Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
vaterländische Jugendschriften

ganzen Kulturfrage überhaupt, gestellt und beantwortet. Aber die besondere
Bedeutung der Frage wurde in dieser Umhüllung wohl den wenigsten klar.
Es mußte einmal jemand kommen, der im Zusammenhang mit all den modernen
Erziehungsbestrebungen, die über die Schule hinausgehen, untersuchte, ob unsere
vaterländische Jugendliteratur ihre Aufgabe erfülle, und zu zweit, ob ihr die
Erfüllung durch die Kritik erschwert oder erleichtert werde.

Der Jugendschriftsteller Kotzde und sein Verleger Scholz schienen das tun
zu wollen, sie veröffentlichten vor ein paar Monaten ein Heft über den "vater-
ländischen Gedanken in der Jugendliteratur".*) Leider ist das eigentliche
Problem, das ohne eine Erörterung der Grundlagen nationaler Erziehung gar
nicht fruchtbringend behandelt werden kann, in dieser Schrift kaum berührt
worden. Wollte man sich mit den Hamburgern auseinandersetzen, so hätte
man meines Erachtens keinen besseren Anknüpfungspunkt finden können als
Wolgasts, des Hamburger Rektors, Buch "Ganze Menschen". Denn dieses
Buch, dem ein völlig auf nationalem Boden stehender Ausschuß**) einen Preis
zuerkannte, enthält sehr beachtenswerte grundsätzliche Ausführungen über das,
worauf es auch hier schließlich ankommt. Statt dessen aber griffen Kotzde und
Scholz den unter Wolgasts geistiger Leitung stehenden Hamburger Jugendschriften¬
ausschuß, den führenden unter den mehr als hundert Jugendschriftenausschüssen
deutscher Lehrer, persönlich an. Seine Mitglieder wurden verkappter sozial¬
demokratischer Gesinnung angeklagt, und die übrigen Ausschüsse wurden auf¬
gefordert, die Hamburger abzuschütteln. Die betroffenen Herren bestritten aufs
entschiedenste die Angaben Kotzdes und Scholzens. Nun, es gibt kaum eine
widerwärtigere Art von Streit, als wenn jemandem aus allerlei Indizien eine
Gesinnung nachgewiesen werden soll, die zu haben er selbst auf das entschiedenste
bestreitet. Doppelt peinlich wurde der Streit in diesem Falle dadurch, daß
seine beiden Urheber durch den Ausgang geschäftlich, je nachdem, geschädigt
oder gefördert werden. Gewiß wird man ihnen subjektiv den guten Willen
zur Sache allein zubilligen. Dennoch, der Takt gebietet, auch den Schein zu
meiden. Wir würden es ja auch nicht ertragen können, wenn etwa die Firma
Krupp Stimmung für einen Krieg machte, auch wenn wir selbst den Krieg
aufs dringendste wünschten.

Wollte ich hier zu dem Inhalt der Streitschrift von Kotzde und Scholz
Stellung nehmen, so würde man vielleicht meinen Ausführungen mißtrauen,
da ich dem Arbeitsausschuß des Dürerbundes angehöre und diesem von den
beiden bereits der Vorwurf gemacht worden ist, er sei in den: Streite Partei.
Aber auch sachlich erübrigen sich solche Ausführungen, da die Angriffe auf die
Hamburger Lehrer heute als erledigt gelten müssen. Die von Kotzde und




*) Verlag von Jos. Scholz, Mainz.
*") Mitglieder des Preisgerichts waren: Heinrich Prinz zu Schoenaich-Carolath, Dr. Graf
Stanislaus zu Dohna, Geh. Archivrat Dr. Ludwig Keller, der Abgeordnete von Schenckendorff.
Universitätsprofessor Dr. Theobald Ziegler, Stadtrat Dr. Ziehen, Professor v. Dr. Zimmer.
vaterländische Jugendschriften

ganzen Kulturfrage überhaupt, gestellt und beantwortet. Aber die besondere
Bedeutung der Frage wurde in dieser Umhüllung wohl den wenigsten klar.
Es mußte einmal jemand kommen, der im Zusammenhang mit all den modernen
Erziehungsbestrebungen, die über die Schule hinausgehen, untersuchte, ob unsere
vaterländische Jugendliteratur ihre Aufgabe erfülle, und zu zweit, ob ihr die
Erfüllung durch die Kritik erschwert oder erleichtert werde.

Der Jugendschriftsteller Kotzde und sein Verleger Scholz schienen das tun
zu wollen, sie veröffentlichten vor ein paar Monaten ein Heft über den „vater-
ländischen Gedanken in der Jugendliteratur".*) Leider ist das eigentliche
Problem, das ohne eine Erörterung der Grundlagen nationaler Erziehung gar
nicht fruchtbringend behandelt werden kann, in dieser Schrift kaum berührt
worden. Wollte man sich mit den Hamburgern auseinandersetzen, so hätte
man meines Erachtens keinen besseren Anknüpfungspunkt finden können als
Wolgasts, des Hamburger Rektors, Buch „Ganze Menschen". Denn dieses
Buch, dem ein völlig auf nationalem Boden stehender Ausschuß**) einen Preis
zuerkannte, enthält sehr beachtenswerte grundsätzliche Ausführungen über das,
worauf es auch hier schließlich ankommt. Statt dessen aber griffen Kotzde und
Scholz den unter Wolgasts geistiger Leitung stehenden Hamburger Jugendschriften¬
ausschuß, den führenden unter den mehr als hundert Jugendschriftenausschüssen
deutscher Lehrer, persönlich an. Seine Mitglieder wurden verkappter sozial¬
demokratischer Gesinnung angeklagt, und die übrigen Ausschüsse wurden auf¬
gefordert, die Hamburger abzuschütteln. Die betroffenen Herren bestritten aufs
entschiedenste die Angaben Kotzdes und Scholzens. Nun, es gibt kaum eine
widerwärtigere Art von Streit, als wenn jemandem aus allerlei Indizien eine
Gesinnung nachgewiesen werden soll, die zu haben er selbst auf das entschiedenste
bestreitet. Doppelt peinlich wurde der Streit in diesem Falle dadurch, daß
seine beiden Urheber durch den Ausgang geschäftlich, je nachdem, geschädigt
oder gefördert werden. Gewiß wird man ihnen subjektiv den guten Willen
zur Sache allein zubilligen. Dennoch, der Takt gebietet, auch den Schein zu
meiden. Wir würden es ja auch nicht ertragen können, wenn etwa die Firma
Krupp Stimmung für einen Krieg machte, auch wenn wir selbst den Krieg
aufs dringendste wünschten.

Wollte ich hier zu dem Inhalt der Streitschrift von Kotzde und Scholz
Stellung nehmen, so würde man vielleicht meinen Ausführungen mißtrauen,
da ich dem Arbeitsausschuß des Dürerbundes angehöre und diesem von den
beiden bereits der Vorwurf gemacht worden ist, er sei in den: Streite Partei.
Aber auch sachlich erübrigen sich solche Ausführungen, da die Angriffe auf die
Hamburger Lehrer heute als erledigt gelten müssen. Die von Kotzde und




*) Verlag von Jos. Scholz, Mainz.
*") Mitglieder des Preisgerichts waren: Heinrich Prinz zu Schoenaich-Carolath, Dr. Graf
Stanislaus zu Dohna, Geh. Archivrat Dr. Ludwig Keller, der Abgeordnete von Schenckendorff.
Universitätsprofessor Dr. Theobald Ziegler, Stadtrat Dr. Ziehen, Professor v. Dr. Zimmer.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325284"/>
          <fw type="header" place="top"> vaterländische Jugendschriften</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1825" prev="#ID_1824"> ganzen Kulturfrage überhaupt, gestellt und beantwortet. Aber die besondere<lb/>
Bedeutung der Frage wurde in dieser Umhüllung wohl den wenigsten klar.<lb/>
Es mußte einmal jemand kommen, der im Zusammenhang mit all den modernen<lb/>
Erziehungsbestrebungen, die über die Schule hinausgehen, untersuchte, ob unsere<lb/>
vaterländische Jugendliteratur ihre Aufgabe erfülle, und zu zweit, ob ihr die<lb/>
Erfüllung durch die Kritik erschwert oder erleichtert werde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1826"> Der Jugendschriftsteller Kotzde und sein Verleger Scholz schienen das tun<lb/>
zu wollen, sie veröffentlichten vor ein paar Monaten ein Heft über den &#x201E;vater-<lb/>
ländischen Gedanken in der Jugendliteratur".*) Leider ist das eigentliche<lb/>
Problem, das ohne eine Erörterung der Grundlagen nationaler Erziehung gar<lb/>
nicht fruchtbringend behandelt werden kann, in dieser Schrift kaum berührt<lb/>
worden. Wollte man sich mit den Hamburgern auseinandersetzen, so hätte<lb/>
man meines Erachtens keinen besseren Anknüpfungspunkt finden können als<lb/>
Wolgasts, des Hamburger Rektors, Buch &#x201E;Ganze Menschen". Denn dieses<lb/>
Buch, dem ein völlig auf nationalem Boden stehender Ausschuß**) einen Preis<lb/>
zuerkannte, enthält sehr beachtenswerte grundsätzliche Ausführungen über das,<lb/>
worauf es auch hier schließlich ankommt. Statt dessen aber griffen Kotzde und<lb/>
Scholz den unter Wolgasts geistiger Leitung stehenden Hamburger Jugendschriften¬<lb/>
ausschuß, den führenden unter den mehr als hundert Jugendschriftenausschüssen<lb/>
deutscher Lehrer, persönlich an. Seine Mitglieder wurden verkappter sozial¬<lb/>
demokratischer Gesinnung angeklagt, und die übrigen Ausschüsse wurden auf¬<lb/>
gefordert, die Hamburger abzuschütteln. Die betroffenen Herren bestritten aufs<lb/>
entschiedenste die Angaben Kotzdes und Scholzens. Nun, es gibt kaum eine<lb/>
widerwärtigere Art von Streit, als wenn jemandem aus allerlei Indizien eine<lb/>
Gesinnung nachgewiesen werden soll, die zu haben er selbst auf das entschiedenste<lb/>
bestreitet. Doppelt peinlich wurde der Streit in diesem Falle dadurch, daß<lb/>
seine beiden Urheber durch den Ausgang geschäftlich, je nachdem, geschädigt<lb/>
oder gefördert werden. Gewiß wird man ihnen subjektiv den guten Willen<lb/>
zur Sache allein zubilligen. Dennoch, der Takt gebietet, auch den Schein zu<lb/>
meiden. Wir würden es ja auch nicht ertragen können, wenn etwa die Firma<lb/>
Krupp Stimmung für einen Krieg machte, auch wenn wir selbst den Krieg<lb/>
aufs dringendste wünschten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1827" next="#ID_1828"> Wollte ich hier zu dem Inhalt der Streitschrift von Kotzde und Scholz<lb/>
Stellung nehmen, so würde man vielleicht meinen Ausführungen mißtrauen,<lb/>
da ich dem Arbeitsausschuß des Dürerbundes angehöre und diesem von den<lb/>
beiden bereits der Vorwurf gemacht worden ist, er sei in den: Streite Partei.<lb/>
Aber auch sachlich erübrigen sich solche Ausführungen, da die Angriffe auf die<lb/>
Hamburger Lehrer heute als erledigt gelten müssen.  Die von Kotzde und</p><lb/>
          <note xml:id="FID_88" place="foot"> *) Verlag von Jos. Scholz, Mainz.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_89" place="foot"> *") Mitglieder des Preisgerichts waren: Heinrich Prinz zu Schoenaich-Carolath, Dr. Graf<lb/>
Stanislaus zu Dohna, Geh. Archivrat Dr. Ludwig Keller, der Abgeordnete von Schenckendorff.<lb/>
Universitätsprofessor Dr. Theobald Ziegler, Stadtrat Dr. Ziehen, Professor v. Dr. Zimmer.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] vaterländische Jugendschriften ganzen Kulturfrage überhaupt, gestellt und beantwortet. Aber die besondere Bedeutung der Frage wurde in dieser Umhüllung wohl den wenigsten klar. Es mußte einmal jemand kommen, der im Zusammenhang mit all den modernen Erziehungsbestrebungen, die über die Schule hinausgehen, untersuchte, ob unsere vaterländische Jugendliteratur ihre Aufgabe erfülle, und zu zweit, ob ihr die Erfüllung durch die Kritik erschwert oder erleichtert werde. Der Jugendschriftsteller Kotzde und sein Verleger Scholz schienen das tun zu wollen, sie veröffentlichten vor ein paar Monaten ein Heft über den „vater- ländischen Gedanken in der Jugendliteratur".*) Leider ist das eigentliche Problem, das ohne eine Erörterung der Grundlagen nationaler Erziehung gar nicht fruchtbringend behandelt werden kann, in dieser Schrift kaum berührt worden. Wollte man sich mit den Hamburgern auseinandersetzen, so hätte man meines Erachtens keinen besseren Anknüpfungspunkt finden können als Wolgasts, des Hamburger Rektors, Buch „Ganze Menschen". Denn dieses Buch, dem ein völlig auf nationalem Boden stehender Ausschuß**) einen Preis zuerkannte, enthält sehr beachtenswerte grundsätzliche Ausführungen über das, worauf es auch hier schließlich ankommt. Statt dessen aber griffen Kotzde und Scholz den unter Wolgasts geistiger Leitung stehenden Hamburger Jugendschriften¬ ausschuß, den führenden unter den mehr als hundert Jugendschriftenausschüssen deutscher Lehrer, persönlich an. Seine Mitglieder wurden verkappter sozial¬ demokratischer Gesinnung angeklagt, und die übrigen Ausschüsse wurden auf¬ gefordert, die Hamburger abzuschütteln. Die betroffenen Herren bestritten aufs entschiedenste die Angaben Kotzdes und Scholzens. Nun, es gibt kaum eine widerwärtigere Art von Streit, als wenn jemandem aus allerlei Indizien eine Gesinnung nachgewiesen werden soll, die zu haben er selbst auf das entschiedenste bestreitet. Doppelt peinlich wurde der Streit in diesem Falle dadurch, daß seine beiden Urheber durch den Ausgang geschäftlich, je nachdem, geschädigt oder gefördert werden. Gewiß wird man ihnen subjektiv den guten Willen zur Sache allein zubilligen. Dennoch, der Takt gebietet, auch den Schein zu meiden. Wir würden es ja auch nicht ertragen können, wenn etwa die Firma Krupp Stimmung für einen Krieg machte, auch wenn wir selbst den Krieg aufs dringendste wünschten. Wollte ich hier zu dem Inhalt der Streitschrift von Kotzde und Scholz Stellung nehmen, so würde man vielleicht meinen Ausführungen mißtrauen, da ich dem Arbeitsausschuß des Dürerbundes angehöre und diesem von den beiden bereits der Vorwurf gemacht worden ist, er sei in den: Streite Partei. Aber auch sachlich erübrigen sich solche Ausführungen, da die Angriffe auf die Hamburger Lehrer heute als erledigt gelten müssen. Die von Kotzde und *) Verlag von Jos. Scholz, Mainz. *") Mitglieder des Preisgerichts waren: Heinrich Prinz zu Schoenaich-Carolath, Dr. Graf Stanislaus zu Dohna, Geh. Archivrat Dr. Ludwig Keller, der Abgeordnete von Schenckendorff. Universitätsprofessor Dr. Theobald Ziegler, Stadtrat Dr. Ziehen, Professor v. Dr. Zimmer.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_324869/414>, abgerufen am 22.12.2024.