wenn nämlich Paul überhaupt aus einem unerlaubten Verhältnis der
Kaiserin mit einem ihrer zahlreichen Günstlinge stammen sollte, so läßt sich seine
Entstehung doch nicht auf einen Romanow zurückführen, da Katharina ihre
Gunst keinem der Romanows geschenkt hatte.

Die späteren Zaren heirateten ausschließlich Prinzessinnen germanischen
Blutes. Paul der Erste: Sophie Dorothea von Württemberg. Alexander der
Erste: Luise Marie Auguste von Baden. Nikolaus der Erste: Charlotte von
Preußen. Alexander der Zweite: Marie von Hessen. Alexander der Dritte:
Dagmar von Dänemark, Nikolaus der Zweite: Aux von Hessen.

Die Feier eines Romanowjubiläums erscheint angesichts dieser stolzen Reihe
deutscher Fürsten um so merkwürdiger, als die Holstein-Gottorper es im vorigen
Jahre unterließen, ihr eigenes Hausjubiläum, den Tag des Regierungsantritts
Peters des Dritten vor hundertundfunfzig Jahren festlich zu begehen.

Nun wird man sagen: das ist Hauspolitik. Aber kaum wird jemand
behaupten können, diese Hauspolitik sei würdig und zeuge von Stolz.

Es ist tatsächlich eine an Entsagung grenzende Konzession des Zaren an
das Altrussentum. die Preisgabe der Tradition eines Fürstenhauses, das auf
diese Tradition stolz sein darf. Katharina die Große, und die beiden ersten
Alexander waren zweifellos Monarchen, denen Rußland außerordentliche Fort¬
schritte und Machterweiterungen zu danken hell Aber es ist den Russen, die
sonst über ihre Schwächen doch so geistreich zu spotten verstehen, peinlich, sich
immer sagen zu müssen, daß es schließlich Deutsche gewesen sind, die das
Riesenreich so fest organisiert haben. Statt nun aber der daran sich knüpfenden


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[0503] Fürsten und Völker für Deutschland wenigstens eine sehr wichtige Stütze des Friedens beseitigt erscheint. Was ist geschehen? Das offizielle Rußland feiert in diesen Tagen den dreihundertsten Ge¬ burtstag der Dynastie Romanow, die mit Michail Feodorowitsch (1613 bis 1645) auf den Thron kam. Die Romanowitschi sind aber tatsächlich als regierende Fürsten schon mit Iwan dem Sechsten 1741 aus Rußland ver¬ schwunden. Iwans Mutter, die Kaiserin Elisabeth, war schon eine geborene Prin¬ zessin von Braunschweig-Bevern und deren Nachfolger, ihr Neffe von Holstein- Gottorp, als Zar Peter der Dritte, war bedeutsamer als Gatte Katharinas der Zweiten, die ihn beseitigte und die seine Nachfolgerin auf dem Thron wurde. Also am Anfang der heutigen sogenannten Romanow-Dynastie steht ein deutsches Fürstenpaar. Die Verbindung mit dem Hause Romanow geschieht an dieser Stelle lediglich durch die Mutter Peters des Dritten, Anna Petrowna, die. eine Tochter Peters des Großen, selbst mit Herzog Karl Friedrich von Holstein verheiratet war. Alle späteren sogenannten Romanows sind somit in Wirk¬ lichkeit Holstein-Gottorper und nicht Romanowitschi. Einwände gegen diese Be¬ hauptung könnten bezüglich Pauls des Ersten erhoben worden. Läßt man diese aber gelten, so würde das Recht des heutigen Zaren sich als ein Ab¬ kömmling von den Romanow zu bezeichnen noch fadenscheiniger sein, als es so schon ist. Wenn nämlich Paul überhaupt aus einem unerlaubten Verhältnis der Kaiserin mit einem ihrer zahlreichen Günstlinge stammen sollte, so läßt sich seine Entstehung doch nicht auf einen Romanow zurückführen, da Katharina ihre Gunst keinem der Romanows geschenkt hatte. Die späteren Zaren heirateten ausschließlich Prinzessinnen germanischen Blutes. Paul der Erste: Sophie Dorothea von Württemberg. Alexander der Erste: Luise Marie Auguste von Baden. Nikolaus der Erste: Charlotte von Preußen. Alexander der Zweite: Marie von Hessen. Alexander der Dritte: Dagmar von Dänemark, Nikolaus der Zweite: Aux von Hessen. Die Feier eines Romanowjubiläums erscheint angesichts dieser stolzen Reihe deutscher Fürsten um so merkwürdiger, als die Holstein-Gottorper es im vorigen Jahre unterließen, ihr eigenes Hausjubiläum, den Tag des Regierungsantritts Peters des Dritten vor hundertundfunfzig Jahren festlich zu begehen. Nun wird man sagen: das ist Hauspolitik. Aber kaum wird jemand behaupten können, diese Hauspolitik sei würdig und zeuge von Stolz. Es ist tatsächlich eine an Entsagung grenzende Konzession des Zaren an das Altrussentum. die Preisgabe der Tradition eines Fürstenhauses, das auf diese Tradition stolz sein darf. Katharina die Große, und die beiden ersten Alexander waren zweifellos Monarchen, denen Rußland außerordentliche Fort¬ schritte und Machterweiterungen zu danken hell Aber es ist den Russen, die sonst über ihre Schwächen doch so geistreich zu spotten verstehen, peinlich, sich immer sagen zu müssen, daß es schließlich Deutsche gewesen sind, die das Riesenreich so fest organisiert haben. Statt nun aber der daran sich knüpfenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/503>, abgerufen am 22.07.2024.