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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

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vaterländische Jugendschriften

Die zweite Frage, die im Interesse nationaler Erziehung gestellt werden
muß, die aber nicht aus dem Gehalt des einzelnen Werkes allein beantwortet
werden kann, ist: welche Forderungen sind an die vaterländischen Jugendschriften
ini Interesse der sehr verschiedenartig empfänglichen jugendlichen Leserschaft zu
stellen? Daß das Buch, welches man einem Vierzehnjährigen gibt, nicht auch
für einen neunjährigen gut und nützlich zu lesen ist, erscheint jedem als selbst¬
verständlich. Merkwürdig oft aber übersieht man, daß ein Buch, das etwa
bei einem Bauernknaben vaterländische Gesinnung weckt und fördert, bei einem
proletarischen Großstadtkinde noch keineswegs denselben Erfolg haben muß. Die
soziologischen Unterschiede wollen nicht weniger berücksichtigt sein wie die des
Alters. Man verlangt zuweilen in bester Absicht von den Lehrern, sie sollten den
in sozialdemokratischer Umgebung aufwachsenden Kindern patriotische Schlachten¬
erzählungen oder dergleichen in die Hand geben. Wer die Verhältnisse kennt,
wird über solche lebensfremde Erziehungsversuche lächeln: just das, von
dem das Kind in seiner Umgebung immerfort hört, wie es karikiert,
lächerlich gemacht und verabscheut wird, das bietet Man ihm dar zur
"Erziehung". Ein naiver Junge berauscht sich vielleicht an dem Buch,
der sozialdemokratisch infizierte spottet oder ärgert sich darüber. Sollen wir,
-weil das so ist, einfach die sozialdemokratische Jugend verloren geben? Es
bleibt doch der schönste Sieg, gerade in ihren Herzen den Funken lebendigen
Vaterlandsgefühls zu erwecken, damit daraus ein Feuer werde, das die hölzernen,
wirklichkeitsfremden Utopien verbrennt. Um das zu erreichen, muß eine bis ins
Allerpersönlichste gehende systematische Arbeit einsetzen. Man kann nicht ein
Dach ohne Fundament und Mauern in die Luft bauen. Ehe man in einem
proletarischen Großstadtkind Vaterlandsliebe erwecken kann, muß man in ihm einen
gesunden Boden dafür bereiten. Man muß der Neigung zum Intellektualismus, zum
Spott und zu frühreifer Kritik entgegenwirken. Das kann aber nur durch
solche Bücher geschehen, die ein gesundes Gefühlsleben entwickeln helfen und
zugleich dem Spott und der Kritik keine Angriffspunkte bieten. Die dilettan¬
tische patriotische Jugendliteratur ist bei dieser Jugend gerade das ärgste Hindernis
fruchtbarer vaterländischer Erziehung.

Wir sind von einer richtigen Verwendung unserer vaterländischen Jugend¬
literatur zu einer solchen Erziehung noch sehr weit entfernt. Es fehlt uns einst¬
weilen selbst noch an Mitteilungen über praktische Erfahrungen und an ihrer
klärenden Erörterung. Nachdem aber einmal der Wille sich auf vaterländische
Erziehung eingestellt hat, wird das sicherlich nicht ausbleiben. Viel Verständnis,
viel Behutsamkeit und viel sorgende Liebe ist nötig, um den rechten Weg zu
finden: um die ernste vaterländische Jugendliteratur von der wertlosen zu sondern
und sie in der Weise an die verschiedenen Schichten der Jugend heranzubringen,
daß sie wirklich fruchtbar wird. Aber ist der Weg erst einmal gefunden, dann werden
die Wirkungen für die Gesundung unseres völkischen Gefühlslebens nicht ausbleiben.




vaterländische Jugendschriften

Die zweite Frage, die im Interesse nationaler Erziehung gestellt werden
muß, die aber nicht aus dem Gehalt des einzelnen Werkes allein beantwortet
werden kann, ist: welche Forderungen sind an die vaterländischen Jugendschriften
ini Interesse der sehr verschiedenartig empfänglichen jugendlichen Leserschaft zu
stellen? Daß das Buch, welches man einem Vierzehnjährigen gibt, nicht auch
für einen neunjährigen gut und nützlich zu lesen ist, erscheint jedem als selbst¬
verständlich. Merkwürdig oft aber übersieht man, daß ein Buch, das etwa
bei einem Bauernknaben vaterländische Gesinnung weckt und fördert, bei einem
proletarischen Großstadtkinde noch keineswegs denselben Erfolg haben muß. Die
soziologischen Unterschiede wollen nicht weniger berücksichtigt sein wie die des
Alters. Man verlangt zuweilen in bester Absicht von den Lehrern, sie sollten den
in sozialdemokratischer Umgebung aufwachsenden Kindern patriotische Schlachten¬
erzählungen oder dergleichen in die Hand geben. Wer die Verhältnisse kennt,
wird über solche lebensfremde Erziehungsversuche lächeln: just das, von
dem das Kind in seiner Umgebung immerfort hört, wie es karikiert,
lächerlich gemacht und verabscheut wird, das bietet Man ihm dar zur
„Erziehung". Ein naiver Junge berauscht sich vielleicht an dem Buch,
der sozialdemokratisch infizierte spottet oder ärgert sich darüber. Sollen wir,
-weil das so ist, einfach die sozialdemokratische Jugend verloren geben? Es
bleibt doch der schönste Sieg, gerade in ihren Herzen den Funken lebendigen
Vaterlandsgefühls zu erwecken, damit daraus ein Feuer werde, das die hölzernen,
wirklichkeitsfremden Utopien verbrennt. Um das zu erreichen, muß eine bis ins
Allerpersönlichste gehende systematische Arbeit einsetzen. Man kann nicht ein
Dach ohne Fundament und Mauern in die Luft bauen. Ehe man in einem
proletarischen Großstadtkind Vaterlandsliebe erwecken kann, muß man in ihm einen
gesunden Boden dafür bereiten. Man muß der Neigung zum Intellektualismus, zum
Spott und zu frühreifer Kritik entgegenwirken. Das kann aber nur durch
solche Bücher geschehen, die ein gesundes Gefühlsleben entwickeln helfen und
zugleich dem Spott und der Kritik keine Angriffspunkte bieten. Die dilettan¬
tische patriotische Jugendliteratur ist bei dieser Jugend gerade das ärgste Hindernis
fruchtbarer vaterländischer Erziehung.

Wir sind von einer richtigen Verwendung unserer vaterländischen Jugend¬
literatur zu einer solchen Erziehung noch sehr weit entfernt. Es fehlt uns einst¬
weilen selbst noch an Mitteilungen über praktische Erfahrungen und an ihrer
klärenden Erörterung. Nachdem aber einmal der Wille sich auf vaterländische
Erziehung eingestellt hat, wird das sicherlich nicht ausbleiben. Viel Verständnis,
viel Behutsamkeit und viel sorgende Liebe ist nötig, um den rechten Weg zu
finden: um die ernste vaterländische Jugendliteratur von der wertlosen zu sondern
und sie in der Weise an die verschiedenen Schichten der Jugend heranzubringen,
daß sie wirklich fruchtbar wird. Aber ist der Weg erst einmal gefunden, dann werden
die Wirkungen für die Gesundung unseres völkischen Gefühlslebens nicht ausbleiben.




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[0418] vaterländische Jugendschriften Die zweite Frage, die im Interesse nationaler Erziehung gestellt werden muß, die aber nicht aus dem Gehalt des einzelnen Werkes allein beantwortet werden kann, ist: welche Forderungen sind an die vaterländischen Jugendschriften ini Interesse der sehr verschiedenartig empfänglichen jugendlichen Leserschaft zu stellen? Daß das Buch, welches man einem Vierzehnjährigen gibt, nicht auch für einen neunjährigen gut und nützlich zu lesen ist, erscheint jedem als selbst¬ verständlich. Merkwürdig oft aber übersieht man, daß ein Buch, das etwa bei einem Bauernknaben vaterländische Gesinnung weckt und fördert, bei einem proletarischen Großstadtkinde noch keineswegs denselben Erfolg haben muß. Die soziologischen Unterschiede wollen nicht weniger berücksichtigt sein wie die des Alters. Man verlangt zuweilen in bester Absicht von den Lehrern, sie sollten den in sozialdemokratischer Umgebung aufwachsenden Kindern patriotische Schlachten¬ erzählungen oder dergleichen in die Hand geben. Wer die Verhältnisse kennt, wird über solche lebensfremde Erziehungsversuche lächeln: just das, von dem das Kind in seiner Umgebung immerfort hört, wie es karikiert, lächerlich gemacht und verabscheut wird, das bietet Man ihm dar zur „Erziehung". Ein naiver Junge berauscht sich vielleicht an dem Buch, der sozialdemokratisch infizierte spottet oder ärgert sich darüber. Sollen wir, -weil das so ist, einfach die sozialdemokratische Jugend verloren geben? Es bleibt doch der schönste Sieg, gerade in ihren Herzen den Funken lebendigen Vaterlandsgefühls zu erwecken, damit daraus ein Feuer werde, das die hölzernen, wirklichkeitsfremden Utopien verbrennt. Um das zu erreichen, muß eine bis ins Allerpersönlichste gehende systematische Arbeit einsetzen. Man kann nicht ein Dach ohne Fundament und Mauern in die Luft bauen. Ehe man in einem proletarischen Großstadtkind Vaterlandsliebe erwecken kann, muß man in ihm einen gesunden Boden dafür bereiten. Man muß der Neigung zum Intellektualismus, zum Spott und zu frühreifer Kritik entgegenwirken. Das kann aber nur durch solche Bücher geschehen, die ein gesundes Gefühlsleben entwickeln helfen und zugleich dem Spott und der Kritik keine Angriffspunkte bieten. Die dilettan¬ tische patriotische Jugendliteratur ist bei dieser Jugend gerade das ärgste Hindernis fruchtbarer vaterländischer Erziehung. Wir sind von einer richtigen Verwendung unserer vaterländischen Jugend¬ literatur zu einer solchen Erziehung noch sehr weit entfernt. Es fehlt uns einst¬ weilen selbst noch an Mitteilungen über praktische Erfahrungen und an ihrer klärenden Erörterung. Nachdem aber einmal der Wille sich auf vaterländische Erziehung eingestellt hat, wird das sicherlich nicht ausbleiben. Viel Verständnis, viel Behutsamkeit und viel sorgende Liebe ist nötig, um den rechten Weg zu finden: um die ernste vaterländische Jugendliteratur von der wertlosen zu sondern und sie in der Weise an die verschiedenen Schichten der Jugend heranzubringen, daß sie wirklich fruchtbar wird. Aber ist der Weg erst einmal gefunden, dann werden die Wirkungen für die Gesundung unseres völkischen Gefühlslebens nicht ausbleiben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/418>, abgerufen am 04.07.2024.