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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Peter der Große und die Jesuiten

katholischen Polen gegenüber, die von Kind auf in ihm geweckt worden war,
wurzelte und durch die gefährlichen politischen Wirrnisse, die er als Zar zu
überwinden hatte, gefestigt wurde. Der Zar pflegte zu sagen, der König von
Polen -- August der Starke -- sei sein lieber Bruder, aber die Polen wären
nicht des Teufels wert. Diese Gesinnung beleuchtet der traurige Vorfall von
Polotzk am 11. Juli 1705, von dem der preußische Gesandte Kanserling aus
Wilna nach Berlin als "von einer abermaligen lustigen Passage aus des Zaren
Lebenslauf" berichtet. Der Zar habe in seiner Suite einen gewissen Fürsten
Schachowskoj, der zwar die Anzahl der Hofnarren vermehre, von Natur aber
ein boshafter, durchtriebener Schelm sei. Dieser sei in Polotzk (in Litauen,
damals polnischem Gebiet), als der Zar dort anwesend war, in ein Kloster
Ordinis S. Bastln zu russischen Pfaffen gekommen, die, wie fast alle unter
polnischer Jurisdiktion stehenden Russen, vor geraumer Zeit von der rechten
griechisch-moskowitischen Religion in vielen Stücken abgewichen waren und sich
der römischen Kirche darin, daß sie den Papst für das sichtbare Haupt der
Kirche anerkannt, konform gemacht hatten, und daher auch Unierte genannt
wurden. Daselbst habe sich der Fürst zu saufen geben lassen und mit den
Pfaffen zu disputieren angefangen, und seine Argumente mit der Faust zu
behaupten sich unterstanden, was die Pfaffen, solchen Traktaments in ihrem
Kloster nicht gewohnt, mit guten Stößen beantwortet und den Fürsten wohl
zerschlagen von sich gelassen haben. Der Fürst habe darüber vor dem Zaren
Klage geführt, und dieser habe sich sofort in Begleitung des Favoriten Menschikow
und einiger Bedienten zu den Pfaffen ins Kloster begeben und sie in ihrer
Kirche vor dem Altar angetroffen. Der Zar habe sie hart angefahren und
befragt, was sie für einen Gottesdienst hätten und welche Heiligen sie verehrten.
Wie ihm nun der Vornehmste darauf antworten wollte, habe der Zar ihn bei
den Haaren erwischt und ihm mit dem bloßen Degen den Kopf glatt hinweg¬
gehauen. Der Favorit habe denn aus Complaisance gegen seinen Herrn einem
anderen Pfaffen den Degen in den Leib gestoßen, einen dritten habe des Zaren
großer Hund ergriffen und zu Tode gebissen. Dann seien alle Bilder in der
Kirche zerhauen und den anderen Tag noch zwei von diesen Geistlichen auf¬
gehenkt worden. -- Etwa einen Monat später schreibt der Jesuitenpater Elias
Broggio aus dein russischen Kriegslager in Wilna über das unheilvolle Ereignis
von Polotzk und bemerkt dazu: "Es pflegt zwar der Zar oft zu sagen, er
wünsche, er könnte eines und desselben Glaubens sein mit den Römischen, doch
wird daran eine wunderbare und unmögliche Bedingung gestellt. Lachen mußte
ich neulich, als ich in den hier in Wilna gedruckten neuesten Zeitungen las, in
Rom sei vor dem Papste ein Vorschlag gemacht worden, in dem das Verlangen
des Moskowiters nach einer Union mit den Römischen in den Mittelpunkt gerückt
sei. Doch wer von diesen Zuständen Kenntnis hat, der ist anderer Meinung."

Viele Jahre noch konnten die Jesuiten gesichert in Rußland wirken, da
kam durch Pieper das Verderben über sie. Diesem war es 1711 gelungen,


Peter der Große und die Jesuiten

katholischen Polen gegenüber, die von Kind auf in ihm geweckt worden war,
wurzelte und durch die gefährlichen politischen Wirrnisse, die er als Zar zu
überwinden hatte, gefestigt wurde. Der Zar pflegte zu sagen, der König von
Polen — August der Starke — sei sein lieber Bruder, aber die Polen wären
nicht des Teufels wert. Diese Gesinnung beleuchtet der traurige Vorfall von
Polotzk am 11. Juli 1705, von dem der preußische Gesandte Kanserling aus
Wilna nach Berlin als „von einer abermaligen lustigen Passage aus des Zaren
Lebenslauf" berichtet. Der Zar habe in seiner Suite einen gewissen Fürsten
Schachowskoj, der zwar die Anzahl der Hofnarren vermehre, von Natur aber
ein boshafter, durchtriebener Schelm sei. Dieser sei in Polotzk (in Litauen,
damals polnischem Gebiet), als der Zar dort anwesend war, in ein Kloster
Ordinis S. Bastln zu russischen Pfaffen gekommen, die, wie fast alle unter
polnischer Jurisdiktion stehenden Russen, vor geraumer Zeit von der rechten
griechisch-moskowitischen Religion in vielen Stücken abgewichen waren und sich
der römischen Kirche darin, daß sie den Papst für das sichtbare Haupt der
Kirche anerkannt, konform gemacht hatten, und daher auch Unierte genannt
wurden. Daselbst habe sich der Fürst zu saufen geben lassen und mit den
Pfaffen zu disputieren angefangen, und seine Argumente mit der Faust zu
behaupten sich unterstanden, was die Pfaffen, solchen Traktaments in ihrem
Kloster nicht gewohnt, mit guten Stößen beantwortet und den Fürsten wohl
zerschlagen von sich gelassen haben. Der Fürst habe darüber vor dem Zaren
Klage geführt, und dieser habe sich sofort in Begleitung des Favoriten Menschikow
und einiger Bedienten zu den Pfaffen ins Kloster begeben und sie in ihrer
Kirche vor dem Altar angetroffen. Der Zar habe sie hart angefahren und
befragt, was sie für einen Gottesdienst hätten und welche Heiligen sie verehrten.
Wie ihm nun der Vornehmste darauf antworten wollte, habe der Zar ihn bei
den Haaren erwischt und ihm mit dem bloßen Degen den Kopf glatt hinweg¬
gehauen. Der Favorit habe denn aus Complaisance gegen seinen Herrn einem
anderen Pfaffen den Degen in den Leib gestoßen, einen dritten habe des Zaren
großer Hund ergriffen und zu Tode gebissen. Dann seien alle Bilder in der
Kirche zerhauen und den anderen Tag noch zwei von diesen Geistlichen auf¬
gehenkt worden. — Etwa einen Monat später schreibt der Jesuitenpater Elias
Broggio aus dein russischen Kriegslager in Wilna über das unheilvolle Ereignis
von Polotzk und bemerkt dazu: „Es pflegt zwar der Zar oft zu sagen, er
wünsche, er könnte eines und desselben Glaubens sein mit den Römischen, doch
wird daran eine wunderbare und unmögliche Bedingung gestellt. Lachen mußte
ich neulich, als ich in den hier in Wilna gedruckten neuesten Zeitungen las, in
Rom sei vor dem Papste ein Vorschlag gemacht worden, in dem das Verlangen
des Moskowiters nach einer Union mit den Römischen in den Mittelpunkt gerückt
sei. Doch wer von diesen Zuständen Kenntnis hat, der ist anderer Meinung."

Viele Jahre noch konnten die Jesuiten gesichert in Rußland wirken, da
kam durch Pieper das Verderben über sie. Diesem war es 1711 gelungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/483>, abgerufen am 22.07.2024.