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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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Die Presse und Z 59s Strafgesetzbuches

dieser Streit vorwiegend gerade um die berechtigten Interessen der
Presse entbrannt.

Das R. G. hat als berechtigte Interessen die den Täter "nahe angehenden"
bezeichnet. Daß darunter in erster Linie seine eigenen, seine privatrechtlichen
Interessen fallen, ist außer jedem Zweifel. Dies gilt für Redakteure genau so
gut wie für andere Menschen. So hat das R. G. dem Angriffe eines Redakteurs
gegen einen höheren Forstbeamten, welcher seinen Untergebenen das Abonnement
der von jenem Redakteur herausgegebenen Zeitung verboten hatte, den Schutz
des Z 193 Se. G. B. zugebilligt. Wie ist es aber bei der Wahrnehmung aller
öffentlichen, insbesondere der politischen Interessen? Sind dies auch noch den
Täter nahe angehende? Ursprünglich hat das R. G. dies bejaht, z. B. in
einer Entscheidung von 1880, und dort ausgeführt, daß das Gesetz zwischen
fremden und eigenen Interessen nicht unterscheide. Dies ist nach dem Wortlaute
des Gesetzes auch zweifellos richtig. Weiter hat das R. G. noch 1883 aus¬
gesprochen, daß Z 193 auch dem zur Seite steht, der sich aus ethischen Gründen
zum Verteidiger fremder Interessen aufgeworfen und in deren Wahrnehmung
gehandelt habe. 1887 hat es diese weitherzige und meines Erachtens angemessene
Auslegung verlassen und zwar gerade bei Entscheidungen, welche sich mit der Presse
beschäftigen. Es hat zunächst angeführt, man müsse zwischen "sittlichen" und "sittlich
berechtigten" Gründen unterscheiden. Aber diese Unterscheidung ist zu subtil und
praktisch undurchführbar. Es hat weiter gesagt, die Presse genieße in Deutschland
keine Privilegien, sondern unterstehe den allgemeinen Strafgesetzen. Das ist zweifel¬
los richtig. Man wird auch gar keine Privilegien für die Presse fordern wollen,
sondern nur eine Auslegung des Z 193, welche deren eigenartiger Natur gerecht
wird. Hieran aber fehlt es gerade in den Urteilen unseres höchsten Gerichtshofes.

Das R. G. hat ausgeführt, berechtigte Interessen seien grundsätzlich nur
eigene. Fremde nur ausnahmsweise dann, wenn es sich um eine Vertretung
kraft Amtes oder Berufes oder besonders nahe Beziehungen zu den anderen
Personen handelt, die es "bei billiger Beurteilung als gerechtfertigt erscheinen
lassen, daß der Täter ihre Sache als seine eigene angesehen hat" (Entsch.
von 1897). Diese "nahen Beziehungen" sieht das Reichsgericht als gegeben
an bei der Zugehörigkeit des Täters zu einem als Ganzes organisierten und
gegen die Allgemeinheit abgegrenzten Personenkreise, z. B. einer Gesellschaft,
Genossenschaft, einem Verein, einer Stadt- oder Landgemeinde. Ereignisse,
welche diese Gruppen ideell oder materiell berührten, träfen auch ihre einzelnen
Angehörigen derart, daß eine sie nahe angehende Sache vorliege, ihre
Stellungnahme zu diesen Ereignissen also in Wahrnehmung berechtigter Interessen
erfolge. Mit dieser Auffassung wird die Personengesamtheit, welche im
Deutschen Reiche zusammengefaßt ist und nächst dem Grund und Boden das
wichtigste Substrat eines Staates bildet, geradezu in Partikeln und Atome
auseinandergerissen. Die Folge dieser Rechtsauffassung ist, daß Redakteure,
welche gegen Reklameverunstaltung des Schlesischen Gebirges, gegen Mißstände


Die Presse und Z 59s Strafgesetzbuches

dieser Streit vorwiegend gerade um die berechtigten Interessen der
Presse entbrannt.

Das R. G. hat als berechtigte Interessen die den Täter „nahe angehenden"
bezeichnet. Daß darunter in erster Linie seine eigenen, seine privatrechtlichen
Interessen fallen, ist außer jedem Zweifel. Dies gilt für Redakteure genau so
gut wie für andere Menschen. So hat das R. G. dem Angriffe eines Redakteurs
gegen einen höheren Forstbeamten, welcher seinen Untergebenen das Abonnement
der von jenem Redakteur herausgegebenen Zeitung verboten hatte, den Schutz
des Z 193 Se. G. B. zugebilligt. Wie ist es aber bei der Wahrnehmung aller
öffentlichen, insbesondere der politischen Interessen? Sind dies auch noch den
Täter nahe angehende? Ursprünglich hat das R. G. dies bejaht, z. B. in
einer Entscheidung von 1880, und dort ausgeführt, daß das Gesetz zwischen
fremden und eigenen Interessen nicht unterscheide. Dies ist nach dem Wortlaute
des Gesetzes auch zweifellos richtig. Weiter hat das R. G. noch 1883 aus¬
gesprochen, daß Z 193 auch dem zur Seite steht, der sich aus ethischen Gründen
zum Verteidiger fremder Interessen aufgeworfen und in deren Wahrnehmung
gehandelt habe. 1887 hat es diese weitherzige und meines Erachtens angemessene
Auslegung verlassen und zwar gerade bei Entscheidungen, welche sich mit der Presse
beschäftigen. Es hat zunächst angeführt, man müsse zwischen „sittlichen" und „sittlich
berechtigten" Gründen unterscheiden. Aber diese Unterscheidung ist zu subtil und
praktisch undurchführbar. Es hat weiter gesagt, die Presse genieße in Deutschland
keine Privilegien, sondern unterstehe den allgemeinen Strafgesetzen. Das ist zweifel¬
los richtig. Man wird auch gar keine Privilegien für die Presse fordern wollen,
sondern nur eine Auslegung des Z 193, welche deren eigenartiger Natur gerecht
wird. Hieran aber fehlt es gerade in den Urteilen unseres höchsten Gerichtshofes.

Das R. G. hat ausgeführt, berechtigte Interessen seien grundsätzlich nur
eigene. Fremde nur ausnahmsweise dann, wenn es sich um eine Vertretung
kraft Amtes oder Berufes oder besonders nahe Beziehungen zu den anderen
Personen handelt, die es „bei billiger Beurteilung als gerechtfertigt erscheinen
lassen, daß der Täter ihre Sache als seine eigene angesehen hat" (Entsch.
von 1897). Diese „nahen Beziehungen" sieht das Reichsgericht als gegeben
an bei der Zugehörigkeit des Täters zu einem als Ganzes organisierten und
gegen die Allgemeinheit abgegrenzten Personenkreise, z. B. einer Gesellschaft,
Genossenschaft, einem Verein, einer Stadt- oder Landgemeinde. Ereignisse,
welche diese Gruppen ideell oder materiell berührten, träfen auch ihre einzelnen
Angehörigen derart, daß eine sie nahe angehende Sache vorliege, ihre
Stellungnahme zu diesen Ereignissen also in Wahrnehmung berechtigter Interessen
erfolge. Mit dieser Auffassung wird die Personengesamtheit, welche im
Deutschen Reiche zusammengefaßt ist und nächst dem Grund und Boden das
wichtigste Substrat eines Staates bildet, geradezu in Partikeln und Atome
auseinandergerissen. Die Folge dieser Rechtsauffassung ist, daß Redakteure,
welche gegen Reklameverunstaltung des Schlesischen Gebirges, gegen Mißstände


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[0472] Die Presse und Z 59s Strafgesetzbuches dieser Streit vorwiegend gerade um die berechtigten Interessen der Presse entbrannt. Das R. G. hat als berechtigte Interessen die den Täter „nahe angehenden" bezeichnet. Daß darunter in erster Linie seine eigenen, seine privatrechtlichen Interessen fallen, ist außer jedem Zweifel. Dies gilt für Redakteure genau so gut wie für andere Menschen. So hat das R. G. dem Angriffe eines Redakteurs gegen einen höheren Forstbeamten, welcher seinen Untergebenen das Abonnement der von jenem Redakteur herausgegebenen Zeitung verboten hatte, den Schutz des Z 193 Se. G. B. zugebilligt. Wie ist es aber bei der Wahrnehmung aller öffentlichen, insbesondere der politischen Interessen? Sind dies auch noch den Täter nahe angehende? Ursprünglich hat das R. G. dies bejaht, z. B. in einer Entscheidung von 1880, und dort ausgeführt, daß das Gesetz zwischen fremden und eigenen Interessen nicht unterscheide. Dies ist nach dem Wortlaute des Gesetzes auch zweifellos richtig. Weiter hat das R. G. noch 1883 aus¬ gesprochen, daß Z 193 auch dem zur Seite steht, der sich aus ethischen Gründen zum Verteidiger fremder Interessen aufgeworfen und in deren Wahrnehmung gehandelt habe. 1887 hat es diese weitherzige und meines Erachtens angemessene Auslegung verlassen und zwar gerade bei Entscheidungen, welche sich mit der Presse beschäftigen. Es hat zunächst angeführt, man müsse zwischen „sittlichen" und „sittlich berechtigten" Gründen unterscheiden. Aber diese Unterscheidung ist zu subtil und praktisch undurchführbar. Es hat weiter gesagt, die Presse genieße in Deutschland keine Privilegien, sondern unterstehe den allgemeinen Strafgesetzen. Das ist zweifel¬ los richtig. Man wird auch gar keine Privilegien für die Presse fordern wollen, sondern nur eine Auslegung des Z 193, welche deren eigenartiger Natur gerecht wird. Hieran aber fehlt es gerade in den Urteilen unseres höchsten Gerichtshofes. Das R. G. hat ausgeführt, berechtigte Interessen seien grundsätzlich nur eigene. Fremde nur ausnahmsweise dann, wenn es sich um eine Vertretung kraft Amtes oder Berufes oder besonders nahe Beziehungen zu den anderen Personen handelt, die es „bei billiger Beurteilung als gerechtfertigt erscheinen lassen, daß der Täter ihre Sache als seine eigene angesehen hat" (Entsch. von 1897). Diese „nahen Beziehungen" sieht das Reichsgericht als gegeben an bei der Zugehörigkeit des Täters zu einem als Ganzes organisierten und gegen die Allgemeinheit abgegrenzten Personenkreise, z. B. einer Gesellschaft, Genossenschaft, einem Verein, einer Stadt- oder Landgemeinde. Ereignisse, welche diese Gruppen ideell oder materiell berührten, träfen auch ihre einzelnen Angehörigen derart, daß eine sie nahe angehende Sache vorliege, ihre Stellungnahme zu diesen Ereignissen also in Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolge. Mit dieser Auffassung wird die Personengesamtheit, welche im Deutschen Reiche zusammengefaßt ist und nächst dem Grund und Boden das wichtigste Substrat eines Staates bildet, geradezu in Partikeln und Atome auseinandergerissen. Die Folge dieser Rechtsauffassung ist, daß Redakteure, welche gegen Reklameverunstaltung des Schlesischen Gebirges, gegen Mißstände

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/472>, abgerufen am 04.07.2024.